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FORTBILDUNG
Herzinsuffizienz bei Mann und Frau
Gar nicht so kleine Unterschiede
Frauen mit Herzinsuffizienz unterscheiden sich in Pathophysiologie, Symptomatik und klinischem Befund signifikant von Männern mit Herzinsuffizienz. Zudem wird die Diagnose bei Frauen später gestellt. Möglicherweise erklärt sich damit die zum Teil schlechtere Prognose einzelner Subgruppen weiblicher Patienten. Was die Therapie angeht, scheint es keine geschlechtsspezifischen Unterschiede zu geben. Allerdings fehlen hierfür noch valide Daten.
ROBERT H.G. SCHWINGER
Im Vergleich zu Männern mit Herzinsuffizienz haben Frauen meist eine bessere Pumpfunktion, häufiger Herzinsuffizienz mit erhaltener Pumpfunktion (HP-PEF), zeigen weniger häufig eine ischämische Kardiomyopathie und haben meist einen Hypertonus und Stauungszeichen (Tabelle, [1]). Zudem sind Frauen bei der Erstdiagnose einer Herzinsuffizienz im Schnitt 2,7 Jahre älter als Männer. Diese pathophysiologischen und klinischen Unterschiede schlagen sich auch in einer veränderten Expression von Biomarkern nieder, wie zum Beispiel NTproBNP, GDF/15, TNF/alphaR1A etc. (2). Experimentelle Daten konnten zeigen, dass wenigstens einige dieser pathophysiologischen Veränderungen durch die unterschiedliche Östrogenexpression bedingt sind. Auffallend ist auch, dass Frauen ein effektiveres Remodeling zeigen (3). Zur Bedeutung der pathophysiologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern existieren allerdings praktisch nur tierexperimentelle Studien. Analysen am Menschen zu Pathophysiologie, klinischer Manifestation und Therapie sind meist retrospektiv oder basieren auf Subgruppen grosser Herzinsuffizienzstudien. Zudem ist in den
Merksätze
O Ein Überlebensvorteil für Frauen mit systolischer Herzinsuffizienz im Vergleich zu Männern ist nur für Frauen ohne KHK belegt.
O Kardiale Resynchronisationstherapie (Defibrillatorimplantation) wirkt möglicherweise bei Frauen besser.
grossen plazebokontrollierten Therapiestudien das weibliche Geschlecht signifikant unterrepräsentiert. Analysen zu genderspezifischen Therapieoptionen zeigen meist bessere Ergebnisse bei Frauen im Vergleich zu Männern (z.B. CHARMStudie) – allerdings sind das nur Subgruppenanalysen.
Unterschiedliche Krankheitsfolgen Wir wissen heute, dass Patienten mit akuter Herzinsuffizienz ein hohes Risiko haben, eine chronische Herzinsuffizienz im weiteren Verlauf zu entwickeln. Zudem ist bekannt, dass Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz häufig akute Dekompensationen erleiden, die zum einen die Pumpfunktion und zum andern die Krankheitsauswirkungen weiter ungünstig beeinflussen (Abbildung 1). Hauptrisiko für das Auftreten einer akuten Herzinsuffizienz ist die Entwicklung eines akuten Koronarsyndroms. Frauen zeigen bei ST-Hebungs-Infarkt (STEMI) eine höhere Mortalität und haben ein höheres Risiko, infolge einer Koronarintervention einen kardiogenen Schock zu erleiden. Zudem werden Frauen mit akutem Koronarsyndrom weniger wahrscheinlich einer invasiven Diagnostik unterzogen und bei gleicher Komorbidität und gleichem Stenosegrad weniger häufig einer Koronarintervention zugeführt (4). Diese «Ungleichbehandlung» kann die Entwicklung einer Herzinsuffizienz und deren Prognose beeinflussen. In einer jüngst vorgestellten Analyse (5) konnte nachgewiesen werden, dass bei Frauen mit eingeschränkter systolischer Pumpfunktion nur dann ein besseres Resultat bei Herzinsuffizienz besteht, wenn sie nicht an einer koronaren Herzerkrankung leiden.
