Transkript
STUDIE REFERIERT
Statine zur Primärprävention
O Reduktion der Gesamtmortalität um 14 Prozent («number needed to treat»
kardiovaskulärer Krankheiten
über 5 Jahre [NNT5]: 138) O Reduktion der letalen/nicht letalen
kardiovaskulären Erkrankungen um
Ergebnisse eine Cochrane-Metaanalyse und Umsetzung der Statintherapie in der Praxis
25 Prozent (NNT5: 49) O Reduktion der koronaren Herz-
krankheit um 27 Prozent (NNT5: 88)
O Reduktion der Schlaganfälle um
22 Prozent (NNT5: 155)
O Reduktion der koronaren Revaskula-
risationen um 38 Prozent (NNT5: 96).
Statine senken das LDL-Choleste- insgesamt fast 57 000 Teilnehmern Die Inzidenz von Krebserkrankungen,
rin und sind in der Sekundärprävention kardiovaskulärer Ereignisse fest etabliert. Ob sie auch pri-
analysiert, in denen Statine primärpräventiv verabreicht wurden (1). Das Durchschnittsalter der Probanden betrug 57 Jahre (28–97 Jahre), der Män-
Myalgien, Rhabdomyolysis, Leberenzymerhöhung, Nierenfunktionsstörung und Arthritis unterschied sich nicht zwischen den beiden Gruppen.
märpräventiv eingesetzt werden neranteil lag bei 60,3 Prozent. Drei Stu- Die Rate an Nebenwirkungen (17%)
sollten, wird kontrovers diskutiert. Eine kürzlich publizierte CochraneMetaanalyse bewertet den Einsatz
dien, die 47 Prozent der rekrutierten Population umfassten, wurden vorzeitig abgebrochen, da eine signifikante Reduktion des primären Zielkriteriums
beziehungsweise Therapieabbrüchen (12%) war in beiden Gruppen vergleichbar. Lediglich Diabetes-Neumanifestationen wurden in der Statingruppe
von Statinen in der Primärpräven- beobachtet worden war.
häufiger beobachtet (1).
tion positiv.
Die Statine senkten das LDL-Choleste- Die Ergebnisse dieses Cochrane-Rerin im Vergleich zu Plazebo bezie- views dürften zusammen mit weiteren
JAMA/BMJ
hungsweise zur Kontrollsubstanz um aktuellen Studiendaten die Argumente 39 mg/dl. Dies ging mit folgenden Er- der Gegner einer Statin-Primärpräven-
gebnissen einher:
tion entkräften, heisst es in einem be-
Die Verschreibung von Statinen hat in
den letzten Jahren stark zugenommen. Ob Statine in grossem Stil zur Primärprävention atherosklerotischer kardio-
Kasten 1:
Monitoring der Statintherapie in der Praxis
vaskulärer Erkrankungen eingesetzt werden sollten, darüber besteht keine
Als Ausgangsbefunde sollten folgende Parameter bestimmt werden:
Einigkeit. Kritiker argumentieren unter
O Gesamtcholesterin, LDL-Cholesterin, HDL-Cholesterin und Triglyzeride
anderem, dass eine lebensverlängernde
(Nüchternwerte)
Wirkung der Statintherapie nicht be-
O Blutzucker, Nierenfunktionswerte, Leberfunktionstests (Transaminasen)
legt sei, und verweisen zudem auf mög-
O Schilddrüsenfunktionstests zum Ausschluss einer Hypothyreose als Ursache
liche Nebenwirkungen.
einer Dyslipidämie.
Ergebnisse der Cochrane-Metaanalyse In einem 2013 veröffentlichten Cochrane-Review wurden 18 Studien mit
Kontrolluntersuchungen:
O Nach Angaben des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) ist es nicht erforderlich, die Blutfettwerte routinemässig wiederholt zu messen.
O Die Leberfunktion sollte innerhalb von 3 Monaten nach Beginn der Statintherapie sowie nach 12 Monaten kontrolliert werden; danach nur, falls eine klinische Indikation besteht.
Merksätze
O Eine aktuelle Cochrane-Metaanalyse kommt zu dem Schluss, dass der primärpräventive Einsatz von Statinen im Vergleich zu Plazebo mit einer Reduktion von Gesamtmortalität, gravierenden vaskulären Ereignissen und Revaskularisationen assoziiert ist.
