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STUDIE REFERIERT
Die häufigsten Reisemitbringsel – und wie sie sich vermeiden lassen
Mit zunehmender Anzahl der Reisen suchen auch immer mehr erkrankte Heimkehrer den Hausarzt auf. Australische Wissenschaftler haben nun anhand einer Datenbankanalyse die Art und die Häufigkeit typischer Reiseerkrankungen beschrieben. Die Auswertung soll Ärzte bei der Eingrenzung potenzieller Diagnosen und einer geeigneten medizinischen Versorgung vor und nach einer Reise unterstützen.
ANNALS OF INTERNAL MEDICINE
In den letzten 10 Jahren hat die Anzahl der Reisen um etwa 50 Prozent zugenommen. Vor allem ist der Anteil an Fernreisen nach Asien und Afrika überproportional angestiegen. Immigranten, die zu Verwandten oder Freunden in ihre Heimatländer reisen, bilden derzeit eine neue Gruppe mit beträchtlichem Risiko für Reiseerkrankungen.
Merksätze
O Die meisten Erkrankungen werden auf Reisen nach Asien oder Afrika erworben.
O Am häufigsten kommt es zu gastrointestinalen Erkrankungen.
O Bei Reisen nach Europa werden eher Legionellosen, vektorübertragene Erkrankungen oder Kinderkrankheiten wie Mumps oder Masern beobachtet.
O Vor einer Reise sollte der Arzt aufgesucht werden.
O Einigen Reiseerkrankungen kann mit Impfungen vorgebeugt werden.
Im GeoSentinel Surveillance Network sind 53 auf Reise- oder Tropenerkrankungen spezialisierte Kliniken in 24 Ländern zusammengeschlossen. Das Netzwerk verfügt über die derzeit umfangreichste Datenbank mit mehr als 170 000 Erkrankungsberichten. Karin Leder von der Abteilung für Epidemiologie und Präventive Medizin der Monash Universität (Australien) und ihre Arbeitsgruppe analysierten die Daten 42 173 erkrankter Reisender aus dem Zeitraum von 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2011.
Die meisten Erkrankungen aus Asien und Afrika Die meisten Erkrankungen wurden in Asien (32,6%) und in Subsaharaafrika (26,7%) erworben, gefolgt von Lateinamerika und der Karibik (19,2%). Die verbleibenden Erkrankungen zogen sich die Reisenden im Mittleren Osten, in Europa und in Nordamerika sowie in Ozeanien, Australien oder Neuseeland zu. Bei 7,8 Prozent konnte der Erkrankungsort nicht mehr zugeordnet werden. Nur 40,5 Prozent der Betroffenen suchten vor der Reise einen Arzt auf.
Vorwiegend gastrointestinale Erkrankungen Am häufigsten kam es zu gastrointestinalen Erkrankungen (34%). Bei mehr als 40 Prozent davon handelte es sich um eine unspezifische akute Diarrhö. Bei weiteren 20 Prozent wurde die Erkrankung durch Parasiten und bei 10 Prozent von Bakterien verursacht. Die häufigsten bakteriellen Erreger waren Campylobakter, Salmonellen und Shigella-Spezies. Sie wurden vor allem bei Reisenden nachgewiesen, die aus Südostasien, Subsaharaafrika, dem Mittleren Osten oder aus Nordafrika zurückkehrten. Als häufigster Parasit wurde Giardia beobachtet. Dieser Durchfallerreger hatte vor allem Perso-
nen befallen, die aus Indien und den Nachbarländern heimkehrten.
Fieberhafte Erkrankungen An fieberhaften Erkrankungen litten 23,3 Prozent der Heimkehrer. Bei 29 Prozent dieser Erkrankungen handelte es sich um Malaria und bei 15 Prozent um Dengue-Fieber. Während Malaria bei Heimkehrern aus Subsaharaafrika die häufigste Ursache von Fieber ist, wurde Dengue vor allem bei Personen beobachtet, die aus Südostasien, Lateinamerika oder aus der Karibik zurückkehrten. Zu weiteren häufigen Ursachen für Fieber gehörten Typhus oder Paratyphus und das Chikungunya-Virus sowie Rickettsiosen, virale Hepatitis, Leptospirose, Tuberkulose und akute HIV-Infektionen. Typhus und Paratyphus trat am häufigsten bei Reisenden nach Südzentralasien auf, während Rickettsiosen bei 6 Prozent der Patienten beobachtet wurden, die aus Afrika südlich der Sahara zurückkehrten. Bei etwa 40 Prozent der Reisenden konnte keine Ursache für das Fieber ermittelt werden.
