Transkript
BERICHT
«Der Blutdruck ist immer in Zusammenhang mit klinischem Risiko und Organschäden zu sehen»
12. Zürcher Review-Kurs in Klinischer Kardiologie «Arterial hypertension: what is new?», Zürich, 3. April 2014
Mit der neuesten Ausgabe der Hypertonie-Guidelines der European Society of Hypertension (ESH) und der European Society of Cardiolgy (ESC) sind einige Akzente neu gesetzt worden, die für die alltägliche Praxis bedeutsam sind, wie Professor Barry L. Karon, Mayo Clinic, Rochester, erklärte.
toniestadien anhand der in der Arztpraxis gemessenen BD-Werte. «Der Blutdruck ist immer in Zusammenhang mit klinischem Risiko und Organschäden zu sehen», betonte Karon. Besonderes Augenmerk erfährt die Wechselwirkung zwischen Hypertonie und kardiovaskulärem Gesamtrisiko. Dies weil nur ein kleiner Prozentsatz der Hypertonikerinnen und Hypertoniker eine alleinige BD-Erhöhung aufweist und weil Hypertonie und andere kadiovaskuläre Risikofaktoren einander potenzieren können. Dies muss auch Auswirkungen auf die Therapie haben, die sich für Individuen mit niedrigem und hohem Risiko unterscheidet.
HALID BAS
Die 2013 ESH/ESC-Guidelines zum Management der arteriellen Hypertonie umfassen 60 Druckseiten, 28 Tabellen und grafische Kapitelzusammenfassungen sowie 735 Referenzen, sind also sehr umfangreich. Dabei ist einiges revidiert worden, andere Punkte blieben hingegen unverändert. So beispielsweise die Definitionen und Klassifikationen der Blutdruckwerte und Hyper-
Was wirklich zählt, ist der Blutdruck ausserhalb der Arztpraxis Inzwischen belegen viele Studien, dass die Heim-BD-Messung durch die Patienten und die ambulante BD-Messung besser mit dem Risiko für Endorganschäden korrelieren und die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität besser vorhersagen. Heim- und ambulante BD-Messung korrelieren zudem miteinander hinsichtlich Organschäden und Outcome-Prognose.
Kasten:
Hypertoniedefinitionen anhand von in der Praxis oder ausserhalb gemessenen Blutdruckwerten
Kategorie
Blutdruck in der Arztpraxis
ambulanter Blutdruck tagsüber (oder wach) nachts (oder schlafend) 24-Stunden-Blutdruck
Heimblutdruck
systolisch (mmHg)
≥ 140
und/oder
≥ 135 ≥ 120 ≥ 130
≥ 135
und/oder und/oder und/oder
und/oder
diastolisch (mmHg) ≥ 90
≥ 85 ≥ 70 ≥ 80
≥ 85
Die Hypertoniedefinitionen unterscheiden sich je nach Messort und Art der Messung (Kasten). Wiederholt erhöhte BD-Werte während Praxisbesuchen, aber normale BD-Werte in der ambulanten oder Heim-BDMessung (Weisskittelhypertonie) gehen nach einigen Studien mit einem intermediären kardiovaskulären Risiko einher, Metaanalysen fanden aber dasselbe Risiko wie für Normotensive, wenn Alter, Geschlecht und andere Kovariablen berücksichtigt wurden. «Solche Patienten muss man eng überwachen», so Karon. Die maskierte Hypertonie hingegen hat ein der durchgehend etablierten Hypertonie ähnliches Risiko, ist häufig (13% in bevölkerungsbasierten Studien) und wahrscheinlicher, wenn die in der Praxis gemessenen BD-Werte hoch normal ausfallen.
Aktiv nach Organschäden suchen Beim Erkennen einer arteriellen Hypertonie soll aktiv nach asymptomatischen Endorganschäden gesucht werden. Am Herz kommen EKG und Echokardiogramm zum Einsatz, den Zustand der Gefässe erfassen Karotisauskultation, Pulswellengeschwindigkeit sowie der Knöchel-Arm-Index. Die ESC-Guidelines empfehlen ausdrücklich die Bestimmung des SerumKreatinins und eine Schätzung der glomerulären Filtrationsrate nach einer der gängigen Formeln sowie die Suche nach einer Mikroalbuminurie. Eine medikamentöse BD-Senkung kann das Kreatinin um bis zu 20 Prozent ansteigen lassen, vor allem mit Blockern des Renin-Angiotensin-Systems (RAS). Eine Hyperurikämie bei unbehandelter Hypertonie korreliert mit einer reduzierten Nierendurchblutung und Nephrosklerose. Jede Nierenabnormität ist ein potenter Prädiktor für zukünftige kardiovaskuläre Ereignisse.
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Take-Home-Messages
O Die Evaluation des Blutdrucks muss immer im Kontext des klinischen Risikos und von Organschäden geschehen.
O Die Überwachung der Blutdruckwerte sollte nicht nur in der Arztpraxis erfolgen, um maskierte Hypertonie nicht zu übersehen.
O Die Therapie der Hypertonie stützt sich zunächst auf Lifestyle-Modifikationen.
O Die medikamentöse BD-Senkung kann auch von Beginn weg mit einer Zweierkombination erfolgen.
O Die Auswahl der Medikamente soll sich auf den individuellen Patienten stützen, nicht auf Guidelines.
O Die einzige Antihypertensivakombination, die nicht empfohlen werden kann, ist diejenige zweier Blocker des Renin-AngiotensinSystems (RAS).
