Transkript
Berichte, Studien, Innovationen
ARGUS PHARMAKOTHERAPIE
Sofosbuvir: Wendepunkt in der HCV-Therapie
Neuer Polymerasehemmer für alle HCV-Genotypen zeigt hohe Ansprechraten
Mit dem neu zugelassenen Wirkstoff Sofosbuvir steht erstmals eine interferonfreie Hepatitis-C-Virus-(HCV-)Therapie für alle Genotypen zur Verfügung. Die Behandlung mit dem oralen Polymerasehemmer verkürzt, vereinfacht und verbessert die Behandlung von chronischer Hepatitis C. Gemäss Studien können 9 von 10 Patienten mit der neuen Therapie geheilt werden.
Eine HCV-Infektion nimmt in 70 bis 80 Prozent der Fälle einen chronischen Verlauf und ist dann einer der häufigsten Gründe für Leberzirrhose, -krebs und -transplantation. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind weltweit rund 170 Millionen Menschen mit HCV infiziert. In der Schweiz nimmt die Prävalenz seit 1996 kontinuierlich ab und liegt derzeit zwischen 0,7 und 1,8 Prozent; trotzdem wird erwartet, dass die HCV-assoziierten jährlichen Gesundheitskosten von derzeit 89,6 Millionen Franken auf 120 Millionen Franken im Jahr 2030 weiterhin ansteigen (1). Grund für die Kostenentwicklung ist der Krankheitsverlauf: Von der Infektion bis zur Symptomatik vergehen häufig bis zu 20 Jahre. Das ganze Ausmass der Infektionserkrankung lässt sich deshalb heute nur erahnen. Das Virus wurde 1989 isoliert; erst danach wurden Verfahren entwickelt, um medizinische Gerätschaften vom Virus zu reinigen und die Infektionsgefahr bei Operationen zu minimieren. Hinzu kommt, dass die HCV-Epidemie in der Drogenszene erst im Lauf der Neunzigerjahre mit der Etablierung des Nadelaustauschprogramms gestoppt wurde.
Erstmals eine Therapie für alle HCV-Patienten Die Standardtherapie von Hepatitis C besteht aus Ribavirin (RBV) und einmal wöchentlich injiziertem pegyliertem Interferon (peg-IFN). Mit der Zulassung der beiden Proteaseinhibitoren Boceprevir (BOC) und Telaprevir (TVR) vor drei Jahren haben sich die Ansprechraten auf 67 bis 75
Prozent erhöht (2). Die Tripeltherapie mit BOC oder TVR und RBV/peg-IFN ist jedoch noch schlechter verträglich als die Standardtherapie allein. Etwa die Hälfte der HCV-Patienten konnte zudem wegen Intoleranz oder einer Kontraindikation von peg-IFN nicht behandelt werden. Die Therapie dauerte mit bis zu einem Jahr relativ lang. Der neu zugelassene Wirkstoff Sofosbuvir (SOF, Sovaldi®) zeichnet sich dagegen durch sehr gute Verträglichkeit, kurze Behandlungsdauer und hohe Wirksamkeit aus. Der nukleotidanaloge Uridinpolymeraseinhibitor wird in Kombination mit anderen antiviralen Arzneimitteln wie RBV und peg-IFN je nach Genotyp (GT) des HCV-Virus über 12 Wochen oder mit RBV allein über 24 Wochen als 400-mg-Tablette einmal täglich verabreicht. Das Schema ermöglicht erstmals für alle Hepatitis-CPatienten eine HCV-Therapie ohne pegIFN-Injektionen. Selbst Patienten mit einer HCV/HIV-Koinfektion können mit SOF behandelt werden. Swissmedic hat SOF zur Behandlung Erwachsener mit chronischer Hepatitis C mit GT 1–4 in Kombination mit RBV und pegIFN oder mit RBV allein zugelassen. GT 1 ist der in der Schweiz mit Abstand