Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Infektiologie
Diskussion um Grippemittel geht weiter
Die Autoren einer neuen CochraneAnalyse (1) kommen zu dem Schluss, dass Oseltamivir (Tamiflu®) nicht viel gegen Grippe bewirken kann. Das Gleiche gilt für den Neuraminidasehemmer Zanamivir (Relenza®). Insgesamt wurden 20 Studien mit Oseltamivir mit 9623 Teilnehmern und 26 ZanamivirStudien mit 14628 Teilnehmern berücksichtigt. Oseltamivir verkürzt die Krankheitsdauer demnach in der Tat, aber nur um weniger als einen Tag, nämlich im Mittel um 16,8 Stunden, wobei das 95-Prozent-Konfidenzintervall von 8,4 bis 25,1 Stunden reicht (p<0,001). Nicht besser sieht es für Zanamivir aus, für das eine Verkürzung der Symptomdauer von durchschnittlich 14 Stunden festgestellt wurde. Eines der Hauptargumente für die Einlagerung von Oseltamivir-Vorräten für eine Grippepandemie war die Hoffnung, damit im Ernstfall die Hospitalisationsrate zu senken. Diese Hoffnung ist vergeblich: Oseltamivir hat keinen Einfluss auf die Hospitalisationsrate. Ein kleiner Vorteil zugunsten von Oseltamivir zeigte sich in den berichteten, aber nicht diagnostisch verifizierten Pneumonien. Wenn 100 Personen das Medikament nahmen, blieb einem von ihnen eine solche Pneumonie erspart, wobei das 95-Prozent-Konfidenzintervall sehr breit war: Es hätte demnach genauso gut einer von 67 oder einer von 451 sein können. In Studien, in denen detaillierte Diagnosebögen zur Feststellung einer Pneunomie verwendet wurden, zeigte sich kein statistisch signifikanter Vorteil für Oseltamivir. Bei prophylaktischer Gabe von Oseltamivir sank das Risiko für symptomatische Influenza um 3,05 Prozent; man musste statistisch betrachtet 26 bis 55 Personen das Medikament prophylaktisch geben, damit einer profitiert; bei Zanimivir hätten es 40 bis 103 Personen sein müssen. Etwas besser sah die Bilanz für gesunde Angehörige im Haushalt eines Erkrankten aus: Für sie sank das Risiko mit Oseltamivir um 13,6 Prozent und mit Zanimivir um 14,84 Prozent; hier profitierte 1 von 6 bis 11 beziehungsweise 7 bis 9 Personen von der prophylaktischen Gabe. Dem relativ bescheidenen Nutzen steht eine Reihe von Nebenwirkungen gegenüber, sodass die Nützlichkeit der Neuraminidasehemmer in Frage gestellt wird. Wie immer gibt es auch Ärzte, die die Sache anders sehen. So kam der Autor einer kürzlich publizierten Studie zu dem Schluss, dass Oseltamivir die Sterberate von Pneumoniepatienten im Spital halbiert habe, sofern man sie innert 48 Stunden mit dem Medikament behandelte (2). Die Resultate einer weiteren von Roche gesponserten Studie stehen noch aus; sie sollen im September vorgestellt werden (3). RBOO 1. Jefferson T, Jones MA, Doshi P et al.: Neuraminidase inhibitors for preventing and treating influenza in healthy adults and children. Cochrane Database of Systematic Reviews 2014, Issue 4. Art. No.: CD008965. DOI: 10.1002/14651858.CD008965.pub4. 2. Muthuri SG et al., the PRIDE Consortium Investigators: Effectiveness of neuraminidase inhibitors in reducing mortality in patients admitted to hospital with influenza A H1N1pdm09 virus infection: a meta-analysis of individual participant data. Lancet Respiratory Medicine 2014; online 19 March 2014; doi: 10.1016/S2213-2600(14)70041-4. 