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BERICHT
Sarkopenie betrifft Muskeln, aber auch Knochen
1. Symposium Osteoporose, Schmerz, Arthrose 20. März 2014, Seedamm Plaza, Pfäffikon/SZ
Ein Verlust von Muskelmasse und -kraft, oft kombiniert mit einer Osteopenie oder Osteoporose, ist im fortgeschrittenen Alter häufig. Die Sarkopenie könne aber behandelt werden, sagte Dr. Hans-Ulrich Mellinghoff, Leitender Arzt Osteologie am Kantonsspital St. Gallen.
HALID BAS
Der Verlust an Muskulatur ist ein altersbezogener physiologischer Vorgang, der schon ab dem 40. Lebensjahr beginnt und dem wir nicht entgehen können. Im Alter vermindern sich aber nicht nur Murkelkraft und -masse, sondern auch der Fettanteil nimmt zu, es
fähigkeit hinzu, im Stadium der schweren Sarkopenie zeigen alle drei Kriterien ein deutliches Defizit. Die Pathogenese der Sarkopenie ist multifaktoriell. Neben der primären Ursache, dem Altern mit Veränderungen von Sexualhormonen, Apoptose und Mitochondriendysfunktion, spielen sekundäre Ursachen eine wichtige Rolle. Dazu gehören körperlich inaktiver Lebensstil und Immobilität beispielsweise durch rheumatologische Erkrankungen, ein neurodegenerativer Verlust an Motoneuronen und nachgeordneten Muskelfasern, endokrine Veränderungen mit tieferen Kortisolund Wachstumshormonspiegeln sowie abnorme Schilddrüsenfunktion oder Insulinresistenz im Rahmen eines Typ2-Diabetes und oft auch eine inadäquate Ernährung oder Malabsorption, die zur Kachexie führen. Auch Komorbiditäten wie chronisch obstruktive Lungenerkrankung oder Herzinsuffizienz beeinträchtigen den Erhalt der Muskelmasse.
«Die Messung der Handgriffstärke mit einem Dynamometer erlaubt eine präzise Erfassung der Muskelstärke, und diese korreliert interessanterweise auch sehr gut mit der Muskelstärke in den unteren Extremitäten.»
verändert sich somit die ganze Zusammensetzung des Körpers. Die European Working Group on Sarcopenia in Older People basiert die Diagnose einer Sarkopenie auf der Kombination der drei Kriterien geringe Muskelmasse, geringe Muskelkraft sowie niedrige körperliche Leistungsfähigkeit (1). Im Stadium der Präsarkopenie ist nur die Muskelmasse verringert, bei Sarkopenie gesellen sich entweder reduzierte Muskelkraft oder reduzierte Leistungs-
Wie misst man eine Sarkopenie? Es gibt eine ganze Reihe einfacher Verfahren, um die Körperzusammensetzung zu messen. Dazu gehören Bioimpedanzmethode und Densitometrie für die Klinik. In der Praxis erlaubt die Messung der Handgriffstärke mit einem Dynamometer eine präzise Erfassung der Muskelstärke. Dafür gibt es altersbezogene Normwerte. «Als Faustregel kann gelten, dass bei weniger als 30 Kilogramm beim Mann und
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bei weniger als 20 Kilogramm bei der Frau eine verminderte muskuläre Funktionalität vorliegt», erklärte Mellinghoff, «und interessanterweise korreliert diese Messung auch sehr gut mit der Muskelstärke in den unteren Extremitäten.» In der Geriatrie wird ein standardisierter Fragebogen (Short Physical Performance Battery, SPPB) eingesetzt, für die Praxis geeignet sind die Beurteilung des Gangbildes (Gangvariabilität und -geschwindigkeit) sowie der einfache Get-up-and-go-Test oder der Chair-rising-Test. Ist die Ganggeschwindigkeit geringer als 0,8 Meter pro Sekunde, besteht Verdacht auf Sarkopenie. Wenn man sich mit der Knochendichtemessung (KDM) nur auf das Skelett konzentriert, verpasst man rund die Hälfte der Patienten, die eine nicht vertebrale Fraktur erleiden werden, denn nur 44 Prozent der Frauen und 21 Prozent der Männer hatten in der Rotterdam-Studie eine anhand der KDM definierte Osteoporose (2).
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Merksätze
O Die Sarkopenie ist ein Syndrom, das durch einen fortschreitenden und generalisierten Verlust von Skelettmuskelmasse und -kraft gekennzeichnet ist.
O Die Sarkopenie ist mit körperlicher Behinderung, Frakturen, eingeschränkter Lebensqualität und erhöhter Gesamtmortalität verbunden.