Hauterkrankungen Bei ungefähr einem Fünftel der Rückkehrer wurden Dermatosen diagnostiziert. Dabei handelte es sich hauptsächlich um Bisse oder Kratzer von Hunden, Katzen oder Affen, Insektenbisse oder stiche, Infektionen der Haut oder des Weichgewebes und um Hautausschläge. Bei mehr als 12 Prozent aller spezifischen dermatologischen Präsentationen war eine Postexpositionsprophylaxe gegen Tollwut erforderlich. Mehr als 8 Prozent aller Hauterkrankungen wurden durch Larva migrans cutanea verursacht. Diese Larve des Hakenwurms wurde besonders häufig bei Rückkehrern aus Südostasien, Subsaharaafrika, Lateinamerika und aus der Karibik beobachtet.
Atemwegserkrankungen Etwa ein Zehntel aller Reiserückkehrer hatte sich eine Atemwegserkrankung zugezogen, meist nichtspezifische Infektionen der oberen Atemwege, Influenza oder influenzaähnliche Erkrankungen, Bronchitis oder Lungenentzündung. Influenza A, B oder H1N1 wurde bei 8 Prozent der Reisenden mit Atemwegsbeschwerden diagnostiziert. Ausserdem wurden in GeoSentinel 35 Legionelleninfektionen registriert.
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Weniger häufige Erkrankungen Neurologische Diagnosen waren mit 1,7 Prozent eher selten. Zu den verursachenden Erkrankungen gehörten jedoch potenziell lebensbedrohliche Infektionen wie Meningoenzephalitis und Infektionen mit dem West-Nil-Virus. Zudem wurden Ciguatera-Intoxikationen beobachtet. Diese Vergiftung verursacht neurologische Symptome wie Parästhesien, Nervenlähmungen und eine Umkehr der Wärme- und Kälteempfindungen, die einige Wochen lang andauern kann. Als seltene Erkrankungen – mit weniger als 20 Fällen – wurden in GeoSentinel viszerale Leishmaniose, Tsutsugamushi-Fieber, Wechselfieber, Befall mit Angiostrongylus vasorum oder Plasmodium knowlesi, Botulismus, Melioidose, Tularämie und Infektionen mit dem Hantavirus verzeichnet. Im Zusammenhang mit Reisen nach Tansania, Sambia und Simbabwe wurde die Schlafkrankheit beobachtet. Gelbfieber, Ebola, Lassa-Fieber, Infektionen mit dem Marburg-Virus, Tetanus, Polio, Milzbrand oder Pest wurden im Beobachtungszeitraum nicht registriert. Tollwut wurde innerhalb des fünfjährigen Beobachtungszeitraums ebenfalls nicht verzeichnet, allerdings registrierte GeoSentinel zwei Tollwuterkrankungen in den Jahren 2006 und 2012.
Durch Impfungen vermeidbare Erkrankungen Bei 737 Reisenden hätten die Erkrankungen durch Impfungen vermieden werden können. Allerdings hatte nur rund ein Fünftel der Betroffenen vor Reiseantritt einen Arzt aufgesucht. Zu den durch Impfungen vermeidbaren Erkrankungen gehörten Influenza, Salmonella enterica (Serotyp Typhus), Hepatitis A, Tick-borne-Enzephalitis und Kinderkrankheiten wie Masern, Keuchhusten, Röteln, Mumps und Diphterie.
Krankheiten und Reiseanlass Die Diagnosen variierten auch mit dem Reiseanlass. Als Touristen waren 55,7 Prozent der erkrankten Heimkehrer unterwegs, 13,6 Prozent waren beruflich auf Reisen, und 15,6 Prozent hatten Freunde und Verwandte besucht. In dieser kleinen Gruppe traten besonders viele Malariafälle (Plasmodium falciparum) auf. Typhus und
Strongylideninfektionen wurden ebenfalls überproportional häufig in diesem Personenkreis beobachtet. Larva migrans cutanea kam vorwiegend bei Touristen vor, und Schistosomiasis trat am häufigsten bei Missionaren und freiwilligen Helfern auf.
