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BERICHT
Erektile Dysfunktion als Alarmsignal
Oft stecken kardiovaskuläre Erkrankungen und Medikamentennebenwirkungen dahinter
1. Symposium Männermedizin Universitätsspital Zürich, 6. März 2014
Viele Ärzte vergessen oder scheuen eine Sexualanamnese, wenn ein Patient nicht von sich aus danach fragt. Das sei ein grosser Fehler, meint PD Dr. med. Lukas Zimmerli, denn einerseits kann eine erektile Dysfunktion Alarmsignal für andere Erkrankungen sein, und andererseits ist sie nicht selten eine Nebenwirkung bestimmter Medikamente.
RENATE BONIFER
Die erektile Dysfunktion (ED) betrifft rund ein Drittel aller Männer, wobei der Anteil der Betroffenen mit zunehmendem Alter ansteigt, von zirka 10 Prozent der über 50-Jährigen auf zirka 60 bis 80 Prozent der über 80Jährigen. Diese Zunahme ist auch auf die Zunahme von Komorbiditäten zu-
Merksätze
O ED ist die häufigste Sexualstörung beim Mann.
O ED ist mit kardiovaskulären Risikofaktoren assoziiert.
O ED ist ein früher Indikator für andere kardiovaskuläre Erkrankungen (Screening).
O PDE-5-Hemmer haben die Therapie der ED vereinfacht.
rückzuführen. Nur ein Drittel der Männer mit erektiler Dysfunktion hat keine weiteren Erkrankungen. Bei den Komorbiditäten der ED stehen Hypertonie und Hyperlipidämie an der Spitze (jeweils ca. 40%), gefolgt von Diabetes (ca. 20%) und Depressionen. Hypertonie plus Lipidämie findet sich bei jedem vierten Mann mit ED, Hypertonie plus Diabetes bei zirka 12 Prozent der ED-Patienten. Diese Angaben sind als Grössenordnungen und nicht als exakte Angaben zu verstehen, denn die Definition einer ED ist nicht in allen Studien und Publikationen dieselbe.
ED? Das ist doch etwas für den Urologen ... Viele Internisten fühlten sich nicht so recht zuständig für die ED und verzichteten auf eine Sexualanamnese – eine vertane Chance, meint Lukas Zimmerli: Das Screening auf ED kann wegweisend sein für Diabetes, Hypertonie, Dyslipidämie oder koronare Herzkrankheit (KHK), abgesehen davon, dass ED auch zu Depression und psychischen Problemen führen kann. «Scheuen Sie sich nicht zu fragen, und machen Sie eine Sexualanamnese!», forderte Zimmerli. Man könne die Frage beispielsweise ganz offen formulieren: Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Sexualleben? Im Grunde sollte man bei allen Patienten dann und wann nach der Sexualität fragen, auf keinen Fall vergessen sollte man sie bei Männern mit erhöhtem ED-Risiko. So ist «Hypertonie keine Krankheit, die sich nur am Oberarm abspielt», sagte Zimmerli und erinnerte daran, dass die ED-Prävalenz bei Hypertonikern erhöht ist (ca. 35 vs. ca. 20%).
ED unter Antihypertensiva Was Ärzte verordnen, hat oft Einfluss auf die Erektion, doch wird dieser Aspekt nicht genügend berücksichtigt.
Falls der Patient nicht von sich aus von der ED berichtet, was viele bekanntermassen lieber verschweigen, bleibt die Nebenwirkung unerkannt, ganz zu schweigen von den Folgen für die Compliance. Ein Beispiel sind die Antihypertensiva. Betablocker und Diuretika können zu einer ED führen. Während die meisten Ärzte bei Betablockern an diese Nebenwirkung denken dürften, würde dies bei Diuretika häufig vergessen, sagte Zimmerli. Dabei seien Diuretika in Bezug auf die Nebenwirkung ED mitunter noch schlimmer als gewisse Betablocker. Auf Nachfrage bestätigte er, dass die Nebenwirkung ED bereits bei niedrigen Diuretikadosen vorkommen kann. Allerdings sind nicht alle Betablocker bezüglich der Nebenwirkung ED gleich. Während Nebivolol hier praktisch keine negative Nebenwirkung hat, sieht das bei Atenolol ganz anders aus. Kalziumantagonisten und ACEHemmer sind bezüglich erektiler Funktion neutral, Alphablocker und Sartane haben möglicherweise einen positiven Einfluss. Falls es unter Antihypertensiva zu einer ED kommt, rät Lukas Zimmerli, neben Lifestyle-Interventionen die antihypertensive Therapie auf Sartane umzustellen oder, falls das nicht möglich ist und keine Kontraindikationen bestehen, einen PDE-5-Hemmer zu geben. Bleibt es auch unter dem Sartan bei der ED, gibt man einen PDE-5-Hemmer dazu, und erst wenn auch das scheitert, überweist man den Patienten zum Urologen: «Erektile Dysfunktion bedeutet nicht automatisch die Überweisung an den Urologen», sagte Zimmerli.