O Die Statintherapie geht nicht mit einer erhöhten Rate an lebensbedrohlichen Nebenwirkungen (wie z.B. Krebserkrankungen) einher.
Kontrolle der Kreatinkinase (CK):
O Wenn Patienten über Muskelsymptome klagen (Schmerz, Schwäche): CK bestimmen.
O Wenn der Wert den oberen Normalbereich mindestens fünffach übersteigt, sollte der Patient an einen Spezialisten überwiesen werden.
O Falls der CK-Wert auf weniger als das Fünffache des oberen Normwerts erhöht ist, sollten die Symptome sorgfältig überwacht und die CK-Bestimmung einen Monat später wiederholt werden. Liegt erneut ein erhöhter Wert vor, sollte die Statindosis reduziert und der CK-Wert nach einem Monat noch einmal bestimmt werden. Ein Experte sollte hinzugezogen werden, wenn die Symptome persistieren oder die CK-Konzentration hoch bleibt.
O Bei asymptomatischen Statinanwendern sollte die CK nicht routinemässig überwacht werden
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STUDIE REFERIERT
Kasten 2:
Arzneimittel, die mit Statinen interagieren können
O Makrolidantibiotika (Erythromycin, Clarithromycin, Telithromycin)
O Antimykotika (Itraconazol, Ketoconazol, Posaconazol)
O Proteaseinhibitoren (Amprenavir, Indinavir, Nelfinavir, Ritonavir, Saquinavir)
O Immunsuppressiva (Ciclosporin) O Fibrate (Gemfibrozil) O kardiovaskuläre Medikamente (Amiodaron,
Verapamil, Diltiazem, Amlodipin, Ranolazin, Warfarin) O Antidepressiva (Nefazodon) O andere Substanzen (Sildenafil, Danazol)
Kasten 3:
Wie wirken Statine?
Statine hemmen die 3-Hydroxy-3-MethylglutarylCoenzym-A-(HMG-CoA-)Reduktase, die für die Cholesterinbiosynthese von Bedeutung ist. Dadurch sinken die LDL-Cholesterin-Spiegel und das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen. Darüber hinaus weisen Statine antiinflammatorische Eigenschaften auf, sie verbessern die Endothelfunktion und reduzieren die Thrombusbildung. Derzeit ist jedoch nicht abschliessend geklärt, ob diese Effekte unabhängig von der Cholesterinsenkung auftreten und ob sie das kardiovaskuläre Risiko senken.
gleitenden Editorial (2): Statine werden von korrekt selektierten Personen gut vertragen. Sie reduzieren sowohl die Gesamtmortalität als auch atherosklerotische kardiovaskuläre Ereignisse bei Menschen mit niedrigem Risiko. Bedenken hinsichtlich der Therapiekosten sind nicht mehr relevant, da derzeit mehrere Statine als Generika zur Verfügung stehen. Tatsächlich ergaben aktuelle Berechnungen, dass Statine kosteneffektiv sind und bei Menschen mit niedrigerem Risiko sogar Kosten sparen können (2).
Primärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen mit Statinen in der Praxis Wann sollte ein Statin gegeben werden? Die Leitlinie des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) empfiehlt, vor Beginn einer Statintherapie die kardiovaskulären Risikofakto-
ren des Patienten sorgfältig zu erfassen und auch sekundäre Ursachen einer Dyslipidämie in Betracht zu ziehen (siehe Kasten 1). Zunächst müssen die Patienten über den Umgang mit modifizierbaren Risikofaktoren beraten werden (3). Nach NICE-Kriterien sollten Patienten mit einem Zehnjahresrisiko für kardiovaskuläre Erkrankungen von 20 Prozent oder mehr eine Statintherapie erhalten. Jedoch können auch Menschen mit einem niedrigeren kardiovaskulären Risiko von einer Statintherapie profitieren. Die neue Leitlinie des American College of Cardiology/der American Heart Association (ACC/AHA) empfiehlt eine Statinbehandlung für Personen ab einem Zehnjahresrisiko von 7,5 Prozent.
