Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Onkologie
Was bringt die Strahlentherapie bei fortgeschrittenem Lungenkrebs?
Eine Strahlentherapie kann den Tumor bei fortgeschrittenem Lungenkrebs zumindest vorübergehend zurückdrängen. Der Nutzen einer zusätzlichen Bestrahlung für die Überlebensdauer wurde nun erstmals in einer grösseren Studie untersucht. In Norwegen prüften Ärzte das Verfahren an 191 Patienten mit einem nicht operablen nicht kleinzelligen Bronchialkarzinom, der häufigsten Lungenkrebsvariante. Alle Patienten erhielten eine Chemotherapie. Bei der Hälfte wurde zusätzlich eine Strahlentherapie durchgeführt. Da viele Patienten nicht mit einer Randomisierung einverstan-
den waren und die Chance auf eine Bestrahlung nicht risikieren wollten, konnten nicht genügend Patienten in die Studie aufgenommen werden. Dennoch sei das Ergebnis eindeutig, so die Autoren der Studie. Die Kombination aus Chemo- und Strahlentherapie verlängerte die mittlere Überlebenszeit der Patienten von 9,7 auf 12,6 Monate. Dabei habe sich die Lebensqualität nicht verschlechtert, abgesehen von einer kurzen Phase während der Bestrahlung. Die häufigste Komplikation war eine vorübergehende Ösophagitis. Sie trat bei mehr als 85 Prozent der Patienten auf. Eine Ösophagitis kann sehr
schmerzhaft sein und die Nahrungsaufnahme behindern. In der Studie sei es deswegen nicht selten zu Krankenhausaufenthalten gekommen. Lebensverlängernd war die Bestrahlung nur bei Patienten, deren Alltagsaktivität durch die Krankheit noch nicht eingeschränkt war. Patienten, die durch Alter oder Erkrankung bereits stark behindert waren, hatten keinen Überlebensgewinn. RBO/DEGROO
Strøm HH et al.: Concurrent palliative chemoradiation leads to survival and quality of life benefits in poor prognosis stage III non-small-cell lung cancer: a randomised trial by the Norwegian Lung Cancer Study Group. Br J Cancer 2013; 109(6): 1467–1475.
Pädiatrie
Zu wenige lassen sich gegen Pertussis impfen
Eltern, Geschwister und andere Kontaktpersonen von Neugeborenen lassen sich noch zu selten gegen Pertussis impfen. Das ergab eine Umfrage, die vom Universitätskinderspital beider Basel (UKBB) unter Leitung von Prof. Ulrich Heininger durchgeführt wurde. Keuchhusten ist gerade für Neugeborene und junge Säuglinge gefährlich, weil sie noch keinen vollständigen, eigenen Impfschutz haben. Am häufigsten stecken sie sich bei ihren nahen Kontaktpersonen an, die meist im selben Haushalt leben. Deswegen empfiehlt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) seit 2012 Auffrischimpfungen gegen Keuchhusten auch für alle nahen Kontaktpersonen von Neugeborenen. Um zu erfahren, wie es um den Pertussisimpfschutz in der Praxis steht, schickte man allen Eltern von Neugeborenen (geboren zwischen Mai und September 2012 oder 2013) aus der Region Basel einen Fragebogen. Zirka ein Viertel der Bögen kamen ausgefüllt zurück (884 Familien). Nur bei 7 Prozent dieser Familien waren alle Kon-
taktpersonen des Neugeborenen entsprechend der BAG-Empfehlung gegen Pertussis geimpft. Offenbar war vielen Eltern die Bedeutung dieser Impfung nicht bekannt. Insgesamt gaben 37 Prozent der Mütter und 32 Prozent der Väter von Neugeborenen aus dem Jahr 2013 an, eine Keuchhustenimpfempfehlung gemäss den neuen Richtlinien des BAG erhalten zu haben. Tatsächlich impfen liessen sich von diesen zwei Drittel der informierten Mütter und gut die Hälfte der informierten Väter. Etwas besser sah es bei den Geschwistern der Neugeborenen aus: Von ihnen waren 79 Prozent gegen Keuchhusten altersentsprechend vollständig geimpft. Bei anderen nahen Kontaktpersonen, wie Grosseltern, Tante oder Onkel, waren es hingegen nur zwischen 1 und 18 Prozent. «Unsere Ergebnisse zeigen, dass sowohl bei Ärztinnen und Ärzten als auch bei den Eltern zukünftiger Neugeborener noch einiges an Aufklärungsarbeit zu leisten ist, um die Impfsituation zu verbessern», so Studienleiter Heinin-
ger. Man dürfe die Gefahr nicht unterschätzen. Trotz eines Rückgangs der Krankheitsfälle nach Einführung der Impfung in der Schweiz in den 1950er Jahren gebe es hierzulande auch heute noch viele Keuchhustenfälle. Betroffen sind Personen jeglichen Alters, aber vor allem bei Neugeborenen oder Säuglingen können bedrohliche Atempausen und Atemstillstände auftreten. Weitere Komplikationen sind Lungenentzündungen, Mittelohrentzündungen, Krampfanfälle (2–4%) und Hirnerkrankungen (0,5%) mit möglichen Dauerschäden. In 1 von 1000 Fällen endet die Erkrankung tödlich. Eine antibiotische Behandlung schützt nicht vor den Komplikationen des Keuchhustens. Auch am UKBB werden jedes Jahr mehrere Kinder, meist junge Säuglinge, wegen Keuchhusten stationär behandelt.