O Bei der Sarkopenie laufen komplexe Prozesse ab.
O Zur Erfassung von Muskelmasse und -kraft gibt es eine Vielzahl von Methoden für die Forschung und einfachen Tests für die Praxis.
O Osteoporose und Sarkopenie weisen pathogenetische Ähnlichkeiten auf und haben eine gemeinsame Auswirkung auf Stürze und Frakturen.
O Die primäre Behandlung besteht aus körperlichem Training und adäquater Ernährung mit ausreichender Eiweiss- und Kalorienzufuhr.
Muskeln und Knochen sind als funktionelle Einheit zu sehen Die Muskulatur bewirkt am Knochen vielfältige mechanische und molekulare Stimuli, Muskeln und Knochen sind im Hinblick auf die Veränderungen im Alter also immer als Einheit zu betrachten. So ist eine Sarkopenie bei Männern im mittleren und höheren Alter mit einer tiefen Knochendichte assoziiert (3), und sie ist bei Frauen (4)
und Männern ein unabhängiger Risikofaktor für Frakturen. Männer mit kombinierter Osteopenie oder Osteoporose und Sarkopenie hatten das höchste Frakturrisiko. Die altersbezogene Einbusse bei Knochenmasse und -qualität führt zusammen mit der altersbezogenen Verminderung von Muskelmasse und -kraft zum Mischbild der Sarkoosteopenie oder Sarkoosteoporose, das Stürze und Frakturen mit ihren Folgen für Morbidität, Lebensqualität und Mortalität nach sich zieht (5).
Krafttraining hilft auch im Alter Wie Forschungsarbeiten gezeigt haben, nehmen auch bei alten Menschen Entladungen der Motoneuronen sowie Proteinsynthese nach Aufnahme eines Krafttrainings zu. Beide Faktoren führen dann zu einem Aufbau von Muskelmasse und -kraft. Zwar fehlt noch die harte Evidenz aus guten randomisierten Langzeitstudien, aber die bisher vorhandenen Daten deuten darauf hin, dass die Kombination von Krafttraining und geeigneter Ernährungsmodifikation bei Prophylaxe und Therapie der Sarkopenie einen synergistischen Effekt hat (6).
Ernährung beeinflusst Sarkopenie in hohem Mass Auch eine adäquate Ernährung spielt bei der Behandlung der Sarkopenie eine wichtige Rolle. Gemäss verschiedenen Studien benötigen alte Individuen zum Erhalt der Muskelmasse mehr Eiweiss pro Kilogramm Körpergewicht als jüngere. Eine Proteinaufnahme von 1,0 bis
1,2 Gramm pro Kilogramm Körperge-
wicht pro Tag ist wahrscheinlich opti-
mal. Alte Menschen nehmen aber nicht
nur zu wenig Eiweiss, sondern generell
auch zu wenig Kalorien zu sich, was
die Versorgung nicht nur mit Protein,
sondern auch mit weiteren wichtigen
Nahrungsbestandteilen gefährdet. Bei
der Sarkopenie ist die kombinierte
Aufrechterhaltung einer adäquaten Ei-
weiss- und Kalorienzufuhr ein wichti-
ger Bestandteil der Therapie. Eine
Ernährungsweise mit viel Fleisch und
Getreide, aber wenig Obst und Gemüse
hat einen negativen Effekt auf die
Muskelmasse (7).
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Halid Bas
Referenzen: 1. Cruz-Jentoft AJ et al.: Sarcopenia: European consen-
sus on definition and diagnosis: Report of the European Working Group on Sarcopenia in Older People. Age Ageing 2010; 39(4): 412–423. 2. Schuit SC et al.: Fracture incidence and association with bone mineral density in elderly men and women: the Rotterdam Study. Bone 2004; 34(1): 195–202. 3. Verschueren S et al.: Sarcopenia and its relationship with bone mineral density in middle-aged and elderly European men. Osteoporos Int 2013; 24(1): 87–98. 4. Di Monaco M et al.: Prevalence of sarcopenia and its association with osteoporosis in 313 older women following a hip fracture. Arch Gerontol Geriatr 2011; 52(1): 71–74. 5. Binkley N et al.: Beyond FRAX: it's time to consider «sarco-osteopenia». J Clin Densitom 2009; 12(4): 413–416. 6. Liu CJ et al.: Progressive resistance strength training for improving physical function in older adults. Cochrane Database Syst Rev 2009; (3): CD002759. 7. Mithal A et al.: Impact of nutrition on muscle mass, strength, and performance in older adults. Osteoporos Int 2013; 24(5): 1555–1566.
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