Transkript
ARGUS PHARMAKOTHERAPIE
Berichte, Studien, Innovationen
Durchbruchschmerz rasch lindern
Wege zum besseren Schmerzmanagement für Tumorpatienten
Zusätzlich zum relativ konstanten tumor-
bedingten Hintergrundschmerz, welcher
mit Opioidtherapie nach der Uhrzeit weit-
gehend kontrolliert werden kann, erlei-
den 30 bis 40 Prozent der Krebspatienten
wiederholte Episoden von Durchbruch-
schmerz. Die besonderen Herausforde-
rungen im Schmerzmanagement und
die Rolle der transmukosalen Fentanyl-
präparate wurden am Kongress der Euro-
pean Pain Federation (EFIC) in Florenz
diskutiert.
Wie Dr. med. Andrew Davies, Guildford/ Grossbritannien, betonte, wird Durchbruchschmerz bei Krebspatienten (= transient breakthrough cancer pain, BTcP) definiert als vorübergehende, sehr heftige Schmerzattacke, die entweder spontan oder abhängig von spezifischen oder unspezifischen (nicht vorhersagbaren) Triggern ausgelöst wird – trotz des therapeutisch adäquat kontrollierten Hintergrundschmerzes. Damit besteht ein wesentlicher Unterschied zum sogenannten Hintergrundschmerz sowie zum Schmerz während der Opioiddosistitration respektive am Ende des Opioiddosisintervalls. Unter der konventionellen oralen Opioidtherapie nach der Uhrzeit kann die Schmerzkontrolle dennoch schwierig werden, da es zu Schmerzspitzen kommen kann, bevor effektive analgetische Konzentrationen durch das orale Opioid erreicht werden.
Neue Studie evaluiert typische Symptomatik Davies präsentierte die Ergebnisse einer neuen Untersuchung mit 1000 europäischen Krebspatienten mit BTcP (1). Die Patienten wurden mittels Schmerzfragebogen identifiziert und dann befragt, wie sie den Durchbruchschmerz und die Beeinträchtigung im Alltag durch die Schmerzattacken
erleben. In der Befragung ergaben sich folgende Resultate:
Häufigkeit/Schmerzstärke Spontane oder auch inzidenzielle (= ohne Trigger) BTcP bestanden bei mehr als 40 Prozent der Patienten (bei 14% bestanden beide Arten des BTcP). Im Durchschnitt kam es zu 3 BTcP-Episoden täglich, die Häufigkeit steigerte sich mit verschlechtertem Allgemeinzustand. Die mittlere Zeit vom Beginn bis zu Spitzenwerten der Schmerzsymptomatik betrug 10 Minuten (Range: < 1 bis 240 min). Der inzidenzielle BTcP setzte tendenziell schneller ein (median 5 min) und war kürzer mit median 45 Minuten (Range: <1 bis 360 min). Beim spontanen BTcP betrugen die mittleren Zeitwerte 10 Minuten (< 1 bis 240 min) respektive 60 Minuten (< 1 bis 360 min). Rund 62 Prozent der Patienten beurteilten die Schmerzausprägung als schwer und weitere 34 Prozent als mittelschwer.
Beeinträchtigung im Alltag Der Durchbruchschmerz hatte erwartungsgemäss einen ausgeprägt negativen Einfluss auf die Lebensqualität – in der Studie bei 80 Prozent der Betroffenen – sowie auf die Bewältigung von Alltagsaktivitäten: In der Studie konnten 6,5 Prozent ihre normalen Aktivitäten nicht weiterführen, vor allem Patienten mit inzidenziellem BTcP. Auf der Schmerzskala betrugen die mittleren Werte 5 bis 8; bei inzidenziellem Schmerz lagen die Werte am höchsten. Patienten mit spontanem BTcP hatten dagegegen mehr Stimmungsschwankungen und Schlafprobleme. Verschlechterungen von zwischenmenschlichen Beziehungen waren in beiden Gruppen gleich ausgeprägt.
Durchbruchschmerz meist inadäquat behandelt Die Studie zeigte, dass Durchbruchschmerz bei Krebspatienten oft untertherapiert respektive inadäquat behandelt wird. Fast ein Viertel der Studienteilnehmer gab an, über
kein Therapeutikum zu verfügen, das ihren BTcP effektiv lindern konnte, das waren überwiegend diejenigen, die an spontan auftretenden Schmerzattacken litten. Von den Patienten, die über eine Interventionsmöglichkeit verfügten, verwendeten nur 29 Prozent eine Bedarfsmedikation (rescue medication), hauptsächlich orale Opioide. 23 Prozent nahmen eine nicht pharmakologische Massnahme (v.a. Bettruhe, Wärme) in Anspruch, 12 Prozent eine Kombination beider Interventionen. In fast allen Fällen bestand die Bedarfsmedikation aus den Opioiden, die zur Kontrolle des Hintergrundschmerzes verwendet wurden; nur 20 Prozent erhielten zusätzlich ein transmukosales Fentanylpräparat, welches für die Linderung von BTcP zugelassen ist. Der mediane Beginn der Schmerzlinderung unter der gewohnten Medikation betrug 20 Minuten, die Dauer bis zur maximalen Schmerzlinderung 30 Minuten, was zeigte, dass vielfach ein Missverhältnis zwischen Bedarf und den analgetischen/pharmakologischen Profilen der verwendeten Medikation besteht. Der Referent betonte, dass die heterogene Natur des BTcP und die individuellen Unterschiede bei den Schmerzpatienten eine sorgfältige Evaluation erforderten, damit die adäquate Therapie gefunden werden könne.
