Transkript
FORTBILDUNG
Katerkopfweh und Migräne
Alkohol und andere Trigger und ihre Rolle bei der Kopfschmerzentstehung
Katerkopfschmerzen und Migräne sind «überzufällig» häufig assoziiert. Alkohol kann bei Migränepatienten schon in geringen Mengen Migräneattacken innert kurzer Zeit sowie verzögert katerartige Kopfschmerzepisoden auslösen. Der Zusammenhang ist möglicherweise über den Energiemetabolismus oder über serotonerge Mechanismen erklärbar.
TILL SPRENGER UND PETER S. SANDOR
Migräneattacken können bei hierfür empfindlichen Patienten durch bestimmte Auslösefaktoren provoziert werden. Bereits 1853 empfahl Peters Migränepatienten, auslösende Faktoren wie Schlafmangel zu vermeiden (1). Etwa drei Viertel der Migränepatienten können eigene Migränetrigger identifizieren (2). Insbesondere Stress, Hormonschwankungen, Wetterwechsel, Schlafstörungen, Fasten, körperliche Aktivität und
Merksätze
O Die Frage nach Migränetriggern stellt einen wichtigen Teil der Kopfwehanamnese dar.
O Durch die Triggeranamnese lassen sich sowohl diagnostische als auch therapeutisch nützliche Hinweise gewinnen.
O Alkohol ist ein typischer Migränetrigger und kann bei Migränepatienten häufig bereits in kleinen Mengen sowohl zeitnah (30 Minuten bis wenige Stunden) als auch verzögert (Kater am nächsten Tag) zu Attacken führen.
O Attackenauslösende Faktoren stellen ein wichtiges Prinzip in der Migräneforschung dar, da hierdurch Attacken in einem vorhersehbaren Zeitrahmen untersucht werden können.
O Pharmakologische Migränetrigger, die beim Menschen gut untersucht sind, könnten in Zukunft helfen, zuverlässigere und aussagekräftige Tiermodelle der Migräne zu etablieren.
Alkohol werden dabei von Patienten häufig als Attackenauslöser genannt. Etwa ein Drittel der Migränepatienten gibt Alkohol als den Auslöser von Attacken an, zirka 10 Prozent als häufigen Trigger (3). Das führt zum Beispiel dazu, dass Migränepatienten häufig intuitiv Alkohol meiden und tatsächlich Migränepatienten in populationsbasierten Studien weniger Alkohol als die sonstige Bevölkerung konsumieren (4). Ob spezielle alkoholische Getränke wie Rotwein oder Whisky besonders häufig Migräneattacken auslösen, wird diskutiert (4), ist jedoch nicht gesichert. Alkohol kann bei Migränepatienten neben der raschen Attackenauslösung innerhalb meist einer halben Stunde bis einer Stunde auch zu einem verzögerten katerartigen Kopfweh am nächsten Tag führen. Letzteres ist selbstverständlich nicht spezifisch für Migränepatienten, tritt bei diesen aber häufig schon nach relativ geringen Mengen Alkohol sowie mit einer gewissen Konsistenz auf. Im angelsächsischen Sprachraum ist insofern die Alkoholanamnese ein wichtiger Teil der Migräneanamnese. Tatsächlich sind viele Auslösefaktoren modifizierbar und sollten somit im Rahmen der Anamnese eruiert werden, sodass eine entsprechende Beratung des Patienten zur Triggervermeidung stattfinden kann. Daneben hilft die Triggerbarkeit im Rahmen der genannten Faktoren auch im Rahmen der Diagnosestellung, da meist Patienten mit primären Kopfwehsyndromen über Trigger berichten. Unterschieden werden müssen allerdings typische Trigger sekundärer Kopfschmerzen wie zum Beispiel Kopfweh beim Husten im Rahmen von Arnold-Chiari-Malformationen oder Kopfweh beim Vornüberbeugen bei Sinusitis oder Kolloidzysten des 3. Ventrikels. Bei den letztgenannten Triggern handelt es sich allerdings meist um sofortige Trigger, während bei den primären Kopfschmerzen das Kopfweh meist erst verzögert entsteht. Typisch ist die Triggerbarkeit auch für Cluster-Kopfschmerzen. Vor allem durch Alkohol und Nitrate können Attacken innert Minuten (meist ca. 15 min) provoziert werden. Zur Abgrenzung von Spannungskopfschmerzen ist die Triggeranamnese nur bedingt geeignet, da subjektive Trigger bei Spannungskopfschmerzen zwar seltener als bei Migräne sind, aber doch noch recht häufig genannt werden (5). Welche genauen Mechanismen zur Kopfschmerzgenerierung durch Trigger führen, hängt vermutlich zum Teil vom Trigger selbst ab. Auf unterschiedlichen Wegen führen Trigger vermutlich zu einer Zunahme der neuronalen Erregbarkeit bei prädisponierten Menschen (6). Bei den pharmakologischen Triggern werden insbesondere Stickstoffmonoxid (NO) beziehungsweise cGMP-vermittelte Mechanismen vermutet (siehe nächste Seite).
