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BERICHT
Metastasiertes Prostatakarzinom: Länger überleben dank früher Chemo- plus Hormontherapie
ASCO 2014 American Society of Clinical Oncology Chicago, 30. Mai bis 3. Juni 2014
Eine Chemotherapie mit Docetaxel zu Beginn einer Hormonbehandlung führt zu einer Verlängerung der Lebenszeit um mehr als 13 Monate bei Männern mit hormonsensitivem metastasiertem Prostatakarzinom. Dies berichtete Dr. Christopher Sweeney an der 50. Jahrestagung der US-amerikanischen Onkologen (ASCO).
CLAUDIA BORCHARD-TUCH
Rund 40 Prozent der Männer der westlichen Welt tragen das Risiko der Diagnose eines Prostatakarzinoms, 10 Prozent werden symptomatisch, und 3 Prozent versterben daran (1). Aktuell finden sich bei weniger als 5 Prozent der Patienten primär Fernmetastasen, im weiteren Verlauf entwickeln 40 Prozent der Männer Fernmetastasen trotz lokaler Therapie. Nach bisheriger klinischer Praxis behandelt man Tumoren, die bereits Metastasen aufweisen, zunächst mit einer Hormontherapie. Die Patienten präsentieren sich zumeist mit ossären Metastasen. Die Dauer des Ansprechens einer Androgendeprivationstherapie (ADT) beträgt zwischen 12 und 24 Monate (1). Obwohl noch einige Patienten auf eine sekundäre hormonelle Manipulation ansprechen, entwickelt doch die Mehrzahl den Status des kastrationsrefraktären Prostatakarzinoms (CRPC) (1). Konventionell
wird die Chemotherapie erst dann verabreicht, wenn der Patient nicht mehr auf die Hormontherapie anspricht. Die Behandlung mit Docetaxel (75 mg/m2) gilt derzeit als Standard. Ein früherer Einsatz einer Chemotherapie könnte von Nutzen sein. Von Vorteil ist, dass androgenresistente Tumorzellen bereits frühzeitig abgetötet werden. Zudem sind viele Patienten zum Zeitpunkt der Tumorprogression stark geschwächt, sodass eine Chemotherapie mit erheblichen Nebenwirkungen einhergehen kann.
Chemo-ADT versus ADT Die von Dr. Christopher Sweeney vom Dana-Farber Cancer Institute, Boston, geleitete Studie E3805 verglich die ADT mit einer Kombination aus Chemotherapie (Gabe von Docetaxel) plus ADT (2). Zwischen Juli 2006 und November 2012 wurden 790 Männer mit hormonsensitivem metastasierten Prostatakarzinom rekrutiert.
Docetaxel. In beiden Studienarmen wiesen etwa zwei Drittel der Patienten einen hohen Metastasierungsgrad auf, und drei Viertel hatten noch keine lokalisierte Behandlung erhalten. Die Chemotherapie wurde alle 3 Wochen über einen Gesamtzeitraum von 18 Wochen durchgeführt.
Klarer Vorteil bei hohem Metastasierungsgrad Bis Januar 2014 traten innerhalb eines Nachuntersuchungszeitraums von durchschnittlich 29 Monaten insgesamt 101 Todesfälle in der Gruppe der Patienten auf, welche Docetaxel in Kombination mit der ADT erhalten hatten. In der Gruppe der Patienten, die nur eine ADT bekommen hatten, waren hingegen 136 verstorben. Die mittlere Überlebenszeit betrug bei einer Kombinationsbehandlung 44 Monate, bei ADT 57,6 Monate (Hazard Ratio [HR]: 0,61; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,47–0,80; p = 0,0003). Bei Ver-
«Der frühe Einsatz einer Chemotherapie verbessert die Überlebenschancen bei einem hoch malignen Tumor deutlich. Dies rechtfertigt die Belastungen der Behandlung.»
