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STUDIE REFERIERT
CABG, PCI oder nur Medikamente bei KHK und Herzinfarkt?
In einer Metaanalyse war die Bypassoperation bei Mehrgefässerkrankung mit einer signifikant geringeren Mortalität und weniger Herzinfarkten verbunden als die weniger invasive PCI mit Stent. In einer anderen Metaanalyse wurden bei stabiler KHK und Myokardischämie mit PCI und Medikamenten keine besseren klinischen Ergebnisse erzielt als mit der medikamentösen Behandlung allein.
JAMA INTERN MED
Die koronare Herzerkrankung (KHK; «coronary artery disease», CAD) gehört weltweit zu den häufigsten Todesursachen (1, 2). Zur Behandlung stehen Bypässe («coronary artery bypass grafts», CABG), die perkutane Koronarintervention («percutane coronary intervention», PCI) und Medikamente zur Verfügung. Die optimale Behandlungsstrategie bei einer Mehrgefässerkrankung oder bei stabiler CAD mit myokardialer Ischämie muss derzeit jedoch noch ermittelt werden.
Merksätze
O Bei Zwei- oder Dreigefässerkrankung ist die CABG im Vergleich zur PCI mit einer signifikant geringeren Mortalität, weniger Herzinfarkten und weniger erneuten Revaskularisierungen verbunden.
O Bei stabiler CAD mit Ischämie ist die PCI nicht mit weniger Todesfällen, Herzinfarkten, ungeplanten Revaskularisierungen oder Angina pectoris assoziiert als eine medikamentöse Behandlung.
Bypass ist Stent bei Mehrgefässerkrankung überlegen Bei der CABG handelt es sich um einen grossen chirurgischen Eingriff. Es ist daher wenig überraschend, dass Ärzten und Patienten die weniger invasive PCI als attraktive Alternative erscheint (3). Zwischen 2001 und 2006 nahm die Anzahl der jährlich durchgeführten PCI um 56 Prozent zu, während die Anzahl der CABG in diesem Zeitraum um 24 Prozent zurückging, und seitdem jährlich um weitere 5 Prozent sinkt (1). Neue Einzelstudien zum Vergleich von CABG und PCI wiesen keine ausreichende statistische Power bezüglich der damit verbundenen Mortalität und Morbidität auf, sodass die Ergebnisse schwer zu interpretieren sind. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die jährliche Mortalität in den meisten Studien mit weniger als 2 bis 3 Prozent sehr gering war. In vielen Untersuchungen wird deshalb ein kombinierter Endpunkt aus Mortalität, nicht tödlichen Herzinfarkten, nicht tödlichen Schlaganfällen und erneuter Revaskularisierung erhoben. Um die statistische Limitierung zu überwinden, untersuchten Ilke Sipahi von der Universität Istanbul und seine Arbeitsgruppe anhand einer Metaanalyse aller randomisierten Studien zu Mehrgefässerkrankungen die Ergebnisse beider Revaskularisierungsverfahren bezüglich der Langzeitmortalität und der Morbidität (1). In die Metaanalyse wurden 6 randomisierte Studien mit insgesamt 6055 Patienten eingeschlossen. Der durchschnittliche Untersuchungszeitraum umfasste 4,1 Jahre (1–6 Jahre). 2 Studien wurden ausschliesslich mit Diabetikern durchgeführt, an den anderen 4 nahmen vorwiegend (77%) Nichtdiabetiker teil. Die Studienteilnehmer litten an einer Zwei- oder Dreigefässerkrankung, wobei die linksventrikuläre systolische Funktion bei den
