Transkript
ARGUS PHARMAKOTHERAPIE
Berichte, Studien, Innovationen
Glucosamin bei Arthrosen
Einfluss auf den Zuckerstoffwechsel nur hypothetisch
Eine Übersicht stellt die Daten zu Wirkung und Sicherheiten von Glucosaminverbindungen in der Behandlung von Arthrosen zusammen und kommt zu einer positiven Einschätzung dieser Supplemente.
ARTHRITIS
Die pharmakologische Beeinflussung von Arthrosen zielt hauptsächlich auf Schmerzreduktion und Bekämpfung der Entzündung, bleibt also symptomatisch. Neben den medikamentösen Optionen mit raschem Wirkungseintritt (Paracetamol, nicht steroidale Antirheumatika [NSAR], intraartikuläre Kortikosteroide sowie Opioide) kommen verbreitet auch Substanzen mit langsamem Wirkungseintritt (symptomatic slow acting drugs for osteoarthritis, SYSDOA) zum Einsatz. Zu Letzteren gehören für die Knorpelmatrix wichtige Aufbaustoffe wie Glucosamin, Chondroitin und Hyaluronsäure. Diese Medikamente, insbesondere Glucosamin, waren Gegenstand lebhafter Kontroversen, da Studien widersprüchliche Behandlungsergebnisse brachten.
Endogenes und exogenes Glucosamin Glucosamin ist ein Aminomonosaccharid (2-amino-2-deoxy-D-Glukose), das in der Natur verbreitet im Chitin des Exoskeletts von wirbellosen Lebewesen vorkommt. Glucosamin ist aber auch eine essenzielle nicht zelluläre Komponente in Bindege-
Glucosamin: Strukturformel
webe, Knorpel, Bändern und anderen Körperstrukturen. Glucosamin kommt hauptsächlich als Hydrochlorid, als Sulfat und als N-Acetyl-Glucosamin vor. N-AcetylGlucosamin kann im menschlichen Körper über den Hexosaminstoffwechselweg, eine Alternative zur Glykolyse, synthetisiert werden. Extern zugeführtes Glucosamin wird durch zelluläre Glukosetransporter aufgenommen und intrazellulär phosphoryliert sowie acetyliert. Über weitere metabolische Schritte kann schliesslich Uridin5-Diphosphat-N-Acetyl-Glucosamin in die Biosynthese von Aminozuckern eingehen, die Bausteine für Proteoglykane und Glykoproteine sind. Die Plasmakonzentration von Glucosamin beträgt bei Gesunden zirka 0,04 mmol/l und kann durch Glucosaminsupplementation auf 0,06 mmol/l gesteigert werden. Die orale Zufuhr erreicht lediglich 20 Prozent der Plasmakonzentrationen, die durch intravenöse Verabreichung zu erzielen sind.
Wirkt Glucosamin bei Gelenkerkrankungen? Zur Abschätzung der Effektivität von Glucosaminpräparaten bei entzündlichdegenerativen Gelenkerkrankungen können verschiedene klinische Endpunkte beigezogen werden, die in gängigen Aktivitätsindizes, beispielsweise jenem der Western Ontario and McMaster University (WOMAC), zusammengefasst sind. Am häufigsten enthalten die bei Arthrosen eingesetzten Präparate Glucosaminsulfat, und dieses scheint gemäss mehreren Studien gegenüber Glucosaminhydrochlorid bessere Behandlungsergebnisse zu bringen. Problematisch in der Evaluation der klinischen Wirkung sind jedoch auch die Unterschiede in der pharmazeutischen Herstellungsweise von Glucosaminpräparaten, welche zu verschiedenen pharmakokinetischen Eigenschaften führen, die ihrerseits die widersprüchlichen Studienresultate erklären könnten.
