Transkript
FORTBILDUNG
Häufige Gelenkprobleme im Alter
Eine Übersicht über Symptome und therapeutische Möglichkeiten
Dieser Artikel gibt einen Überblick zu der im Alter häufig auftretenden Arthrose, zur Arthritis und zu seltener auftretenden entzündlich rheumatischen Erkrankungen sowie zur Bedeutung der nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) bei diesen Gelenkproblemen.
JOSEF HERMANN
Da mit dem 70. Lebensjahr das Senium beginnt, ist es möglicherweise korrekt, ab diesem Zeitpunkt von Menschen im fortgeschrittenen Alter zu sprechen. In dieser Altersgruppe leidet etwa ein Drittel der Bevölkerung an einer Arthrose. Etwa 6 Prozent sind an einer Arthritis erkrankt, wobei die Kalziumpyrophosphatdihydrat-(CPPD-)Kristallarthropathie mit etwa 20 Prozent die grösste Gruppe der Arthritiden in dieser Altersgruppe darstellt.
Merksätze
O Die Unterscheidung zwischen dekompensierter und aktivierter Arthrose ist besonders bei älteren Menschen wichtig, da auf eine möglichst zielgerichtete und nebenwirkungsarme Therapie geachtet werden sollte.
O NSAR sollten im Alter nur bei entzündlichen Erkrankungen eingesetzt werden.
O Die rheumatoide Arthritis (RA) des höheren Lebensalters unterscheidet sich von der RA im jüngeren Lebensalter.
O Eine CPPD-Kristallarthropathie kann sich unterschiedlich äussern; meist entsteht eine Monarthritis an grossen Gelenken, bevorzugt am Kniegelenk.
O Gichtattacken bei älteren Menschen verlaufen oft relativ schmerzarm verglichen mit mono- oder oligoartikulären Arthritiden.
O Die Polymyalgia rheumatica (PMR) tritt in mehr als 90 Prozent der Fälle nach dem 60. Lebensjahr auf und manifestiert sich mit Allgemeinsymptomen und starken symmetrischen Muskelschmerzen im Schulter- und Hüftgürtelbereich; es sollte immer nach einer Riesenzellvaskulitis gesucht werden.
Arthrose Die Arthrose ist eine degenerative Erkrankung des hyalinen Knorpels, bei der das Alter einen der wichtigsten prädisponierenden Faktoren darstellt (1). Mit zunehmendem Alter kommt es durch den Verlust an Proteoglykanen zu einer Schädigung der hyalinen Knorpeloberfläche und nachfolgend zu einer Zerstörung der kollagenen Fasern. Die strukturellen Schäden können symptomlos bleiben (latente Arthrose). Treten typische Symptome auf, spricht man im deutschen Sprachraum entweder von einer dekompensierten (Tabelle 1) oder aktivierten Arthrose (Tabelle 2). Bei der dekompensierten Arthrose sind periartikuläre, ausserhalb des Gelenkraumes befindliche Strukturen schmerzhaft verändert. Bei der aktivierten Arthrose kommt es zu einer Entzündung der Synovialis und damit zu einer typischen Arthritis. Liegt eine latente Arthrose vor, spielen prophylaktische Massnahmen wie Patientenschulung, normales Körpergewicht, Muskelkräftigung und Vermeidung von Überbelastungen eine bedeutende Rolle. Die Reduktion des Körpergewichts um 5 kg und ein Gehtraining führen zu einer Reduktion des Gonarthroserisikos um 50 Prozent (2). Ein regelmässiges Fingertraining verbessert die Handfunktion ebenfalls signifikant (3). Ausserdem kann durch Taping die Gelenksstabilität erhöht und durch Einlagenversorgung der Verlust von hyalinem Knorpel an den Gelenken der unteren Extremitäten verzögert werden (4, 5). Liegt eine dekompensierte Arthrose vor, sind lokale therapeutische Massnahmen mit topischen nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR), Lokalanästhetika, Glukokortikoiden und physikalische Interventionen wie Phonophoresen wirksam. Aktive Bewegungstherapie und Thermotherapie tragen zur Muskeldetonisierung und Entlastung der Sehnen bei. Eine systemische analgetische Therapie mit Paracetamol und eventuell NSAR sollte nur ausnahmsweise erfolgen. Bei aktivierter Arthrose sollte hingegen antiphlogistisch behandelt und eine intraartikuläre Glukokortikoidinjektion einer systemischen NSAR-Therapie vorgezogen werden. Leider führen alle NSAR in Abhängigkeit von Dosis und Dauer der Einnahme zu einer erhöhten Rate makrovaskulärer Ereignisse (6, 7). Da insbesondere Ibuprofen und Naproxen das Risiko für obere gastrointestinale Komplikationen um das 4-Fache erhöhen (8) und Misoprostol (Cytotec®, Arthrotec® [Kombinationspräparat mit Diclofenac]) eine protektive Wirkung auch am unteren Gastrointestinaltrakt und an der Niere entfaltet, sollte diese Substanz als «Magenschutz» im Alter bevorzugt eingesetzt werden (9, 10).