meisten Patienten erhalten geblieben war. Im Rahmen ihrer Untersuchung beobachteten die Forscher bei den mit CABG behandelten Patienten eine signifikante Reduzierung der Gesamtsterblichkeit um 27 Prozent im Vergleich zur PCI (Risk-Ratio [RR]: 0,73, 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,62– 0,86; p < 0,001). Zudem stellten sie im CABG-Arm eine signifikante Reduzierung der Herzinfarktrate um 42 Prozent im Vergleich zur PCI fest (RR: 0,58, 95%-KI: 0,48–0,72; p < 0,001). Auch erneute Revaskularisierungen waren nach der CABG signifikant seltener (RR: 0,29, 95%-KI: 0,21–0,41; p < 0,001) erforderlich. Bei den mit CABG behandelten Patienten wurde zwar ein Trend zu mehr Schlaganfällen im Vergleich zur PCI beobachtet, die Grössenordnung erreichte hier jedoch keine statistische Relevanz (RR: 1,36, 95%-KI: 0,99–1,86; p = 0,06). Aus Sensitivitätsanalysen ging hervor, dass die Reduzierung der Mortalität bei Diabetikern und Nichtdiabetikern vergleichbar war und auch nicht durch die Art des verwendeten Stents (nur Metall oder Medikamente freisetzend) beeinflusst wurde. Insgesamt kamen die Forscher zu dem Ergebnis, dass die CABG bei koronarer Mehrgefässerkrankung unabhängig vom Diabetesstatus im Vergleich zur PCI mit einer geringeren Langzeitmortalität sowie mit weniger Herzinfarkten und weniger erneuten Revaskularisierungen verbunden ist (1). Als potenzielle Limitierung erachten die Autoren, dass in ihrer Metaanalyse CABG und PCI zwar untereinander, jedoch nicht mit einer medikamentösen Behandlung verglichen wurden. Zum Vergleich der CABG mit medikamentöser Behandlung wurden zwei neue Studien durchgeführt. In MASS (Medicine, Angioplasty, or Surgery Study) II, deren CABG- und PCI-Arm in der Metaanalyse ausgewertet wurde, betrug die Fünfjahresmortalität nach CABG 12,8 Prozent und bei medikamentöser Behandlung 16,2 Prozent. Dieser Unterschied erreichte keine statistische Relevanz. Das Risiko für einen akuten Herzinfarkt war hier jedoch nach der CABG signifikant niedriger im Vergleich zur medikamentösen Behandlung (RR: 0,41, 95%-KI: 0,18–0,94]). In einer zweiten Studie, die mit Diabetikern 558 ARS MEDICI 10 I 2014 STUDIE REFERIERT durchgeführt wurde (Bypass Angioplasty Revascularisation Investigation 2 Diabetes, BARI 2D), traten Herzinfarkte bei CABG plus intensiver medikamentöser Behandlung signifikant seltener im Vergleich zur medikamentösen Therapie allein auf (10,0 vs. 17,6%; p = 0,003). Diese Daten legen nach Ansicht der Autoren nahe, dass die CABG nicht nur der PCI, sondern – zumindest zur Herzinfarktprävention – auch der medikamentösen Behandlung überlegen ist. Angesichts der deutlichen Vorteile erachten Sipahi und Kollegen die CABG für die meisten Patienten mit Mehrgefässerkrankung als Methode der ersten Wahl (1). Stent ist Medikamenten bei KHK und Ischämie nicht überlegen Bei myokardialer Ischämie wird häufig – auch bei fehlender Symptomatik – eine Revaskularisierung unter der Annahme durchgeführt, dass die Reduzierung der Ischämie auch das damit verbundene Mortalitäts- und Herzinfarktrisiko senkt. Bis anhin konnte jedoch nicht geklärt werden, ob eine PCI mit anschliessender medikamentöser Sekundärprävention bei stabiler koronarer Herzerkrankung und nachgewiesener Ischämie mit besseren klinischen Ergebnissen im Vergleich zur medikamentösen Behandlung allein verbunden ist. Kathleen Stergiopoulos von der Stony Brook University (New York) und ihr Team untersuchten diese Fragestellung nun im Rahmen eines systematischen Reviews mit Metaanalyse. Zu den analysierten Endpunkten gehörten die Gesamtmortalität, nicht tödliche Herzinfarkte, ungeplante Revaskularisierungen und Angina pectoris (2). In die Metaanalyse wurden 5 randomisierte Studien mit insgesamt 5286 KHKPatienten eingeschlossen. Die Beobachtungszeiträume der Studien variierten zwischen 231 Tagen und 5 Jahren (median 5 Jahre). Bei 4064 der Teilnehmer wurde anhand von Belastungstests oder einer Messung der fraktionellen Flussreserve (FFR) eine myokardiale Ischämie diagnostiziert. Im Rahmen ihrer Metaanalyse ermittelten die Wissenschaftler in den PCIGruppen eine Mortalität von 6,5 Prozent. Bei den medikamentös behandelten Patienten betrug die Mortalität 