Transkript
FORTBILDUNG
Elastisches Taping
Gut für Muskeln und Bänder
Die Behandlung mit elastischen Tapeverbänden ist nicht neu: Bereits 1970 praktizierte der japanische Arzt und Chirotherapeut Kenzo Kase ein differenziertes System zur Behandlung im Bereich von Muskeln und Bändern. Das in diesem Beitrag präsentierte «elastische Taping» stellt eine Weiterentwicklung und Vereinfachung der Methode dar. Vermittelt werden die Prinzipien, aus deren Kenntnis heraus der Behandler sich eigene Anwendungen erschliessen kann.
WILLEM EVERMANN
Die Wirksamkeit der Tapes begründet sich in reflektorischen Reaktionen zwischen Hautnerven und der Muskulatur (sog. kutiviszerale Reflexe). Hierbei führt ein Reiz zu einer nervalen Erregung, die im Rückenmark die Aktivität von motorischen und schmerzleitenden Nerven hemmt. Beim Taping werden elastische, klebende und maximal gedehnte Baumwollstreifen auf ein vorgedehntes Hautareal aufgeklebt. Bei jeder Bewegung wird das Tape nun auseinandergezogen und zieht sich bei Entspannung wieder wie ein Gummiband zusammen. Da die Haut durch den starken Kleber festgehalten wird, verschiebt sich so bei jeder Bewegung die obere Haut gegen die tiefer gelegene Faszie. Dadurch werden Hautrezeptoren erregt, die Erregung wird zum Rückenmark geleitet und dort, wie beschrieben, verschaltet. Bei Erwachsenen wird genau dieses therapeutische Prinzip seit 1926 angewendet: Die Krankengymnastin Elisabeth Dicke (1884–1952) entwickelte die Bindegewebsmassage zur Behandlung unter anderem von Schmerzen. Dabei wirken tangentiale Kräfte auf die Haut und das subkutane Gewebe – eben wie beim elastischen Taping. Der Unterschied zum Taping liegt in der Intensität: Während die Bindegewebsmassage vom Patienten als schneidendes Gefühl wahrgenommen und zum Teil als unangenehm empfunden wird, wirkt das Taping wesentlich
schwächer, aber eben stetig, bei jeder Bewegung, 24 Stunden täglich!
Material Für das elastische Taping werden die typischen Tapestreifen benötigt. Es gibt verschiedene Anbieter – häufig werden sie unter dem Namen «Kinesiotape» gehandelt. Klassischerweise ist der Tapestreifen 5 cm breit und wird auf Rollen von 5 m Lauflänge geliefert. Bei genauerer Betrachtung der Rückseite fällt auf, dass der Kleber nicht flächig aufgebracht ist, sondern wellenförmig, mit kleberfreien Anteilen. Dadurch wird zum einen die Atmungsaktivität sichergestellt, zum anderen ist die Verwendung hautschonender als bei vollflächig aufgebrachtem Kleber. Der eigentliche Kleber ist ein Acrylkleber, der mit der Haut eine sehr feste Verbindung eingeht. Gleichzeitig wird er auch gerade von hautempfindlichen Personen gut vertragen. Das Tape selbst besteht im Wesentlichen aus Baumwolle (je nach Hersteller 95–97%) mit einem kleinen Anteil elastischer Fasern (3–5% Spandex). Dadurch ergibt sich die Dehnfähigkeit: Ein abgeschnittener Streifen wird durch Auseinanderziehen nochmals um etwa ein Drittel länger. Das muss beim Zuschnitt beachtet werden! Wie bereits erwähnt, ist die Verbindung zwischen Kleber und Haut sehr fest und haltbar. Nach Aufkleben dauert es etwa 30 Minuten, bis die Endfestigkeit der Verbindung erreicht wird. Meistens verliert sich die Klebekraft nach fünf bis acht Tagen, und das Tape fällt von alleine ab. Während dieser Zeit ist die Tapeanlage «duschfest», auch Schwitzen beim Sport führt nur selten zur vorzeitigen Ablösung. Soll das Tape vorher entfernt werden, gelingt das nur ohne Schaden, wenn es dick mit fetthaltiger Creme oder Bodylotion eingerieben wird. Der Kleber löst sich dann nach zehn Minuten von der Haut, und das Tape kann einfach abgezogen werden. Die hier vorgestellte Methode besticht durch ihre Einfachheit und ist auch von medizinischem Assistenzpersonal problemlos erlern- und anwendbar. Damit lässt sie sich gut in die hausärztliche Sprechstunde integrieren. Bei Patienten ist die Methode bekannt und geschätzt, und nach ihr wird zunehmend gefragt.
Merksatz
O Die Methode ist einfach und kann auch von medizinischem Assistenzpersonal angewendet werden.
Anwendung am Beispiel von Dorsalgien Rückenschmerzen sind ein häufiges Krankheitsbild. Meist handelt es sich um ein unkompliziertes Geschehen, wenn sonst keine weiteren Krankheiten vorliegen. Rückenschmerzen, die kürzer als sechs Wochen bestehen, werden als akut bezeichnet. Bestehen die Beschwerden länger, ist eine weitere Diagnostik zur Ursachenfindung gemäss Leitlinie notwendig.
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ARS MEDICI 13 I 2014
Zusammenfassung:
O Rückenstrecker, beidseits der Wirbelsäule O Faserverlauf von oben nach unten O Vordehnung: «Katzenbuckel» oder «Kopf
zwischen die Knie» O Tape abmessen und zuschneiden O Ecken runden O Maximal dehnen und kleben O Anfang und Ende locker aufkleben
Fotos: Evermann
Zumeist sind die grossen Muskelpartien links und rechts
paravertebral betroffen. Es handelt sich dabei um die
Zusammenfassung von vielen kleinen Muskeln, die alle
einheitlich in Kopf-Fuss-Richtung verlaufen und den Ant-
agonisten zur Bauchmuskulatur darstellen. Die Verlaufsrich-
tung ist vom Kopf aus in Richtung Füsse.
Zur Behandlung muss nun zunächst dieser Bereich vorge-
dehnt werden. Hierzu wird der Patient aufgefordert, den
Kopf im Sitzen zwischen die Beine zu stecken. Dann werden
zwei Streifen zugeschnitten, sie sollen vom Haaransatz bis
zum Lendenbereich reichen (natürlich im später gedehnten
Zustand – beim Zuschnitt einkalkulieren!). Das obere und
untere Ende (ca. 3–5 cm) werden locker und spannungsfrei
verklebt, der Teil dazwischen in maximaler Dehnung. Dazu
wird das obere Ende auf Höhe C7 paravertebral spannungs-
frei aufgeklebt und festgestrichen. Während eine Hand diesen
Bereich noch festdrückt, hält die andere Hand das untere
Tape-Ende und zieht dieses in den maximalen Dehnungs-
zustand. Jetzt erst wird das Tape auf die Haut aufgelegt
und gehalten, während die obere Hand die Tapeanlage fest-
streicht – von oben nach unten. Die letzten 3 bis 5 cm wer-
den wieder spannungsfrei aufgeklebt.
O
Dr. med. Willem Evermann Facharzt für Allgemeinmedizin D-24149 Kiel
Interessenkonflikte: keine deklariert
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 4/2014. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.