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FORTBILDUNG
Experimentelle Kopfwehtriggerung Das Prinzip der experimentellen Kopfwehtriggerung stellt einen wichtigen Ansatz in der heutigen Kopfwehforschung dar. Durch Gabe verschiedener Substanzen wie Glyceroltrinitrat oder der Neuropeptide CGRP und PACAP38, aber auch Sildenafil können Migräneattacken bei mehr als drei Viertel der Migränepatienten reproduzierbar induziert werden (7–9). Die so getriggerten Attacken sind für die Patienten nicht von anderen spontanen Attacken unterscheidbar, und sogar Prodromalsymptome können getriggert werden (10). Über den Wirkmechanismus der Triggersubstanzen können Rückschlüsse zu Mechanismen der Migränepathogenese gezogen werden. Vielen Substanzen ist eine direkte oder indirekte NO-Freisetzung beziehungsweise eine Aktivierung von cGMP gemeinsam. Interessant ist dabei, dass die eingesetzten Substanzen zwar überwiegend eine vasodilatatorische Wirkung haben, die migräneauslösende Wirkung dabei allerdings kaum auf solche zerebral gefässerweiternden Effekte zurückgeführt werden kann, da zum Beispiel Sildenafil Migräneattacken ohne Dilatation der Arteria cerebri media verursacht (8). Die Annahme, dass eine zerebral vasodilatierende Wirkung nicht den primär migränetriggernden Mechanismus darstellt, wird durch Untersuchungen mit Infusion von vasoaktivem intestinalen Peptid (VIP) unterstrichen. VIP ist ein starker Vasodilatator, der zwar zu einer deutlichen Erweiterung kranialer Arterien führt, es wurden jedoch durch VIP-Infusion keine Migräneattacken ausgelöst (11). Durch andere Substanzen wie zum Beispiel Carbachol können zwar Kopfschmerzen, jedoch keine typischen Migräneattacken ausgelöst werden. Das unterstreicht, dass bei Migräneattacken spezifische Mechanismen in Gang gesetzt werden, die weit mehr verursachen als «nur» Kopfweh (12). Neuerdings werden bekannte Trigger von Migräne beim Menschen, wie zum Beispiel Glyceroltrinitrat, vermehrt zur Etablierung von aussagekräftigeren Tiermodellen verwendet, die humane Migräneattacken imitieren sollen (13). Hierdurch lässt sich die möglicherweise bislang nur sehr eingeschränkte Übertragbarkeit von tierexperimentellen Ergebnissen auf den Menschen in Zukunft verbessern.
Auraepisoden und Trigger
Im Gegensatz zur Kopfwehtriggerung bei Migränepatienten
lassen sich Auraepisoden interessanterweise kaum triggern
(14). Auch pharmakologisch ist das nicht zuverlässig mög-
lich. Die Gründe sind unklar. Demgegenüber lassen sich bei
Patienten mit Migräne mit Aura interessanterweise Migräne-
attacken ohne Aura durchaus zum Beispiel durch Glycerol-
trinitrat provozieren (15). Die fehlende Triggerbarkeit von
Auren stellt ein echtes Problem bei der Erforschung von
auraassoziierten Mechanismen dar.
O
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Till Sprenger Universitätsspital Basel Neurologische Klinik und Abteilung für Neuroradiologie Petersgraben 4. 4031 Basel E-Mail: till.sprenger@usb.ch
Prof. Dr. med. Peter S. Sandor Neurologie ANNR RehaClinic Kantonsspital Baden Im Ergel 5404 Baden-Dättwil
Referenzen: 1. Peters JC: A Treatise on Headaches. New York: William Radde, 1853. 2. Kelman L: The triggers or precipitants of the acute migraine attack. Cephalalgia 2007;
27: 394–402. 3. Panconesi A et al.: Alcohol and migraine: what should we tell patients? Curr Pain
Headache Rep 2011; 15: 177–184. 4. Peatfield RC: Relationships between food, wine, and beer-precipitated migrainous
headaches. Headache 1995; 35: 355–357. 5. Wang J et al.: Triggers of migraine and tension-type headache in China: a clinic-based
survey. Eur J Neurol 2013; 20: 689–696. 6. Scheffer M et al.: Migraine strikes as neuronal excitability reaches a tipping point.
PLoS One 2013; 8: e72514. 7. Schytz HW et al.: What have we learnt from triggering migraine? Curr Opin Neurol
2010; 23: 259–265. 8. Kruuse C et al.: Migraine can be induced by sildenafil without changes in middle
cerebral artery diameter. Brain 2003; 126: 241–247. 9. Schytz HW et al.: PACAP38 induces migraine-like attacks in patients with migraine
without aura. Brain 2009; 132: 16–25. 10. Afridi SK et al.: Glyceryl trinitrate triggers premonitory symptoms in migraineurs.
Pain 2004; 110: 675–680. 11. Rahmann A et al.: Vasoactive intestinal peptide causes marked cephalic vasodilation,
but does not induce migraine. Cephalalgia 2008; 28: 226–236. 12. Schytz HW et al.: Carbachol induces headache, but not migraine-like attacks, in
patients with migraine without aura. Cephalalgia 2010; 30: 337–345. 13. Olesen J, Jansen-Olesen I: Towards a reliable animal model of migraine. Cephalalgia
2012; 32: 578–580. 14. Hougaard A et al.: Provocation of migraine with aura using natural trigger factors.
Neurology 2013; 80: 428–431. 15. Christiansen I et al.: Glyceryl trinitrate induces attacks of migraine without aura in
sufferers of migraine with aura. Cephalalgia 1999; 19: 660–667.
Erstpublikation in «Psychiatrie & Neurologie» 3/2014.
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