Therapieleitlinien der ESC 2012 Bei Patienten mit symptomatischer Herzinsuffizienz (NYHA II, III, IV) besteht die Indikation zur Kombinationstherapie mit ACE-Hemmern (bei ACE-Hemmer-Unverträglichkeit: AT1-Antagonisten), Betablockern (bei Herzfrequenz > 70/min trotz Betablockern zusätzlich Ivabradin), einem Aldosteronantagonisten sowie Diuretika (Abbildung 2) (6). Der Einsatz von automatischen implantierbaren Kardiovertern/Defibrillatoren (ICD) und kardialer Resynchronisationstherapie wird in den neuen Guidelines ausdrücklich betont. Prospektive Daten zur Differenzialtherapie, abhängig vom Geschlecht, liegen nicht vor. Die Arbeitsgruppe von Professor Böhm untersuchte an 1857 Patienten den Einfluss des Patientengeschlechts wie auch des Arztgeschlechts auf Therapie und Therapieentscheidungen bei Herzinsuffizienz. Frauen erhielten signifikant seltener ACE-Hemmer beziehungsweise
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Tabelle:
Unterschiede zwischen Frauen (n = 54 674) und Männern (n = 50 713) mit dekompensierter Herzinsuffizienz
mittleres Alter LVEF (im Mittel) EF > 40% mittlerer systolischer Blutdruck (mmHG) ischämische Ursache KHK Hypertonie Diabetes Raucher Lungenödem
Frauen 74,5 42 51% 148 19% 51% 76% 44% 10% 86%
Männer 70,1 33 28% 139 32% 64% 70% 44% 17% 83%
LVEF: linksventrikuläre Ejektionsfraktion; EF: Ejektionsfraktion; KHK: koronare Herzkrankheit
Kompensiert NYHA I: keine Symptome
NYHA II: Symptome bei starker Belastung
NYHA III: Symptome bei leichter Belastung
Verlauf
De-novo akute Herzinsuffizienz
NYHA IV: Ruhedyspnoe
Dekompensiert
Phasen der akuten Dekompensation bei chronischer Herzinsuffizienz
Zeit
• Prävalenz ca. 1–10% • Fünfjahresmortalität ca. 40–50% • häufigste Spitaleinweisungsdiagnose > 65 Jahre
Abbildung 1: Zeitverlauf der Herzinsuffizienz
Betablocker. Zudem war die Dosierung signifikant geringer im Vergleich zu Männern. Der Einsatz der leitliniengerechten Therapie insbesondere bei Frauen war abhängig vom Geschlecht des behandelnden Arztes. Dies zeigt, dass immer noch zu wenig leitliniengerechte Therapie umgesetzt wird und dies das Resultat mindestens so bedeutsam beeinflusst wie mögliche Genderunterschiede – für die es gute pathophysiologische Gründe und tierexperimentelle Modelle gibt. Der Nutzen einer symptomatischen Therapie mit Diuretika ist klinisch eindeutig belegt. In den grossen prospektiven Studien, die die überlebensverlängernde Wirkung von ACEHemmern und Betablockern nachgewiesen haben, wurden sowohl in der Plazebo- wie auch in der Verumgruppe praktisch alle Patienten zusätzlich mit Diuretika behandelt. Weniger klar ist der Nutzen einer salzrestriktiven Diät. Diese wurde von Frauen besser befolgt als von Männern.
