Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Orthopädie
6000 Schritte pro Tag gegen funktionelle Einschränkungen bei Kniegelenksarthrose
Bewegung wird empfohlen, um die mit einer Kniegelenksarthrose einhergehenden funktionellen Einschränkungen zu mindern. Wie eine kürzlich publizierte Studie zeigt, könnte bereits einfaches Spazierengehen dafür ausreichen. In einer Kohortenstudie mit 1788 Probanden an verschiedenen US-amerikanischen Orthopädiezentren wurde eine Woche lang die Anzahl der Schritte pro Tag gezählt. Die Teilnehmer der Studie hatten entweder radiologisch bestätigte Kniegelenksarthrose, Arthrosesymptome oder ein hohes Risiko, eine Kniegelenksarthrose zu entwickeln. Das Durchschnittsalter lag bei 67 Jahren,
der mittlere BMI betrug 31. In den folgen-
den zwei Jahren wurde die Inzidenz funk-
tioneller Einschränkungen erfasst (Gehge-
schwindigkeit unter 1 m/sec; funktioneller
WOMAC-Score unter 28 von 68 Punkten).
Je mehr Schritte gezählt wurden, umso ge-
ringer war das Risiko für das Eintreten
(weiterer) funktioneller Einschränkungen
in den folgenden zwei Jahren. Die Beobach-
tung, dass das Risiko statistisch betrachtet
pro 1000 Schritte täglich um zirka 16 bis
18 Prozent sank, ist zwar kein Beweis für
eine Ursache-Wirkungs-Beziehung, bietet
sich jedoch als Argumentationshilfe an,
wenn es darum geht, die Patienten zu mehr
Bewegung zu motivieren. Um einen guten
Effekt zu erzielen, sollten es mindestens
6000 Schritte pro Tag sein, empfehlen die
Studienautoren.
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White KD et al.: Daily walking and the risk of incident functional limitation in knee OA: An observational study. Arthritis Care and Research 2014; published online: June 12, 2014.
Infektiologie
Virologen für umstrittene Grippemittel
Seit im April eine neue Übersichtsstudie der Cochrane Collaboration zu den Grippemitteln Oseltamivir (Tamiflu®) und Zanimivir (Relenza®) erschien, sind die Zweifel an deren Nutzen gewachsen (siehe ARS MEDICI 8/2014, Seite 406). Nicht zuletzt wegen fehlender Alternativen spricht sich die Gesellschaft für Virologie (GfV), die Deutsche Vereinigung zur Bekämpfung der
Viruskrankheiten (DVV) und die Paul Ehrlich Gesellschaft für Chemotherapie (PEG) nun trotzdem für die beiden Medikamente aus. Zudem kritisieren die Virologen, dass in der Analyse der Cochrane Collaboration nur randomisierte, kontrollierte Studien mit überwiegend ansonsten gesunden Personen berücksichtigt wurden. In einer von
Cochrane nicht mitgezählten Beobachtungsstudie mit mehr als 29 000 Patienten habe man aber gesehen, dass eine frühe Behandlung mit Oseltamivir schwere Folgeerkrankungen und die Sterblichkeit statistisch signifikant minderte. Letztlich könne auf den Einsatz von Oseltamivir und Zanamivir erst verzichtet werden, wenn neue, wirkungsvollere Medikamente zur Verfügung stünden, heisst es in einer Pressemitteilung der GfV. RBOO
Pressemitteilung der GfV vom 25. Juni 2014.