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RS3PE-Syndrom Diese Erkrankung, auch «remittierende seronegative symmetrische Synovitis mit Weichteilödemen (pitting edema)» genannt, tritt bevorzugt bei älteren Männern auf und führt zu einer prallen Schwellung der Handrücken und zu Arthritiden der Hand- und Fingergelenke sowie selten der Ellbogen- und Schultergelenke mit deutlich pathologischen Entzündungszeichen (Abbildung 1). Die Rheumafaktoren und Antikörper gegen citrullinierte Peptide sind typischerweise negativ. Das RS3PE-Syndrom ist manchmal als paraneoplastisches Phänomen vorhanden und gut mit mittleren Dosen von Glukokortikoiden und NSAR zu behandeln.
Abbildung 1: Hände eines Mannes mit RS3PE-Syndrom. Man erkennt eine diffuse Schwellung der Handrücken und der Finger. Eine Differenzierung zur rheumatoiden Arthritis ist möglich, weil bei der rheumatischen Arthritis die Schwellungen auf die Gelenke begrenzt sind.
Wegen der im Alter abnehmenden Nierenfunktion führen NSAR im hypovolämischen Zustand gehäuft zu Ödemen, Hyperkaliämie und eventuell zum akuten Nierenversagen, sodass in dieser Patientengruppe neben einer ausreichenden Hydrierung eine Kontrolle der Nierenfunktion wichtig ist (11). Ausserdem sollten NSAR mit kurzer Halbwertszeit und hepatischer Ausscheidung bevorzugt werden.
Rheumatoide Arthritis Die rheumatoide Arthritis (RA) des höheren Lebensalters unterscheidet sich von der RA im jüngeren Lebensalter vor allem durch eine oftmals hohe Krankheitsaktivität, den Befall grosser Gelenke und durch Begleitmyopathien (12). Diese Symptome und die oft wegen der vorhandenen Multimorbidität eingeschränkten Therapieoptionen führen zur raschen funktionellen Verschlechterung der Patienten. Ziel der Behandlung ist deshalb die rasche antiphlogistische Therapie mit Glukokortikoiden (12,5–25 mg Prednisolonäquivalent/ Tag) und NSAR sowie die rasche Mobilisierung der betroffenen Gelenke. Bei Patienten mit geringer Krankheitsaktivität ist eine milde immunsuppressive Basistherapie mit Chloroquin beziehungsweise Sulfasalazin oft ausreichend. Bei ungenügender Wirksamkeit hat Leflunomid gegenüber Methotrexat bei eingeschränkter Nierenfunktion den Vorteil einer geringeren Kumulation. Bei aggressiveren Krankheitsverläufen ist der Einsatz von Biologika (Etanercept [Enbrel®], Abatacept [Orencia®] etc.) trotz des erhöhten Infektionsrisikos eine grosse Hilfe (12).
