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SERIE HERZKLAPPENERSATZ
Aortenklappenstenose: Die therapeutischen Optionen werden immer besser
Viele ältere Patienten mit symptomatischer Aortenklappenstenose werden weder evaluiert noch einer Therapie zugeführt, dabei können auch sie von einer Behandlung profitieren. Welche Massnahme nach der Bestätigung der Diagnose für den Patienten die bestmögliche Option darstellt, sollte im Team aus Anästhesist, Kardiologe und Herzchirurg gemeinsam entschieden werden. Sowohl die minimalinvasive Implantation mittels Katheter mit immer weiter entwickelten Devices als auch die Chirurgie mit den neuen minimalinvasiven Verfahren bieten heute gute Therapiemöglichkeiten.
CHRISTINE MÜCKE
Eine Behandlung der Aortenklappenstenose sollte bei symptomatischer Erkrankung erwogen werden, und die diesbezügliche Evaluation lohne sich auch für ältere Patienten, sind der Kardiologe Prof. Dr. med. Roberto Corti und der Herzchirurg Prof. Dr. med. Jürg Grünenfelder, Herz-Klinik Hirslanden, Zürich, überzeugt. Die Prävalenz der Erkrankung nehme mit dem Alter zu, dieses stelle aber nicht das entscheidende Kriterium für oder gegen mögliche Eingriffe dar, so beide unisono. Hier spielten viele Faktoren eine Rolle, ein wichtiger Aspekt sei dabei die Lebensqualität. Diese sei oftmals im Alter noch gut oder sogar besser als in jüngeren Jahren, und vor diesem Hintergrund lohne es sich, in mehrfacher Hinsicht, zu investieren. Denn die modernen Therapien wurden entwickelt,
um die Lebensqualität so lange wie möglich zu erhalten und die Patienten so lange wie möglich nicht (re)hospitalsieren zu müssen. Das rechnet sich auch rein ökonomisch, wie Corti ausführt, denn volkswirtschaftlich schlagen in erster Linie die enormen Kosten der Hospitalisationen zu Buche. Eine Indikation für die minimalinvasive Implantation einer Aortenklappe mittels Katheter (TAVI) liegt heute nach Corti dann vor, wenn ein Patient mit symptomatischer Erkrankung kein optimaler Kandidat für einen chirurgischen Eingriff ist. Anfänglich hatte man die Indikation nur dann ge-
Roberto Corti
Jürg Grünenfelder
hen, kommen schneller wieder auf die Beine. Nach einem Jahr sind die Ergebnisse dann vergleichbar. Aber auch in der Chirurgie gibt es neue Methoden, die Evaluation der Patien-
«Es lohnt sich, wenn wir es schaffen, die Patienten nicht wieder zu hospitalisieren!»
stellt, wenn eine Operation gar nicht mehr möglich war, so der Kardiologe. Damals lag die Mortalität des Eingriffs aber auch noch bei 10 Prozent. Jetzt liegt die 30-Tage-Mortalität den Schweizer Statistiken zufolge bei weniger als 3 Prozent, das heisst sehr ähnlich oder sogar etwas tiefer als bei den chirurgischen Eingriffen.