Im Allgemeinen werden Tagesdosen von 1250 bis 1500 mg empfohlen. Wegen des langsamen Wirkungseintritts vergehen ungefähr 2 Wochen, bis ein klinisches Ansprechen nachzuweisen ist. Nach Absetzen hält die symptomatische Wirkung bis zu 2 Monate an. Zur widersprüchlichen Datenlage aus bisherigen Glucosaminbehandlungsstudien und Metaanalysen halten die Autoren eine «überwältigende» Heterogenität fest, die sowohl Behandlungsziele und pharmazeutische Formulierungen als auch Kombinationen mit anderen Wirkstoffen, Behandlungsdauer sowie weitere Variablen betrifft. So konnten zwei randomisierte, doppelblinde, plazebokontrollierte Studien mit täglich 1-mal 1500 mg Glucosaminsulfat an jeweils rund 100 Patienten pro Vergleichsgruppe dank einer 3-jährigen Beobachtungszeit eine krankheitsbeeinflussende Wirkung nachweisen. Diese betraf sowohl die Symptomatologie als auch die Verhütung einer Abnahme der Gelenkspaltbreite bei Kniearthrose. Eine Nachbeobachtungsstudie über 5 Jahre sah für eine 12-monatige Behandlung mit Glucosaminsulfat sogar eine geringere Notwendigkeit von Knieeingriffen. Eine andere Studie fand während eines 3-jährigen Follow-ups hinsichtlich der symptomatischen Besserung bei Kniearthrose einen ähnlichen oder sogar überlegenen Effekt im Vergleich zu NSAR oder Paracetamol. Diesen positiven Beobachtungen stehen aber auch andere Berichte gegenüber, die einen Behandlungsnutzen nicht bei allen analysierten Patienten, sondern nur in gewissen Untergruppen nachweisen konnten. Eine Erklärung für die Diskrepanzen dürfte in den verschiedenen in Studien untersuchten Herstellerpräparaten liegen. So wies eine Metaanalyse von über 20 Studien nach, dass nur Glucosaminsulfat eines Herstellers bei Kniearthrose effektiv war, während sich bei anderen Arthrosen keine statistisch signifikanten Ergebnisse zeigten. Für grosse Aufmerksamkeit und Disput sorgte eine 2010 publizierte Metaanalyse, die zehn grosse randomisierte, kontrollierte Studien mit 3803 Patienten zusammenfasste und zum Schluss kam, dass weder Glucosamin noch Chondroitinsulfat allein oder kombiniert Schmerz und Gelenkspaltverschmälerung im Vergleich zu Plazebo signifikant positiv zu beeinflussen vermochten. Die Publikation wurde in der Folge von zahlreichen Spezialisten und Experten aufgrund ihrer Methodik der
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Datensammlung und -analyse grundsätzlich zurückgewiesen. Obwohl die meisten Studien die Effektivität von Glucosamin und Chondroitinsulfat vor allem als Modulatoren der Krankheitsprogression bei Arthrosepatienten zumindest durch minimale oder indirekte Evidenz bejahen, fehlt Evidenz für eine knorpelschützende Wirkung von Glucosamin im präventiven Zusammenhang. Dies passt zu In-vitro-Studien, die auf einen überwiegend antikatabolen Effekt in Zellkulturen hinweisen. Dabei dürften mehrere molekulare Mechanismen eine Rolle spielen, etwa die Hemmung von Metalloproteasen, Phospholipase A2 und Aggrekanase-2, aber auch die Hemmung der Wirkung von Zytokinen. Diese Effekte auf Energiestoffwechsel und oxidativen Stress scheinen nicht nur mit der Aufnahme von Glucosamin allein, sondern auch zusammen mit Chondroitinsulfat aufzutreten, und konnten mit Glucosaminsulfat im Vergleich zu Glucosaminhydrochlorid zuverlässiger beobachtet werden. Allerdings wurden in experimentellen Studien sehr oft hohe Konzentrationen von Glucosamin untersucht, die durch orale Zufuhr gar nicht zu erreichen sind, was die Übertragung der Resultate auf In-vivo-Verhältnisse doch einschränkt. Studien an Tiermodellen ergaben ähnliche Ergebnisse wie die Invitro-Studien mit Beeinflussung der synovialen Entzündung, des Knorpelabbaus und der Knochenresorption über eine Hemmung proinflammatorischer Zytokine. Die Heterogenität der experimentellen Ergebnisse spiegelt diejenige der klinischen Studien, wiederum basierend auf den sehr unterschiedlichen Arten von Supplementen und Dosierungen, die dabei eingesetzt wurden.
