Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Neurologie
Gehirndoping – eher zum Feiern als zum Lernen
Den Gebrauch hirnleistungssteigernder Substanzen vermutete man bis jetzt eher bei Studenten oder anderen Personen, die besonders hohe kognitive Herausforderungen zu meistern haben. Diese Annahme ist – zumindest unter jungen Männern in der Schweiz – offenbar falsch, wie eine vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützte Studie ergab.
In den USA greift jeder 20. Student mindestens einmal im Jahr auf Heilmittel wie etwa Ritalin oder Fluoxetin zurück, obwohl er weder an einem Aufmerksamkeitsdefizit noch an einer Depression leidet. In der Schweiz ist ein derartiger Konsum geringer. Gemäss der kürzlich publizierten Studie nahmen nur 180 von 5967 Studienteilnehmern (3%) mindestens einmal im zurück-
liegenden Jahr hirnstimulierende Medikamente zu sich. Befragt wurden junge Männer, die zur Aushebung an die Armeerekrutierungszentren in Lausanne, Windisch und Mels aufgeboten worden waren. Zwischen Studenten und Nichtakademikern gleichen Alters fanden sich allerdings grosse Unterschiede: Studenten konsumieren im Schnitt fünfmal im Jahr verschiedene hirnstimulierende Substanzen. Dabei geht es ihnen meist darum, ihre Leistungen zu verbessern. Ihre nicht akademischen Altersgenossen nehmen im Schnitt hingegen fast wöchentlich, das heisst zirka 40-mal im Jahr vorwiegend Ritalin und andere Heilmittel zu sich, die gegen Aufmerksamkeitsstörungen verschrieben werden. Ihre Hauptmotivation ist, länger wach zu bleiben – etwa an Partys.
SNF/RBOO
Pressemitteilung des SNF, 19. März 2014, zur Studie Deline S et al.: Use of Neuroenhancement Drugs: Prevalence, Frequency and Use Expectations in Switzerland. Int J Environ Res Public Health 2014; 11: 3032–3045.
Diagnostik
Vermeintlich typische Zöliakiesymptome sind nicht zuverlässig
Glutenfreie Lebensmittel erfreuen sich zurzeit grosser Beliebtheit, weil mannigfaltige Verdauungsprobleme von vielen Betroffenen auf eine Glutenunverträglichkeit zurückgeführt werden. In den meisten Fällen steckt aber gar keine Zöliakie hinter den Beschwerden. Zirka 10 000 Schulkinder im Alter von 12 Jahren und ihre Eltern wurden zu einer Umfrage eingeladen, in der Symptome der Kinder wie Übelkeit, Bauchschmerzen, vermutete Unverträglichkeiten und so weiter abgefragt wurden; es kamen insgesamt 7054 Fragebögen von Kindern und 6294 von Eltern zurück. Bei den Kindern wurde eine
serologische Zöliakiediagnostik durchgeführt: Gesamt-IgA, IgA-Transglutaminase-Antikörper (tTG) und Endomysium-Antikörper (EMA-IgA). Bei serologischem Verdacht auf Zöliakie erfolgte eine endoskopische Darmbiopsie, um die Diagnose zu bestätigen. Die Daten der Kinder, bei denen diese verweigert wurde, gingen nicht in die abschliessende Auswertung ein. Es wurden also nur per Darmbiopsie bestätigte Zöliakiefälle gezählt. Serologisch auffällig waren 2,7 Prozent der Kinder, eine histologisch gesicherte Zöliakie bestand bei 2,1 Prozent der Kinder (n = 153). Die einschlägigen
Symptome fanden sich jedoch gleicher-
massen bei Kindern mit und ohne
Zöliakie.
Wenn man, wie in der Praxis üblich,
nur bei Kindern mit einschlägiger
Symptomatik einen Antikörpertest ver-
anlasst hätte, wäre dies bei 2282 Kin-
dern der Fall gewesen, also bei jedem
dritten bis vierten Kind (37%). Gefun-
den hätte man so aber nur 38 Prozent
der tatsächlichen Fälle (n = 52). Offen-
bar bleibt die Zöliakie also bei vielen
Kindern unentdeckt, während ver-
meintlich typische Symptome in den
allermeisten Fällen blinden Alarm aus-
lösen. Gastroenterologen raten aus
diesem Grund, lieber einmal zu oft als
einmal zu wenig einen Antikörpertest
durchzuführen.
RBOO
Rosen A et al.: Usefulness of symptoms to screen for celiac disease. Pediatrics 2014; 133(2): 211–218.
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ARS MEDICI 6 I 2014
Suchtmedizin
Baclofen gegen Alkoholismus
In Frankreich wurde das Muskelrelaxans Baclofen unter bestimmten Bedingungen zur Unterstützung der Alkoholabstinenz vorläufig zugelassen, obwohl die entsprechenden Studien noch nicht abgeschlossen sind; das berichtet das «Deutsche Ärzteblatt» online. Baclofen ist in der Schweiz für die Indikationen schwere, reversible muskuläre Spastizität bei Multipler Sklerose sowie spinale Spastizität infektiösen, degenerativen, traumatischen
oder neoplastischen Ursprungs zugelassen. Die Substanz dämpft die Reflexübertragung im Rückenmark durch Stimulation der GABAB-Rezeptoren, wodurch die Freisetzung der exzitatorischen Aminosäuren Glutamat und Aspartat gehemmt wird. In einem vor allem in Frankreich sehr populären Buch hatte der Kardiologe Olivier Ameisen vor einigen Jahren beschrieben, dass er mithilfe von Baclofen seine Alkoholabhängigkeit überwinden konnte. In einer 2013 publizierten Cochrane-Studie kam man zum
Schluss, dass die Datenlage noch nicht für
definitive Aussagen zur Wirksamkeit der Sub-
stanz beim Alkoholentzug ausreiche. Die Coch-
rane-Autoren fanden damals nur zwei rando-
misierte Studien mit insgesamt 81 Patienten,
die ihren qualitativen Ansprüchen genügten.
