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STUDIE REFERIERT
Benzodiazepine und Opioide bei schwerer COPD
Die Auswertung eines schwedischen Patientenregisters ergab, dass niedrig dosierte Opioide bei Patienten mit schwerer COPD sicher zur Linderung von Atemnot angewendet werden können. Benzodiazepine und höher dosierte Opioide waren in dieser Untersuchung mit einer erhöhten Sterblichkeitsrate assoziiert.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Etwa ein Fünftel aller Personen über 65 Jahre ist von Atemnot betroffen. Zu den Hauptursachen gehört die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD). Bei COPD prognostiziert das Ausmass der Atemnot die Mortalität genauer als die Beeinträchtigung der Lungenfunktion. Die Luftnot nimmt mit dem Alter und der Schwere der
Merksätze
O Opioide können bei Patienten mit schwerer COPD in Dosierungen von ≤ 30 mg/Tag Morphinäquivalent sicher zur Linderung von Atemnot angewendet werden.
O Bei Benzodiazepinen und höher dosierten Opioiden besteht ein erhöhtes Mortalitätsrisiko.
O Der Nutzen von Benzodiazepinen zur Linderung von Atemnot ist unklar.
O Bei der Opioidbehandlung wird mit niedrigen Dosierungen begonnen und langsam hochtitriert.
Erkrankung zu. Patienten mit schwerer COPD leiden stärker und länger unter Luftnot als Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs. Im Endstadium der COPD leiden 98 Prozent der Betroffenen in Ruhe oder bei kleinster Anstrengung unter therapierefraktärer Atemnot. Aus randomisierten Studien geht hervor, dass orales retardiertes Morphin die refraktäre Atemnot lindern kann. Ob Benzodiazepine die Atemnot ebenfalls reduzieren, ist unklar, und über ihre Sicherheit in diesem speziellen Zusammenhang ist ebenfalls nichts bekannt. Allgemein werden Benzodiazepine gegen Ängste und Opioide gegen Schmerzen verschrieben. Beide Begleiterscheinungen kommen sehr häufig bei COPD-Patienten vor. Viele Ärzte zögern mit der Verschreibung dieser Substanzen, weil sie befürchten, dass Benzodiazepine und Opioide allein oder miteinander kombiniert mit schweren Nebenwirkungen wie Verwirrungszuständen, Stürzen, Atemwegsdepressionen oder sogar mit vorzeitigem Tod verbunden sein könnten. Bei gebrechlichen Personen oder bei schwerer COPD mit Hyperkapnie sind diese Risiken womöglich noch höher, vor allem, wenn die Betroffenen noch nicht mit derartigen Medikamenten behandelt wurden. Die Datenlage zur Sicherheit von Benzodiazepinen und Opioiden bei Patienten mit schwerer COPD aus Studien ist begrenzt, und Sicherheitsdaten aus der klinischen Praxis fehlen. Magnus Ekström von der Lund-Universität (Schweden) und sein Team haben jetzt die Sicherheit von Benzodiazepinen und Opioiden bei schwer kranken sauerstoffabhängigen COPD-Patienten in einer bevölkerungsbasierten konsekutiven longitudinalen Kohortenstudie untersucht.
Bevölkerungsbasierte Kohortenstudie Im Rahmen ihrer Studie werteten die Wissenschaftler Daten von 2249 COPDPatienten ab einem Alter von 45 Jahren aus, die zwischen 2005 und 2009 mit einer Langzeitsauerstofftherapie begonnen hatten und in das nationale Swedevox-Register aufgenommen worden waren. Zu den 1625 verschriebenen Benzodiazepinen gehörten Oxazepam (74%), Diazepam (17%) und Alprazolam (8%). Die 1417 Opioidverschreibungen umfassten schwache Opioide wie Tramadol (31% aller Opioide), Codein (19%) und Dextropropoxyphen (15%). Zu den starken Opioiden gehörten Oxycodon (15%), Morphin (11%) und Fentanyl (5%) (siehe Tabelle). Als niedrige Dosierung wurde eine Dosis ≤ 0,3 der definierten Tagesdosis (≤ 30 mg/Tag Morphinäquivalent) klassifiziert. Als hohe Dosierung wurde eine Applikation > 0,3 der definierten Tagesdosis 0,98 (95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,87–1,10) eingestuft. Bei Studienbeginn wurden 12 Prozent der Patienten mit schwachen Opioiden und 8 Prozent mit starken Opioiden behandelt, 2 Prozent der Teilnehmer erhielten schwache und starke Opioide. Für die Analyse wurde die gesamte Opioiddosis unter Zusammenfassung schwacher und starker Opioide in Morphinäquivalente umgerechnet, da alle Opioide bei schwerer Erkrankung mit dosisabhängigen unerwünschten Wirkungen verbunden sein können. Als wichtigste Endpunkte definierten die Forscher die Auswirkungen von Benzodiazepinen und Opioiden auf die Hospitalisierungsrate und auf die Mortalität nach Adjustierung für Alter, Geschlecht, arterielle Blutgase, BodyMass-Index, Performancestatus, vorherige Spitaleinweisungen, Komorbiditäten und gleichzeitig eingenommene Medikamente.