Sind Glucosaminpräparate sicher? Im Zusammenhang mit Glucosaminpräparaten wird nur über wenige Nebenwirkungen berichtet. Dazu gehören gastrointestinale Probleme wie Bauchweh, Durchfall,
Übelkeit oder Sodbrennen. Ausserdem sind einige Fälle allergischer Reaktionen (Angioödem, Asthma, Fotosensitivität) bekannt geworden. Für Kontroversen haben hingegen mögliche Auswirkungen dieser Supplemente auf den Zuckerstoffwechsel gesorgt. Ausgangspunkt dafür sind zelluläre metabolische Überlegungen, welche die Entwicklung einer Insulinresistenz mit dem Hexosaminstoffwechselweg in Verbindung bringen. Entsprechende Forschungsergebnisse stammen aus tierexperimentellen Studien zu intrazellulären Stoffwechselsensoren. In klinischen Studien lässt sich ein solcher Zusammenhang zwischen exogener Glucosaminzufuhr und Insulinresistenz jedoch nicht eindeutig erkennen. So haben mehrere kleine Studien keine Assoziation zwischen Glucosaminsupplementation und mit der «Glucose-Clamp»-Technik gemessener Insulinresistenz nachweisen können. Gegen eine unerwünschte Wirkung auf den Zuckerstoffwechsel sprechen auch die im Vergleich zu den bei Arthrosen empfohlenen mehr als 100-mal höheren Glucosamindosierungen, die dazu notwendig wären. Einschränkend ist aber festzuhalten, dass Langzeitdaten in diesem Zusammenhang sehr spärlich sind und dass die entsprechenden klinischen Studien methodisch unzulänglich waren.
Fazit Angesichts der zunehmenden Wichtigkeit von Arthrosen als chronischen Erkrankungen, die sowohl die Gesundheitssysteme als auch die Lebensqualität der Erkrankten stark belasten, sind therapeutische Alternativen eine Notwendigkeit. Glucosaminsupplemente, die mehrere Typen von chemischen Verbindungen umfassen, haben in der Arthrosebehandlung weite Verbreitung gefunden, da sie wichtige strukturerhaltende und symptomlindernde Wirkungen besitzen, kosteneffektiv sind und relativ harmlose Nebenwirkungsprofile aufweisen. Die Evidenz, die für eine diabetogene
Glucosaminpräparate in der Schweiz
In der Schweiz ist Glucosamin im Gegensatz zu Chondroitinsulfat (Condrosulf®, Structum®) bis jetzt von Swissmedic nicht als Arzneimittel zugelassen und wird daher von der Gundversicherung nicht vergütet.
Als Nahrungsergänzungsmittel sind hingegen zahlreiche Glucosaminzubereitungen als Monopräparat oder in Kombinationen, beispielsweise mit Chondroitin, im Handel (z.B. Glucosamin-Sulfat Burgerstein, A. Vogel Glucosamin Plus®, Voltaflex®, Actiflex®, Glucosulf®, Olflex® plus). Diese enthalten Glucosaminsulfat oder Glucosaminhydrochlorid. Die Gewinnung erfolgt je nach Produkt aus dem Chitin von marinen Schalentieren (Krebsen, Garnelen), aus Hühnerknorpel oder aber aus pflanzlichen Quellen (z.B. Aspergillus niger) und ist dann auch geeignet für Vegetarier oder Schalentierallergiker. Die Präparate werden als Tabletten, Kapseln oder Flüssigkeit angeboten. Als Tagesdosis werden meist 1500 mg als Einzeldosis oder aufgeteilt empfohlen.
Wirkung der Glucosaminsupplementation
spricht, ist spärlich und zum heutigen Zeit-
punkt als blosse Hypothese zu betrachten,
so die Autoren dieser Übersicht. Zwar be-
steht noch weiterer Forschungsbedarf, die
vorliegenden Daten haben aber ein ausge-
sprochen günstiges Risiko-Nutzen-Ver-
hältnis mehr als ausreichend nachgewiesen,
was die Berücksichtigung von Glucosamin-
supplementen in der Arthrosetherapie wei-
terhin rechtfertigt.
O
Halid Bas
Juan Salazar et al.: Glucosamine for osteoarthritis: biological effects, clinical efficacy, and safety on glucose metabolism. Arthritis 2014, Article ID 432463, doi: 10.1155/2014/432463.
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