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Berichte, Studien, Innovationen
ARGUS PHARMAKOTHERAPIE
Erste Langzeitdaten zu SGLT-2-Inhibitoren
Mit den SGLT-2-(sodium-glucose linked transporter 2-)Hemmern drängt eine neue Wirkstoffgruppe auf den begehrten Markt der Pharmakotherapeutika bei Diabetes Typ 2. Ihr Wirkprinzip ist so überraschend wie umstritten. Nun liegen für erste Vertreter der SGLT-2-Hemmer auch längerfristige Behandlungsdaten vor.
HALID BAS
SGLT 2 ist ein Glukosetransporter mit hoher Kapazität und geringer Affinität, der im proximalen Nierentubulus für rund 90 Prozent der Glukosereabsorption verantwortlich ist. Bis heute sind etliche hochselektive SGLT-2-Inhibitoren gefunden und in unterschiedlichen Entwicklungsstadien untersucht worden (Kasten). Sie ermöglichen eine symptomatische Therapie der mit Diabetes assoziierten Hyperglykämie, die sich von allen anderen bis heute etablierten Antidiabetika unterscheidet. Noch verbinden sich mit dieser Wirkstoffgruppe etliche Fragen und eine gewisse Skepsis bei manchen Stoffwechselspezialisten (1). Insbesondere fehlen bis anhin Daten zur langfristigen Therapie, die bei Typ-2-Diabetikern notwendig ist.
Dapagliflozin Seit November 2012 ist Dapagliflozin in der EU zugelassen. Nun wurden die Resultate einer Therapiestudie über 102 Wochen publiziert, welche die Erfahrungen über kürzere Therapiezeiträume bestätigen (2). Die randomisierte, doppelblinde, plazebokotrollierte Studie rekrutierte Patientinnen und Patienten mit Typ-2-Diabetes (mittleres Alter 60,7 J.; HbA1c 7,2%; Body-MassIndex 31,9 kg/m2; Körpergewicht 91,5 kg). Ihre Stoffwechsellage war mit Metformin (Glucophage® oder Generika) allein nicht ausreichend kontrolliert. 182 Patienten wurden je zur Hälfte zu täglich 10 mg Dapagliflozin oder zu Plazebo randomisiert.
Alle erhielten weiterhin Metformin. Nach zwei Jahren wurden die Messwerte für HbA1c Körpergewicht, Bauchumfang, Körperfett sowie die Serummarker für den Knochenumsatz und die Knochenmineraldichte mit den Ausgangswerten verglichen. Die Studie beendeten 140 Patienten (76,9%). Die mit Dapagliflozin behandelten Patienten zeigten nach 102 Wochen Reduktionen der Zielparameter (HbA1c -0,3%, Körpergewicht -4,54 kg, Bauchumfang -5,0 cm, Fettmasse -2,80 kg). Es wurden keine vermehrten Hypoglykämien beobachtet. Im Vergleich zur Plazebogruppe liessen sich hinsichtlich der Parameter für den Knochenstoffwechsel keine bedeutsamen Veränderungen feststellen. In jeder Therapiegruppe kam es zu einer Knochenfraktur. Die Häufigkeit von Harnwegsinfekten und genitalen Infektionen war in den beiden Behandlungsgruppen ähnlich.
