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BERICHT
Operation bei Prostatakarzinom: «Fokal statt total!»
Neue Methode verspricht guten Erfolg mit deutlich verringertem Risiko
1. Symposium Männermedizin
Universitätsspital Zürich, 6. März 2014
Inkontinenz und Impotenz sind gefürchtete Kollateralschäden einer Prostatektomie. Eine neue Methode mittels hoch intensiven fokussierten Ultraschalls (HIFU) verspricht nun eine «Operation ohne Chirurgie» mit entsprechend weniger Nebenwirkungen.
RENATE BONIFER
«Die Urologie hat in den letzten 20 Jahren grosse Fortschritte bei der Behandlung von Prostatakrebspatienten gemacht», sagte PD Dr. Dr. med. Daniel Eberli. Dazu gehörten neue Medikamente, wie beispielsweise Abirateron (Zytega®) oder Enzalutamid (Xtandi®), in erster Linie jedoch die Fortschritte in der Operationstechnik. Während man früher noch offen operierte, werde die Prostatektomie heutzutage praktisch nur noch laparoskopisch durchgeführt. Nun wolle man einen Schritt weiter gehen: «Wir wollen nicht einmal mehr schneiden!» Möglich macht dies das HIFU-Verfahren (High Intensity Focused Ultrasound). Hierbei wird Tumorgewebe innerhalb der Prostata gezielt mit hoch intensivem fokussiertem Ultraschall zerstört: «Man schreit sozusagen auf den Tumor ein, bis er kocht.» Während normaler Ultraschall mit 0,02 Watt harmlos ist, handelt es sich bei HIFU um gebündelte Ultraschallwellen, die in ihrem Fokus mit 200 Watt auf das Zielgewebe treffen und es bei zirka 80 °C «verkochen». Die Bündelung der Ultra-
schallwellen geschieht als «Brennglaseffekt», sodass die Wellen erst an dem gewünschten Punkt zusammentreffen und dort ihre zerstörerische Wirkung entfalten, während sich das umliegende Gewebe kaum erwärmt und somit intakt bleibt (Abbildung). Die Schallsonde wird in das Rektum eingeführt und während der gesamten Prozedur auf 4 °C gekühlt; sie wird robotisch geführt, und das Gerät schaltet ab, falls sich der Patient bewegt. Der Eingriff erfolgt ambulant in Teil- oder Vollnarkose unter Ultraschallkontrolle. Ein weiterer Vorteil des HIFU ist, dass man ihn gegebenenfalls wiederholen kann und danach alle konventionellen Optionen weiterhin bestehen. Auch das Entfernen lokaler Rezidive nach einer Bestrahlung sei möglich, da man das bestrahlte Gewebe im MRI vom aktiven Tumor sehr gut unterscheiden könne, sagte Eberli.
Kein Schnitt, kein Blut «Es fliesst kein Blut, und das Risiko, Nerven zu verletzen, ist sehr gering», sagte Eberli. Ein entscheidender Vorteil, denn bei einer üblichen Prostatektomie sei mit Inkontinenzraten von zirka 10 Prozent und Impotenz bei jedem zweiten Operierten zu rechnen. Die Patienten sind offenbar bereit, Lebensmonate gegen das Nichterleben dieser Nebenwirkungen einzutauschen. Das ergab eine 2012 publizierte Umfrage, wonach die befragten Männer im Durchschnitt mehr als zwei Jahre, nämlich 27 Monate Lebenszeit dafür eintauschen würden, nicht inkontinent zu sein, beziehungsweise ein knappes halbes Jahr, um die Libido zu erhalten. Auch wenn es fraglich scheint, ob diese Männer im tatsächlichen Krankheitsfall genauso antworten würden, zeigt diese Umfrage eindrücklich, wie bedeutend das Inkontinenz- und das Impo-
tenzrisiko trotz Krebserkrankung für den Patienten ist.
