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Titel
Komplizierte Typ-2-Diabetiker richtig behandeln
Untertitel
Management bei gleichzeitiger Herz-Kreislauf-Erkrankung, chronischer Niereninsuffizienz und im höheren Alter
Lead
Typ-2-Diabetiker zeigen neben mikro- und makrovaskulären Komplikationen häufig Komorbiditäten, insbesondere Herz- und Gefässleiden sowie eine Einschränkung der Nierenfunktion. Beim Management der Stoffwechselstörung ist der besonderen Risikokonstellation, die sich zudem mit fortschreitendem Alter noch akzentuiert, individuell Rechnung zu tragen.
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MEDIZIN — Fortbildung
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5833
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FORTBILDUNG
«Komplizierte» Typ-2-Diabetiker richtig behandeln
Management bei gleichzeitiger Herz-Kreislauf-Erkrankung, chronischer Niereninsuffizienz und im höheren Alter

Typ-2-Diabetiker zeigen neben mikro- und makrovaskulären Komplikationen häufig Komorbiditäten, insbesondere Herz- und Gefässleiden sowie eine Einschränkung der Nierenfunktion. Beim Management der Stoffwechselstörung ist der besonderen Risikokonstellation, die sich zudem mit fortschreitendem Alter noch akzentuiert, individuell Rechnung zu tragen.
MEDSCAPE
Hyperglykämiemanagement bei etablierter kardiovaskulärer Erkrankung: die Rolle der DPP-4-Hemmer Typ-2-Diabetiker tragen unabhängig von anderen Risikofaktoren ein etwa doppelt so hohes Risiko für Herzerkrankungen und Stroke. Ein wichtiges Behandlungsziel bei diesen Patientinnen und Patienten ist die energische Verhütung und Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen. Dabei hat sich in etlichen Studien gezeigt, dass eine besonders intensive Blutzuckersenkung bei diesen Patienten hinsichtlich des kardiovaskukären Risikos keine signifikante Verbesserung bringt.
Merksätze
O Bei Typ-2-Diabetikern mit anamnestischen Hinweisen auf HerzKreislauf-Erkrankungen oder ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko sind die Auswirkungen antihyperglykämischer Therapien auf Körpergewicht, Blutdruck und Lipide zu berücksichtigen. In dieser Situation bieten Gliptine wegen fehlender Gewichtszunahme und Hypoglykämiegefahr Vorteile.
O Die Nierenfunktion ist bei Typ-2-Diabetikern regelmässig zu überwachen. Zwar können verschiedene Wirkstoffgruppen wie Sulfonylharnstoffe, Glitazone oder Gliptine auch bei eingeschränkter Nierenfunktion unter allfälliger Dosisanpassung eingesetzt werden, Linagliptin bietet aber den Vorteil, dass es nicht renal ausgeschieden wird.
O Bei alten Typ-2-Diabetikern ist die Therapiesicherheit, insbesondere die Vermeidung von Hypoglykämien, wichtig. Entsprechend sind die HbA1c-Ziele individuell nach oben anzupassen. Gliptine bieten auch im Alter eine interessante Alternative, da sie ein geringes Hypoglykämierisiko zeigen und gut verträglich sind.