Tabelle 1:
Symptome der dekompensierten Arthrose
O Anlaufschmerz O Belastungsschmerz O Schmerzen bei Wetterwechsel O Steifigkeit < 30 Minuten O Schwäche der Extremität O Instabilität
Kristallarthropathie Die Kalziumpyrophosphatdihydrat-(CPPD-)Kristallarthropathie (früher Chondrokalzinose) ist eine typische Erkrankung des fortgeschrittenen Alters. Sie ist vor dem 50. Lebensjahr eine Rarität und bei mehr als 25 Prozent der über 85-jährigen Menschen vorhanden. Die CPPD-Kristallarthropathie tritt entweder familiär gehäuft oder sporadisch oder bei anderen metabolischen Erkrankungen wie Hyperparathyreoidismus, Hämochromatose oder Hypomagnesiämie auf. Da die Ablagerung von CPPD-Kristallen im hyalinen Knorpel und im Faserknorpel zu degenerativen und entzündlichen Veränderungen führt, ist das Bild der CPPD-Kristallarthropathie vielfältig und reicht von asymptomatischen Zuständen über eine akute und chronische Arthritis bis zur Spondylitis. Werden CPPD-Kristalle in den Gelenkraum freigesetzt, führen sie über die Aktivierung des Inflammasoms zur Freisetzung von Interleukin-1. Es entsteht meist eine Monarthritis an grossen Gelenken, wobei in mehr als 50 Prozent der Attacken das Kniegelenk befallen ist. Mit fallender Häufigkeit tritt die Arthritis auch in Hand-, Schulter-, Sprung- und Ellbogengelenken sowie in kleinen peripheren Gelenken auf (Abbildung 2). Die Arthritis erreicht ähnlich wie die akute Arthritis urica (Gicht) innerhalb von 1 bis 2 Tagen ein Maximum und klingt nach 1 bis 3 Wochen spontan ab. Häufig ist sie von einer Rötung und manchmal auch von Fieber begleitet. Die Diagnostik einer CPPD-Kristallarthropathie stützt sich auf die typische klinische Symptomatik, den Nachweis von CPPD-Kristallen in der Synovialflüssigkeit und den nativradiologischen oder sonografischen Hinweis von CPPDKristallen im hyalinen und Faserknorpel. NSAR sind auch bei geriatrischen Patienten mit akuter CPPD-Kristallarthritis wegen der guten Wirksamkeit Therapeutika der ersten Wahl. Bei Kontraindikationen für eine Therapie mit NSAR werden Glukokortikoide intraartikulär und systemisch verordnet. Eine Dauertherapie mit Colchicin oder niedrig dosierten NSAR reduziert die Häufigkeit von wiederholten akuten CPPD-Kristallarthritiden.
Arthritis urica (Gicht) Die Prävalenz der Arthritis urica liegt in der Bevölkerung bei etwa 1 bis 2 Prozent. Sie hat in den letzten Jahrzehnten insbesondere im Alter stark zugenommen (13). Ursachen dafür scheinen die mit dem Alter zunehmende Niereninsuffizienz, der gehäufte Einsatz von Thiaziddiuretika und der gesteigerte Wohlstand mit Zufuhr von Zuckerersatzstoffen auch bei älteren Menschen zu sein.
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Abbildung 2: Bild einer CPPDKristallarthropathie mit Befall von Fingergrundgelenken und Rötung der Haut. Die Rötung ermöglicht sehr einfach die Abgrenzung zur rheumatoiden Arthritis.
Klinisch sind die Gichtattacken bei älteren Menschen oft relativ schmerzarme mono- oder oligoartikuläre Arthritiden ohne Rötung mit Befall der Knie- und Sprunggelenke und manchmal auch der Fingergelenke sowie von Bursen. Die Diagnose kann dann nur durch die Anamnese einer attackenförmigen Arthritis und den Harnsäurekristallnachweis im Gelenkpunktat gestellt werden. Mit grosser Sicherheit deuten auch das sonografische Doppelkonturphänomen im hyalinen Knorpel und das Sternenhimmelphänomen in der Synovialis sowie im periartikulären Gewebe als Ausdruck von Gichttophi auf eine Arthritis urica hin. Therapeutisch wird die akute Arthritis urica im Alter wegen der eingeschränkten Nierenfunktion oft mit Glukokortikoiden intraartikulär oder systemisch behandelt. Alternativ können bei eingeschränkter Nierenfunktion auch Colchicin in niedriger Dosis (z.B. 1,2–1,6 mg/Tag, cave: Diarrhö) oder NSAR unter Kontrolle der Nierenfunktion und der Elektrolyte versucht werden. Nach dem akuten Gichtanfall sollte unbedingt unter monatlichen Kontrollen die Serumharnsäurekonzentration durch die Gabe von Urikostatika und durch eine purinarme Kost auf Dauer unter einen Schwellenwert von 6 mg/dl gesenkt werden. Bei eingeschränkter Nierenfunktion oder Unverträglichkeit von Allopurinol steht nun Febuxostat (Adenuric®, noch keine Zulassung in der Schweiz) als weitere urikostatische Substanz zur Verfügung.
