Transkript
Besonderheiten der Anaphylaxie bei Kindern
BERICHT
Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (SGAI)
Vortrag «Anaphylaxis in childhood», 21. März 2014, Davos
Anaphylaktische Reaktionen können sich bei Kindern anders äussern als bei Erwachsenen. Über diesen Punkt, aber auch über die Epidemiologie und das Management von Anaphylaxien bei Kindern sprach Prof. Dr. med. Philippe Eigenmann, Genf.
THERESE SCHWENDER
Eine Anaphylaxie stellt eine akute, potenziell lebensbedrohende allergische Reaktion dar, die verschiedene Organsysteme betrifft und durch die Freisetzung chemischer Mediatoren aus Mastzellen und basophilen Granulozyten verursacht wird (1). Eigenmann wies zu Beginn seines Vortrags darauf hin, dass diese generelle Definition zwar auch für Kinder gelte, es aber einige ganz spezifische Unterschiede zu erwachsenen Personen gebe. «Kardiovaskuläre Beeinträchtigungen im Rahmen einer anaphylaktischen Reaktion sind in vielen Fällen für den fatalen Ausgang eines solchen Ereignisses verantwortlich. Jedoch handelt es sich dabei meistens um Erwachsene.» Er habe bisher selten einen pädiatrischen Patienten mit Anaphylaxie gesehen, der schwere kardiovaskuläre Symptome gezeigt hätte.
Primär respiratorische und gastrointestinale Symptome Bei Kindern sind respiratorische Symptome, wie zum Beispiel Dyspnoe, von grösserer Bedeutung. «Wenn ein schwerwiegendes Ereignis beginnt, dann be-
ginnt es hier», meinte Eigenmann. Daher sollte in der Notfallsituation nicht zu viel Zeit mit der Messung des Blutdrucks verloren, sondern rasch zur Sauerstoffsättigung übergegangen werden. Danach betonte er die Wichtigkeit von gastrointestinalen Symptomen. «Als Pädiater wissen wir, dass nicht wenige Kinder, bei denen eine Anaphylaxie in Gang kommt, gastrointestinale Symptome wie Krämpfe oder abdominale Schmerzen zeigen.» Und nicht selten starte eine anaphylaktische Reaktion bei Kindern mit Erbrechen, erst danach würden Hautsymptome, respiratorische oder kardiovaskuläre Beeinträchtigungen sichtbar, machte er deutlich. «Meine Botschaft im Zusammenhang mit der Definition einer Anaphylaxie bei Kindern lautet demnach: Legen Sie Ihren Schwerpunkt auf respiratorische Symptome, und vergessen Sie die gastrointestinalen Beschwerden nicht.» Und er betonte, wie wichtig es ist, dass auch Ärzte anderer Fachrichtungen, Eltern, Lehrer und andere Betreuer darin geschult würden, die spezifischen Zeichen einer Anaphylaxie bei Kindern zu erkennen und so rechtzeitig zu handeln.
