Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Wasser marsch
W ir Hausärzte sind seit je an Wasser interessiert. Bitten unsere Patienten, es zu lösen. Denn vom Gotthelf’schen Wasserschauer haben wir es inzwischen zum mit allen Wassern gewaschenen Urindiagnostiker gebracht. Die Säftelehre des Galen hat zwar ausgedient, doch wie wichtig der Wasserhaushalt des Menschen ist, ist auch heutzutage unbestritten. Korpskommandant Blattmann André hat da absolut Recht. Aber betreffend Wassereinlagerung bin ich – ganz sec – anderer Meinung als er. Im Gewebe ist sie gar nicht gut, im Haushalt ist sie schwierig. Wie sollen unsere kinderreichen Familien in Sozialwohnungen diese Mengen lagern? Vier Sixpacks Wasser unter den Couchtisch, zwanzig unters Ehebett, ein formschöner Raumteiler aus Konservendosen? Wo sollen Nicht-Einfamilienhaus-Besitzer die Zisterne aufstellen? Nur noch am Lavabo waschen oder duschen, denn die Badewanne wird ab jetzt immer vollgefüllt belassen? Wo dürfen sie ihren Holzvorrat abfackeln? Ein kleines Feuerchen in der Stube im 12. Stock eines Hochhauses machen? Der CdA und ich sind im Alter recht nah zusammen und haben beide vermutlich in den WKs geholfen, die eingelagerten Notvorräte kurz vor dem Verfallsdatum wegzufuttern – was je nach Küche kulinarisch schlimm bis sehr schlimm war. Fast so geschmacklos wie die Soldatensprachen-Bezeichnungen für Fleischkäse in Dosen… Meine Mutter nahm es ernst mit «Kluger Rat – Notvorrat». Daher gab es in meiner Jugend häufig dicke Suppen aus trockenen Hülsenfrüchten. Den Notvorrats-Zucker befielen öfters Ameisen, das Mehl war meist ein wenig muffig, da es nicht wie Whiskey durch Lagerung besser wird, und die Kondensmilch wurde zu grässlichen Desserts verarbeitet. Meine deutsche Grossmutter lachte sich schlapp über diese Vorratshaltung und die analoge deutsche «Aktion Eichhörnchen» der Sechzigerjahre. Als Überlebende zweier Weltkriege behauptete sie, dass das «Raufutter» vom Staat immer noch geliefert würde und dass die Wasserversorgung erste Priorität habe. Wenn jedoch – wie in den letzten Kriegsmonaten in Deutschland – das absolute Chaos herrsche, dann gelte das Recht des Stärkeren, und es würden den Hortern ihre privaten Notvorräte geraubt. Sie hatte Gewürze, Cognac und Kaffeebohnen in Konservendosen eingebüchst. Die verkaufte sie dann peu à peu auf dem Schwarzmarkt, die Hand auf einer kleinen geladenen Browning in der Manteltasche. Welche Bedrohungen
sich Blattmann vorstellt, ist mir nicht ganz klar. Wie in den Zeiten des Aktivdienstes? Wie 1917 und 1941, wo zwecks Fleischrationierung zwei fleischlose Tage pro Woche propagiert wurden? Schweizer Veganer fordern ja jetzt in Friedenszeiten schon mehr Verzicht. Fürchtet Blattmann Cyber-Attacken, die zum Niederbrechen unserer technisierten, auf Elektrizität angewiesenen Welt führen? Ich auch. Aber dann bringen mich Ravioli in Dosen nicht weiter. Was ist mit einer möglichen Plutonium-Einleitung ins Trinkwassernetz? Bei der Halbwertszeit reichen dann auch 300 Liter nicht mehr aus. Zum Teil sind die Kassandrarufe schon wieder witzig, wenn paranoid orakelt wird, dass die USA die Schweiz wegen der dort lagernden russischen Oligarchengelder unter Druck setzen könnte … Meint wirklich jemand ernsthaft, dass ausgerechnet die Amerikaner, Erfinder der CARE-Pakete, die Schweizer Zivilbevölkerung in den Hunger treiben? Die Horrorszenarios, die uns treffen könnten, verlieren durch das Anlegen eines Notvorrats inklusive Trocken-WC wenig bis nichts von ihrem Schrecken. Da gibt es nichts zu verwässern, das ist leider schwer zu verdauen. Untaugliche Ratschläge sind nur Wasser auf die Mühlen derer, die aus der Angst der Bevölkerung Kapital schlagen und uns etwas verkaufen wollen. Daher wird unser Notvorrat weiterhin aus je einem Sixpack Blöterliwasser und Cola, aus einer Kiste Bier, zwanzig Flaschen Wein, ein paar Tüten Mehl, Zucker, Nudeln und einigen Büchsen und Einmachgläsern bestehen. Je nach Art der Katastrophe werden wir, wenn sie eintritt, Plumpsklos im Garten graben, vier Pullover übereinander anziehen, Kartoffeln auf dem Balkon anpflanzen, Regenwasser sammeln, den Cybergangster narkotisieren, den Plünderer mit einer Konservendose niederschlagen – oder den radioaktiven Niederschlag ganz tief einatmen.
ARSENICUM
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ARS MEDICI 8 I 2014