Dies erklärt man sich mit dem erhöhten Hypoglykämierisiko mit den bisherigen Wirkstoffgruppen wie Insulin, Sulfonylharnstoffen oder Glitazonen, aber auch mit ungünstigen Einflüssen auf das Körpergewicht. Eine Studie mit Insulin glargin (Lantus®) fand für dieses Insulin jedoch keine Erhöhung des kardiovaskulären Risikos im Vergleich mit einer Standardbehandlung. Allgemein wird heute Metformin (Glucophage® oder Generika) als Erstlinientherapie empfohlen. Es gibt auch einige Daten, die für einen kardiovaskulären Nutzen von Metformin sprechen. Reicht diese Monotherapie zur Blutzuckerkontrolle nicht aus, kommen Kombinationen zum Zug, bei denen das kardiovaskuläre Risiko zu berücksichtigen ist. Inkretinbasierte Therapien, also die oral verabreichbaren Dipeptidylpeptidase-(DPP-)4-Hemmer (Gliptine) und die zu injizierenden GLP-1-Rezeptor-Agonisten haben den doppelten Vorteil, nicht zur Körpergewichtszunahme und auch nicht zu vermehrten Hypoglykämien zu führen, was sie bei Typ-2-Diabetikern mit kardiovaskulärem Risiko zu interessanten Alternativen macht. GLP-1-Rezeptoragonisten scheinen multiple Angriffspunkte im Gefässystem zu besitzen, die auch einige Biomarker für das Herz-Kreislauf-Risiko reduzieren und auf eine kardioprotektive und vasodilatatorische Wirkung hoffen lassen. Auch für die GPP-4-Hemmer deuten vorderhand noch beschränkte Daten auf günstige kardiovaskuläre Effekte mit Verbesserungen bei der ischämischen linksventrikulären und bei der endothelialen Funktion sowie einer Reduktion von Entzündungsmarkern. Bei den neuen Wirkstoffen aus der Gruppe der GPP-4-Hemmer konnte in mehrjährigen Studien nachgewiesen werden, dass sie nicht nur keine kardiovaskuläre Risikoerhöhung mit sich bringen, sondern eine potenzielle kardioprotektive Wirkung besitzen. Dies gilt für Sitagliptin (Januvia®, Xelevia®), Vildagliptin (Galvus®), Saxagliptin (Onglyza®), Linagliptin (Trajenta®) und das zuletzt zugelassene Alogliptin (Vipidia®). Typ-2-Diabetiker haben neben der Zuckerstoffwechselstörung oft noch zusätzliche kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Hypertonie, zentrale Adipositas, Lipidstörungen und Rauchen, die im multifaktoriellen Vorgehen zur Risikoreduktion ebenfalls berücksichtigt werden müssen.
Typ-2-Diabetiker mit Niereninsuffizienz: Optimierung der Blutzuckerkontrolle Diabetes ist eine der Hauptursachen für chronisches Nierenversagen. Gleichzeitig haben Diabetiker mit eingeschränkter Nierenfunktion ein wesentlich erhöhtes kardiovaskuläres Risiko, und Herz-Kreislauf-Ereignisse beschleunigen die

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FORTBILDUNG

Abnahme der glomerulären Filtrationsrate (GFR) und erhöhen die Albuminurie. Rund die Hälfte der Todesfälle bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz beruhen auf kardiovaskulären Ursachen. Daher postulieren die meisten Guidelines, dass bei Diagnosestellung eines Typ-2-Diabetes auch immer die Nierenfunktion erfasst und dann in jährlichen Abständen überwacht werden soll. Dieses Monitoring soll die Albuminurie sowie das Serumkreatinin zur Abschätzung der GFR umfassen. Wegen Fluktuationen bei der Albuminausscheidung sind mindestens zwei bis drei Proben innerhalb von drei bis sechs Monaten zu untersuchen, um falschpositive Ergebnisse zu vermeiden. Für die Erhaltung der glomerulären Funktion ist eine gute Glykämiekontrolle sehr wichtig. Das Behandlungsziel hat individuelle Faktoren (Hypoglykämierisiko, Diabetesdauer, bestehende vaskuläre Komplikationen und Komorbiditäten) zu berücksichtigen. Während bei sonst gesunden Erwachsenen ein HbA1c-Behandlungsziel von unter 7 Prozent angemessen erscheint, ist es bei Typ-2-Diabetikern mit gleichzeitiger chronischer Niereninsuffizienz mit 7,5 bis 8,0 Prozent höher anzusetzen. Das sehr seltene Risiko einer Laktatazidose unter Metformin ist erhöht bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz, Alkoholabusus und Leberfunktionsstörung. Bei einer GFR zwischen 30 und 45 ml/min müsse die Metformindosis reduziert werden, und unter 30 ml/min sei Metformin abzusetzen, schreiben die Autoren. (Die Schweizer Fachinformation sieht Metformin hingegen bei einer