Polymyalgia rheumatica und Riesenzellarteriitis
Polymyalgia rheumatica (PMR) und Riesenzellarteriitis sind
typische entzündliche Systemerkrankungen im Alter.
Die PMR tritt in mehr als 90 Prozent der Fälle nach dem
60. Lebensjahr auf und manifestiert sich mit Allgemeinsym-
ptomen, mit starken, symmetrisch im Schulter- und Hüftgür-
telbereich auftretenden muskulären Schmerzen mit nächtli-
chem Erwachen, die sich bei Bewegung deutlich verstärken
und mit einer starken Steifigkeit nachts und morgens einher-
gehen (12). Typischerweise ist die passive Untersuchung des
Schulter- und Hüftgürtels unauffällig. Sonografisch finden
sich häufig Bursitiden subakromial und peritrochanter sowie
laborchemisch pathologische Entzündungsparameter.
Bei etwa einem Drittel der Patienten liegt der PMR eine Rie-
senzellvaskulitis zugrunde, die sich durch zusätzliche Sehstö-
rungen, Kauschmerzen, temporale Kopfschmerzen oder
Ischämien des Auges (cave: irreversible Amaurosis), des Dar-
mes oder der Extremitäten bemerkbar machen kann.
Die Diagnose der PMR ist eine reine Ausschlussdiagnose, da
kein spezifischer diagnostischer Test zur Verfügung steht. Die
Diagnose einer Riesenzellvaskulitis wird durch das Halo-
phänomen in der Sonografie der supraaortalen Gefässe,
durch die Ergebnisse der PET-CT-Untersuchung und der
MR-Angiografie erhärtet und durch die Temporalisbiopsie
gesichert.
Therapeutisch werden sowohl die PMR als auch die Riesen-
zellvaskulitis mit Glukokortikoiden behandelt. Bei der PMR
ist eine Anfangsdosis von 20 bis 25 mg Prednisolonäquiva-
lent pro Tag ausreichend, bei der Riesenzellarteriitis ist eine
Anfangsdosis von 1 mg/kg/Tag erforderlich. Bei der PMR
muss mit einer Therapiedauer von 1 bis 4 Jahren gerechnet
werden, bei der Riesenzellarteriitis ist eine Glukokortikoid-
therapie – zumindest in niedriger Dosis – meist lebenslang
erforderlich.
Oft kann eine niedrige Glukokortikoiddosis nur durch eine
zusätzliche immunsuppressive Therapie mit Methotrexat
oder Azathioprin erreicht werden. Die erforderliche Gluko-
kortikoiddosis führt jedoch besonders bei älteren Menschen
oft zu einer Manifestation oder Verschlechterung eines Typ-
2-Diabetes, zu hypertonen Blutdruckwerten, zu Hypokali-
ämien, psychischen Veränderungen bis zur Verwirrtheit und
zu einer verstärkten Anfälligkeit für bakterielle Infekte und
Herpes zoster. Ausserdem führt der steroidinduzierte Kno-
chenverlust zu einer verstärkten Frakturneigung, weshalb
eine ausreichende Kalzium- und Vitamin-D-Zufuhr erfolgen
sollte.
O
Tabelle 2:
Symptome der aktivierten Arthrose = Arthritis
O Dauerschmerz O Nachtschmerz O Ruheschmerz O Steifigkeit > 30 Minuten O Besserung auf Kältezufuhr O Schwellung
Korrespondenzadresse: Priv.-Doz. Dr. med. Josef Hermann Klinische Abteilung für Rheumatologie und Immunologie Medizinische Universitätsklinik Graz A-8036 Graz
Interessenkonflikte: keine deklariert
Literatur unter www.arsmedici.ch
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 11/2014. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor. Die Anpassungen an die Verhältnisse in der Schweiz (Markennamen, Zulassungsstatust) erfolgten durch die Redaktion ARS MEDICI.
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