Christopher Sweeney
Bei der Rekrutierung wurde das Ausmass der Metastasierung bestimmt. Ein hoher Metastasierungsgrad entsprach viszeralen und/oder mindestens 4 ossären Metastasen. Primärer Endpunkt war die Gesamtüberlebenszeit; die sekundären Endpunkte umfassten die Zeit bis zur Progression und die Zeit bis zur Entwicklung einer symptomatischen progressiven Erkrankung. Die Patienten wurden in zwei randomisierten Versuchsgruppen therapiert, entweder nur mit ADT oder mit ADT in Kombination mit 6 Zyklen
suchsteilnehmern mit hohem Metastasierungsgrad wurde die mittlere Überlebenszeit bei Kombinationstherapie um 17 Monate auf 49,2 Monate verlängert im Vergleich zu 32,2 Monaten bei ADT (HR: 0,60; 95%-KI: 0,47– 0,81; p = 0,0006). In allen Subgruppen war die Kombinationstherapie besser wirksam: Die Zeitspanne bis zur klinischen Progression verlängerte sich und betrug im Mittel 32,7 Monate im Vergleich zu 19,8 Monaten bei reiner Hormontherapie (HR: 0,49; 95%-KI: 0,37–0,65; p < 0,0001). 796 ARS MEDICI 16 I 2014 BERICHT NACHGEFRAGT Dr. med. Axel Mischo Oberarzt Klinik für Onkologie Universitätsspital Zürich lichen unerwünschten Wirkungen sind jedoch in den Händen eines erfahrenen Onkologen in der Regel beherrschbar. Die Kombination von Docetaxel und ADT wird ebenfalls seit Jahren in der kastrationsrefraktären Situation angewendet, da die ADT in der Regel weitergeführt wird. Von daher verfügen wir seit Jahren über umfangreiche Erfahrung, dass die Kombinationstherapie gut durchführbar ist. Neu wäre jetzt nach Präsentation der Sweeney-Studie, dass wir die Kombination «Die Studienergebnisse für ‹High-volume›-Patienten sind beeindruckend» ARS MEDICI: Sollen Patienten mit einem hormonsensitiven metastatierten Prostatakarzinom zu Beginn einer Hormontherapie (ADT) gleichzeitig chemotherapeutisch behandelt werden? Und falls ja: Sollen nur Patienten mit einem Prostatakarzinom von hohem Metastasierungsgrad mit dieser Kombinationstherapie behandelt werden? Dr. med. Axel Mischo: Die von Sweeney präsentierten Daten sind aufsehenerregend, besonders der berichtete Überlebensvorteil von 17(!) Monaten bei den weiter fortgeschritten metastasierten (high-volume) Patienten. Aus diesem Grund gehen die meisten Prostatakarzinomexperten davon aus, dass sich das therapeutische Vorgehen beim metastasierten Prostatakarzinom in Zukunft ändern wird. Dennoch kann die Frage, ob nun alle Patienten mit metastasiertem Prostatakarzinom frühzeitig mit der Kombinationstherapie aus ADT und Docetaxelchemotherapie behandelt werden sollen, noch nicht eindeutig mit Ja beantwortet werden. Im letzten Jahr wurde von der französischen Arbeitsgruppe die GETUG-ATG-15-Studie mit derselben Fragestellung publiziert, die jedoch keinen Überlebensvorteil für die frühzeitige Kombinationstherapie zeigen konnte. Einschränkend muss man aber dazu sagen, dass die französische Studie nicht so viele Patienten untersucht hat und dass besonders der Hochrisiko- oder «High-volume»-Patientenanteil deutlich kleiner war. Dies könnte den Unterschied zwischen den beiden Studien erklären und die Richtung weisen für das aktuell vernünftigste Vorgehen: Für die nicht weit fortgeschrittenen (low-volume) Patienten sollte die Kombinationstherapie noch nicht empfohlen werden, bis weitere Studienergebnisse vorliegen, die diese Frage eindeutiger beantworten können. Für «High-volume»-Patienten sind die Ergebnisse jedoch so beeindruckend, dass die frühzeitige Kombinationstherapie nach entsprechender Diskussion mit dem Patienten ernsthaft in Erwägung gezogen werden kann. ARS MEDICI: Wie schätzen Sie die Wirksamkeit und das Nebenwirkungsprofil des Zytostatikums Docetaxel ein? Gibt es Interaktionen mit ADT? Mischo: Docetaxel ist ein Standardchemotherapeutikum, das in der Onkologie seit vielen Jahren für verschiedenste Tumorerkrankungen eingesetzt wird. Bisher wurde es beim Prostatakarzinom in der kastrationsrefraktären Situation angewendet. An häufigeren Nebenwirkungen können Zytopenien, febrile Neutropenien, Mukositis, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö, Neurotoxizität und Nageldystrophien auftreten. Diese mög- frühzeitig, das heisst schon in der hormonsensiblen Phase des Prostatakarzinoms, einsetzen würden. Die Daten zeigen, dass Docetaxel in dieser Studie recht gut verträglich war. Ob das mit der noch vorhandenen Hormonsensibilität des Prostatakarzinoms zusammenhängt oder mit der Tatsache, dass die Patienten erst wenige Therapien erhalten haben, bleibt zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar und wird in weiteren Studien genauer analysiert werden müssen. ARS MEDICI: Wie schätzen Sie die Kriterien ein, die in der Studie zum Nutzen einer frühzeitigen kombinierten Chemo- plus Hormontherapie zur behandlungsrelevanten