Ergebnisse Die Wissenschaftler schlossen 2249 Patienten in ihre Analyse ein. Der Frauenanteil lag bei 59 Prozent. Zu Studienbeginn erhielten 535 Patienten (24%) Benzodiazepine und 509 (23%) Opioide, und 200 (9%) wurden mit beiden Medikamentenklassen behandelt. Die Kontrollgruppe umfasste 1405 Personen, die keine Benzodiazepine oder Opioide erhielten. Von den ursprüng-
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STUDIE REFERIERT
Tabelle:
Studienmedikamente
Benzodiazepine O Oxazepam (Serestra®, Anxiolit®) O Diazepam (Valium® und Generika) O Alprazolam (Xanax® und Generika)
Schwache Opioide O Tramadol (Tramal® und Generika) O Codein (z.B. Codicontin®) O Dextropropoxyphen (nicht mehr im AK
der Schweiz)
Starke Opioide O Oxycodon (Oxycontin®, Oxynorm®) O Morphin (z.B. MST Continus®, Kapanol®,
Sevredol®, Sevre-Long® O Fentanyl (z.B. Abstral®, Actiq®, Durogesic®)
lich 2249 Patienten verbrachten 35 den gesamten Beobachtungszeitraum im Spital und wurden deshalb aus der Analyse ausgeschlossen. Von den verbleibenden 2214 Patienten wurden76 Prozent nach durchschnittlich 76 (26–222) Tagen Follow-up ins Spital eingeliefert. Benzodiazepine und Opioide waren nicht mit einer erhöhten Rate an Krankenhauseinlieferungen verbunden. Die Hazard Ratios (HR) betrugen 0,98 (95%-KI: 0,87– 1,10) und 0,98 (95%-KI: 0,86–1,10). Die gleichzeitige Applikation von niedrig dosierten Benzodiazepinen und Opioiden war nicht mit mehr Hospitaleinlieferungen (HR: 0,86; 95%-KI: 0,53–1,42) verbunden. Bei der Applikation hoch dosierter Benzodiazepine und Opioide wurde ebenfalls keine höhere Hospitalisierungsrate beobachtet (HR: 0,83; 95%-KI: 0,63–1,10). Während eines durchschnittlichen Follow-ups von 1,1 Jahren (Interquartilbereich: 0,6–2,0 Jahre) verstarben 50 Prozent der Patienten. Benzodiazepine
waren insgesamt mit einer erhöhten Mortalität assoziiert (HR: 1,21; 95%KI: 1,05–1,39), und bei höheren Dosierungen wurde ein Trend zu einem dosisabhängigen Zusammenhang mit der Sterblichkeit beobachtet. Bei Opioiden bestand ein linearer dosisbezogener Zusammenhang mit der Mortalität. Niedrigere Dosierungen (≤ 30 mg/Tag orales Morphinäquivalent) waren nicht mit einer erhöhten Mortalität verbunden (HR: 1,03; 95%-KI: 0,84–1,26). Bei höheren Opioiddosierungen wurde dagegen eine erhöhte Sterblichkeitsrate (HR: 1,21; 1,02–1,44) beobachtet. Bei gleichzeitiger Verabreichung von Benzodiazepinen und Opioiden waren hohe Dosierungen beider Medikamente mit einer erhöhten Mortalität verbunden, niedrige Dosierungen dagegen nicht. Die Zusammenhänge wurden durch Therapienaivität oder Hyperkapnie nicht verändert.
Diskussion In dieser nationalen prospektiven Studie war die Applikation niedrig dosierter Opioide bei COPD-Patienten, die von einer Sauerstoffbehandlung abhängig waren, nicht mit einem erhöhten Risiko für eine Spitaleinweisung oder Tod verbunden. Die Behandlung mit Benzodiazepinen führte ebenfalls nicht zu mehr Hospitalisierungen, war jedoch mit einer geringfügig erhöhten Mortalität verbunden. Als Stärke ihrer Untersuchung betrachten die Autoren den Einschluss einer grossen bevölkerungsbasierten konsekutiven Kohorte älterer schwer kranker Patienten mit COPD-bedingtem respiratorischem Versagen, von denen viele unter Hyperkapnie litten. Als weitere Stärke werten die Wissenschaftler, dass die Analysen für wichtige Störgrössen wie Komorbiditäten und gleichzeitig eingenommene Medika-
mente adjustiert wurden. Die Ergebnisse können deshalb ihrer Ansicht nach sehr gut auf die klinische Praxis übertragen werden.
Klinische Implikationen Für Ärzte untermauern die Ergebnisse die Sicherheit einer regelmässigen Gabe niedrig dosierter systemischer Opioide zur Reduzierung von Atemnot bei schwer kranken Patienten. Sind höhere Opioiddosierungen zur Symptomkontrolle erforderlich, sollte der Nutzen mit dem potenziell erhöhten Risiko für unerwünschte Ereignisse abgewogen werden. Des Weiteren stützen die Ergebnisse die Annahme, dass Benzodiazepine angesichts des unklaren Nutzens nicht die Option der ersten Wahl zur Behandlung von Atemnot bei Patienten mit respiratorischem Versagen sein sollten. Die Studie zeigt jedoch, dass Benzodiazepine und Opioide in niedrigen Dosierungen sicher kombiniert werden können. Die Vorgehensweise zur Behandlung chronischer Atemnot mit Opioiden unterscheidet sich nicht von der Opioidbehandlung von Schmerzen. Als FirstLine-Option sollte retardiertes Morphin in Betracht gezogen werden. Zunächst wird mit niedrigen Dosierungen begonnen und anschliessend unter Abwägung von Nutzen und Nebenwirkungen über Tage und Wochen langsam hochtitriert. Die Titration bis zu 30 mg/Tag Morphinäquivalent kann die Atemnot bei mehr als 60 Prozent der Patienten lindern, wobei sich die Intensität der Atemnot durchschnittlich um 35 Prozent im Vergleich zur Baseline verringert. O
Petra Stölting
Quelle: Ekström MP et al.: Safety of benzodiazepines and opioids in very severe respiratory disease. BMJ 2014; 348:g445.
Interessenkonflikte: keine deklariert
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