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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Transplantationsmedizin
Gel gegen Abstossungsreaktion
Foto: Tanja Läser
Forschende der Klinik für Handchirurgie des Inselspitals und des Departements Klinische Forschung der Universität Bern haben in Zusammenarbeit mit dem Brigham and Women’s Hospital in Boston und dem Institute for Stem Cell Biology and Regenerative
Medicine in Bangalore eine Methode entwickelt, wie Immunsuppressiva lokal eingesetzt werden können, etwa bei der Transplantation von Gliedmassen. Damit könnte eine systemische Immunsupression überflüssig werden. Das neu entwickelte Gel-System setzt die immunsuppressive Substanz nur noch bei Bedarf frei – also dann, wenn tatsächlich eine Entzündungsreaktion stattfindet. Bisher wurde die neue Methode nur bei Versuchen mit Ratten eingesetzt. Mit Erfolg: Bereits eine einmalige Behandlung mit dem neuen Gel führte bei den Tieren zu einer kompletten Verhinderung der Abstossungsreaktion. Die Wirkung hielt dabei während mehr als 100 Tagen an. Prof. Robert Rieben, Leiter des Forschungsprojekts, und Prof. Esther Vögelin, Chefärztin der
Klinik für Handchirurgie am Inselspital
in Bern, ist bewusst, dass vor ihnen
noch ein langer Weg liegt, bevor sie die
neue Behandlungsmethode beim Men-
schen einsetzen können. Trotzdem ist
Rieben zuversichtlich: «Zusammen
mit unseren Partnern in Boston und
Bangalore werden wir weitere Fort-
schritte erzielen können», heisst es in
einer Pressemitteilung des Inselspitals.
Die neue Behandlungsmethode könnte
in Zukunft vielleicht auch ausserhalb
der Transplantationsmedizin eingesetzt
werden, um lokale Entzündungen
langfristig einzudämmen, zum Beispiel
zur Behandlung bei rheumatischen
Erkrankungen.
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Gajanayake T et al.: A single localized dose of enzymeresponsive hydrogel improves long-term survival of a vascularized composite allograft. Sci Transl Med 2014; 6(249): 249ra110.
Rheumatologie/Onkologie
Biologika erhöhen das onkologische Rückfallrisiko nicht
Biologika stehen unter Verdacht, das Risiko einer neuerlichen Tumorbildung bei Krebspatienten mit entzündlichem Gelenkrheuma zu erhöhen. Eine neue, noch unpublizierte Studie anhand der Daten des RABBIT-Registers (Rheumatoide Arthritis: Beobachtung der Biologika-Therapie) entkräfte nun diese Bedenken, heisst es in einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie. Das RABBIT-Register erfasst in Deutschland seit 2001 die Krankheitsverläufe von fast 13 000 Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA), die eine Biologikatherapie erhalten. Um das Krebsrisiko zu messen, wertete man die RABBIT-Daten von 367 RA-Patienten aus, bei denen in der Vergangenheit eine Krebserkrankung diagnostiziert worden war. Gut ein Drittel hatte während der gesamten Beobachtungszeit nur synthetische Basistherapeutika sDMARD)
erhalten, einem Drittel wurde das Biologikum Rituximab, einem weiteren Drittel wurden TNF-alpha-Inhibitoren, den übrigen andere Biologika verabreicht. Es zeigte sich, dass Gelenkrheumatiker mit einer etwa drei bis sieben Jahre zurückliegenden Krebserkrankung bei einer Biologikatherapie im Vergleich zur sDMARD-Behandlung kein erhöhtes Risiko für ein Krebsrezidiv aufweisen. «Nach unseren Daten besteht daher kein Grund, Patienten mit vorherigen Krebserkrankungen die Therapie mit Biologika vorzuenthalten. Vor allem auch deshalb, weil eine hohe Krankheitsaktivität der rheumatischen Erkrankung ihrerseits ein hohes Risiko für Folgeerkrankungen birgt», so Dr. med. Anja Strangfeld vom Deutschen RheumaForschungszentrum (DRFZ) Berlin. Nicht abschliessend geklärt sei allerdings das Risiko für das Auftreten von
Hautkrebs unter einer TNF-Inhibitor-
Behandlung. Die bisher vorliegenden,
wenigen Daten weisen auf ein leicht er-
höhtes Krebsrisiko hin, das heisst zwei
zusätzliche Melanome je 10 000 Patien-
tenjahren unter TNF-Inhibitor-Thera-
pie. In einer aktuellen Studie geht man
derzeit in mehreren europäischen Bio-
logikaregistern dieser Frage anhand
höherer Fallzahlen nach. Die Ergeb-
nisse werden noch in diesem Jahr
erwartet.
RA-Patienten tragen per se ein erhöhtes
Risiko für verschiedene Krebsarten
und sollten darum an entsprechenden
Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen.
So sei das Risiko für Lungenkrebs
im Vergleich zu gesunden Menschen
2,4-fach erhöht, für Lymphome 3- bis
13-fach und für Melanome um das
1,5-Fache.