Evaluation der Patienten heute viel komplexer Eine Indikation liegt zum Beispiel bei Patienten vor, auf die der Begriff «Frailty» passt – fragile, kachektische Patienten, die eine Operation zwar wahrscheinlich überstehen würden, bei denen aber von einem protrahierten Verlauf auszugehen und eine längere Zeit auf der Intensivstation wahrscheinlich ist. Der entscheidende Unterschied zwischen TAVI und normaler Operation liegt in den ersten sechs Monaten. Die Patienten, die sich einem solchen Eingriff unterzie-
ten ist daher heute viel komplexer, da man bei fast keinem Patienten mehr eine Sternotomie durchführt. «Man muss immer das Ganze betrachten, auch wenn ich ein enthusiastischer Anwender der TAVI bin. Es ist einfach beeindruckend, wenn ein 90-Jähriger am nächsten Tag bereits wieder auf den Beinen steht», so Corti. Aber es gibt immer noch viel Raum für die Chirurgie, beispielsweise mit den neuen minimalinvaisven Verfahren (siehe Kasten 1) oder in Kombination mit Bypässen. Deshalb liegt seiner Meinung nach die Zukunft in Zentren, die beide Seiten kennen. «Denn wir müssen das jeweils Beste für den Patienten anbieten, nicht nur das Neueste. Wir können interventionell nur mitreden, wenn wir eine TAVI machen können, die perfekt ist, also gut positioniert, nicht so viele AVBlöcke macht, keinen Schrittmacher braucht und möglichst keine paravalvulären Lecks aufweist.» Wenn man alle Möglichkeiten nutzt und abge-
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Kasten 1:
Auch Chirurgie bietet heute minimalinvasiven Eingriff
Seit ein paar Jahren steht als Alternative zum konventionellen chirurgischen Aortenklappenersatz auch ein minimalinvasiver chirurgischer Eingriff zur Verfügung, der ohne Sternotomie auskommt. Dieser habe sich bislang unter den Chirurgen noch nicht so durchgesetzt, aber das könne sich zukünftig ändern, so Herzchirurg Prof. Dr. Jürg Grünenfelder. Denn auch hier erleichtern mittlerweile neue Klappenprothesen, die an einem Stent befestigt sind und nicht mehr wie früher eingenäht werden müssen, die Prozedur. Das verkürzt diesen Eingriff im Vergleich zum herkömmlichen um rund eine halbe Stunde – und ist eigentlich heute unser übliches Vorgehen, wenn ein Patient nicht für eine TAVI infrage kommt, so Grünenfelder. Es sei denn, es muss zusätzlich ein Bypass gelegt werden oder es liegt eine Klappenentzündung mit unklarem Ausmass vor, bei der man sich möglichst viel Handlungsspielraum bewahren möchte. In diesen Fällen ist weiterhin eine Sternotomie erforderlich. Bei der minimalinvasiven Chirurgie wird der Eingriff von der Seite durchgeführt. «Das heisst, man muss keine Rippen mehr brechen, kann die Aorta gleichermassen abklemmen, die Klappe herausschälen, Kalk entfernen und dann die neue Klappe einsetzen», schildert der Experte das Prozedere. Anders als bei der TAVI, bei der die alte Klappe nur aufgesprengt und die neue in die alte hineingesetzt wird, wird jedoch weiterhin mit einer Herz-Lungen-Maschine gearbeitet, die hier an der Leiste angeschlossen wird.
stimmt auf den individuellen Patienten einsetzt, gibt es heute sehr gute Optionen, auch für die älteren Patienten.
Die Technik hat sich enorm entwickelt Am Anfang einer neuen Technik wie der TAVI ist die Begeisterung schon
Kasten 2:
Klappen immer weiterentwickelt
Den technischen Fortschritt im Bereich der Klappen dokumentieren beispielsweise die kürzlich am Euro PCR vorgestellten Daten der SAPIEN-3Studie. Die 30-Tage-Daten, die von Prof. Dr. John Webb, Vancouver, präsentiert wurden, zeigen die Resultate für die ersten 150 mit der Drittgenerationsklappe per TAVI versorgten Patienten mit hohem und intermediärem Risiko aus 16 involvierten Zentren in Europa und Kanada. Diese Klappe wurde entwickelt, um das Risiko von Gefässverletzungen zu minimieren, die paravalvuläre Regurgitation zu reduzieren und eine akkurate Positionierung zu erleichtern. Die Implantation ging mit einer Gesamtmortalität von 2,1 Prozent und einer Schlaganfallrate von 1 Prozent einher. 99,3 Prozent der Klappen konnten exakt wie geplant positioniert werden, 96,6 Prozent der Patienten hatten ein kleines gleich mildes paravalvuläres Leck (PVL), ein schweres PVL trat nicht auf. Diese Daten könnten die Behandlung von Aortenstenosepatienten mit intermediärem Risiko unterstützen, so das Fazit des Experten.