Angaben zur Prävalenz Angaben zur Prävalenz anaphylaktischer Reaktionen liegen aus einem vor Kurzem publizierten systematischen
europäischen Review vor, in den 49 Studien eingeschlossen worden sind (1). 3 davon eigneten sich schliesslich für eine gepoolte Analyse der Prävalenz. Diese ergab, dass 1 von 300 Personen in Europa im Verlauf ihres Lebens von einer Anaphylaxie betroffen ist. «Eine der Arbeiten, aus Grossbritannien, wertete die Daten von über 13 Millionen Notfallkonsultationen aus und zeigte interessanterweise, dass die Prävalenz einer Anaphylaxie in den nördlichen Landesteilen tiefer lag als in den südlichen», ergänzte Eigenmann. Die Gründe für diese Beobachtung seien unklar. Jedoch sei dies ein Hinweis darauf, dass auf diese Weise ermittelte Daten nicht einfach von Nord- auf Südeuropa übertragen werden sollten. Ausserdem wurde auch eine Zunahme der Inzidenz anaphylaktischer Reaktionen festgestellt. «Dies hat sicher zum Teil damit zu tun, dass wir besser im Diagnostizieren und auch Codieren solcher Fälle geworden sind. Trotzdem, die Inzidenz scheint zu steigen.» Als häufigste Auslöser für eine Anaphylaxie wurden in dem Review Nahrungsmittel, Medikamente, stechende Insekten und Latex identifiziert. «In der Pädiatrie stellen Nahrungsmittel sicherlich die am häufigsten beobachteten Auslöser dar, viel häufiger als zum Beispiel Insektengift oder Medikamente», berichtete Eigenmann. Ergän-
Anaphylaxie bei Kindern – wichtige Punkte
O Anaphylaktische Reaktionen bei Kindern können sich zuerst in gastrointestinalen Symptomen äussern, gefolgt von respiratorischen und kardiovaskulären Befunden.
O Der prompte Einsatz von Adrenalin mittels Autoinjektor stellt die zentrale Massnahme im akuten Management einer Anaphylaxie dar.
O Eltern, Betreuer und auch Ärzte aller Fachrichtungen sollten im Erkennen von allergischen Reaktionen bei Kindern und in der prompten Anwendung eines Adrenalin-Autoinjektors geschult sein.
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BERICHT
Erdnussallergie: Verein bietet Unterstützung für Eltern und Kinder
Als Mutter eines Sohnes mit schwerer Erdnussallergie erlebt die Rechtsanwältin Angelica Dünner, Zürich, tagtäglich persönlich, mit welchen Problemen Eltern und betroffene Kinder zu kämpfen haben, so zum Beispiel im Zusammenhang mit der Einschulung eines allergiekranken Kindes. Aus dieser Erfahrung heraus gründete Dünner zusammen mit anderen Betroffenen den Verein Erdnussallergie und Anaphylaxie (VEeA). Diese gemeinnützige Organisation, die auch eng mit aha! Allergiezentrum Schweiz zusammenarbeitet, stellt Informationen für und über Nahrungsmittelallergiker (insbesondere mit Erdnussallergie) mit schwerer / anaphylaktischer Reaktion sowie für Eltern betroffener Kinder bereit. Dazu gehören zum Beispiel Informationen zur allergenfreien, insbesondere erdnussfreien Ernährung oder zu Bezugsquellen von allergenfreien (v.a. erdnussfreien) Lebensmitteln. Ausserdem werden – auch dank der Unterstützung und in Zusammenarbeit mit der Allergologie des Universitätskinderspitals Zürich, Frau Dr. Alice Koehli – den Betroffenen, Schulen, der Presse und den Behörden Informationen über medizinische Erkenntnisse (Diagnostik, Prophylaxe, Therapien usw.) und der Umgang mit der Allergie vermittelt. Eines der neusten Projekte stellt die Realisierung von verschiedenen bunten Kinderbüchlein mit Alexander, dem erdnussallergischen Elefanten, dar, die über die Homepage des Vereins bestellt werden können. Der kleine Elefant erlebt mit seinen Freunden, die selbst auch verschiedene Allergien haben, einige Abenteuer. Die Büchlein sollen betroffenen Kindern auf spielerische Art und Weise helfen, mehr über ihre Allergie und den Umgang damit zu erfahren. Beim Verein können zudem auch kleine Taschen aus Neopren bestellt werden, die Platz für ein Notfallset bieten, über einen Karabiner/Gurtschlaufen befestigt werden und so überall dabei sein können.
Mehr über den Verein Erdnussallergie und Anaphylaxie finden Sie online unter: www.erdnussallergie.ch oder direkt via QR-Code:
zend meinte er, dass jedoch gerade in Regionen der Schweiz, in denen es viele Bienenzüchter gibt, Bienenstiche die Liste der Anaphylaxieauslöser durchaus anführen können.
