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FORUM
Personalisierte Medizin
MAX KONZELMANN
Die evidenzbasierte Medizin, bis anhin das Must für alle Ärzte, wird heute nur noch halbherzig propagiert. Studien haben gezeigt, dass zum Beispiel ein Kollektiv von Patienten mit akuter Zystitis keine einheitliche Personengruppe darstellt. Zwischen den einzelnen Patienten lassen sich Unterschiede eruieren: Es gibt weibliche, männliche, adipöse, Ausländer, Nephrektomierte, Einheimische, Bettnässer, Diabetiker und so weiter. Diese Unterschiede müssen erkannt und bei der Behandlung berücksichtigt werden. Der Facharzt für personalisierte Medizin wird also einen 82-jährigen Dementen mit Bactrim behandeln und nicht wie bei der 19-Jährigen die Sexualanamnese aufnehmen und danach Zithromax geben.
Der Patient fühlt sich als Mensch ernst genommen und gesundet rascher. Sein Selbstwertgefühl erhöht sich spontan, wenn er vom Arzt nicht auf dieselbe Art behandelt wird wie Husejn Körülü, der als Asylbewerber im Nachbarhaus wohnt. Natürlich hat das auch seinen Preis, und bei der Krankenkasse muss er sich vom Hausarztmodell abmelden, in eine höhere Prämienkategorie einstufen lassen und eine grosszügige Zusatzversicherung beantragen. Die Einführung der personalisierten Medizin gilt schon heute als Meilenstein im bisher arg kritisierten Gesundheitswesen. Medizin mit mehr Menschlichkeit wird endlich unser Gesundheitswesen revolutionieren. So wird wohl die Prophezeiung von Ruth Dreifuss doch noch erfüllt werden, welche bei der Einführung des Tarmed versprochen hat, ärztliche Zuwendung
und ärztliches Gespräch höher zu werten und entsprechend zu honorieren. Es scheint, dass wir den Wandel von der evidenzbasierten zur personalisierten Medizin beglückt zur Kenntnis nehmen und freudig willkommen heissen dürfen. Die Ärztegesellschaft für Retromedizin hat bereits ausdrücklich gratuliert und ihre Mitarbeit zugesagt. O
Max Konzelmann
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ARS MEDICI 17 I 2014