PDE-5-Hemmer für Hypertoniker? «PDE-5-Hemmer haben die Therapie der erektilen Dysfunktion vereinfacht»,
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NACHGEFRAGT
PD Dr. med. Dr. rer. nat. Daniel Eberli, Leitender Arzt, Klinik für Urologie, Universitätsspital Zürich
PD Dr. med. Lukas Zimmerli, Stellvertretender Klinikdirektor, Klinik und Poliklinik für Innere Medizin, Universitätsspital Zürich
Männermedizin ist mehr als Urologie
Herr Dr. Eberli, Herr Dr. Zimmerli, welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrem Symposium Männergesundheit? Daniel Eberli: Wir wissen, dass Männer in der Schweiz im Durchschnitt unterversorgt sind. Sie gehen nicht zum Arzt. Wenn sie aber dann doch einmal gehen, muss man die Gelegenheit nutzen und gleich alles Mögliche abklären, weil sie nämlich kein zweites Mal von alleine kommen. Es gibt sehr viele Aspekte, die von der Urologie nicht abgedeckt werden, die für die Gesundheit des Mannes aber sehr wichtig sind. Auch dort muss man ihn abholen. Darum gibt es an unserem jährlichen Symposium neben den klassischen urologischen Themen spannende Vorträge von Psychologen, Sportmedizinern, Endokrinologen und so weiter. Es kommen sehr viele internistische und psychiatrische Themen zur Sprache. Lukas Zimmerli: Männergesundheit ist auch eine Marktlücke. In Deutschland schätzt man diesen Markt für 2020 auf zirka 40 Milliarden Euro. Die Bevölkerung wird im Durchschnitt nicht nur deutlich älter, sie wird auch männlicher werden. Die Männer überleben länger als früher. Aus Sicht der Spitäler wird die Anzahl alter männlicher Patienten um 80 Prozent zunehmen, und diese Patienten werden bei Weitem nicht nur in der Urologie hospitalisiert werden, sondern grösstenteils in der Inneren Medizin, gefolgt von der Chirurgie, aber auch in der Psychiatrie. Für die Praxis ist aber ein anderer Punkt relevanter: Wie holen wir die Männer ab? Wir Ärzte sehen sie meistens
nach der Rekrutenschule, aber danach nur noch, wenn sie einen Unfall haben. Aus welchem Grund auch immer Männer in die Praxis kommen, dann müssen wir sie packen. Freiwillig gehen sie nicht zum Urologen, geschweige denn zu überhaupt einem Arzt.
Wie könnte man diese Situation ändern? Zimmerli: Nationalrat Alec von Graffenried hat 2009 eine Interpellation an den Bundesrat gerichtet: «Braucht es eine Männermedizin?» Der Bundesrat hat argumentiert, dass man ja schon seit 2001 das Gender Mainstreaming unterstütze, das heisst die Bemühungen, bei allen Massnahmen sowohl Frauen als auch Männer zu berücksichtigen. Ich habe als Internist allerdings wenig davon bemerkt. Man versucht zwar jetzt schon, bei Präventionskampagnen immer beide Geschlechter einzubeziehen – aber seien wir ehrlich: Wir holen den Mann ab, wenn er in die Praxis kommt. Wenn er vor uns sitzt, dann müssen wir versuchen, Prävention und weitere Aspekte zu thematisieren und nach Möglichkeit auch entsprechende Massnahmen einzuleiten. Eberli: Wir wollen mit unserem Symposium den Hausärzten neue Tools an die Hand geben, um die Qualität der Versorgung der Männer in der Schweiz zu verbessern. Wir machen das jedes Jahr aufs Neue, nach dem Motto «Steter Tropfen höhlt den Stein». Wir weisen jedes Mal darauf hin, dass es das Problem Männergesundheit gibt, und ich bin sicher, dass wir mit unserer Veranstaltung zur Lösung des Problems beitragen.
Welche Bereiche sind dabei in der Hausarztpraxis am wich-
tigsten?
Zimmerli: Das ist eine breite Palette. Es beginnt beim Check-up.
