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STUDIE REFERIERT
Antikoagulation bei Lebererkrankungen
reich (TTR = Time in Therapeutic Range) als Erfassungsinstrument für die Antikoagulationskontrolle sowie die Anzahl schwerer Blutungen.
Aufgrund des erhöhten Blutungsrisikos ist Warfarin bei chronischen Lebererkrankungen potenziell kontraindiziert. Amerikanische Wissenschaftler haben jetzt anhand der Albumin- und Kreatininserumwerte ein Vier-Punkte-System entwickelt, mit dem das Blutungsrisiko von Patienten mit Lebererkrankungen vor Beginn einer Antikoagulation stratifiziert werden kann.
CIRCULATION: CARDIOVASCULAR QUALITY AND OUTCOMES
Eine chronische Lebererkrankung stellt eine potenzielle Kontraindikation gegenüber einer Warfarinbehandlung dar. Bei fortgeschrittenen Lebererkrankungen kommt es zu einem Ungleichgewicht an Pro- und Antikoagulanzien. Synthesestörungen der Leber können Konzentrationsveränderungen der Gerinnungsfaktoren verursachen, die mit einer verlängerten Prothrombinzeit und einem verlängerten INR-(InternationalNormalized-Ratio-)Wert verbunden sind.
Merksätze
O Lebererkrankungen sind häufig mit einer unzureichenden Antikoagulationskontrolle und einem erhöhten Blutungsrisiko verbunden.
O Derzeit gibt es keine prospektiven kontrollierten Studien zur antikoagulativen Behandlung von Patienten mit Lebererkrankungen.
O Ein Vier-Punkte-System ermöglicht bei Leberpatienten vor Beginn einer Antikoagulation die Stratifizierung des Blutungsrisikos anhand der Albumin- und Kreatininserumwerte.
Zusätzlich können Thrombozytopenie, endotheliale Dysfunktion, Pfortaderhochdruck und eine verstärkte Fibrinolyse hämorrhagische Ereignisse begünstigen. Aus Studien geht zudem aber auch hervor, dass bei Patienten mit Lebererkrankungen ein erhöhtes Risiko für Thromboembolien besteht. Experten vermuten, dass der prothrombotische Status auf eine Abnahme der Thrombinhemmung und eine Resistenz gegenüber Thrombomodulin zurückzuführen ist. Aufgrund des gleichzeitig erhöhten Thrombose- und Blutungsrisikos ergibt sich ein widersprüchliches klinisches Bild. Mediziner können deshalb nur schwer abschätzen, ob Warfarin bei einem Leberpatienten mit einer erfolgreichen Antikoagulationskontrolle oder einem erhöhten Risiko für hämorrhagische Ereignisse verbunden ist. Dieses Problem stellt sich auch bei neueren Substanzen, denn Patienten mit Lebererkrankungen wurden aus Studien zu neuen Wirkstoffen ausgeschlossen. Lydia Efird von der Boston University School of Medicine (USA) und ihr Team untersuchten nun anhand einer Datenauswertung, ob es gängige Marker zur Evaluierung von Lebererkrankungen gibt, die eine Identifizierung von Patienten ermöglichen, bei denen mit einiger Wahrscheinlichkeit eine gute Antikoagulationskontrolle erreicht werden kann. Des Weiteren gingen die Forscher der Frage nach, ob dieselben Marker auch die Raten schwerer Blutungen prognostizieren. Im Rahmen ihrer Studie untersuchten die Wissenschaftler den prädiktiven Wert der Laborparameter Albumin, Aspartat-Aminotransferase (AST), Alanin-Aminotransferase (ALT), Bilirubin, Kreatinin und Cholesterin. Als Endpunkte definierten sie die prozentuale Zeit der INR im therapeutischen Be-
Ergebnisse In der Datenbank Veterans Affairs Study to Improve Anticoagulation waren 102 134 Patienten verzeichnet, die im Zeitraum von 2007 bis 2008 mindestens sechs Monate lang Warfarin (oral) erhalten hatten. Aus dieser Personengruppe identifizierten die Autoren 1763 Patienten mit chronischen Lebererkrankungen gemäss der International Classification of Diseases (ICD-9). Bei den Patienten mit Lebererkrankungen ermittelten die Wissenschaftler eine geringere TTR (53,5%) im Vergleich zu Patienten ohne Lebererkrankungen (61,7%; p < 0,001). Ausserdem kam es bei ihnen häufiger zu Blutungen im Vergleich zu lebergesunden Patienten (Hazard Ratio [HR] 2,02; p < 0,001). Ein rechnerischer Abgleich für die Antikoagulationskontrolle und andere Risikofaktoren für Blutungen wie Hypertonie, ein bereits erlittener Schlaganfall