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FORTBILDUNG
Ambulante medikamentöse Therapie von alkoholkranken Erwachsenen
Acamprosat, Naltrexon und weitere Substanzen unterstützen die Entwöhnungstherapie
Alkoholkranke sollten ebenso wie andere chronisch kranke Patienten eine angemessene Behandlung erhalten. Im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzepts können verschiedene Medikamente zur Aufrechterhaltung der Abstinenz oder zur Reduktion des Alkoholkonsums beitragen.
JOURNAL OF THE AMERICAN MEDICAL ASSOCIATION
Alkoholismus ist eine komplexe, weitverbreitete chronische Erkrankung, die zahlreiche Probleme nach sich zieht und mit erheblicher Morbidität und Mortalität behaftet ist. Die Therapie der Alkoholkrankheit ist schwierig, sie kann jedoch medikamentös unterstützt werden. Die Pharmakotherapie der Alkoholkrankheit begann in den 1950er-Jahren. Damals stand lediglich Disulfiram (Antabus®) zur Verfügung. In den 1990er-Jahren erfolgte die Zulassung von Naltrexon (orale und intramuskuläre Applikationsformen) sowie von Acamprosat durch die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA). Weniger als ein Drittel der alkoholkranken Patienten erhält eine Therapie, und nur ein geringer Prozentsatz (< 10%) bekommt Medikamente, um die Reduktion des Alkoholkonsums zu unterstützen. Eine kürzlich publizierte systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse untersuchte Nutzen und Risiken von Medikamenten, die zur Behandlung alkoholkranker Erwachsener eingesetzt werden. Im Folgenden sollen die wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit vorgestellt werden.
Merksätze
O Im vorliegenden Review waren Acamprosat und orales Naltrexon (50 mg/Tag) in der Therapie alkoholkranker Erwachsener mit einer verminderten Rückfallrate assoziiert.
O Für diese beiden Substanzen besteht die beste Evidenzlage hinsichtlich der Verbesserung der Alkoholkonsumergebnisse.
O Patienten mit unkomplizierter Alkoholkrankheit können in der Hausarztpraxis betreut werden.
Methoden Im Rahmen einer umfangreichen Literaturrecherche suchten die Autoren nach randomisierten klinischen Studien (RCT) mit mindestens zwölfwöchiger Dauer sowie nach prospektiven Head-to-Head-Kohortenstudien, in denen über Nutzen und Risiken einer Pharmakotherapie der Alkoholkrankheit berichtet wurde. Die Autoren identifizierten 122 RCT und 1 Kohortenstudie mit insgesamt 22 803 Teilnehmern. An den meisten Studien nahmen Patienten teil, die eine Entgiftungstherapie hinter sich hatten. Im Allgemeinen erfolgte in den Studien ausser der medikamentösen Behandlung auch eine psychosoziale Therapie. Die meisten Studien untersuchten Acamprosat (27 Studien, n = 7519), Naltrexon (53 Studien, n = 9140) oder beide Substanzen. 4 Studien wurden mit Disulfiram durchgeführt. Darüber hinaus analysierten die Autoren einige Studien, wo Off-Label-Medikamente wie Nalmefen oder Topiramat getestet wurden.
Ergebnisse Unter Acamprosat und Naltrexon wurde eine Besserung des Alkoholkonsums beobachtet. Um bei einer Person eine komplette Alkoholabstinenz zu erreichen, lag die NNT (number needed to treat) für Acamprosat bei 12, für orales Naltrexon bei 20. Um eine Person von schwerem Alkoholkonsum abzuhalten, war für orales Naltrexon (50 mg/Tag) eine NNT von 12 erforderlich. Metaanalysen von Studien, wo Acamprosat mit Naltrexon verglichen wurde, ergaben keinen statistisch signifikanten Unterschied hinsichtlich der Parameter «Wiederaufnahme jeglichen Trinkens» und «erneuter schwerer Alkoholkonsum». Auch für einige Off-Label-Medikamente konnten die Autoren einen gewissen Effekt nachweisen. So scheint Nalmefen die Anzahl der Tage mit schwerem Alkoholkonsum und auch die Anzahl der durchschnittlich konsumierten Drinks reduzieren zu können (moderate Evidenz); Ähnliches gilt für Topiramat. Was das Auftreten unerwünschter Wirkungen anbelangt, konnten die Autoren folgende NNH (number needed to harm) ermitteln: 48 für Naltroxen, 12 für Nalmefen. Von 48 mit Naltroxen behandelten Patienten musste 1 Patient aufgrund von Nebenwirkungen die Teilnahme an der Studie abbrechen, ebenso 1 von 12 Patienten, die mit Nalmefen therapiert wurden. Bei Acamprosat und Topiramat konnte kein signifikant erhöhtes Risiko festgestellt werden.