Gastroenterologie
Magenkrebsrisiko und Helicobacter-Eradikation
Seit man den Magenkeim Helicobacter relativ einfach beseitigen kann, stellt man sich die Frage, ob man das auch bei gesunden, asymptomatischen Trägern tun sollte, um so möglicherweise das Magenkrebsrisiko zu senken. Die Resultate einer kürzlich im «British Medical Journal» publizierten Metaanalyse unterstreichen einmal mehr, dass letztlich das Ausgangsrisiko einer bestimmten Bevölkerung in einer bestimmten Region
die Antwort auf Fragen dieser Art bestimmt. Die Autoren berücksichtigten 6 Studien mit insgesamt 6497 Probanden. Im Beobachtungszeitraum von rund 5 Jahren erkrankten von den 3294 Personen mit Eradikation 51 an Magenkrebs (1,6%), bei den 3203 Kontrollpersonen waren es 76 Fälle (2,4%). Es bestehen jedoch grosse Unterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Unter der Voraussetzung, dass der Nutzen einer HelicobacterEradikation lebenslang anhalten würde, beträgt die «number needed to treat» bei
Chinesen nur 15, während sie bei US-amerikanischen Frauen 245 beträgt. Die Autoren der Metaanalyse kommen zu dem Schluss, dass eine Evidenz mittlerer Qualität dafür spreche, dass asymptomatische Asiaten von einer Helicobacter-Eradikation profitieren könnten, man das aber nicht zwingend auch für andere Bevölkerungsgruppen annehmen dürfe. RBOO
Ford AC et al.: Helicobacter pylori eradication therapy to prevent gastric cancer in healthy asymptomatic infected individuals: systematic review and meta-analysis of randomised controlled trials. BMJ 2014; 348: g3174.
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ARS MEDICI 13 I 2014
Pädiatrie
Neues Forschungszentrum für pädiatrische Pharmakologie
Das Schweizerische Tropen- und PublicHealth-Institut (Swiss TPH) feiert dieses Jahr sein 70-jähriges Bestehen. Aus dem von Rudolf Geigy im Mai 1944 gegründeten «Tropeli» ist heute ein Wissenschaftsbetrieb mit globaler Ausstrahlung geworden. Derzeit arbeiten über 700 Mitarbeiter für das Swiss TPH in mehr als 20 Ländern. Alleine in Basel sind rund um die Socinstrasse gegen 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie rund 120 Studierende tätig. Neben den globalen Bedrohungen wie Malaria und Tuberkulose werden am Swiss TPH auch die sogenannten «vernachlässigten Krankheiten», ihre auslösenden Parasiten und entsprechende Behandlungsstrategien erforscht. Dazu gehören zum Beispiel die Schlafkrankheit, die Bilharziose oder die Leishmaniose. Das Swiss TPH ist dabei nicht
nur forschend tätig, sondern auch als Partner
in Umsetzungs- und Entwicklungszusam-
menarbeitsprojekten in Afrika, Osteuropa
und Zentralasien. In Basel ist das Swiss TPH
insbesondere für seine reisemedizinische Be-
ratung und als nationales Referenzzentrum
für parasitäre Erkrankungen bekannt. Seit der
Integration des Instituts für Sozial- und Prä-
ventivmedizin im Jahr 2009 sind weitere For-
schungsgebiete hinzugekommen. So befasst
man sich auch mit nicht übertragbaren Er-
krankungen wie Bluthochdruck, Folgen der
Luftverschmutzung oder Diabetes sowie
deren Konsequenzen für die Bevölkerungen
und die Gesundheitssysteme in der Schweiz,
Europa und Übersee.
RBOO
Pressemitteilung des UKBB vom 25. Juni 2014.
Gastroenterologie
Neue Leitlinien zur Divertikelkrankheit
Die deutschen Fachgesellschaften für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) sowie für Allgemeinund Viszeralchirurgie (DGAV) haben eine neue Leitlinie zur Divertikelkrankheit/Divertikulitis publiziert. Man schätzt, dass zirka 30 bis 45 Prozent der Erwachsenen Divertikel der Darmwand aufweisen; bei den über 70-Jährigen sind es mehr als 60 Prozent. Bei jedem dritten bis vierten Betroffenen können im Verlauf Beschwerden auftreten. Um den zum Teil schweren Komplikationen einer Divertikulitis vorzubeugen, raten die Experten in ihrer neuen Leitlinie zu einer ballaststoffreichen Ernährung. Zudem sollten Ärzte bei Unterbauchschmerzen auch an eine Divertikelentzündung denken. Starke Schmerzen im Unterbauch, vor allem auf der linken Seite, könnten möglicherweise auf eine Divertikulitis hinweisen. Ein Verdacht auf diese Erkrankung ist auch bei Patienten unter 40 Jahren gegeben, die seit einigen Jahren immer häufiger erkranken. Neben den Schmerzen leiden Betroffene unter anderem an Blähungen, Durchfall oder Verstopfung
und oft auch an Fieber. Blutbild, Ultraschall
und gegebenfalls eine Computertomografie
können hier Klarheit bringen.