«30-Day Outcomes from The SAPIEN 3 Trial», präsentiert von John Webb am Euro PCR, 20. bis 23. Mai, London
gross, wenn die Patienten überleben. Mit der Zeit hat man gelernt, dass die Ergebnisse schlechter sind, wenn die Klappen nicht dicht abschliessen, so Corti. Aber die Klappen werden immer weiterentwickelt (siehe Kasten 2), und diese paravalvulären Lecks sind heute ein marginales Problem geworden. Das Risiko eines Schlaganfalls inklusive transienter Ereignisse liegt nach TAVI quer durch alle Register derzeit bei etwa 2 Prozent, für permanente Schlaganfälle bei weniger als 1 Prozent – vergleichbar mit der normalen Chirurgie. Ein gewisses Schlaganfallrisiko wird leider bleiben, aber auch hier hat sich insgesamt schon einiges getan, so der Experte. Man hat Schirmchen entwickelt und das Blut relativ aggressiv verdünnt, noch sei das jedoch nicht optimal. Zu den Schirmchen gibt es noch kontroverse Resultate. Auch die Durchmesser der zur Platzierung notwendigen Katheter sind heute beeindruckend viel kleiner geworden.
Was bringt die Zukunft? Bei uns erhält momentan etwa die Hälfte der Patienten eine TAVI, die andere Hälfte wird chirurgisch versorgt, so Corti. Die Zukunft sieht der Kardiologe bei der TAVI und den minimalinvasiven chirurgischen Eingriffen, vor allem bei den älteren Patienten. Die perkutanen Möglichkeiten werden weiter an Bedeutung gewinnen, die Klappenkatheter werden immer dünner, und die paravalvulären Lecks
werden verschwinden; in fünf bis zehn Jahren wird die Sternotomie in den meisten Fällen nur noch im Zusammenhang mit Bypässen ein Thema sein, so Corti weiter. Fairerweise ist jedoch zu ergänzen, dass die derzeitigen Erfahrungen zeitlich limitiert sind. Aber wenn sie sich bestätigen, wird sich diese Entwicklung fortsetzen, ist der Experte überzeugt. «Die Klappen dürfen nicht degenerieren, das ist umso wichtiger, je jünger unsere Patienten sind. Und unser jüngster Patient war unter 30 Jahre alt und bereits zweimal zuvor operiert.» Auch für Patienten wie diejenigen, die bereits einen biologischen Klappenersatz hinter sich haben, ist die TAVI eine wichtige Option, denn eine Reoperation geht mit einem höheren Risiko einher als eine via Katheter implantierte «Valve in Valve». Das Risiko eines solchen Zweiteingriffs ist geringer, da sich die neue Klappe sehr gut an die erste anpasst und keine Lecks auftreten. Auch der Herzchirurg sieht den Anteil der TAVI versus Operation weiter deutlich wachsen – ausgehend von den bisherigen guten Erfahrungen.
Hausarzt ein wichtiger Partner Mit der demografischen Entwicklung werden die potenziellen Patienten älter, und hier kommen zunehmend ethische Aspekte mit ins Spiel, wie Corti anmerkt. Die Überlebenschance muss bei mindestens einem Jahr liegen, Patienten mit einer geringeren Lebenserwartung riskieren sonst, dass sie im Falle von Komplikationen ihre letzten Monate im Spital verbringen. Ganz wichtig ist die Evaluation der Lebensqualität, es gelte, die Patienten gesamthaft zu betrachten. Hier ist der Hausarzt gefragt, nicht alle Aspekte können im Rahmen eines stationären Kurzaufenthaltes umfassend eruiert werden. Der Hausarzt weiss um Lebensqualität und Lebenssituation der Betroffenen und kann auf chronische Erkrankungen hinweisen, wie beispielsweise ein kompliziertes Rheuma oder einen nicht auf den ersten Blick ersichtlichen gut eingestellten Morbus Parkinson, die für die Einschätzung wichtig sind und bei der Rekonvaleszenz berücksichtigt werden sollten. O
Christine Mücke
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