Therapieadhärenz bei Frauen besser Die Einnahmetreue gegenüber kardiovaskulären Medikamenten ebenso wie die Adhärenz zu Therapieanweisungen beeinflussen das weitere Überleben signifikant. Das zeigen auch Untersuchungen mit Plazebo. Eine bessere Medikamentenadhärenz bei Frauen kann somit auch Krankheitsverlauf und Überleben beeinflussen. In der CHARM-Studie (Candesartan in Heart Failure: Assessment of Reduction in Mortality and Morbidity) konnte ein verbessertes Überleben für Frauen nachgewiesen werden. Entsprechende retrospektive Analysen für den Einsatz von ACE-Hemmern oder Betablockern sind widersprüchlich, prospektive Untersuchungen liegen nicht vor. In der DIG-Studie (Plazeboarm) zeigte sich ebenfalls ein Überlebensvorteil für Frauen unabhängig von der Auswurffraktion, der zugrunde liegenden Erkrankung und der Dauer der Herzinsuffizienz. Allerdings ist in all diesen Studien das weibliche Geschlecht unterrepräsentiert, und es liegen keine prospektiven Daten vor. In der Subgruppe von Männern mit Serumdigoxinspiegeln zwischen 0,5 und 0,8 ng/ml zeigte sich in der DIG-Studie ein prognoseverbessernder Effekt der Digoxintherapie. Retrospektive Analysen dieser gross angelegten Studie mit 6325 Patienten zeigten keine Reduktion der Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz und eine erhöhte Mortalität, insbesondere bei Frauen (Verumarm) mit Hypertonus, besserer Pumpfunktion und höherem systolischen Blutdruck. Somit sollten wir vorsichtig sein mit Digitalis bei Frauen mit Hypertonus und wenig eingeschränkter Pumpfunktion. Multivariante Analysen zeigen keinen geschlechterspezifischen Vorteil bei einer Therapie mit Betablockern oder ACE-Hemmern. Jedoch kann das Geschlecht die Pharmakokinetik beeinflussen. Ein unterschiedliches Verteilungsvolumen (geschlechterabhängige Fettverteilung) kann den Wirkspiegel und die Wirksamkeit eines Medikaments beeinflussen. Das erklärt zum Teil die unterschiedlichen Digitalisspiegel in der DIGStudie bei Männern und Frauen. Das Alter beeinflusst zum Beispiel auch die Pharmakokinetik von Eplerenon. Da Frauen bei der Diagnosestellung Herzinsuffizienz 2,7 Jahre älter sind als Männer, kann auch hierdurch der Therapieeffekt beeinflusst werden. Wesentlich ist beim Einsatz von Aldosteronantagonisten das Nebenwirkungsprofil, zum Beispiel ist das Auftreten von Gynäkomastie oder Impotenz abhängig von der Substanz (Häufigkeit Gynäkomastie für Eplerenon/Plazebo: 0,5%/0,6%; für Spironolacton/Plazebo [RALES-Studie]: 9%/1%).
Kardiale Resynchronisationstherapie bei Frauen effektiver? Die aktualisierte Leitlinie Herzinsuffizienz 2012 der ESC betont den Einsatz der kardialen Resynchronisation und den Einsatz der Defibrillatorimplantationen bei Herzinsuffizienz (7). In der MADIT-CRT-Studie (Multicenter Automatic Defibrillator Implantation Trial with Cardiac Resynchronisation Therapy) (8) zeigte sich ein Überlebensvorteil bei Frauen im Vergleich zu Männern. Aber auch hier wird die Aussage dadurch limitiert, dass diese Subgruppenanalyse nicht gepowert war, um diesen Effekt mit genügender statistischer Signifikanz prospektiv untersucht zu belegen.
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ACE-Hemmer (ARB) Betablocker (Ivabradin bei Hf > 70/min)
Aldosteronantagonist Digitalis Diuretika
n-3-PUFA (GISSI-HF)
Unterschiede in der Metabolisierung sind zu beachten und beeinflussen die Pharmakokinetik möglicherweise geschlechterspezifisch. Der Wert der kardialen Resynchronisationstherapie und damit der Nutzen eines «reverse remodeling» ist effektiver bei Frauen als bei Männern, aber auch hier fehlen prospektive Daten. Frauen und Männer sollten in gleicher Weise einer evidenzbasierten leitliniengerechten Therapie entsprechend den Guidelines der ESC für Herzinsuffizienz 2012 zugeführt werden. Wir brauchen mehr prospektive Daten zur Wirksamkeit medikamentöser und interventioneller Therapieansätze bei Herzinsuffizienz für Frauen im Vergleich zu Männern. Sicher ist: Frauen und Männer sind unterschiedlich! O
Fe i.v.