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Pressemitteilung der DGRh vom 19. August 2014
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ARS MEDICI 17 I 2014
Endokrinologie
Altersbeschwerden nicht mit Hormondefizit verwechseln
Ein echter Testosteronmangel bei Männern über 60 Jahre ist seltener als früher angenommen, heisst es in einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE). Statt 10 bis 30 Prozent, wie noch vor wenigen Jahren vermutet, hätten nur 3 bis 5 Prozent der 60- bis 79-Jährigen einen Testosteronmangel, der den Libidomangel und andere Symptome erklärt. Eine Hormonbehandlung sollte wegen möglicher Risiken nur erfolgen, wenn es tatsächlich zu Symptomen bei einem im Labor bestätigten Testosteronmangel gekommen ist. Der Testosteronspiegel des Mannes sinkt schon in früheren Jahren jedes Jahr um 1 bis 2 Prozent. Dieser natürliche Prozess hat meist keine spürbaren Auswirkungen. Männer über 60 Jahre fühlen sich mitunter nicht mehr vital, die Muskelmasse schwindet, das Fettgewebe nimmt zu. Wenn dann noch die Libido nachlässt, mitunter sogar Hitzewallungen und depressive Verstimmungen dazukommen, «fallen Medienberichte über die Folgen eines Testosteronmangels im Alter natürlich auf fruchtbaren Boden», sagt Professor Helmut Schatz, Mediensprecher der DGE. In diesen Berichten würden die Zusammenhänge allerdings stark vereinfacht. «Altersbeschwerden werden generell auf einen Testosteronmangel zurückgeführt. Manchmal wird das Hodenhormon noch immer als Quelle der Jugend angepriesen», kritisiert der Endokrinologe PR-Kampagnen wie in den USA, wo die Hersteller von Hormonpräparaten ältere Männer zum Hormontest auffordern.
Dass eine Testosteronbehandlung bei einem
nachgewiesenen Hormonmangel begründet
ist, stehe ausser Zweifel, aber die Zahl der be-
troffenen Männer sei geringer als früher
angenommen, so Professor Eberhard Nie-
schlag, ehemaliger Direktor des heutigen
Centrums für Reproduktionsmedizin und
Andrologie am Universitätsklinikum Müns-
ter. Diesen Männern könne durch eine Hor-
montherapie geholfen werden, betont Nie-
schlag. Voraussetzung für eine Verordnung
von Testosteron ist die genaue Erfassung der
Symptome, wobei der Libidomangel die zen-
trale Beschwerde ist. Er rate darum allen
Männern mit verminderter Libido und erek-
tiler Dysfunktion zum Labortest sowie Män-
nern mit Übergewicht, erhöhtem Blutdruck,
erhöhten Blutfetten und erhöhtem Blutzu-
cker, bei denen es häufiger zu Potenzstörun-
gen kommt. Männer mit Prostatakrebs, ver-
mehrten roten Blutzellen, unbehandelter ob-
struktiver Schlafapnoe oder unbehandelter
schwerer Herzschwäche dürfen jedoch nicht
mit Testosteron behandelt werden, warnen
die Experten.
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Pressemitteilung der DGE vom 19. August 2014
Pädiatrie
Routine-Impfungen nicht verschieben
Das Risiko für Krämpfe nach Impfungen bei Säuglingen und Kleinkindern sinkt nicht, wenn man mit der Impfung noch etwas zuwartet. Dies ergab die Auswertung der Daten einer Kohorte von rund 320000 Kindern im US-amerikanischen Impfregister «Vaccine Safety Datalink», die zwischen 2004 und 2008 geboren wurden. Betrachtet wurden jeweils die ersten beiden Lebensjahre. Im ersten Lebensjahr zeigte sich kein Zusammenhang
zwischen Impfalter und Krampfrisiko. Ab
dem zweiten Lebensjahr zeigte sich, dass die
Erstimpfung mit MMRV in jüngerem Alter
(12 bis 15 Monate) mit einem geringeren
Krampfrisiko verbunden war als in höherem
Alter (16 bis 23 Monate).
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Hambidge SJ et al.: Timely versus delayed early childhood vaccination and seizures. Pediatrics 2014; 133(6): e1492–1499.
© bilderstoeckchen – Fotolia.com
RÜCKSPIEGEL
Vor 10 Jahren
Kieferprothese
Chirurgen am Universitätsklinikum in Kiel setzen einem Patienten, der seinen Unterkieferknochen wegen einer Krebserkrankung verloren hatte, ein körpereigenes Implantat ein. Sie hatten dafür ein dreidimensionales Titangerüst nach Mass angefertigt, dieses mit körpereigenen Knochenmarkszellen, Knochenersatzmasse und Wachstumsfaktoren gefüllt und das Ganze in den Rückenmuskel des Patienten als «Nährboden» eingepflanzt. Dort wuchs der neue Kieferknochen sieben Wochen lang heran. Dann entnahmen sie ihn wieder aus dem Muskelgewebe und setzten ihn dem Patienten als neuen Unterkiefer ein.
Vor 50 Jahren
Spalthaut
James C. Tanner, Jacques Vandeput und James F. Olley publizieren ihre Erfahrungen mit einer neuen Methode, die es erlaubt, Hauttransplantate auf das Dreifache zu vergrössern. Somit können mit einer Hautspende grössere Wundflächen bedeckt werden, zum Beispiel bei grossflächigen Verbrennungen. Allerdings erzeugt das «Maschentransplantat» (mesh graft) häufig eine netzartige Wabenstruktur des nachwachsenden Hautgewebes, sodass diese Technik nicht für alle Körperstellen geeignet ist.
Vor 100 Jahren
Lehrbuch Nervensystem
Der Neurologe Joseph Jules Déjerine
(1849–1917) publiziert gemeinsam mit sei-
ner Ehefrau Augusta Déjerine-Klumpke
das neurologische Standardwerk «Semio-
logie des affections du
système nerveux». Das
Werk enthält grund-
legende Erkenntnisse
zur Anatomie des Ner-
vensystems wie bei-
spielsweise die Zuord-
nung von Körperregio-
nen zu den jeweiligen
Spinalnerven oder Er-
kenntnisse zur Neuro-
anatomie des Sehens.
Die Autoren betonen jedoch auch die
Bedeutung emotionaler Faktoren für neu-
rologische Erkrankungen, zu denen da-
mals auch alle psychiatrischen Störungen
gezählt wurden.
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