Transkript
FORUM
«Alles neu macht der Mai» – welche Bedeutung hat der 18. Mai 2014 für die Hausärztinnen und Hausärzte?
CHRISTOPH SCHNYDER
«Die medizinische Grundversorgung in der Bundesverfassung: was jetzt?» Diese Frage war Grundlage des standespolitischen Round Tables anlässlich des KHM-Kongresses in Luzern. Die zahlreich im Konzertsaal des KKL anwesenden Ärztinnen und Ärzte bekamen vom prominent besetzten Podium erstaunlich Aufschlussreiches zu hören. So etwa von Prof. Thomas Zeltner, dem ehemaligen Direktor des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), welcher mehrmals eindringlich darauf hinwies, dass ein Verfassungstext allein noch nichts ändere («Papier ist Papier») und es gerade jetzt wichtig sei, den Druck aufrechtzuerhalten. Das ist unmissverständlich so aufzufassen, dass ohne entschiedenes Handeln der Ärzteschaft nichts zu deren Gunsten passiert. Ob die in einer unverhohlen euphorischen Siegerstimmung schwebenden Protagonisten des Initiativkomitees, Peter Tschudi, Marc Müller und Mitstreiter, diesen Warnruf wahrgenommen haben? Man kann nur hoffen, denn Thomas Zeltner ist mit den Berner Mechanismen bestens vertraut – und auch Hausärztinnen und Hausärzte an der Basis müssten aus den letzten zehn Jahren etwas gelernt haben. Kollegin Heidi Zinggeler Fuhrer, auf dem Podium als Vertreterin der Hausärzte präsent (allerdings ziemlich zahm votierend), nahm denn auch den Ball an und bekräftigte, dass «wir keinen Papiertiger wollen». Doch aufgepasst: Es kann nicht nur nichts, sondern auch das Falsche passieren! So zeichnen sich bei Bundesrat Bersets 200Millionen-«Geschenk» deutliche Schönheitsfehler ab; einen Teil des Geschenks bezahlen wir nämlich selber, indem auch von unseren technischen Leistungen (TL) 8,5 Prozent zur Gegenfinanzierung abgeschnitten werden. Ausserdem werden mit dem Geld keineswegs die intellektuellen Aspekte unserer Arbeit aufgewertet und honoriert, sondern in Form eines banalen Konsultationszuschlags falsche Anreize gesetzt. Besuche und Vorsorgeuntersuchungen sind vom Zuschlag ausgenommen (hätten diese grundversorgerischen Leistungen nicht attraktiver werden sollen?). Auch Marc Müller, Präsident von Hausärzte Schweiz,
liess seine Enttäuschung über diese Interpretation des Masterplans mehrmals zaghaft aufflackern. Im Sinne der für bessere Arbeitsbedingungen kämpfenden Hausärztinnen und Hausärzte ist diese Zuwendung jedenfalls nicht. Patientinnen und Patienten werden sich an häufigere Konsultationen gewöhnen müssen (die Usanzen aus unserem nördlichen Nachbarland zeigen seit Jahren, was Zuschläge auf Konsultationen bewirken …). Als Repräsentant der Politiker war der Luzerner Gesundheitsdirektor Guido Graf unter den Referenten; seine Äusserungen liessen aufhorchen und sollten für bare Münze (im eigentlichen Sinn!) genommen werden: Zum einen gingen die 88 Prozent Zustimmung des Volkes zum Grundversorgungsartikel nicht spurlos an der Gilde vorbei (Politiker sehen sich ja immer noch als Volksvertreter), zum andern zeigen Befragungen, dass vier Fünftel der Schweizerinnen und Schweizer mit dem derzeitigen (hausarztbasierten!) Gesundheitssystem zufrieden oder sehr zufrieden sind; das Nein des Volkes zur Managed-Care-Vorlage war bereits ein deutlicher Wink in diese Richtung, der jedoch nicht von allen so verstanden wird. Der mittlerweile unübersehbare Mangel an Hausärztinnen und Hausärzten muss also korrigiert werden. Für Regierungsrat Graf ist klar, dass diese Korrektur Geld kosten wird und die Kostenneutralität deshalb nicht haltbar ist – danke für diesen Steilpass! Nun müssten nur noch unsere Standesvertreter den Mumm haben, die Frage der Entschädigung der hausärztlichen Arbeit in den Vordergrund zu stellen und beispielsweise unmissverständlich den Ausgleich der über Jahre aufgelaufenen Teuerung zu fordern. Unsere Zurückhaltung in dieser Frage ist umso weniger nachvollziehbar, als Prof. Zeltner das Hausärzteeinkommen als unwesentlichen Faktor der gesamten Gesundheitskosten bezeichnete. Bei der Berufswahl, insbesondere von Männern, spielt es aber eine Hauptrolle. Der gewählte Apothekerpräsident Fabian Vaucher (aus dem Kanton Aargau stammend, welcher vor Kurzem die ärztliche Selbstdispensation verwarf …) signalisierte Gesprächsbereitschaft und bezeichnete die Ärzte als «Dirigenten der medizinischen Grundversorgung», sieht die Apotheken/
Apotheker jedoch pointiert als kompetente Triagisten mit Grundversorgerauftrag. Wenn in den Strategien von interprofessionellen Szenarien die Rede ist, darf man also getrost davon ausgehen, dass künftig (so wie es seit dem 18. Mai in der Verfassung verankert ist) nicht wenige bisher in Hausarztpraxen erbrachte Leistungen in Apotheken zu haben sein werden. Ganz so, wie es Politiker, welche sich für eine gute medizinische Grundversorgung verantwortlich sehen, ja haben möchten. Bekanntlich werden jedoch die Stücke kleiner, wenn man den Kuchen auf mehr Personen aufteilt. Ob der Hausarztberuf dadurch attraktiver wird, darf angezweifelt werden. Kompensationen für diesen zu erwartenden Verlust wurden bisher keine präsentiert. Ist man also nach diesem Round Table als Zuhörer gescheiter? Jein. Auf alle Fälle sollte man gelernt haben, dass es kein Ausruhen auf (vermeintlichen) Lorbeeren nach dem 18. Mai geben darf! Prof. Peter Tschudi, der anlässlich des KHM-Kongresses für seine Verdienste als Präsident des Initiativkomitees und Gründer des ersten universitären Instituts für Hausarztmedizin als «KHM-Kopf des Jahres» geehrt wurde, sieht das Abstimmungsresultat immer noch als Sieg und grossen Erfolg für die Hausärzte. 88 Prozent sind ein Riesenerfolg, das stimmt natürlich – aber zu glauben, das sei das Ende der Fahnenstange oder gar der Zielstrich gewesen, wäre fatal! Wir dürfen keinesfalls vergessen: In der Verfassung steht Grundversorgung – nicht Grundversorger! Und Marc Müller, Präsident von Hausärzte Schweiz, nennt als nächstes Primärziel seiner Politik, die «integrierte Versorgung» voranzutreiben … Es reicht nicht, sich angesichts des hier Geschriebenen verwundert die Augen zu reiben: Unsere Standesvertreter brauchen ein klares Mandat von der Basis und lautstarke Unterstützung seitens der ärztlichen Grundversorgerinnen und Grundversorger (die Bevölkerung hat ihr Votum so deutlich wie noch nie abgegeben). Worauf warten wir? O
Dr. med. Christoph Schnyder, Cham Präsident der Vereinigung freiberuflicher medizinischer GrundversorgerInnen der Schweiz (FMGS)
ARS MEDICI 16 I 2014
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