NYHA I
NYHA II
NYHA III
NYHA IV
ACE = «angiotensine converting enzyme»; ARB = Angiotensinrezeptorblocker; n-3-PUFA = «n-3 polyunsaturated fatty acids»; Fe = Eisen
Abbildung 2: Therapie der Herzinsuffizienz (nach ESC-Guidelines 2012)
Prof. Dr. med. Robert H.G. Schwinger Kliniken Nordoberpfalz AG Klinikum Weiden Medizinische Klinik II D-92637 Weiden
Interessenkonflikte: keine
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 2/2004. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
Gerade die Ergebnisse der Resynchronisationstherapie können aber gut klinischen Beleg dafür geben, dass es geschlechterspezifische Unterschiede im Remodeling gibt. Das ist durch exzellente tierexperimentelle Daten nachgewiesen und wird unterstützt durch Analysen zur Expression von Inflammationsmarkern sowie Markern für das Remodeling (2). Ohne Zweifel scheint sowohl für Frauen wie auch für Männer zu gelten, dass eine körperliche Ausdauertrainingstherapie günstig ist und sich bisher keine «gender-related differences» dieser Therapieform zeigten.
Zusammenfassung Es bestehen geschlechterspezifische Unterschiede sowohl in der Diagnostik, in der Pathophysiologie als auch in der Therapiedurchführung (z.B. Herzkatheter) bei Herzinsuffizienz. Frauen zeigen insbesondere eine höhere Mortalität beim Auftreten eines akuten Koronarsyndroms, möglicherweise weil sie weniger invasiv untersucht und weniger konsequent bei gleicher Koronarmorphologie einer PCI zugeführt werden. Die Medikamentenadhärenz beeinflusst den Therapieerfolg wesentlich und ist möglicherweise besser bei Frauen als bei Männern und abhängig auch vom Geschlecht des Arztes. Herzglykoside erhöhen sowohl die Wahrscheinlichkeit einer Hospitalisierung wie auch die Gesamtmortalität bei Frauen, besonders wenn ein Hypertonus vorliegt. Keine geschlechterspezifischen Unterschiede scheint es für den Einsatz von Betablockern, ACE-Hemmern oder Aldosteronantagonisten zu geben. Prospektive, randomisierte Studien zum Gendereinfluss verschiedener Therapieoptionen fehlen allerdings.
Literatur: 1. Galvao M et al.: Gender differences in in-hospital management and outcomes in pati-
ents with decompensated heart failure: analysis from the Acute Decompensated Heart Failure National Registry (ADHERE). J Card Fail 2006; 12: 100–107. 2. Meyer S et al.: Neurohormonal and clinical sex differences in heart failure. European Heart Journal 2013; 10: 1–11. 3. Bairey Merz CN: Women and ischemic heart disease, paradox and pathophysiology. JACC Cardiovasc Imaging 2011; 4: 74–77. 4. Hvelplund A et al.: Women with acute coronary syndrome are less invasively examined and subsequently less treated than men. Eur Heart J 2010; 31: 684–690. 5. Vest AR et al.: The survival advantage of female gender in systolic heart failure is restricted to females without coronary artery disease. JACC 2013; 61: Issue 10. 6. McMurray JJV et al.; ESC Committee for Practice Guidelines: ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure 2012: The Task Force for the Diagnosis and Treatment of Acute and Chronic Heart Failure 2012 of the European Society of Cardiology. Developed in collaboration with the Heart Failure Association (HFA) of the ESC. Eur Heart J 2012; 33: 1787–1847. 7. Baumhäkel M et al.: Influence of gender of physicians and patients on guideline-recommended treatment of chronic heart failure in a cross-sectional study. Eur J Heart Fail 2009; 11: 299–303. 8. Arshad A et al.: Cardiac resynchronization therapy is more effective in women than in men: the MADIT-CRT (Multicenter Automatic Defibrillator Implantation Trial with Cardiac Resynchronization Therapy) trial. J Am Coll Cardiol 2011; 57: 813–20.
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