Wie sicher sind Statine? Der Einsatz von Statinen bei Patienten mit niedrigem kardiovaskulärem Risiko stand in der Kritik, und es wurde argumentiert, dass der Nutzen der Statine die möglichen Nachteile nicht überwiegt. Doch belegen aktuelle Untersuchungen, dass die Gesamtmortalität von Statinanwendern ohne vorbestehende kardiovaskuläre Erkrankung reduziert ist. Dies indiziert, dass etwaige unbeabsichtigte lebensbedrohliche Effekte durch die günstige Wirkung von Statinen auf kardiovaskuläre Erkrankungen mehr als ausgeglichen werden. Früher geäusserte Bedenken hinsichtlich eines möglichen Malignomrisikos haben sich als unbegründet erwiesen. Statine können eine Myositis verursachen (≥ 10-fache Erhöhung des Normalwerts der Kreatinkinase). In grossen Beobachtungsstudien wurde die «number needed to harm» für eine Myositis im Zusammenhang mit einer Statintherapie mit 90 beziehungsweise 250 angegeben. Eine Rhabdomyolyse – eine Extremform der Myositis – kann durch Statine verursacht werden, tritt jedoch sehr selten auf. Myositis und andere unerwünschte Wirkungen werden bei aggressiver Cholesterinsenkung mit potenteren Statinen wie Rosuvastatin oder bei höheren Statindosen (z.B. bei Verdoppelung der üblichen Dosierungen) häufiger beobachtet (3). Statine sind mit einem erhöhten Risiko für Typ-2-Diabetes assoziiert. Eine grössere Metaanalyse, in der Studien zur Primär- und Sekundärprävention
berücksichtigt wurden, ergab, dass eine vierjährige Statinbehandlung von 255 Personen 1 Diabetesfall verursachen würde, wobei allerdings im gleichen Zeitraum mehr als 5 gravierende vaskuläre Ereignisse vermieden würden. Bei einer präventiven Behandlung mit Statinen dürften viele Patienten nicht bereit sein, irgendwelche Beeinträchtigungen in Kauf zu nehmen. Deshalb wird der breitere Einsatz von Statinen nicht zuletzt von der Nutzen-RisikoAbwägung der Anwender abhängen (3).
Gegenanzeigen, Vorsichtsmassnahmen
und Wechselwirkungen
Beachtet werden müssen Kontraindi-
kationen gegen eine Statintherapie:
O Schwangerschaft
O Stillzeit
O frühere Hypersensitivitätsreaktion
gegenüber Statinen
O aktive Lebererkrankung
O Niereninsuffizienz
O starker Alkoholkonsum.
Amerikanische und britische Behörden
haben einen Sicherheitshinweis erlas-
sen, der eine Kontrolle der Blutzucker-
werte bei Statinanwendern mit erhöh-
tem Diabetesrisiko vorsieht. Jedoch
sollte Patienten mit bekanntem Diabe-
tes eine Statintherapie nicht vorenthal-
ten werden, da diese ein hohes kardio-
vaskuläres Risiko aufweisen.
Statine werden durch das Zytochrom-
P-450-Isoenzymsystem metabolisiert.
Deshalb kann es zu Medikamentenin-
teraktionen mit anderen Substanzen
kommen, die ebenfalls durch dieses
System verstoffwechselt werden (siehe
Kasten 2). Patienten mit Nephropathie,
HIV-Infektion oder nach Organtrans-
plantation können für Arzneimittelin-
teraktionen anfälliger sein (3). Patien-
ten, die mit Simvastatin behandelt wer-
den, sollten auf den Genuss von
Grapefruitsaft verzichten.
O
Andrea Wülker
Quellen: 1. Taylor FC et al.: Statin therapy for primary prevention
of cardiovascular disease. JAMA 2013; 310(22): 2451–2452. 2. Robinson JG: Accumulating evidence for statins in primary prevention. JAMA 2013; 310(22): 2405–2406. 3. Ebrahim S et al.: Statins for the primary prevention of cardiovascular disease. BMJ 2014; 348: g280
Interessenkonflikte: Ein Teil der Autoren gibt an, Gelder von Pharmaunternehmen oder nationalen Institutionen erhalten zu haben.
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