Wann sollte man überhaupt operieren? Mit der bis anhin üblichen Prostatektomie ist eine gute Tumorkontrolle verbunden: 7 Jahre nach der Operation seien noch 81 Prozent der Patienten «PSA-frei», und falls das PSA wieder ansteige, dauere es im Median 11 Jahre bis zum Tod, mit neueren Medikamenten noch länger, erläuterte Eberli. Vergleicht man hingegen die gesamte Überlebensdauer von Patienten mit Prostatektomie oder ohne (watchful waiting), wird diese durch die Operation nur bei aggressiven Prostatakarzinomen verlängert. Angesichts des Inkontinenz-/Impotenzrisikos mit den bisherigen Verfahren könne man darum in der Tat sagen, dass man einigen Patienten mit der Operation mehr geschadet als genützt habe, sagte Eberli. Nicht zuletzt aus diesem Grund brauche man neue Strategien. Es geht dabei vor allem um Patienten, die sich in dem Graubereich zwischen den Optionen «watchful waiting» und radikale Therapie befinden, zum Beispiel Patienten mit folgendem Befund: PSA ≤ 10 ng/ml, Gleason-Score ≤ 6, T1c und T2a, Tumor in ≤ 2 Stanzen sowie ≤ 50 Prozent Tumor in einer Stanze plus tumorpositives MRI. Sollte man diesen Mann nun mit HIFU operieren? Bei einem Gleason-Score bis 6 müsse man nichts tun, und man sollte diesen Befund im Grunde gar nicht mehr «Tumor» nennen, betonte Eberli. Diese Männer wolle man auch mit HIFU in Zürich eigentlich nicht operieren: «Nur wenn ein Patient Angst hat, dann vielleicht doch.» Ab Gleason-Score 7 müsse man jedoch sicher etwas unternehmen. Die Herausforderung besteht in der richtigen Einstufung des Patienten.
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Abbildung: Schematische Darstellung des HIFU (High Intensity Focused Ultrasound). Das Tumorgewebe wird im Innern der Prostata ohne chirurgischen Eingriff zerstört (Grafik: Universitätsspital Zürich).
Hierzu brauche es eine gute Biopsiestrategie und das MRI, sagte Eberli und forderte: «Wenn Sie einen Patienten mit Gleason-Score 6 oder 7 haben, sollte man eine Zweitmeinung zur kurativen Behandlung einholen – und zwar von einem Zentrum mit nicht invasiver Option.» Vor dem HIFU gab es bei der Prostatakrebsoperation nur die Option «alles oder nichts», denn anders als bei anderen Organen kann man aus einer Prostata nicht ausschliesslich den Tumor herausschneiden. Durch den HIFU hat sich das geändert, wodurch sich gleich-
zeitig neue Fragen stellten, so erläuterte Eberli: Zum Beispiel kann es sein, dass man an einer Stelle in der Prostata einen Tumor findet und an anderer Stelle kleine Tumorherde, die möglicherweise weniger maligne sind und vielleicht nie zum Problem werden. Darf man diese gegebenenfalls in der Prostata belassen? «Ja, das darf man – falls man den richtigen Herd entfernt», sagte Eberli. Um den richtigen Herd zu finden, brauche man allerdings sehr gute Radiologen. Man könne im MRI die hoch malignen Zellen in der Prostata sehen (Gleason-Score ≥ 7), die weniger malignen nicht. Dass man die weniger malignen damit nicht sehe, müsse übrigens kein Nachteil sein: «Vielleicht hilft uns das MRI sogar Übertherapie zu vermeiden», so Eberli.
Neues Biopsieraster Um das Zielgewebe für den HIFU zu identifizieren, braucht es eine neue Biopsiestrategie. Es werden 40 Zylinder perianal in Kurznarkose entnommen. Man legt sozusagen ein Raster durch die gesamte Prostata und erhält so eine dreidimensionale Landkarte des Tumorgewebes. Die Biopsien haben jeweils einen Durchmesser von etwa 1 mm: «Etwa wie ein Spaghetti», veranschaulichte Eberli auf Nachfrage die Dimensionen. Für die 40 Biopsien benötige er zirka 45 Minuten, sagte der Zürcher Urologe. Die Komplikationsrate sei kleiner als bei der standardmässigen transrektalen 12er-Biopsie.
Der HIFU erfordert intensive Teamarbeit zwischen Radiologen und Urologen. Mithilfe der dreidimensionalen Tumorlandkarte, eines Ultraschallbildes und des MRI zeichnet der Radiologe für den Operateur, der den HIFU dürchführt, die Grenzen des Zielgewebes ein.
Erste Erfahrungen Langzeiterfahrungen mit der neuen Methode gibt es kaum. Gemäss einer Studie (Lancet Oncol 2012; 13[6]: 622–632) waren ein Jahr nach der HIFU 0 bis 5 Prozent der Patienten inkontinent und 5 bis 10 Prozent impotent. Nach 3 Jahren waren noch 86 Prozent der Patienten ohne signifikanten Tumor. Eine externe Bestrahlung erfolgte in den 3 Jahren nach der HIFUBehandlung bei 5 Prozent der Patienten.
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Renate Bonifer
Quelle: Fokal statt total: Neue Therapieoptionen beim Prostatakarzinom. Vortrag von PD Dr. Dr. Daniel Eberli am 1. Symposium Männermedizin, Universitätsspital Zürich, 6. März 2014.
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