Canagliflozin Canagliflozin erhielt in den USA als erster SGLT-2-Hemmer die Zulassung im März 2013. Es ist mittlerweile auch in der EU und in der Schweiz zugelassen. Kürzlich ist zu diesem Wirkstoff eine einjährige Vergleichsstudie mit dem Sulfonylharnstoff Glimepirid (Amaryl® oder Generika) erschienen (3). Die Nichtunterlegenheitsstudie wurde an 157 Zentren in 19 Ländern durchgeführt und rekrutierte Typ-2-Diabetes-Patienten zwischen 18 und 80 Jahren und HbA1c-Werten zwischen 7,0 und 9,5 Prozent unter stabiler Metformindosis. Die Teilnehmer wurden zu drei Therapiearmen randomisiert: 100 mg/Tag Canagliflozin, 300 mg/Tag Canagliflozin oder Glimepirid (titriert bis zur maximal zulässigen Dosis von 6 resp. 8 mg/Tag, je nach Land). 1450 von 1452 randomisierten Patienten erhielten mindestens eine Dosis der ihnen randomisiert zugeteilten Wirkstoffe. Hinsichtlich des primären Endpunkts HbA1cReduktion war nach 52 Wochen Canagliflozin in der Dosierung von 100 mg/Tag
Glimeperid nicht unterlegen (least-squares mean difference -0,01%, 95%-Konfidenzintervall [KI]: -0,11 bis 0,09). Canagliflozin in der 300-mg-Dosierung war Glimepirid überlegen (-0,12%, 95%-KI: -0,22 bis -0,02). 39 Patienten (8%) zeigten unter Glimepirid ernsthafte Nebenwirkungen, 24 (5%) in der 100-mg-Canagliflozingruppe und 26 (5%) in der 300-mg-Canagliflozingruppe. Beide Canagliflozingruppen zusammengenommen erfuhren häufiger genitale Pilzinfektionen (26 [11%] und 34 [14%]) bei Frauen, 17 [7%] und 20 [8%] bei Männern) gegenüber 3 Fällen (1%) mit Glimepirid. Unter 100 mg respektive 300 mg/ Tag Canagliflozin wurden je 31 (6%) Harnwegsinfekte beobachtet, unter Glimepirid 22 (5%). Mit einer osmotischen Diurese in Zusammenhang stehende Ereignisse waren insgesamt selten, aber unter Canagliflozin häufiger (Pollakisurie unter Canagliflozin 12 Fälle [3%] vs. 1 [< 1%] unter Glimepirid sowie Polyurie 4 [< 1%] vs. 2 [< 1%]). Studienabbrüche kamen in allen Behandlungsgruppen ähnlich oft vor. Wie ein Kommentar in «The Lancet» feststellt, sind die hier dokumentierten Veränderungen, die über die blosse Blutzuckerkontrolle hinausgehen, ermutigend (1). Gleichzeitig bleibt eine gewisse Skepsis. So kann die blosse Förderung der Glukoseausscheidung mit dem Harn gegenüber Therapiekonzepten mit pathogenetischen Zielpunkten (Insulinresistenz, Betazelldysfunktion) als Schritt zurück empfunden werden. Jedoch ist angesichts der Forderung nach indvidualisierten Therapien – auch bei Diabetes – jede Bereicherung der therapeutischen Optionen willkommen. Bisherige Studien lassen vermuten, dass die SGLT-2-Hemmer sowohl als frühe Monotherapie wie auch in Kombination mit Insulin in späteren Karnkheitsstadien infrage kommen. Allerdings nimmt mit abnehmender Filtrationsfähigkeit der Nieren auch die Effektivität der SGLT-2-Hemmer ab, da diese vom glomerulären Filtrationsvolumen abhängt. Schliesslich müssten Langzeitsicherheitsbedenken hinsichtlich kardio- und zerebrovaskulärer Ereignisse und Krebsgefährdung sowie die langfristigen Auswirkungen auf die Knochengesundheit auch nach Marktzulassung eng verfolgt werden, mahnen die Kommentatorinnen. Empagliflozin In einem etwas früheren Entwicklungsstadium befindet sich Empagliflozin. Zu diesem SGLT-2-Hemmer liegt eine Dosisfindungsstudie über 12 Wochen als Add-on 321 ARS MEDICI 6 I 2014 ARGUS PHARMAKOTHERAPIE Berichte, Studien, Innovationen Kasten: SGLT-2-Hemmer in Markteinführung und Entwicklung O Canagliflozin (Invokana®, Janssen-Cilag, Zulassung in den USA, der EU und der Schweiz) O Dapagliflozin (Forxiga®, AstraZeneca, Zulassung in der EU und in den USA) O Empagliflozin (Boehringer Ingelheim/Lilly, Phase-III-Studien, Zulassung beantragt in den USA, in der EU und in der Schweiz) O Ipragliflozin (Astellas Pharma, Phase-III-Studien, Zulassung