Transkript
EDITORIAL
Da platzt einem doch der Kragen: Wer einen derartigen Unsinn mitbeschliesst, der oder die hat im Nationalrat
nichts verloren. Egal, welcher Partei er oder sie angehört. Basta! Die nationalrätliche Gesundheitskommission* hat nach über einjähriger Beratung zur zweiten HMG-Revision nämlich bestimmt, dass für jedes von einem Arzt direkt abgegebene Medikament zunächst ein Rezept ausgestellt werden muss – auch wenn der Patient gar keines will, sondern die Medis gleich mitnimmt. Das wäre etwa so, als ob jeder Erwachsene vor dem Mittagessen zwingend aufschreiben müsste, was er gleich essen wird. Angesichts eines solchen Schmarrens bringt einen nicht einmal mehr Asterix zum Lächeln («Sie spinnen, die …»). Das ist einfach nur dämlich (sorry: dümmlich). Natürlich ist die Absicht klar: Wieder einmal soll die Selbstdispensation oder DMA mit einem politischen
rechnen. Mehrkosten (für die ganz Dummen: es geht hier nicht um verdientes oder nicht verdientes Geld, sondern um in Franken umgerechnete Arbeitszeit): rund 150 Millionen. Der Verlust (an Arbeitszeit) von 5 Prozent von 5500 selbstdispensierenden Ärzten bedeutet: rund 300 Ärzte, vornehmlich Hausärzte, fehlen in der Sprechstunde. Eine hirnverbrannte Idee, jene Gruppe von Ärzten (arbeitszeitlich) zu dezimieren, für die man sich angeblich einsetzt, die den Hauptanteil der medizinischen Versorgung sicherstellt und volkswirtschaftlich weitaus am günstigsten arbeitet. Oder sollen etwa die Apotheker (die den ganzen Zauber wohl inszeniert haben) die Basisversorgung mittels Triage sicherstellen? Bleibt noch das scheinheilige Argument, mit der neuen Rezeptpflicht bringe man die Ärzte zu einem bewussteren und sparsameren Umgang mit Medikamenten. Frage: Warum wird die neueste Studie – veranlasst vom
Politik beschliesst, 300 Hausärzte zu «vernichten»!
Trick ausgehebelt werden: nämlich dermassen bürokratisch verkompliziert, dass man sich als Arzt den Aufwand am Ende nicht mehr leisten kann. Und das machen Politiker mit, die jahraus, jahrein beteuern, ihnen liege die Hausarztmedizin am Herzen. Für diese Damen und Herren gilt: Entweder sie lügen schamlos, oder sie sind zu dumm, um zu merken, was sie anrichten. Man stelle sich vor, was diese bürokratische, fachlich absolut nicht zu begründende Schikane bewirkt: Rund 5500 Ärzte müssen täglich durchschnittlich 20 bis 30 Rezepte ausstellen. Überflüssigerweise! Zeitaufwand pro Rezept: zirka 2 Minuten. Macht nach Adam Riese – den manche Politiker nicht kennen – rund 40 Minuten pro Tag. Über 3 Stunden pro Woche. Woche für Woche. Betriebswirtschaftlich gerechnet gehen damit von der 50-stündigen Wochenarbeitszeit eines Praktikers mehr als 5 Prozent für einen politisch motivierten Kokolores drauf. Auf Kosten der Patienten, für die der Arzt dann noch weniger Zeit hat. Unglaublich. Man kann die verschleuderten Stunden aber auch in Franken oder – noch eindrücklicher – in Hausärzte um-
BAG – von ebendiesem BAG zurückgehalten? Weil sie nachweist, dass die DMA kostengünstiger ist als die Rezeptur? Natürlich, genau deswegen! Die für manche unbequeme Kostenwahrheit soll offenbar bis nach der Revision des HMG dem Parlament vorenthalten werden. Hat hier jemand NICHT «Skandal» gerufen?
Dres. med. Richard Altorfer und Peter H. Müller
*Mitglieder der vorberatenden Kommission:
Präsident: Guy Parmelin, SVP, VD Vizepräsident: Ignazio Cassis, FDP, TI Roland F. Borer, SVP, SO Toni Bortoluzzi, SVP, ZH Marina Carobbio Guscetti, SP, TI Raymond Clottu, SVP, NE Thomas de Courten, SVP, BL Jacqueline Fehr, SP, ZH Sebastian Frehner, SVP, BS Yvonne Gilli, Grüne, SG Bea Heim, SP, SO Lorenz Hess, BDP, BE Ruth Humbel, CVP, AG
Maja Ingold, CVP, ZH Christian Lohr, CVP, TG Isabelle Moret, Radikale, VD Bruno Pezzatti, Radikale, ZG Stéphane Rossini, SP, VS Silvia Schenker, SP, BS Barbara Schmid-Federer, CVP, ZH Jean-François Steiert, SP, FR Daniel Stolz, Radikale, BS Christian van Singer, Grüne, VS Thomas Weibel, Grünliberale, ZH Jürg Stahl, SVP, ZH
ARS MEDICI 9 I 2014
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