Wo gibt es Guidelines, was muss man konkret tun? Ein weite-
res Gebiet sind die Impfungen. Die meisten Männer haben sich
zuletzt in der Rekrutenschule impfen lassen. Und natürlich die
kardiovaskuläre Problematik und die Tumorproblematik, also
vor allem die Kolon- und die Prostatakarzinom-Früherkennung.
Aber es gibt noch weitere Bereiche wie Depression, Angst-
störungen oder Burn-out.
Eberli: Man muss mit Männern anders sprechen als mit Frauen.
Frauen sind eher bereit, persönliche Probleme gegenüber dem
Hausarzt anzusprechen. Bei den Männern muss man das wirk-
lich herauskitzeln. Man darf als Arzt keine Hemmungen
haben, auch über unangenehme Sachen zu sprechen, das ist ein
wichtiger Punkt.
O
Das Interview führte Renate Bonifer.
sagte Zimmerli. Trotzdem müssten sie bei einer ED nicht unbedingt sein. Man könne mit Lifestyle-Änderungen durchaus etwas erreichen. Falls diese jedoch nicht ausreichen, stellt sich insbesondere bei Hypertonikern die Frage, ob man ihnen einen PDE-5-Hemmer geben darf. Die Antwort lautet: Ja, aber ... PDE-5-Hemmer seien bei Hypertoni-
kern relativ sicher, sagte Zimmerli. Studien zeigen eine geringe additive Blutdrucksenkung bei Einnahme von PDE-5-Hemmern mit Betablockern, ACE-Hemmern, Kalziumantagonisten und Diuretika. Aber: Vorsicht ist geboten bei Patienten mit Alphablockern wie Labetalol und Carvedilol! Gemäss FDA seien Alphablocker zwar keine
Kontraindikation mehr für PDE-5Hemmer, aber es darf nur eine niedrige Dosis des PDE-5-Hemmers sein, und er muss zeitversetzt vom Alphablocker genommen werden. Niemals (!) dürfen PDE-5-Hemmer hingegen mit kurz oder lang wirksamen Nitroglyzerinen eingenommen werden; diese strenge Kontraindikation gilt für
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alle PDE-5-Hemmer. Nach der Einnahme eines PDE-5-Hemmers sei eine Nitroglyzeringabe unter Überwachung frühestens 24 Stunden nach Sildenafil oder Vardenafil möglich beziehungsweise 48 Stunden nach Tadalafil, erläuterte Zimmerli.
ED als Marker für KHK Atherosklerotische Plaques entstehen in allen Gefässen. Aufgrund des engen Durchmessers der Penisgefässe führt somit das gleiche Ausmass endothelialer Dysfunktion und Plaquebildung früher zu einer Beeinträchtigung als in den Herzkranzgefässen. ED sei in diesem Sinn auch ein Frühwarnsystem, sagte Zimmerli. In einer Studie konnte man zeigen, dass bei Männern, die zur
Koronarangiografie kamen, bereits gut 1½ Jahre zuvor eine ED eingesetzt hatte. Wenn man die ED bereits früher auch in kardiovaskulärer Hinsicht ernst genommen hätte, wäre es eventuell möglich gewesen, die KHK durch das Eindämmen von Risikofaktoren zumindest hinauszuzögern, spekulierte Zimmerli. Im Zusammenhang mit einer KHK sind sich Männer häufig unsicher, ob sie angesichts der Aufforderung, übermässige körperliche Belastungen zu meiden, überhaupt noch Sex haben dürften. «Sie dürfen, wenn nur ein niedriges Risiko für Komplikationen besteht», beantwortete Zimmerli diese Frage. Bei Männern mit dem hohem Risiko sei ein Stresstest angebracht:
Wer mehr als 3 bis 5 MET* schaffe, brauche keine Bedenken bezüglich sexueller Aktivität zu haben. Instabile, dekompensierte KHK-Patienten müssten hingegen sehr vorsichtig sein. O
Renate Bonifer
Quelle: Erektile Dysfunktion – Augenmerk auf Medikamente und kardiovaskuläre Erkrankung. Vortrag von PD Dr. Lukas Zimmerli am 1. Symposium Männermedizin, Universtitätsspital Zürich, 6. März 2014.
*MET steht für metabolisches Äquivalent: 1 MET entspricht dem Verbrauch von 3,5 ml Sauerstoff/min/kg Körpergewicht; das maximale MET normaler Männer liegt bei 12 MET, bei Frauen bei 10 bis 11 MET.
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RBOO
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