Management anaphylaktischer Reaktionen Auch zum Management der Anaphylaxie wurde vor kurzem ein systematischer Review publiziert (2). Von über 8000 möglichen Studien entsprachen schliesslich 55 den Einschlusskriterien und wurden in der Folge analysiert.
Dabei zeigte sich, dass in der akuten Situation die prompte Applikation von Adrenalin (via Autoinjektor) das Risiko für einen fatalen Ausgang zu reduzieren vermag. Eigenmann wies dabei auf einen wichtigen Punkt hin: «Auch wenn sie ihn dabei haben, haben viele Eltern leider nach wie vor Hemmungen, einen Adrenalinautoinjektor einzusetzen. Hier müssen wir also weiterhin mit Aufklärung und Schulungen aktiv sein.» Der Review fand zudem, dass die beste Stelle für die Adrenalininjektion der M. vastus lateralis
darstellt und dass bei einer intramuskulären anstelle der subkutanen Applikation die maximale Plasmakonzentration rascher erreicht wird. Eine Studie, die auch in den Review eingeschlossen worden war, untersuchte, wie oft und unter welchen Umständen bei Kindern mit multiplen Nahrungsmittelallergien eine zweite Adrenalininjektion notwendig war (3). «Dabei zeigte sich, dass in 19 Prozent der Fälle eine zweite Injektion nötig war und dass es sich dabei meistens um Kinder mit Asthma handelte», so Eigenmann. «Andere Faktoren, zum Beispiel ob das Kind eine Allergie gegenüber Erdnüssen oder Kuhmilch aufwies, spielten keine Rolle.»
Stellenwert von Glukokortikoiden Zum Schluss ging der Referent kurz auf den Stellenwert von Glukokortikoiden bei Anaphylaxie ein. In zwei systematischen Analysen konnten keine Hinweise darauf gefunden werden, dass Steroide im akuten Management einer Anaphylaxie von Nutzen sind (4, 5). Wie eine registerbasierte Untersuchung aus Deutschland jedoch zeigte, werden sie trotzdem eingesetzt (6). So erhielten 51 Prozent von über 2000 Patienten mit einer schweren Anaphylaxie in der Notfallsituation Glukokortikoide. Eigenmann fasste schliesslich zusammen: «Es ist sehr wichtig, dass Eltern und alle anderen Betreuungspersonen, zum Beispiel in der Schule, darin unterrichtet werden, wann und wie ein Adrenalin-Autoinjektor eingesetzt wird. Daneben sollten auch die Grundversorger besser im Management anaphylaktischer Reaktionen geschult werden.» O
Therese Schwender
Die Geschichten von Alexander, einem erdnussallergischen Elefanten, wollen betroffenen Kindern auf spielerische Art und Weise Wissenswertes über den Umgang mit ihren Allergien vermitteln. Mehr dazu im Kasten zu den Angeboten des Vereins.
Literatur: 1. Panesar SS et al.: The epidemiology of anaphylaxis
in Europe: a systematic review. Allergy 2013; 68: 1353–1361. 2. Dhami S et al.: Management of anaphylaxis: a systematic review. Allergy 2014; 69 (2): 168–175. 3. Järvinen KM et al.: Use of multiple doses of epinephrine in food-induced anaphylaxis in children. J Allergy Clin Immunol 2008; 122: 133–138. 4. Choo K et al.: Glucocorticoids for the treatment of anaphylaxis: Cochrane systematic review. Allergy 2010; 65: 1205–1211. 5. Choo KJ et al.: Glucocorticoids for the treatment of anaphylaxis. Cochrane Database Syst Rev 2012; 4: CD007596. 6. Grabenhenrich L et al.: Implementation of anaphylaxis management guidelines: a register-based study. PLoS One 2012; 7 (5): e35778.
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