3. www.mugas.net Genetik Geerbte Traumata? Können traumatisierte Grosseltern ihr Leid bis in die Enkelgeneration vererben? Psychologen kennen zwar das Phänomen, dass traumatische Erlebnisse Verhaltensauffälligkeiten auslösen können, die von Generation zu Generation weitergegeben werden, aber eine Vererbung im genetischen Sinn ist das nicht. Ein Hirnforscherteam um Isabelle Mansuy an der ETH Zürich glaubt, dass eine echte, physiologische Vererbung von Traumata per MicroRNA möglich ist. Diese kurzen RNAMoleküle entstehen aus der «Abschrift» einzelner Abschnitte der DNA, die vom Zellkern in das Zytoplasma wandern und dort für regulatorische Aufgaben weiterbearbeitet und massgeschneidert werden. Micro-RNA regelt beispielsweise, wie viele Kopien eines bestimmten Proteins produziert werden. Mansuy und ihr Team untersuchten die Anzahl und Art verschiedener MicroRNA in Mäusen, die sie stressigen Situationen ausgesetzt hatten, und verglichen die Werte mit nicht gestressten Mäusen. Dabei entdeckten sie, dass Stress zu einem Ungleichgewicht der unterschiedlichen Micro-RNA-Moleküle in Blut, Gehirn und in Spermien führt. Dadurch laufen Zellprozesse, die durch diese Micro-RNA gesteuert werden, bei den Tieren unterschiedlich ab. Nach den Stresserfahrungen verhielten sich die Mäuse deutlich anders, und diese Verhaltensauffälligkeiten übertrugen sich durch Spermien auch auf die nächste Generation, obwohl der Mäusenachwuchs selbst keinem Stress ausgesetzt wurde. Auch der Stoffwechsel des Nachwuchses der gestressten Mäuse war beeinträchtigt: Insulin- und Blutzuckerspiegel lagen bei diesem tiefer als bei Jungtieren, deren Elterngeneration keinen Stress erfahren hatte. Der gleiche Mechanismus könnte auch der Vererbung anderer erworbener Eigenschaften zugrunde liegen, vermutet Mansuy: «Die Umwelt hinterlässt ihre Spuren im Gehirn, den Organen und auch in Keimzellen. So werden diese Spuren teilweise an die nächste Generation weitergegeben.» Ob das tatsächlich so ist, muss aber erst noch bewiesen werden. RBOO Gapp K, Jawaid A, Sarkies P et al.: Implication of sperm RNAs in transgenerational inheritance of the effects of early trauma in mice. Nature Neuroscience, April 7, 2014, DOI: 10.1038/nn.3695 und April 13, 2014, DOI: 10.1038/nn.3695 sowie Pressemitteilung der ETH Zürich vom 13. April 2014 406 ARS MEDICI 8 I 2014 Plastische Chirurgie Im Labor gezüchtetes Nasengewebe erfolgreich implantiert Ein Team von der Universität Basel hat im Labor gezüchtetes Knorpelgewebe zur Rekonstruktion von Nasen nach einer Tumorresektion erfolgreich eingesetzt. Die Patienten waren zwischen 76 und 88 Jahre alt. Ein Jahr nach der erfolgreichen Wiederherstellung der Nasenflügel waren alle Empfänger sowohl mit ihrer Fähigkeit zur Nasenatmung zufrieden wie auch mit dem äusseren Erscheinungsbild ihrer Nase. Sie berichteten von keinen Nebenwirkungen. Das Basler Team hatte 5 Patienten, bei denen ein Teil der Nase wegen Hautkrebs entfernt werden musste, Knorpelzellen aus der Nasenscheidewand entnommen, diese 2 Wochen lang im Labor vermehrt und dann weitere 2 Wochen auf einer Matrix kultiviert. Die Knorpeltransplantate wuchsen so auf das 40-Fache der ursprünglichen Biopsie heran. Die Transplantate (Foto: Universität Basel) wurden auf die Form der defekten Stelle am Nasenflügel zurechtgeschnitten und implantiert. In der Regel werden Transplantate zur Rekonstruktion eines Nasenflügels aus der Nasenscheidewand, einem Ohr oder einer Rippe entnommen. Dieses Verfahren sei je- doch äusserst invasiv, schmerzhaft und kann, bedingt durch die zusätzliche Operation, zu Komplikationen an der Entnahmestelle