Auf dem Weg zum individuell optimalen Schmerzmanagement Prof. Kris Vissers, Nijmegen/Niederlande, ergänzte, dass im Management von Krebsschmerz immer eine ganze Reihe zugrunde liegender und begleitender Faktoren zu berücksichtigen seien. Beispielsweise: Handelt es sich um Schmerz aufgrund des Primärtumors, der Metastasen, der diagnostischen oder therapeutischen Prozeduren, des fortgeschrittenen Krebsstadiums? Soziale, psychologische und somatische Faktoren sind in die therapeutischen Überlegungen immer mit einzubeziehen. Er fordert daher – unter Einschluss der analgetischen Stufenleiter der WHO bei Krebsschmerz – einen Therapiealgorithmus, der evidenzbasiert die aktuellen Guidelines reflektiert, sich in der klinischen Praxis anwenden lässt, stufenweise vorgeht und dabei auch den Durchbruchschmerz mit einbezieht.
Transmukosale Fentanylformulierungen In diesem Rahmen sei unter den verfügbaren, schnell wirksamen transmukosalen Fentanylformulierungen mit ihren pharma-
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kokinetischen Unterschieden das individuell jeweils günstigste Präparat je nach Profil des BTcP auszuwählen, betonte Dr. med. John Zeppetella, Hastingwood/Grossbritannien. Das Ausmass und die Schnelligkeit der Schmerzlinderung sind die wesentlichen Kriterien für einen Grossteil der Patienten. Gemäss einer neuen europäischen Studie (2) wünschen 47 Prozent der Betroffenen totale Schmerzfreiheit und 44 Prozent raschen Wirkbeginn. Ein kürzlich publiziertes Cochrane-Review von 15 Studien mit insgesamt 1700 Patienten bestätigt die Wirksamkeit des transmukosalen Fentanyls. Die aktuelle Guideline bei BTcP der European Association for Palliative Care empfiehlt folgendes Vorgehen: O Unkontrollierter Durchbruchschmerz
sollte mit einer adäquaten Titration von Opioiden nach Uhrzeit (around the clock opioides) weitgehend gelindert werden, bevor potente Bedarfsopioide eingesetzt werden. O BTcP kann dann wirksam mit bukkalen oder intranasalen Fentanylpräparaten oder mit oralen, schnell wirksamen Opioiden kontrolliert werden. O In einigen Fällen sind bukkales und intranasales Fentanyl aufgrund ihres schnelleren Wirkbeginns und ihrer kürzeren Wirkdauer vorzuziehen. Gemäss Zeppetella kann weiter personalisiert vorgegangen werden, beispielweise:
O Orales transmukosales Fentanylcitrat eignet sich für Patienten, bei denen der Durchbruchschmerz typischerweise vorhersehbar ist, relativ langsam einsetzt und lang andauert. Die Wirkspitze wird nach zirka 60 Minuten erreicht.
O Fentanyl-Bukkaltabletten eignen sich für nicht vorhersehbare Schmerzepisoden mit schnellem Beginn und kurzer Dauer. Effektive Wirkkonzentrationen werden nach wenigen Minuten und die Wirkspitze wird nach 30 Minuten erreicht.
Bis anhin gibt es keinen Goldstandard zur Therapie bei BTcP. Es komme deswegen darauf an, für jeden Patienten nach Evaluierung des Schmerzes das am besten geeignete Medikament mit zeitlich optimaler Applikation zu finden, betonte der Referent. Während der Paneldiskussion wurde festgehalten, dass eine Tolerenzentwicklung und ein Abusus bei schnell wirksamen Opioiden sehr selten sind. Allerdings seien regelmässige Re-Evaluierungen des Durchbruchschmerzes ganz wichtig.
Problem: Umsetzung der Opioidguidelines in der Praxis Trotz vorhandener Guidelines zur Opioidverordnung in zahlreichen Ländern hapert es vielfach mit der konsequenten Umsetzung und der adäquaten Aufklärung im klinischen Alltag. Eine (3) von zwei vor-
gestellten schottischen Studien befragte
Patienten, die starke Opioide erhielten:
53 Prozent der Betroffenen erhielten sie
von ihrem Allgemeinarzt, die anderen von
einem Klinikarzt. Etwa die Hälfte hatte
Diskussionen über Langzeitnebenwirkun-
gen, Toxizität und Überdosis, weniger über
die Anwendung. Die andere Studie (4) be-
fragte Allgemeinärzte in Schottland. Sie
kam zum Schluss, dass, obwohl fast alle
Ärzte starke Opioide verordneten, nur
38 Prozent die Guidelines kannten und nur
56 Prozent Patienten vor einer Therapie-
wahl stratifizierten.
O
Bärbel Hirrle
Die Berichterstattung entstand ohne inhaltliche Einflussnahme aufgrund von Kongressunterlagen von Teva Pharma.
Quelle: Kongressresümee Highlights from EFIC® 2013.
Referenzen: 1. Davies A et al.: J Pain Symptom Manage 2013; 46: 619–28. 2. Caraceni A et al.: J Natl Compr Canc Netw 2013; 11. 3. Bashir U et al.: Poster presented at the 8th Congress of
EFIC® 2013. 4. Singh PA et al.: Poster presented at the 8th Congress of
EFIC® 2013.
Erstpublikation in SZO 1/2014.
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