Bei schweren Entzündungen mit Abszessen
empfehlen die Autoren der Leitlinie eine Anti-
biotikatherapie und gegebenenfalls einen chi-
rurgischen Eingriff. Ziel der Leitlinien ist es
aber auch, eine Übertherapie zu verhindern.
So raten die Experten bei einer unkompliziert
verlaufenden Divertikulitis nur in Ausnahme-
fällen zur Antibiotikagabe. Normalerweise
stehen die Chancen gut, dass eine leichte Ent-
zündung von alleine ausheilt. Auch bei der
Operation einer wiederkehrenden Divertikuli-
tis empfehlen die Experten heute mehr Zu-
rückhaltung. Während man früher oft gleich
nach dem zweiten Schub operierte, empfiehlt
man heute den Eingriff nur noch nach einer
individuellen Abwägung der Chancen und
Risiken.
RBO/DGSVO
Leitlinie zum Download: www.dgvs.de/leitlinien/divertikelkrankheit/
RÜCKSPIEGEL
Vor 10 Jahren
Statine gegen MS
Nach erfolgreichen Tierversuchen an Mäusen setzen einige Neurologen neue Hoffnung in Statine als Mittel gegen Multiple Sklerose. Eine ganze Reihe klinischer Studien wird gestartet. Die zugrunde liegende Idee ist, dass die pleiotropen, unter anderem antientzündlichen Effekte der Statine als Monotherapie oder in Kombination mit Interferon-beta das Voranschreiten einer MS hemmen könnten. Die Ergebnisse der Studien sind jedoch widersprüchlich und klinisch nicht relevant. Völlig aufgegeben hat man die Hoffnung offenbar noch nicht. So schreiben die Autoren einer 2014 publizierten Übersichtsarbeit, dass es zu Statinen bei MS noch weitere Studien brauche.
Vor 50 Jahren
Pillendiskussion
Die Würdenträger der katholischen Kirche diskutieren über die Antibabypille. Papst Paul
VI. erweitert die bereits seit einem Jahr bestehende Kommission und lässt die Welt im Juni 1964 wissen, dass er dem Kirchenvolk schon bald seinen Beschluss mitteilen wird. Es dauert noch vier Jahre, bis er 1968 in der Enzyklika «Humanae vitae» Klartext spricht und künstliche Methoden der Geburtenkontrolle verdammt, was ihm nicht nur Zustimmung und Kritik, sondern auch den Spitznamen «Pillen-Paul» einträgt (Foto: Wikipedia).
Vor 100 Jahren
Pellagra nicht ansteckend
Der Bakteriologe Joseph Goldberger (1874– 1929) publiziert seine auf Experimenten
beruhende neue Erkenntnis, dass Pellagra keine infektiöse Erkrankung ist, sondern dass sie auf Mangelernährung beruht. Er fand heraus, dass Pellagra durch eine eiweissarme, einseitige Maisdiät hervorgerufen und durch Fleischzusatz geheilt werden kann. Ausserdem bewies er mit einem heroischen Selbstversuch, dass Pellagra keineswegs ansteckend ist: Er injiziierte sich Ausscheidungen von Pellagrakranken und blieb gesund. Goldberger wurde für seine Entdeckung fünfmal für den Nobelpreis nominiert, bekommen hat er ihn aber nie (Foto: Wikipedia).
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