Trotzdem wird Baclofen in Frankreich offen-
bar bereits recht häufig und sehr hoch dosiert
gegen Alkoholismus eingesetzt. Das könnte
der Grund sein, warum die französischen
Zulassungsbehörden nicht auf den Abschluss
zweier randomisierter Studien gewartet haben,
sondern eine vorläufige Zulassung erteilten,
in der sie Anweisungen zur Dosierung und
zur Überwachung der Patienten geben. So
soll ab einer Tagesdosis von 120 mg ein zwei-
ter Arzt hinzugezogen und ab 180 mg der Rat
von Spezialisten für die ambulante Therapie
Drogenabhängiger eingeholt werden. Zum
Vergleich: In der hierzulande zugelassenen
Indikation wird als durchschnittlicher Richt-
wert für eine Tagesdosis 30 bis 80 mg an-
gegeben, die nur in Einzelfällen und unter
stationärer Überwachung auf 100 bis 120 mg
pro Tag gesteigert werden darf.
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Deutsches Ärzteblatt online, 14. März 2014; www.aerzteblatt.de Liu J, Wang LN: Baclofen for alcohol withdrawal. Cochrane Database of Systematic Reviews 2013, Issue 2. Art. No.: CD008502. DOI: 10.1002/14651858.CD008502. pub3. Mitteilung der französischen Arzneimittelbehörde: www.ansm. sante. fr/S-informer/Actualite/Une-recommandation-temporaire-d-utilisa tion-RTU-est-accordee-pour-le-baclofene-Point-d-information
Gynäkologie
Depotverhütung durch Johanniskrautpräparate gefährdet
RÜCKSPIEGEL
Vor 10 Jahren
Rohstoffgierige Computer
In den Industrieländern gehören Computer zum Haushalt wie die Waschmaschine oder das TV. Nun weisen die Autoren einer US-amerikanischen Studie darauf hin, dass für die Herstellung eines Rechners zehnmal mehr Ressourcen verbraucht würden als für andere Haushaltsgeräte. Man solle die Computer darum so lange wie möglich nutzen – wie wir heute wissen, bleibt das ein frommer Wunsch. Mittlerweile jagt eine Smartphone-Generation die nächste, ganz zu schweigen von der Tablet-Flut.
Vor 50 Jahren
Rückenmark geheilt?
Die kanadischen Neurochirurgen William J. O’Callaghan und T. J. Speakman behaupten, dass sie in einem Tierversuch Rückenmarksnerven bei Säugetieren nach einer Durchtrennung wieder geheilt hätten. Sie durchtrennten bei 35 Ratten das Rückmark und injizierten den Tieren anschliessend homogenisierte ZNS-Bestandteile neugeborener Ratten in die Bauchhöhle. Nach acht Wochen seien die Nervenstränge im Rückenmark bei 10 der 35 Ratten wieder zusammengewachsen. Ob das tatsächlich stimmt, darf bezweifelt werden, denn man konnte das Experiment später nicht erfolgreich wiederholen. Auch wenn man heute viel darüber weiss, warum sich Rückenmarksnerven bei Säugetieren nicht regenieren, ist man von einer Therapie nach wie vor weit entfernt.
Vor 100 Jahren
Bluttransfusion
Im März 1914 berichten mehrere Forscher unabhängig voneinander, dass die Gerinnung von Blut durch Natriumzitrat verhindert werden kann. Damit wird es erstmals
Das britische Äquivalent von Swissmedic, die Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency (MHRA), hat zwei Fälle gemeldet, in denen Frauen trotz eines subkutanen Langzeitverhütungsmittels mit Etonogestrel schwanger wurden, weil sie Präparate mit Johanniskrautöl eingenommen hatten. Normalerweise sind derartige Langzeitverhütungsmittel sehr zuverlässig. Seit 2000 wurden der MHRA insgesamt 19 Fälle gemeldet, bei denen Johanniskraut die Wirksamkeit hormoneller Kontrazeptiva beeinträchtigt hat (4 Fälle mit Implantaten, 15 Fälle mit der Pille). Dabei kam es 15-mal zu einer ungewollten
Schwangerschaft und 4-mal zu Durchbruch-
blutungen ohne Schwangerschaft.
Die MHRA weist nun einmal mehr darauf
hin, Frauen, die hormonelle Kontrazeptiva
verwenden, immer wieder an mögliche Inter-
aktionen mit anderen Medikamenten zu erin-
nern, insbesondere auch im Zusammenhang
mit den weitverbreiteten Johanniskraut-
präparaten. Das steht zwar auch im Bei-
packzettel, wird aber häufig überlesen oder
vergessen.
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St John’s wort: interaction with hormonal contraceptives, including implants – reduced contraceptive effect. MHRA 12. März 2014; www.mhra.gov.uk
möglich, Blut von einem Spender zu gewinnen, abzufüllen und erst später einem Empfänger zu geben. Die erste indirekte Bluttransfusion der Welt wurde von Luis Agote in Buenos Aires durchgeführt (Foto: Wikepedia). Die zweite erfolgte einige Zeit danach in Belgien durch Albert Hustin.
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