beantragt in Japan) O Luseogliflozin (Taisho Pharmaceutical, Phase-III-Studien, Zulassung beantragt in Japan) Eine ganze Reihe weiterer Wirkstoffe mit unterschiedlicher Potenz und Selektivität hinsichtlich SGLT-1 und SGLT-2 befindet sich in frühen Stadien der Entwicklung. Antidiabetika sowie Gewichtsreduktion und Blutdrucksenkung als willkommene Nebenwirkungen. Nicht für alle Patienten akzeptabel dürften Harnwegs- und Genitalinfekte als Nebenwirkung sein. Noch muss geklärt werden, ob ein als Klasseneffekt beobachteter Anstieg des LDL-Cholesterins ein intensiveres Lipidmanagement erfordert oder durch die Gewichts- und BDReduktion kompensiert wird. Zudem sind die Auswirkungen hinsichtlich der kardio-, reno- und zerebrovaskulären Diabeteskomplikationen sowie die Langzeitsicherheit noch Gegenstand entsprechender Studien. O Halid Bas zu Metformin vor (4). 495 Patienten mit durch Metformin allein nicht adäquat kontrollierter Stoffwechsellage erhielten randomisiert doppelblind Empagliflozin in unterschiedlichen Dosierungen (1 × 1, 5, 10, 25 oder 50 mg täglich) oder Plazebo oder offen 100 mg/Tag Sitagliptin (Januvia®, Xelevia®). Im Vergleich zu Plazebo bewirkten die Dosierungen von 5 bis 50 mg/Tag Empagliflozin signifikante Reduktionen von Nüchternblutzucker (-2 bis -28 mg/dl vs. 5 mg/dl, p < 0,0001) und Körpergewicht (-2,3 bis -2,9 kg vs. -1,2 kg, p < 0,01). Die Nebenwirkungsraten waren in den Behandlungsgruppen generell ähnlich (Empagliflozin 29,6–48,6%, Plazebo 36,6%, Sitagliptin 35,2%). Hypoglykämien traten durchwegs sehr selten auf. Auch hier waren unter dem SGTL-2-Inhibitor Harnwegsinfekte (4,0 vs. 2,8% unter Plazebo) und Pollakisurie (2,5 vs. 1,4%) die häufigsten Nebenwir- kungen. Genitalinfektionen (4%) wurden nur unter Empagliflozin beoachtet. In einer weiteren Studie wurde die Monotherapie mit Empagliflozin (10 oder 25 mg/ Tag) mit Plazebo und mit Sitagliptin (100 mg/ Tag) als aktiver Vergleichssubstanz bei therapienaiven Typ-2-Diabetikern über 24 Wochen untersucht (5). Im Vergleich zu Plazebo nahm HbA1c jeweils signifikant unter 10 mg Empagliflozin um 0,74 Prozent, unter 25 mg Empagliflozin um 0,85 Prozent und unter Sitagliptin um 0,73 Prozent ab. Die Nebenwirkungsraten waren unter Plazebo (61%), 10 mg Empagliflozin (55%), 25 mg Empagliflozin (60%) und Sitagliptin (53%) vergleichbar. Fazit Mit den SGLT-2-Hemmern steht eine weitere therapeutische Option bei Typ-2-Diabetes bereit. Vorteile sind orale Einnahme, HbA1c-Kontrolle im Bereich anderer oraler Referenzen 1. Diamant M, Morsink LM: SGLT2 inhibitors for diabetes: tur- ning symptoms into therapy. Lancet Online July 12, 2013. doi.org/10.1016/S0140-6736(13)60902-2. 2. Bolinder J et al.: Dapagliflozin maintains glycaemic control while reducing weight and body fat mass over 2 years in patients with type 2 diabetes mellitus inadequately controlled on metformin. Diabetes Obes Metab Aug 1, 2013 [Epub ahead of print]. doi: 10.1111/dom.12189. 3. Cefalu WT et al.: Efficacy and safety of canagliflozin versus glimepiride in patients with type 2 diabetes inadequately controlled with metformin (CANTATA-SU): 52 week results from a randomised, double-blind, phase 3 non-inferiority trial. Lancet 2013; 382 (9896): 941–950. 4. Rosenstock J et al.: Efficacy and safety of empagliflozin, a sodium glucose cotransporter 2 (SGLT2) inhibitor, as add-on to metformin in type 2 diabetes with mild hyperglycaemia. Diabetes Obes Metab 2013; 15(12): 1154–1160. 5. Roden M et al. on behalf of the EMPA-REG MONO trial investigators: Empagliflozin monotherapy with sitagliptin as an active comparator in patients with type 2 diabetes: a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial. Lancet Diabetes & Endocrinology 2013; 1(3)3: 208–219. 322 ARS MEDICI 6 I 2014