Auch Europareisen nicht ohne Risiko Der grösste Anteil erkrankter Personen kehrte zwar aus Asien, Afrika oder Lateinamerika zurück, allerdings sollten auch die Risiken bei Reisen in die westliche Welt nicht unterschätzt werden. Ein Drittel aller Legionelleninfektionen sowie etwa 20 Prozent der Masernund 15 Prozent der HIV-Erkrankungen wurden in Europa erworben. Europa war auch das Reiseziel von Personen, die an Hepatitis A oder Trichinellose erkrankten. Vektorübertragene Erkrankungen wurden ebenfalls gelegentlich in Europa erworben. Dabei handelte es sich um viszerale Leishmaniose (Spanien, Portugal und Griechenland), kutane Leishmaniose (Spanien, Malta und Italien), Fleckfieber (Spanien, Frankreich und Griechenland) und Lyme-Borreliose (vorwiegend Deutschland und Italien). Bei Heimkehrern aus den USA wurden Coccidioido-Mykosen und eine Babesiose beobachtet. Vier Reisende brachten den RossRiver-Virus aus Australien mit.
Diskussion Eine Infektion mit enterotoxischem Escherichia coli – dem häufigsten Auslöser akuten Durchfalls – wird bei GeoSentinel als Diarrhö ohne Ursache eingestuft, da für den Nachweis spezielle Tests erforderlich sind, die im klinischen Alltag meist nicht zur Verfügung stehen. Angesichts der Häufigkeit und der Dauer gastrointestinaler Erkrankungen empfehlen die Experten eine präventive Beratung zu den Risiken in Verbindung mit Nahrung und Wasser. Malaria (P. falciporum) bleibt die bedeutendste Fiebererkrankung und muss bei allen Reisenden in Betracht gezogen werden, die aus potenziellen Übertragungsgebieten zurückkehren. Da Dengue mit Virusträgern reisen kann, ist es bereits zu lokalen Ausbreitungen in nichtendemischen Ländern wie den USA (Texas und Florida) und in Europa gekommen. Eine Infektion mit dem Chikungunya-Virus kann dem Dengue-Fieber klinisch ähneln und ver-
ursacht gelegentlich eine Arthralgie.
Das Management von Typhus gestaltet
sich angesichts der zunehmenden Prä-
valenz multiresistenter Isolate schwie-
rig. Die verfügbaren Impfstoffe sind
bestenfalls zu 70 Prozent wirksam
gegen Salmonella enterica Serotyp Ty-
phus und unzureichend wirksam gegen
Serotyp Paratyphus. Dennoch sollte
diese Impfung vor allem vor Reisen
nach Südzentralasien in Betracht gezo-
gen werden. Bei Fieber mit oder ohne
Hautausschlag, das kurz nach einem
Safaritrip nach Ostafrika auftritt, sollte
sofort der Nachweis von Trypanosoma
brucei rhodesiensis veranlasst werden,
um die Risiken für eine Neuroinvasion
und den Tod zu minimieren.
Larva migrans cutanea spricht auf eine
Behandlung mit Ivermectin (nicht im
AK der Schweiz) oder Albendazol
(Zentel®) an. In Indonesien ist das Ri-
siko für diesen Wurmbefall besonders
hoch. Die Leishmaniose wird in vielen
tropischen Ländern und in Südeuropa
von Sandfliegen übertragen und war in
dieser Datenauswertung die Haupt-
ursache für Hautgeschwüre.
Aus der Datenanalyse geht nach An-
sicht der Autoren hervor, dass zu we-
nige Personen vor Reiseantritt den Arzt
aufsuchen. Ausserdem weisen die Er-
gebnisse darauf hin, dass vorbeugende
Impfungen häufig unterbleiben. So tra-
ten etwa 20 Prozent der reisebedingten
Hepatitis-A-Infektionen bei Patienten
auf, die vor Reiseantritt beim Arzt
waren. Die Autoren bemängeln dies als
schwerwiegende Versorgungslücke, da
bereits eine Einzeldosis des Hepatitis-
A-Impfstoffs einen nahezu 100-prozen-
tigen Schutz bietet.
Der überproportional hohe Anteil an
Malaria und Typhus bei Reisenden, die
Freunde und Verwandte besuchen,
weist auf die Bedeutung von proakti-
ven Strategien des Hausarztes hin.
Dazu gehören eine routinemässige Be-
fragung von Immigranten nach ihren
Reiseplänen und die Aufforderung,
zuvor die Praxis aufzusuchen.
O
Petra Stölting
Leder K et al.: GeoSentinel surveillance of illness in returned travellers, 2007–2011. Ann Intern Med 2013; 158: 456–468.
Interessenkonflikte: Die Interessenkonflikte der einzelnen Autoren können unter www.acponline.org/authors/ icmje/ConflictOfInterestForms.do?msNum=M12-1036 eingesehen werden.
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