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ARS MEDICI 14/15 I 2014
FORTBILDUNG
Patientenzentrierte Betreuung von Alkoholkranken
Alkoholkranke Patienten erhalten bis heute eine deutlich schlechtere
Betreuung als andere Patienten mit chronischen Erkrankungen, heisst es
in einem begleitenden Editorial zur aktuellen Übersichtsarbeit. Eine pati-
entenzentrierte Betreuung und eine von Patient und Arzt gemeinsam ge-
troffene Therapieentscheidung (shared decision making) sind für eine
qualitativ hochwertige Therapie von psychiatrischen und Suchterkran-
kungen essenziell.
Es gibt verschiedene Methoden der Verhaltenstherapie, die bei Alkohol-
krankheit wirksam sind. Hinzu kommen die vier Medikamente Naltrexom,
Acamprosat, Topiramat und Nalmefen, die sich in der Behandlung alko-
holkranker Patienten als wirksam erwiesen haben. Zukünftige Studien
müssen klären, wie wirksam Medikamente bei Alkoholkranken sind,
die zwar ihre Trinkmenge reduzieren möchten, aber keine Abstinenz an-
streben, oder die bereit sind, ein Medikament einzunehmen, aber keine
aufwendige Verhaltenstherapie absolvieren wollen.
Patienten mit unkomplizierter Alkoholkrankheit können in der Hausarzt-
praxis versorgt werden, während Patienten mit komplexeren Alkoholis-
musformen in speziellen Einrichtungen betreut werden sollten. Die
dargestellte Übersichtsarbeit zur medikamentösen Behandlung der
Alkoholkrankheit sollte eine Motivation für Patienten und Ärzte sein, eine
gemeinsame Therapieentscheidung zu treffen, schreiben die Editoria-
listen. Alkoholkranken Patienten sollten Medikamente und evidenz-
basierte Verhaltenstherapien angeboten werden, und sie sollten zur
Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe motiviert werden, was den Hei-
lungsverlauf unterstützen kann.
O
Quelle: Bradley KA et al.: Bringing patient-centered care to patients with alcohol use disorders. JAMA 2014; 311(18): 1861–1862.
Interessenkonflikt: Dr. Bradley hat Stipendien beim National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism beantragt, und sie besitzt Aktien verschiedener Pharmaunternehmen.
Bei der Wahl des geeigneten Medikaments sollten Ärzte ver-
schiedene Aspekte wie Wirksamkeit, Einnahmefrequenz,
mögliche Nebenwirkungen sowie Kosten berücksichtigen.
Acamprosat muss dreimal täglich eingenommen werden,
orales Naltrexon dagegen nur einmal täglich. Acamprosat
ist bei schwerer Nierenfunktionsstörung kontraindiziert,
Naltrexon darf bei akuter Hepatitis, Leberversagen, gleich-
zeitigem Opioidkonsum oder absehbarer Notwendigkeit
einer Opioidtherapie nicht angewandt werden.
Da Dilsufiram schon seit vielen Jahren verfügbar ist, sind
manche Ärzte mit dem Einsatz dieser Substanz besser ver-
traut als mit Naltrexon oder Acamprosat. Allerdings ergaben
qualitativ hochwertige kontrollierte Studien mit Disulfiram
keine generelle Reduktion des Alkoholkonsums. Eine Sub-
gruppenanalyse der grössten Disulfiramstudie zeigte jedoch,
dass Patienten, die erneut Alkohol konsumierten, weniger
Trinktage aufwiesen. Das lässt vermuten, dass Disulfiram für
manche Alkoholkranke von Nutzen ist. Die Autoren weisen
darauf hin, dass in den Disulfiramstudien das Medikament
nie unter Supervision eingenommen wurde. Möglicherweise
führt Disulfiram zu besseren Ergebnissen, wenn es in Thera-
pieprogrammen mit Supervision eingesetzt wird.
Medikamente zur Behandlung alkoholkranker Patienten
werden nach Ansicht der Autoren derzeit zu selten verwen-
det, gerade auch in Hausarztpraxen. Das mag verschiedene
Gründe haben wie mangelnde Erfahrung mit diesen Substan-
zen, geringes Vertrauen in ihre Wirksamkeit oder Fehlen
einer begleitenden psychosozialen Therapie. Bisher haben
Hausärzte alkoholkranke Patienten oft zu einer speziellen
Behandlung an Fachärzte überwiesen. Doch ein Teil der
Patienten hat keinen Zugang zu diesen speziellen Therapie-
programmen oder ist nicht gewillt, daran teilzunehmen.
Wenn Hausärzte eine Behandlung anbieten würden, könnte
das die Morbidität vieler Alkoholkranker senken, vermuten
da Studienautoren.
O
Andrea Wülker
Diskussion Die Ergebnisse einer Alkoholentwöhnung können verbessert werden, wenn zusätzlich zu psychosozialen Interventionen bestimmte Medikamente verabreicht werden. Am besten ist der Nutzen von Acamprosat und oralem Naltrexon (50 mg/ Tag) belegt. Studien, in denen diese beiden Substanzen verglichen wurden, konnten keinen Unterschied der Behandlungsergebnisse aufzeigen.
Quelle: Jonas DE et al.: Pharmacotherapy for adults with alcohol use disorders in outpatient settings. JAMA 2014; 311(18): 1889–1900.
Interessenlage: Es wurden keine Interessenkonflikte deklariert.
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