RBOO
Pressemitteilung des UKBB vom 28. April 2014.
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ARS MEDICI 9 I 2014
Prävention
Zu viel Selen schadet
Vor sechs Jahren wurde die SELECT-Studie (Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial) abgebrochen, als eine Zwischenauswertung ergab, dass Vitamin-E-Supplemente nicht vor Krebs schützen, sondern das Risiko im Gegenteil erhöhen können. SELECT war die grösste jemals zur Vorbeugung von Prostatakrebs durchgeführte Studie. Kürzlich zeigte sich in einer weiteren Auswertung, dass auch Selen das Krebsrisiko steigert. Es kam zu einem Anstieg von HighGrade-Prostatakarzinomen. Betroffen waren nur Männer, die zu Beginn der Studie bereits ausreichend mit dem Spurenelement versorgt waren. Eine Überdosierung von Selen im Organismus ist somit potenziell schädlich. Darüber hinaus zeigte die neuerliche Auswertung der SELECT-Studie, dass es bei der Gabe von Vitaminen und Spurenelementen zu mitunter unerwarteten Wechselwirkungen kommen kann. So erhöhten die Vitamin-EKapseln das Krebsrisiko bei Männern nur dann, wenn diese einen Selenmangel hatten.
Insgesamt zeigte sich einmal mehr, dass Vit-
amine und Spurenelemente nicht unkritisch
nach der Devise «viel hilft viel» eingesetzt
werden dürfen. Eine abwechslungsreiche
Ernährung stellt die Versorgung in der Regel
sicher.
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Kristal AR et al.: Baseline Selenium Status and Effects of Selenium and Vitamin E Supplementation on Prostate Cancer Risk. J Nat Cancer Inst 2014; doi: 10.1093/jnci/djt456.
RÜCKSPIEGEL
Vor 10 Jahren
Exklusive Datenbank
Ab 1. Mai 2004 müssen pharmazeutische Unternehmen ihre Arzneimittelstudien in der europäischen Datenbank European Clinical Trials Database (Eudract) hinterlegen. Für mehr Transparenz sorgt das jedoch kaum, da nur «befugte Bundesoberbehörden» die Daten sehen dürfen. Patienten und Forscher bleiben aussen vor. Etwas besser sieht es bereits damals in den USA aus, wo zumindest die öffentlich geförderten Studien unter www.clinicaltrials.gov angemeldet und für jedermann sichtbar aufgelistet werden; auch viele Firmen registrieren ihre Studien dort, nicht zuletzt, weil im Lauf der Zeit immer mehr einschlägige Fachblätter das als Voraussetzung für die Publikation der Resultate verlangen.
Vor 50 Jahren
Reiner Zufallsfund
Baruch Samuel Blumberg entdeckt 1965 auf der Suche nach Polymorphismen im Blut ethnisch verschiedener Völker per Zufall das Hepatitis-B-Virus-Antigen HBs-Ag.
Rheumatologie
Bier her!
Die US-amerikanische Nurses Health Study I und II (NHSI und NHSII) sind ein unerschöpflicher Quell statistischer Auswertun-
gen aller Art. Eher kurios, aber passend zur beginnenden Biergartensaison ist eine Auswertung nach Alkoholkonsum und Risiko für rheumatoide Arthritis. Die Autoren des von der Zeitschrift «Arthritis & Rheumatology» als publikationswürdig akzeptierten Werks kommen zu dem Schluss, dass biertrinkende Frauen ein um 31 Prozent
niedrigeres Risiko für rheumatoide Arthritis haben als ihre völlig abstinent lebenden Geschlechtsgenossinnen. Um das zu errechnen, brauchte es viele «Personenjahre»: In NHSI zählten die Rechenkünstler 580 neue Fälle in 1,9 Millionen Personenjahren, in NHSII waren es 323 in 1,78 Millionen Personenjahren. Na dann Prost! RBOO
Lu B, Solomon DH, Costenbader KH, Karlson EW: Alcohol consumption and risk of incident rheumatoid arthritis in women: A prospective study. Arthritis Rheumatol 2014; accepted April 2014.
Er entwickelt einen ersten Test, der das Screening von Blutprodukten ermöglicht. Elf Jahre später erhält Blumberg zusammen mit Daniel Carleton Gajdusk für seine Entdeckungen den Nobelpreis für Medizin; später wird Blumberg Direktor des Instituts für Astrobiologie der Nasa. Heute kennt man weitere HBs-Antigene, sie alle geben Auskunft über den Infektionsstatus eines Hepatitis-BPatienten (Grafik: Wikipedia).
Vor 100 Jahren
Echte Farbfotos
Im Jahr 1914 erscheint im Enke-Verlag das Buch «Farbenphotographie in der Medizin» von Adolf Jaiser und Karl Steinthal. Das Werk versteht sich als «Praktischer Ratgeber für farbenphotographische Aufnahmen am lebenden und lebelosen Objekt zum Gebrauch für Ärzte». Auf 122 Seiten erschienen erstmals zahlreiche Farbfotos von Organen, histologischen Präparaten und medizinischen Gegenständen. Auch das im August des gleichen Jahres erscheinende neurologische Grundlagenwerk von Joseph Jules Déjerine enthält zahlreiche Farbfotos.
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