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Arsenicum: Hochzeit
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Rubriken — ARSENICUM
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5932
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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Hochzeit

V ier Schimmel traben heran. In der weissen blumengeschmückten Kutsche strahlt die Braut in einem Traum aus Tüll, Seide und Diamanté. Es ist Fleischfachverkäuferin S., meine Patientin, die sich für diesen Tag mit 28 000 Franken verschuldet hat. Hilflos muss ihr Hausarzt zusehen, wie sie und viele Teilzeitarbeiterinnen, Coiffeusen, Verkäuferinnen und so weiter in den Sog des Hochzeitsbusiness geraten. Die knallharten Hochzeitsvermarkter, assistiert von Hollywoodfilmen, TV-Sendungen und Hochglanzpostillen, reden Kleinverdienern ein, dass das, was Kindern von gekrönten Häuptern und Milliardären recht ist, für sie billig sei. Das kommt teuer. Weddingplaner diktieren für ein skandalöses Honorar, was ein «Must» ist – für den Profit der Hochzeitsindustrie. Um 5.30 Uhr beginnt die Hoch-Zeit, wenn die Trauzeugin die von ihrem «Junggesellinnenabschied» noch alkoholintoxikierte Braut in den Wellness-Salon schleppt. Peeling, Gesichtsmaske, Dampfbad können nicht alle Spuren des Exzesses beseitigen – aber das Make-up, mit dem der Visagist die Braut zuspachtelt, die ab dann Sprech-, Essund Küssverbot hat. Der Hairstylist sichert die alberne Hochsteckfrisur mit schmerzhaften Haarnadeln und zwei Dosen Haarspray. Das Zmorge wird gestrichen, da die Braut sonst nicht in das 5000 Franken teure Brautkleid passt. Nach dem Marathon von Zivilstandsamt, kirchlicher Trauung, Empfang, Fototerminen,Taubenfliegenlassen, endlosem Bankett mit exquisiter Speisenfolge, Hochzeitstanz und dreistöckiger Torte ist die Braut so erschöpft, dass sie trotz des Gescheppers der Dosen am Auspuff des Just-married-Wagens, in dem der Bräutigam mit ihr flüchtet, im Auto einschläft. Da die Freunde des Paares als Hochzeitsstreich das Schlafzimmer mit Luftballons gefüllt haben, sinken die Frischvermählten todmüde auf den Wohnzimmerteppich nieder, in einer komaartigen Erschöpfung. Die Schulden sind noch nicht getilgt, da sind sie schon wieder geschieden. Wer redet den jungen Menschen heutzutage ein, dass es nur einen «schönsten Tag im Leben» gibt, nämlich die Hochzeit, für die sie sich finanziell ruinieren müssen? Was ist mit den Tagen, an denen sie ein Examen bestehen? Ein Kind bekommen? Befördert werden? Engumschlungen einen Sonnenuntergang beobachten? Sind das keine schönsten Tage? Beobach-

tet man das Getue um das Brautkleid, fragt man sich, ob der Bräutigam nur halb so viel Aufmerksamkeit bekommt und die Braut lieber ihr Kleid heiraten sollte ... Ruedi Krebs, Berner Troubadour, weigert sich, auf Hochzeiten zu spielen. Zu gespannt ist ihm die Atmosphäre zwischen den feindlichen Clans, die meist durch eine U-förmige Tafelordnung und viel Alkohol daran gehindert werden, aufeinander loszugehen. Und durch die «Puffer-Gäste», freundliche Menschen, die eingeladen wurden, weil sie keinem Lager zuzuordnen sind und die Kunst der Deeskalation beherrschen. Sie werden zwischen dem aggressiven Cousin und der durchgedrehten Grosstante platziert und wissen, dass sie eine 1:1 Betreuung leisten müssen. Oft werden Hausärzte in dieser Funktion eingeladen. Arbeiten sie in ländlichen Regionen, kennen sie die Hälfte der Gäste und wirken nur deshalb schon beruhigend. Denn wer will sich schon schlecht benehmen, wenn der Mann präsent ist, der einem bei Wilden Blattern, Pubertätskrise und Reisediarrhö geholfen hat? Die giftige Schwiegermutter wird neutralisiert, weil sie beim geladenen Hausarzt mal gratis über alle ihre Leiden jammern kann. Die histrionische ältere Schwester der Braut entschliesst sich, Spass zu haben anstatt zu hyperventilieren und zu kollabieren, da sie zu Recht vermutet, dass der anwesende Hausarzt sie sonst blitzschnell aus dem Festsaal entfernen würde. Ein lautes Kind beruhigt der Hausarzt, indem er mit ihm aus Papierservietten Origamifiguren faltet. Die alten Gäste fühlen sich gelassen und sicher, weil ein Reanimationskundiger unter ihnen weilt. So trägt der Hausarzt zum Gelingen der Feier bei und verdient sich den Genuss des Gourmetessens. Na ja, grosszügig geschenkt hat er auch. Gerührt sitzt er da, wünscht dem Paar alles Gute, betrachtet die vielen Menschen um ihn herum, die ihr Glück noch suchen oder es schon gefunden oder verloren haben. Erinnert sich nostalgisch an seine eigene Hochzeitsfeier, die mit zwanzig Kilo selbst gemachtem Härdöpfelsalat, Cervelats und einem Fass Bier gefeiert wurde. Seine langjährige Ehefrau denkt vermutlich das Gleiche, denn sie lächelt ihm zu, während sie die weinende Braut tröstet, die sich Rotwein über das weisse Seidenbustier geschüttet hat.

ARSENICUM

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ARS MEDICI 11 I 2014