Bei Hypertonikern mit kognitiver Einbusse kann ein Hirn-MRI oder -CT in Betracht kommen, um stumme Hirninfarkte, lakunäre Infarkte, Mikrobleeds und Läsionen der weissen Substanz zu erfassen.
Blutdruckziele an die Begleiterkrankungen und das Alter anpassen Die ESH/ESC-Guidelines stützen ihre Empfehlungen zu den BD-Zielen auf gute Daten ab. Dies gilt für ein systolisches BD-Ziel < 140 mmHg für alle Hypertoniker mit niedrigem bis moderatem kardiovaskulärem Risiko (Evidenzlevel B) und mit gleichzeitigem Dia-
Bei älteren Patienten unter 80 Jahren mit systolischem BD >160 mmHg soll dieser Wert auf zwischen 150 und 140 mmHg eingestellt werden (Evidenzlevel A). Bei fitten älteren Patienten unter 80 Jahren kommt aber auch eine BD-Senkung < 140 mmHg in Betracht, während die BD-Senkung bei gebrechlichen Hypertonikern der individuellen Verträglichkeit angepasst werden soll (Evidenzlevel C). Auch bei über Achtzigjährigen wird ein BD-Ziel zwischen 150 und 140 mmHg empfohlen, wenn sie in guter körperlicher und mentaler Verfassung sind (Evidenzlevel B). Beim diastolischen Blutdruck werden generell Ziele <90 mmHg, bei Diabetes <85 mmHg, empfohlen, unter Hinweis auf die gute Veträglichkeit auch im Bereich 80–85 mmHg (Evidenzlevel A).
Medikamentöse antihypertensive Therapie nach Mass Unverändert stützt sich die pharmakologische Therapie auf 5 Antihypertensivaklassen (Betablocker, Diuretika, Kalziumantagonisten sowie RAS-Blocker wie ACE-Hemmer, Angiotensinrezeptorblocker [ARB] und Renininhibitoren). Metaanalysen zeigen keine klinisch relevanten Differenzen zwischen diesen Medikamentenklassen, sagte Karon. Unterschiede bei der Auswahl sollten nicht aufgrund von Alter oder Geschlecht erfolgen, ausser Vorsichtsmassnahmen bei RAS-Blockern für Frauen im gebärfähigen Alter. Bei Nierenerkrankungen, Diabetes, metabolischem Syndrom werden eher ACE-Hemmer oder ARB berücksichtigt, bei älteren Patienten hingegen eher gemieden.
«Bei Patienten mit resistenter Hypertonie soll das Hinzufügen von Wirkstoffen das Ergebnis berücksichtigen, das heisst, dass jede offensichtlich nicht oder nur minimal effektive Komponente ersetzt und nicht im automatischen Step-up beibehalten wird.»
resistente Hypertonie liegt definitions-
gemäss vor, wenn die BD-Senkung trotz
Lifestyle-Modifikation plus Diureti-
kum plus 2 weitere Antihypertensiva
aus verschiedenen Klassen nicht er-
reicht wird. Wichtig sind die Unterschei-
dung von einer vermeintlichen Thera-
pieresistenz, etwa bei Nichtadhärenz,
und die Berücksichtigung weiterer Fak-
toren wie Schlafapnoesyndrom, sekun-
däre Hypertonieformen oder irreversible,
vor allem renale Organschädigungen.
Bei Patienten mit therapieresistenter
Hypertonie sollte das Hinzufügen von
Antihypertensiva immer deren Wirkungs-
ergebnis berücksichtigen, das heisst,
dass jede offensichtlich nicht oder nur
minimal effektive Komponente durch
ein anderes Medikament ersetzt und
nicht im automatischen Step-up bei-
behalten wird. In ausgewählten Fällen
kann noch der Alphablocker Doxa-
zosin versucht werden.
Bei gebrechlichen alten Patienten emp-
fehlen die Guidelines eindeutig, Ent-
scheidungen zur antihypertensiven The-
rapie dem behandelnden Arzt auf Basis
der Überwachung der klinischen Be-
handlungswirkung zu überlassen (Evi-
denzlevel C). Auch beim Erreichen von
Alter 80 kommt die Fortsetzung einer
gut vertragenen antihypertensiven
Therapie in Betracht (Evidenzlevel C).
Bei alten Hypertonikern werden alle
Antihypertensiva empfohlen, obwohl
bei isolierter systolischer Hypertonie
Diuretika und Kalziumantagonisten
wohl zu bevorzugen seien.
Antihypertensiva können und sollen bei
Bedarf kombiniert werden, die einzige
Kombination, die auf Basis von Studi-
energebnissen nicht empfohlen werden
kann, ist diejenige zweier verschiedener
RAS-Blocker, schloss Karon.
O
Halid Bas
The Task Force for the management of arterial hypertension of the European Society of Hypertension (ESH) and of the European Society of Cardiology (ESC): 2013 ESH/ESC Guidelines for the management of arterial hypertension. Eur Heart J 2013; 34 (28): 2159–2219.
betes (Evidenzlevel A). Dasselbe BDZiel sollte nach den Guidelines in Betracht gezogen werden bei Patienten mit vorangegangenem Stroke oder transient ischämischer Attacke, mit chronischer Herzerkrankung sowie mit diabetischer oder nicht diabetischer chronischer Nierenerkrankung (Evidenzlevel B).
Bei leichter Hypertonie kann mit einer Monotherapie begonnen und bei Nichtgenügen auf eine Zweierkombination gewechselt werden. Bei ausgeprägter Hypertonie ist es sinnvoller, sofort eine Zweierkombination einzusetzen. Oft kommt man medikamentös nicht ohne Weiteres zum Ziel. Eine therapie-
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