Transkript
FORTBILDUNG
Atopische Dermatitis – ein Update
Was gibt es Neues zu Prävention und Therapie?
Einer der häufigsten Hautkrankheiten, der atopischen Dermatitis, war kürzlich eine Artikelreihe in der Zeitschrift «Allergy» gewidmet. Die Themen reichten von Epidemiologie, Prävention und Therapie bis zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu pathophysiologischen Mechanismen. Im Folgenden werden die für die Praxis wichtigsten neuen Erkenntnisse zusammengefasst.
genetische Veranlagung, denn die Kinder von Eltern mit Allergien tragen ein höheres Risiko, eine AD zu entwickeln; auch Infektionen nach der Geburt oder abnormer Neugeborenenikterus steigern das AD-Risiko. Während man früher dazu riet, potenzielle Allergene bei Babys und Kleinkindern möglichst lange zu vermeiden, weiss man mittlerweile, dass eine frühzeitige Exposition eher nützlich als schädlich ist, denn sie erzeugt eher Toleranz gegenüber potenziellen Allergenen (3). Eine Übersicht zu bekannten Risiko- und Präventionsfaktoren bietet die Tabelle.
ALLERGY
Obwohl die typischen Hautveränderungen der atopischen Dermatitis sich von Patient zu Patient kaum unterscheiden, ist der individuelle Verlauf recht unterschiedlich, sodass für jeden Patienten eine massgeschneiderte Behandlung erforderlich ist. Grund für die Variabilität in Ausprägung und Verlauf der atopischen Dermatitis, die oft mit allergischer Rhinitis, Asthma und IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien einhergeht, ist die Tatsache, dass ihr offenbar keine ganz bestimmte, einzigartige Ursache zugrunde liegt, sondern dass das Zusammenwirken verschiedener Faktoren zu atopischer Dermatitis führen kann (1), die im Folgenden als AD abgekürzt wird.
Risiko und Prävention Die Prävalenz der AD wird auf weltweit gut 20 Prozent geschätzt, wobei sie in ländlichen, wenig industrialisierten Regionen seltener ist und mit dem Grad der «Verstädterung» ansteigt (2). Es gibt neben den Umweltfaktoren eine klare
Merksätze
O Die gestörte Hautbarriere ist ein wichtiger Faktor der AD.
O Die Basistherapie besteht im Vermeiden von Hautreizungen und in der Behandlung mit Emollienzien.
O Die proaktive antientzündliche Therapie mit topischen Substanzen ist eine neue Strategie.
O Schuld an einer anscheinend therapieresistenten AD ist häufig eine mangelnde Compliance.
Geschädigte Hautbarriere als Schlüsselfaktor Bei der Entwicklung einer AD ist nicht nur die angeborene und erworbene Immunität gestört, sondern insbesondere auch die Barrierefunktion der Haut. Von zentraler Bedeutung für die epidermale Schutzfunktion ist das Filaggrinprotein, dessen Synthese aufgrund genetischer Defekte bei AD gestört sein kann. Filaggrin gehört zu den wichtigsten Bestandteilen natürlicher Substanzen, die für eine gute Hautfeuchtigkeit sorgen. Daneben tragen mangelnde Verbindungen der Hautzellen untereinander (tight junctions) zur fehlerhaften Barrierefunktion der Haut bei (1). AD-Patienten sind anfälliger für Hautinfektionen mit Staphylococcus aureus, die wiederum Endotoxine produzieren, welche die Hautschäden bei AD verschlimmern – ein Teufelskreis. Routinemässige antibiotische Behandlungen als Prävention sind jedoch nicht empfehlenswert, da sie die AD-Symptome nur wenig verbessern; selbstverständlich muss aber antibiotisch behandelt werden, wenn ein offenkundig infiziertes Ekzem vorliegt (3). Das Eczema herpeticatum infolge einer Infektion mit Herpes-simplex-Viren ist ebenfalls eine Komplikation der AD aufgrund der gestörten Hautbarrierefunktion (1). Unter den wichtigsten Differenzialdiagnosen sind die Kontaktdermatitis, die perorale Dermatitis sowie Hyper-IgESyndrome (HIES) zu nennen, aber auch mikrobielle Ekzeme, Windeldermatitis, andere juckende Ekzeme (z.B. Skabies) oder auch Hauterkrankungen wie Psoriasis oder Mykosen (1).
Basistherapie Emollienzien lindern die Hautreizung und den Juckreiz. Es gibt es eine grosse Auswahl an Lotionen, Cremes und Badezusätzen mit unterschiedlichen Wirkstoffen (z.B. Hautpflegeprodukte mit Harnstoff [z.B. Eucerin®] oder Polidocanol [z.B. Optiderm®, Pruri-med Lipolotion®] oder synthetische Tannine als Badezusatz [Tannosynt®]). Das Eincremen direkt nach dem Bad ist empfehlenswert, ebenso die Anwendung
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FORTBILDUNG
Tabelle:
Risiko- und Präventionsfaktoren der AD
Risikofaktoren: O «westliche» Ernährung O Behandlung mit Breitbandantibiotika O verminderte Vielfalt in der Darmflora O Luftverschmutzung durch Verkehr (NO2/CO2) O Adipositas O Bewegungsmangel
Protektive Faktoren: O UV-Strahlung (Sonnenexposition) O Mutter hatte während Schwangerschaft Kontakt mit Tierhaltung in
der Landwirtschaft O Mutter trank während der Schwangerschaft unbehandelte Milch O Wurminfektionen der Mutter während der Schwangerschaft O Hundehaltung O hoher Expositionsgrad mit Endotoxinen O intensives Eincremen mit Emollienzien in den ersten Lebenswochen O Prä- und Probiotika während der Schwangerschaft O Prä- und Probiotika für das Kind (nur präventiv; kein Nutzen bei eta-
blierter AD)
Kein nachweisbarer Einfluss auf das AD-Risiko: O verlängertes, ausschliessliches Stillen O Routineimpfungen in der Kindheit O bakterielle oder virale Pathogene O Ernährungssupplemente für das Kind O mütterlicher Verzicht auf potenziell allergene Nahrungsmittel
(z.B. Erdnüsse) O Vermeidung von Hausstaubexposition
nach Flohr und Mann (2, 3)
feucht-fetter Umschläge. Die Guidelines der European Academy of Dermatology and Venereology aus dem Jahr 2012 gelten unverändert (4): Die Basistherapie besteht im Vermeiden spezifischer und unspezifischer Reize der Haut und in der Behandlung mit Emollienzien.