7,3 Prozent (Odds Ratio [OR]: 0,90, 95%-KI: 0,71–1,16). Zu nicht tödli- chen Herzinfarkten kam es bei 9,2 Prozent in den PCI-Armen und bei 7,6 Prozent in den medikamentös behandelten Gruppen (OR: 1,24, 95%-KI: 0,99– 1,56). Ungeplante Revaskularisierungen wurden bei 18,3 Prozent nach der PCI und bei 28,4 Prozent unter der medikamentösen Behandlung vorgenommen (OR: 0,64, 95%-KI: 0,35– 1,17). Eine rezidivierende oder persistierende Angina pectoris wiesen 20,3 Prozent der mit PCI behandelten Teilnehmer und 23,3 Prozent der medikamentös behandelten Patienten auf (OR: 0,91, 95%-KI: 0,57–1,44). Insgesamt kamen die Forscher zu dem Ergebnis, dass die PCI plus Medikamente im Vergleich zur medikamentösen Behandlung allein nicht mit einer Reduzierung an Todesfällen, nicht tödlichen Herzinfarkten, ungeplanten Revaskularisierungen oder Angina pectoris verbunden ist (2). Nach Ansicht der Autoren weisen die Resultate darauf hin, dass die Verbindung zwischen Ischämie und Mortalität durch eine katheterbasierte Revaskularisierung obstruktiver flusslimitierender Koronarstenosen nicht verändert oder verbessert wird. Der mangelnde Nutzen der PCI legt zudem nahe, dass späte klinische Ereignisse nicht durch atherosklerotisch verengte Gefässabschnitte, sondern vielmehr durch neue Plaquerupturen in weiter entfernten Koronarsegmenten verursacht werden, die dann zur Thrombose führen können. Demzufolge stellen die Wissenschaftler die gängige Praxis infrage, bei myokardialer Ischämie routinemässig eine Koronarangiografie und eine Revaskularisierung durchzuführen (2). Kommentar: Medikamentöse Behandlung zu wenig berücksichtigt Mitchell H. Katz, Direktor des Los Angeles County Department of Health Services (USA), bemängelt im Editorial derselben Ausgabe des «JAMA Internal Medicine», dass in der Metaanalyse zum Vergleich zwischen CABG und PCI nur in 1 der 6 ausgewerteten Studien überhaupt ein Untersuchungsarm zur medikamentösen Behandlung vorhanden war. Angesichts der Tatsache, dass moderne Studien ohne Medikamentenarm angelegt wurden, fragt sich der Kommentator, wie oft diese Option in der täglichen klinischen Praxis im Gespräch mit Patienten nur beiläufig oder gar nicht erwähnt wird. Die Limitierung der Metaanalyse spiegelt seiner Ansicht nach eine Unzulänglichkeit in der klinischen Praxis wider. Obwohl die PCI in den 1980er Jahren als Alternative zur CABG eingeführt wurde, wird sie in der klinischen Praxis häufig als Alternative zur medikamentösen Behandlung angeboten, oft noch bevor ein Versuch mit Medikamenten unternommen wurde. Dies erachtet Katz als besonders problematisch, weil einige Patienten, die einen chirurgischen Eingriff eigentlich ablehnen, einer PCI dann doch zustimmen, auch wenn damit ein höheres Mortalitätsrisiko als mit der CABG verbunden ist und die PCI dem Patienten mehr schaden kann als die medikamentöse Behandlung (3). O Petra Stölting Quellen: 1. Sipahi I et al.: Coronary artery bypass grafting vs percutaneous coronary intervention and long-term mortality and morbidity in multivessel disease – Metaanalysis of randomized clinical trials of the arterial grafting and stenting era. JAMA Intern Med 2014; 174(2): 223–230. 2. Stergiopoulos K et al: Percutaneous coronary intervention outcomes in patients with stable obstructive coronary artery disease and myocardial ischemia. JAMA Intern Med 2014; 174(2): 232–234. 3. Katz MH: Evolving treatment options in coronary artery disease. JAMA Intern Med 2014; 174(2): 231. Interessenkonflikte: 1: keine deklariert, 2: 2 der 9 Autoren haben Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten, 3: keine Angaben dazu vorhanden. ARS MEDICI 10 I 2014 559