oder Substanzmissbrauch veränderte dieses Ergebnis nur geringfügig (HR 1,80; p < 0,001). Höhere Kreatinin-, AST- und Bilirubinwerte sowie niedrigere Gesamtcholesterin- und Albuminwerte waren im Vergleich zu den Normalwerten mit einer geringeren prozentualen TTR und einer höheren Anzahl hämorrhagischer Ereignisse verbunden. Nach Kombination aller potenziell prädiktiven Faktoren in einem Cox-Modell erwiesen sich die Serumalbumin- und Serumkreatininwerte bei Patienten mit Lebererkrankungen als stärkste Prädiktoren für die TTR und das Blutungsrisiko. Vier-Punkte-System Auf der Basis dieser Ergebnisse entwi- ckelten die Autoren ein Vier-Punkte- System. Die Leberpatienten erhielten einen Punkt für leicht oder zwei Punkte für stark erniedrigte Albuminwerte. Des Weiteren vergaben die Wissen- schaftler einen Punkt für leicht und zwei Punkte für stark erhöhte Kreati- ninwerte: Kreatinin 1,00–2,00 mg/dl 1 Punkt Kreatinin > 2,00 mg/dl
2 Punkte
Albumin 2,50–3,49 g/dl
1 Punkt
Albumin < 2,50 g/dl 2 Punkte 760 ARS MEDICI 14/15 I 2014 STUDIE REFERIERT Durch eine Addition beider Variablen wurde für jeden Patienten ein kombinierter Risikowert zwischen 0 und 4 Punkten ermittelt, der die Antikoagulationskontrolle (prozentuale TTR) und das Blutungsrisiko prognostizierte: O Bei Leberpatienten mit einem Wert von 0 war die TTR nur geringfügig niedriger (56,7%) als bei Patienten ohne Lebererkrankungen (61,7%). Auch wurde bei einem Score von 0 keine Zunahme an Blutungsereignissen (HR 1,16; p=0,59) beobachtet. Bei Leberpatienten mit einem normalen Albuminwert (3,5 g/dl) und normaler Nierenfunktion (Kreatinin <1,0 mg/dl) kann eine orale Antikoagulation mit Warfarin demzufolge ähnlich gut kontrolliert werden wie bei lebergesunden Personen, und es kommt auch nicht zu mehr Blutungen. O Bei Leberpatienten mit einem Punktwert von 2 war die TTR bereits mittelgradig erniedrigt (50%), und es traten auch häufiger Blutungen auf (HR = 2,92; p<0,001) als bei Patienten ohne Leberschaden. Bei Patienten mit einem Punktwert von 2 oder 3 raten die Autoren daher zu einer sorgfältigen Abwägung von Nutzen und Risiken einer Antikoagulation. O Patienten mit dem höchsten Punktwert 4 wiesen sowohl eine schlechte Antikoagulationskontrolle (TTR = 29,4%) als auch ein hohes Blutungsrisiko (HR 8,53; p < 0,001) auf. Für diese Patienten sollten nach Ansicht der Wissenschaftler Alternativen für eine Antikoagulation in Betracht gezogen werden. Diskussion Erwartungsgemäss wurden bei Patienten mit Lebererkrankungen eine schlechtere antikoagulative Kontrolle und ein erhöhtes Risiko für schwere Blutungen beobachtet. Aus der Datenanalyse geht jedoch hervor, dass diese Effekte nicht einheitlich auftreten und dass mithilfe eines einfachen VierPunkte-Systems auf der Basis von Serumalbumin und Serumkreatinin eine Risikostratifizierung der Patienten im Hinblick auf eine erfolgreiche Behandlung mit traditionellen VitaminK-Antagonisten wie Warfarin vorgenommen werden kann. Das Modell ermöglichte zum einen die Identifizierung von Patienten, die trotz einer Lebererkrankung verhältnismässig sicher antikoagulativ behandelt werden können. Zum anderen konnten Patienten mit hohem Blutungsrisiko ermittelt werden, denen eine Antikoagulation nur aus zwingenden Gründen und unter engmaschiger Überwachung angeboten werden sollte. Die Autoren weisen ausdrücklich darauf hin, dass ihr Vier-Punkte-Modell bis anhin nicht anhand anderer Daten extern validiert wurde, halten es aber dennoch für das derzeit beste verfügbare Instrument zur Entscheidungsfindung bei Leberpatienten mit einer Indikation für die Antikoagulation. O Petra Stölting Quelle: Efird LM et al.: Stratifying the risks of oral anticoagulation in patients with liver disease. Circ Cardiovasc Qual Outcomes 2014; 7: 461–467. Interessenkonflikte: Einer der zehn Autoren hat Honorare von Bayer und Bristol-Myers Squibb erhalten und war als Berater für mehrere Pharmaunternehmen tätig. Alle anderen Autoren deklarieren keine Interessenkonflikte. ARS MEDICI 14/15 I 2014 761