häufigste Genotyp (50%), vor GT 3 (30%) sowie GT 2 und 4 (je 10%). Die Zulassung stützt sich auf die Resultate aus fünf Phase-IIIStudien (3–5), in denen die Wirksamkeit von Sofosbuvir bei rund 1700 Patienten mit chronischer Hepatitis C (GT 1–6) sowie bei Patienten mit einer HCV/HIVKoinfektion oder vor oder nach einer Lebertransplantation gezeigt wurde. Ein wichtiger Endpunkt in den Studien war ein anhaltendes virologisches Ansprechen 12 Wochen nach Therapieende (SVR 12). Patienten, bei denen HCV nach 12 Wochen nicht mehr nachweisbar ist, gelten als geheilt. In der NEUTRINO-Studie mit 327 nicht vorbehandelten HCV-Patienten (GT 1, 4, 5 und 6) liess sich das Virus bei 91 Prozent
der Patienten bereits 2 Wochen nach Therapiebeginn mit der Kombination SOF/ RBV/peg-IFN nicht mehr nachweisen; ein anhaltendes virologisches Ansprechen 12 Wochen nach Ende der dreimonatigen Behandlung zeigte sich bei 90 Prozent. Bei Unverträglichkeit oder Kontraindikation von peg-IFN kann auch mit SOF und RBV allein therapiert werden. Unter der IFNfreien Kombination dauert die Behandlung 24 Wochen. In den anderen vier Zulassungsstudien (FISSION, POSITRON, FUSION, VALENCE) wurde die Wirksamkeit von SOF bei Patienten mit HCV-Infektionen mit GT 2 und 3 untersucht. In der FISSION-Studie erreichte die 12-wöchige Behandlung mit SOF/RBV SVR-12-Raten von 97 Prozent und schnitt somit deutlich besser ab als die Standardtherapie mit peg-IFN. Swissmedic empfiehlt deshalb, bei Infektionen mit GT 2 generell über 12 Wochen nur mit der Kombination SOF/RBV zu behandeln. Bei Patienten mit GT-3-Infektion ist aufgrund der Studiendaten entweder eine Behandlung mit SOF/RBV/peg-IFN während 12 Wochen oder eine Therapie mit SOF/RBV allein über 24 Wochen indiziert. Für die Kombination ohne peg-IFN zeigt die VALENCEStudie bei Infektionen mit GT 3 eine SVR-12-Rate von 85 Prozent (5).
Keine zusätzlichen Nebenwirkungen
In den Zulassungsstudien zeichnete sich
Sofosbuvir durch sehr gute Verträglichkeit
aus. Bei 91 Prozent der Patienten wurden
unter SOF nur die Nebenwirkungen gese-
hen, die auch unter der Standardtherapie
RBV + peg-IFN auftreten (6). Im Gegensatz
zu BOC und TVR ist die Resistenzbarriere
von SOF sehr hoch: In den Zulassungs-
studien wurde keine Resistenzentwicklung
beobachtet.
O
Claudia Benetti
Literatur: 1. Bruggmann P et al.: The burden of chronic hepatitis C (HCV)
virus infection in Switzerland. EASL 2014; poster 1285. 2. Hofmann WP et al.: Current standards in the treatment of
chronic hepatitis C. Dtsch Ärztebl Int 2012; 109(19): 352–358. 3. Lawitz E et al.: Sofosbuvir for previously untreated chronic hepatitis C infection. NEJM 2013; 369: 678–679. 4. Jacobson IM et al.: Sofosbuvir for hepatitis C genotype 2 or 3 in patients without treatment options. NEJM 2013; 368: 1867–1877. 5. Zeuzem S et al.: Sofosbuvir and Ribavirin in HCV Genotypes 2 and 3, N Engl J Med 2014; 370: 1993–2001. 6. Swissmedic Fachinformation Sovaldi®, Stand Januar 2014. www.kompendium.ch/mpro/mnr/25338/html/de.
Erstpublikation: Inter Medical Report, Medical Tribune Nr. 23 vom 6. Juni 2014
ARS MEDICI 16 I 2014
819