Unterscheidung zwischen Niedrig- und Hochrisiko herangezogen wurden? Mischo: In dieser Studie hat man versucht, die Patienten zu stratifizieren in Patienten mit weiter fortgeschrittener Metastasierung (high-volume oder Hochrisiko) und in Patienten mit geringerer Metastasierung (low-volume oder Niedrigrisiko). Da ein Therapieerfolg der Kombinationstherapie besonders für die «High-volume»-Patienten angenommen wurde, ist eine derartige Stratifizierung sicherlich sinnvoll. In die «High-volume»Gruppe fielen Patienten mit entweder Organmetastasen (z.B. in Leber und Lunge) oder mindestens vier Knochenmetastasen. Patienten mit weniger als vier Knochenherden und fehlender Organmetastasierung galten als «low-volume». Bezüglich der Organmetastasierung wissen wir, dass sie ein prognostisch ungünstiger Faktor ist. Bezüglich der Knochenmetastasierung erscheint die Zahl Vier etwas willkürlich: So würden beispielsweise vier kleine Rippenmetastasen für die Hochrisikogruppe qualifizieren, während ein Patient mit drei grossen Beckenmetastasen in die Niedrigrisikogruppe eingeteilt würde. Diese Einteilung wird man sicherlich im Rahmen der weiteren Analyse dieser Studie nochmals dahingehend überprüfen müssen, ob es nicht noch eine bessere Möglichkeit der Auftrennung zwischen den beiden Gruppen gibt. Aber in den Entscheidungsprozess gemeinsam mit dem Patienten fliessen sicherlich noch weitere Faktoren ein: Bei einem jüngeren Patienten ist man eher geneigt, frühzeitiger eine aggressivere Therapie zu beginnen, wenn diese einen nachweisbaren Überlebensvorteil gezeigt hat, wohingegen man beim älteren Patienten mit eventuell auch vorhandenen Komorbiditäten hinsichtlich einer frühzeitigen Therapieintensivierung durchaus etwas zurückhaltender agiert. Die Fragen stellte Claudia Borchard-Tuch.O ARS MEDICI 16 I 2014 797 BERICHT Merksätze O Die zusätzliche Gabe von Docetaxel zu Beginn einer Hormontherapie verlängert die Überlebenszeit bei einem hormonsensitiven metastasierten Prostatakarzinom. Dieser Effekt ist bei hohem Ausmass an Metastasierung besonders ausgeprägt. O Die Einnahme von Docetaxel kann bei nahezu einem Drittel der Patienten mit teilweise schweren Nebenwirkungen verbunden sein. O Weitere Studien müssen klären, ob die Überlebenszeit auch bei niedrigem Metastasierungsgrad signifikant verlängert wird. Auch die Zeit bis zur Entwicklung eines kastrationsrefraktären Prostatakarzinoms war unter Docetaxel plus ADT signifikant länger (20,7 vs. 14,7 Monate; HR: 0,56; 95%-KI: 0,44–0,7; p < 0,0001). 28 Prozent der mit Docetaxel behandelten Patienten erlitten Nebenwirkungen, welche durch die Chemotherapie bedingt waren. Jeweils 1 Prozent der mit Docetaxel therapierten Patienten entwickelte schwere Funktionsstörungen an sensorischen beziehungsweise motorischen Nerven, 6 Prozent eine febrile Neutropenie, und einer der 397 Patienten verstarb an den Folgen der Chemotherapie. Weitere Studien notwendig In der Plenary Session am ASCO-Kongress ging Dr. Michael J. Morris vom Memorial Sloan Kettering Cancer Cen- Vergleiche man zudem in den beiden Studienarmen lediglich die Populationen mit niedrigem Metastasierungsgrad, seien die Unterschiede zu gering, um einen klaren Trend zu erkennen. Von grosser Bedeutung sei es daher, diejenigen Patienten zu identifizieren, für welche eine frühe Chemotherapie «Noch ist unzureichend geklärt, ob eine frühe Chemotherapie bei niedrigem Metastasierungsgrad infrage kommt.» Michael J. Morris ter in New York auf die von Sweeney vorgestellten Ergebnisse ein (2). Die Studie zeige eindeutige Vorteile für die Kombination Docetaxel plus ADT bei Patienten im fortgeschrittenen Krankheitsstadium mit hormonsensitivem Prostatakarzinom. Der Einsatz von Docetaxel zu einem früheren Zeitpunkt verlängere die Überlebenszeit deutlich – von 2 bis 3 auf 13,6 Monate. Es sei jedoch zu bedenken, dass ein bereits metastasiertes Prostatakarzinom bei Erstdiagnose mit 4,2 Prozent eher selten vorkäme. Die Zahl der Patienten, die zudem ein hohes Volumen an Metastasen aufweise, sei wiederum nur ein Teil davon. Insofern sei nur ein sehr kleiner Teil der Patienten betroffen. wirklich von Nutzen sei. Hierfür müsse man eventuell eine neue Einteilung des Metastasierungsgrades festlegen. O Claudia Borchard-Tuch Quellen: 1. Loidl W et al.: Kastrationsrefraktäres Prostatakarzi- nom (CRPC). Urologe 2014; 53: 391–401. 2. Abstract LBA2: Sweeny C et al.: Impact on overall sur- vival (OS) with chemohormonal therapy versus hormonal therapy for hormone-sensitive newly metastatic prostate cancer (mPrCa): An ECOG-led phase III randomized trial. Vortrag von C. Sweeney und Diskussion von Michael J. Morris an der «Plenary Session Including the Science of Oncology Award and Lecture» am ASCO 2014. 798 ARS MEDICI 16 I 2014