Topische antientzündliche Wirkstoffe Für die antientzündliche Therapie stehen topische Glukokortikoide oder die Calcineurinhemmer Pimecrolimus (Elidel®) oder Tacrolimus (Protopic®) zur Verfügung, wobei die Glukokortikoide zwar eine etwas stärkere antientzündliche Wirkung, aber auch mehr Nebenwirkungen entfalten (z.B. Hautatrophie). Der kurzfristige Nutzen der topischen Glukokortikoide und Calcineurinhemmer ist bekannt, aber das Vorliegen einer langfristigen Remission ist schwer einzuschätzen. Die Haut eines AD-Patienten mag wieder gesund aussehen, sie ist aber immunologisch nicht normal. Das hat zu einem neuen Konzept der «proaktiven Therapie» geführt. Sie besteht aus einer niedrig dosierten, intermittierenden Applikation antientzündlicher topischer Medikamente auf die ehemaligen Läsionsflächen sowie aus der anhaltenden Weiterbehandlung der gesamten Haut mit Emollienzien (1).
Systemische Therapie Eine systemische immunsuppressive Behandlung kommt in schweren, therapieresistenten AD-Fällen infrage. Dabei ist zu beachten, dass «refraktäre AD» keineswegs immer für das Versagen der topischen Therapie spricht, sondern oft nur für mangelnde Compliance. Individuelle Behandlungspläne, Aufklärung der Patienten sowie praktische und schriftliche Anleitungen helfen, die Compliance zu verbessern. So können beispielsweise durch das Anlegen fett-feuchter Umschläge die Wirkung topischer Medikamente verstärkt und der Juckreiz schneller gelindert werden (5). Die Studienlage für systemische Immunsupressiva bei AD ist dürftig. Lediglich Ciclosporin ist für die Behandlung bei schwerer AD zugelassen. Die Autoren eines kürzlich publizierten Reviews randomisierter Studien mit 12 verschiedenen systemischen AD-Therapien kommen zu dem Schluss, dass Ciclosporin A (Sandimmun Neoral®) als First-Line-Medikament zum kurzzeitigen Gebrauch empfohlen werden kann. Als Alternative nennen sie Azathioprin, dessen Wirksamkeit jedoch geringer sei. Als dritte Wahl bezeichnen sie Methotrexat; zu weiteren Substanzen wie systemischen Glukokortikoiden, Mycophenolat Mofetil, Montelukast oder intravenösen Immunoglobulinen geben sie mangels ausreichender Studiendaten keine Empfehlungen (6).
Und das Vitamin D?
Vitamin D spielt eine Rolle bei vielen immunologischen Pro-
zessen. Seine Bedeutung im Rahmen der AD ist jedoch noch
unklar, und die Erkenntnisse zu Vitamin-D-Status und thera-
peutischen Effekten einer Supplementation bei AD sind
widersprüchlich (5). So fand man keinen Unterschied im
Vitamin-D-Spiegel bei AD-Patienten und gesunden Kontroll-
personen, aber eine inverse Korrelation mit Ekzemen bei
Kindern: Je höher ihr Vitamin-D-Spiegel war, umso mehr Ek-
zeme hatten sie. In einer anderen Studie zeigte sich hingegen,
dass AD-Patienten mit sehr niedrigen Vitamin-D-Spiegeln
(4–15 ng/ml) von einer Supplementation profitieren – wäh-
rend andere Forscher bei Kindern unter Vitamin-D-Supple-
mentation ein erhöhtes Risiko für Nahrungsmittelallergien
feststellten.
Insofern ist eine Vitamin-D-Gabe zum Zweck der AD-The-
rapie nicht sinnvoll, aber man sollte mit den Kindern mass-
voll in die Sonne gehen: UV-Strahlung ist bekanntermassen
wirksam gegen AD (4).
O
Renate Bonifer
Literatur: 1. Wollenberger A, Feichtner K: Atopic dermatitis and skin allergies – update and
outlook. Allergy 2013; 68: 1509–1519. 2. Flohr C, Mann J: New insights into the epidemiology of childhood atopic dermatitis.
Allergy 2014; 69: 3–16. 3. Flohr C, Mann J: New approaches to the prevention of childhood atopic dermatitis.
Allergy 2014; 69: 56–61. 4. Ring J et al.: Guidelines for treatment of atopic eczema (atopic dermatitis) Part II.
J Eur Acad Dermatol Venereol 2012; 26 (9): 1176–1193. 5. Simon D, Bieber T: Systemic therapy for atopic dermatitis. Allery 2014; 69: 46–55. 6. Roekevisch E et al.: Efficacy and safety of systemic treatments for moderate-to-
severe atopic dermatitis: A systematic review. J Allergy Clin Immunol 2014; 133: 429–438.
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