führen, heisst es in einer Pressemitteilung der Universität Basel. Ähnliche Transplantate werden derzeit in einer Parallelstudie für die Knorpelrekonstruktion im Kniegelenk getestet. Die routinemässige Anwendung des Verfahrens in der klinischen Praxis sei aber noch in weiter Ferne. RBOO Fulco I, Miot S, Haug MD et al.: Engineered autologous cartilage tissue for nasal reconstruction after tumour resection: an observational first-in-human trial. Lancet 2014; pii: S01406736(14)60544-4; Pressemitteilung der Universität Basel vom 11. April 2014. RÜCKSPIEGEL Vor 10 Jahren Genfarm Ein Forscherteam aus Deutschland und Österreich publiziert am 22. April 2004 in der Zeitschrift PNAS, dass ihnen die Produktion komplexer Antikörpermoleküle in transgenen, geklonten Kälbern gelungen ist. Um die genetische Information in das Erbgut der Tiere einzubringen, schleuste man es in embryonale Zellen ein und erzeugte daraus 9 identische Klone. Die Designer-Proteine können aus dem Blut der Tiere zur weiteren Verwendung in grossen Mengen gewonnen werden. Nach Angaben der Forscher würden die Tiere dadurch nicht geschädigt. «Gene farming» sei somit eine attraktive Alternative zur Technik der Produktion von Protein-Arzneimitteln in Zellkulturen. Vor 50 Jahren Expo mit U-Boot Am 30. April 1964 wird die EXPO in Lausanne eröffnet. Sie war mit ihren futuristisch wirkende Fortbewegungsmitteln und rund 10 Millionen Besuchern ein grosser Erfolg. Als einer der Höhepunkte galt die Fahrt im Unterseeboot Mesoscaphe (Foto: Dondui, cc) von Auguste Piccard in die Tiefen des Genfersees. Viel sehen konnte man in dem trüben Wasser nicht. Hypertonie Keine duale Hemmung des ReninAngiotensin-Systems! Die europäische Arzneimittelbehörde EMA warnt vor der Kombination verschiedener Medikamentenklassen, die das Renin-Angiotensin-System hemmen (RAS). ACE-Hemmer sollen demnach nicht mit Sartanen und keine der beiden Wirkstoffklassen mit dem direkten Reninhemmer Aliskiren kombiniert werden. Die Erkenntnis, dass eine duale Hemmung des Renin-Angiotensin-Systems mehr Schaden als Nutzen bringt, ist nicht neu. So hatte sich bereits vor gut 5 Jahren in der ONTARGET-Studie gezeigt, dass die Kombination eines ACE-Hemmers (Ramipril) mit einem Angiotensinrezeptorblocker (Telmisartan) unter anderem zu einer erhöhten Mortalität führt sowie negative Folgen für die Nierenfunktion hat, die sich beispielsweise als erhöhtes Dialyserisiko und eine Verdopplung des Serumkreatinins manifestierte. Die EMA-Kommission für Arzneimittelsicherheit (PRAC) warnt denn auch insbesondere bei Patienten mit Nierenproblemen vor einer dualen RAS-Blockade. Falls die Kombination eines ACE-Hemmers mit einem Sartan doch erwogen werden müsse, sei die Überwachung des Patienten durch Spezialisten zwingend, heisst es in einer Pressemitteilung der EMA. Dies betreffe auch die in der EU zugelassene Indikation von Candesartan beziehungsweise Valsartan als Add-on-Therapie mit einem ACE-Hemmer. Die Kombination von Aliskiren mit einem ACE-Hemmer oder einem Sartan ist in jedem Fall strikt kontraindiziert. RBOO Pressemitteilung der EMA vom 11. April 2014 Vor 100 Jahren Fingerabdruck An einem internationalen Polizeikongress in Monaco beschliesst man, die Daktyloskopie als Hilfsmittel zur Identifizierung und Registrierung Krimineller europaweit einzuführen. Durch den Ausbruch des 1. Weltkriegs wenige Monate später verzögert sich die Umsetzung dieses Plans jedoch erheblich. RBO