GFR unter 60 ml/min als kontraindiziert.) Grundsätzlich können die oralen Zweitlinienantiglykämika zwar auch bei eingeschränkter Nierenfunktion eingesetzt werden, es bestehen aber höhere Hypoglykämierisiken beispielsweise bei Sulfonylharnstoffen. Dies gilt insbesondere bei lang wirksamen Sulfonylharnstoffen, deren aktive Metaboliten akkumulieren, weshalb sie bei Niereninsuffizienz kontraindiziert sind. Für Pioglitazon (Actos® oder Generika) ist bei eingeschränkter Nierenfunktion keine Dosisanpassung notwendig, allerdings ist das erhöhte Risiko für Wasser- und Natriumretention, Herzinsuffizienz und Knochenfrakturen bei Frauen zu berücksichtigen. Unter den DPP-4-Hemmern hat als einziger Vertreter Linagliptin den Vorteil, nicht über die Nieren ausgeschieden zu werden. Die Wirksamkeit und Sicherheit von Linagliptin sind in Studien bei Patienten mit Niereninsuffizienz mit positiven Ergebnissen untersucht worden. Selbst bei Patienten mit schwerer Niereninsuffzienz (geschätzte GFR < 30 ml/min) bewirkte Linagliptin im Vergleich zu Plazebo eine signifikante, um 0,60 Prozent grössere HbA1c-Absenkung. Die HbA1c-Reduktion blieb auch nach einem Jahr erhalten, und die Häufigkeit schwerer Hypoglykämien war mit derjenigen unter Plazebo vergleichbar. über 75 Jahre sind die Raten an vaskulären Komplikationen wesentlich höher. Bei alten Typ-2-Diabetikern sind geriatri- sche Syndrome wie kognitive und körperliche Einschrän- kung, Depression, Stürze, «Frailty» und Urininkontinenz häufig und bestimmen die Lebensqualität, aber auch die Durchführbarkeit von Therapien. Im Alter ist das Risiko für Hypoglykämien grösser, und solche Ereignisse haben schwerere Konsequenzen wie Frak- turen, kardiovaskuläre Ereignisse und Hospitalisationen. Damit ist bei alten Typ-2-Diabetikern die Sicherheit der anti- glykämischen Therapie der wichtigste Gesichtspunkt. Dem tragen Behandlungsempfehlungen verschiedener Organi- sationen Rechnung. Für Typ-2-Diabetiker über 70 Jahre, die ansonst gesund und ohne grössere Komorbiditäten sind, ist ein HbA1c-Behand- lungsziel unter 7,0 Prozent weiterhin angemessen, sofern es mit einem oder zwei Wirkstoffen, die nicht zu Hypoglyk- ämien führen, erreichbar ist. Bei bedeutsamen Begleiterkran- kungen, längerer Dauer des Typ-2-Diabetes oder kürzerer Lebenserwartung wird hingegen ein Ziel-HbA1c zwischen 7,0 und 8,0 Prozent empfohlen. Auch bei alten Typ-2-Diabetikern ist Metformin eine gute Erstlinientherapie, sofern die Nierenfunktion dies zulässt. Sulfonylharnstoffe sind wegen der bekannten Nebenwirkun- gen in dieser Altersgruppe eher nicht indiziert. Kürzer wirk- same Sulfonylharnstoffe können allenfalls bei gebrechlichen oder untergewichtigen Patienten in Betracht kommen, wenn eine Gewichtszunahme vorteilhaft ist. Eine Therapie mit Pioglitazon ist auch bei älteren Patienten möglich, muss allerdings wegen möglicher Volumenüberlas- tung und Herzinsuffizienz genau überwacht werden. Die DPP-4-Hemmer können auch im Alter eingesetzt wer- den, wobei (ausser bei Linagliptin) die Nierenfunktion be- rücksichtigt werden muss und die Dosis allenfalls anzupassen ist. Diese Wirkstoffgruppe bietet auch bei alten Typ-2-Diabe- tikern – allein oder in Kombination mit Metformin – Vor- teile, da sich ohne Hypoglykämiegefahr und gewichtsneutral bei allgemein guter Verträglichkeit relevante HbA1c-Reduk- tionen erzielen lassen. Dies konnte in zwei Studien bei älteren Typ-2-Diabetikern (70 Jahre oder mehr) sowohl für Lina- gliptin wie für Vildagliptin nachgewiesen werden. O Halid Bas Barnett AH et al.: The multiple facets of type 2 diabetes – special patient groups at risk. www.medscape.org/viewarticle/818038. Interessenlage: Die Autoren deklarieren mannigfache finanzielle Beziehungen zu Pharmafirmen mit Interessen auf dem Gebiet der blutzuckersenkenden Therapien. Alte Patienten mit Typ-2-Diabetes: Nutzen und Risiken der Blutzuckerkontrolle gut abwägen Genaue Handlungsvorgaben für alte Typ-2-Diabetiker lassen sich nicht aufstellen, da in dieser heterogenen Gruppe ganz unterschiedliche Faktoren bei Erkrankungsdauer, Lebenserwartung und Begleiterkrankungen vorliegen. Vor allem ARS MEDICI 6 I 2014 303