Transkript
Die Tücken der Insulintherapie
Fallstricke beim Diabetesmanagement
FORTBILDUNG
Diabetespatienten gehören zum Alltag in der Hausarztpraxis. Die Behandlung wird zur Routine, die zu einem trügerischen Gefühl von Sicherheit führen kann. Die Vielfältigkeit der Begleiterkrankungen und Lebensbedingungen der Betroffenen spannt Fallstricke, die in diesem Beitrag hinsichtlich der Insulintherapie besprochen werden.
OLAF NEY
Abgesehen von den unterschiedlichen Lebensumständen und Komorbiditäten der Diabetespatienten wird die Therapie auch durch die unterschiedliche Wertung der wissenschaftlichen Literatur durch die Kollegen verkompliziert. Einigkeit besteht immerhin darin, dass für jeden Betroffenen individuelle Therapieziele festgelegt werden sollen (1). Für das Erreichen der Therapieziele wird man individuelle Wege gemeinsam mit dem Patienten suchen müssen.
Abbildung: Empfohlen wird, den Pen mit dem NPHInsulin 20-mal zwischen Daumen und Zeigefinger gehalten zu schwenken (hin und zurück).
schwerer Fehler, bei diesen Patienten zu glauben, sie wären nicht lebensnotwendigerweise auf Insulin angewiesen.
Welcher Diabetestyp ist es? Wenn im Folgenden von Diabetes mellitus die Rede ist, dann ist Diabetes mellitus Typ 2 gemeint. Der erste Fallstrick bei Diabetes mellitus ist, dass dies explizit bei Anamnese, kollegialem Gespräch und jeder Fortbildung geklärt werden muss. Dabei gilt es zu beachten, dass Diabetes Typ 2 bei immer Jüngeren beobachtet wird, und dass weder höheres Alter noch Übergewicht vor Diabetes Typ 1 schützen. Eine Zuordnung zu einem Diabetestyp soll in erster Linie nach klinischen Gesichtspunkten erfolgen. Beim Alter gilt es, das Alter bei Manifestation zu berücksichtigen. Seit 1922 gibt es eine Insulintherapie für Menschen mit Diabetes Typ 1. Daher können über 80-jährige Menschen heute schon seit ihrer Kindheit mit Insulin behandelt worden sein. Es wäre ein
Merksätze
O Auch vermeintliche Selbstverständlichkeiten müssen im Diabetesmanagement immer wieder überprüft werden.
O Anwendungsfehler, zum Beispiel bei der Injektion oder durch mangelhaftes Mischen einer NPH-Suspension, können zu Schwankungen in der Blutzuckereinstellung führen.
Wann Medikamente und/oder Insulin? Nach Erstdiagnose des Diabetes mellitus Typ 2 gilt es zu beachten, dass erst dann eine Verordnung eines oralen Antidiabetikums infrage kommt, wenn bereits ein Therapieversuch mit nicht medikamentösen Massnahmen stattgefunden hat, ohne dass ein Erfolg eingetreten ist. Dies muss auch in der Krankenakte dokumentiert sein. Eine Schulung in der eigenen Praxis oder in einer diabetologischen Schwerpunktpraxis dürfte ein starkes Indiz für ein Bemühen sein, erst danach sollte eine Medikation erwogen werden. Auch eine Entgleisung des Diabetes ist kein zwingender Grund für eine orale Medikation. Der medizinische Vorteil einer raschen Rekompensation durch eine kurzfristige Insulintherapie ist eine auch danach bessere Stoffwechsellage trotz Absetzen des Insulins unmittelbar nach Rekompensation (2, 3).
Fehler bei der Insulinanwendung Bei starken Schwankungen der Blutzuckerwerte sollte auch immer die Möglichkeit bedacht werden, dass der Patient wiederholt immer die gleiche Stelle zur Injektion benutzt und es zu Verhärtungen und Lipohypertrophien gekommen ist. Bei Wahl einer anderen Region und grossflächigerer Verteilung der Injektionsstellen ist häufig eine Dosisreduktion erforderlich, und dennoch sind bessere und gleichmässigere Blutzuckerwerte die Folge.
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FORTBILDUNG
Bei starken Schwankungen der Nüchternblutzuckerwerte
sind neben nächtlichen Hypoglykämien auch Stresszustände
durch nächtliche Apnoe bei einer Schlafapnoe als Ursache zu
bedenken.
Bei Einsatz von NPH-Insulin oder dessen Mischungen ist die
ungenügende Resuspension des NPH-Anteils ein häufiger
Fehler. Es resultieren Wirkschwankungen von Tag zu Tag.
Ausserdem treten sie nochmals beim Wechsel der Ampulle
durch Veränderung der Konzentration auf. Es gibt nur eine
evidenzerprobte Methode zum Mischen: Die in den Ampul-
len enthaltenen Kugeln müssen unter dem Einfluss der
Schwerkraft (durch Schwenken des Pens) 20-mal Richtung
Druckknopf des Pens und wieder zurück fallen (4, 5). Ent-
sprechend ist der Patient zu schulen (Abbildung).
Leider sind Fehler wie das mangelnde Mischen der NHP-
Suspenison nicht selten, insbesondere auch in der Pflege. Bei
einer basal mit Insulin unterstützten oralen Therapie ist
darum die Umstellung auf die Gabe von Insulin Glargin
(Lantus®), Detemir (Levemir®) oder Degludec (Tresiba®) zu
überlegen. Dadurch entfällt auch die Gabe streng vor der
Nacht, wie sie oft bei oraler Therapie plus NPH-Insulin
empfohlen werden muss, um nächtliche Hypoglykämien
zu vermeiden.
O
Dr. med. Olaf Ney Facharzt für Innere Medizin, Diabetologie – Ernährungsmedizin Diabetologische Schwerpunktpraxis (KVN) Lindenstrasse 1A, D-31535 Neustadt am Rübenberge E-Mail: praxis@diabetes-neustadt.de
Literatur: 1. Inzucchi SE et al.: Management of hyperglycaemia in type 2 Diabetes: a patient-
centered approach. Position statement of the American Diabetes Association (ADA) and the European Association for the Study of Diabetes (EASD). Diabetologia 2012; 55: 1577–1596. 2. Chen HS et al., Diabetes Care 2008; 31: 1927–1932. 3. Weng J et al., Lancet 2008; 371: 1753–1760. 4. Jehle PM et al.: Inadequate suspension of neutral protamine Hagedorn (NPH) Insulin in pens. Lancet 1999; 354: 1604–1607. 5. Kaiser P et al.: Assessment of the mixing efficiency of neutral protamine hagedorn cartridges. J Diabetes Sci Technol 2010; 4(3): 652–657.
Interessenkonflikte: Der Autor hat als Kassenwart der Diabetesakademie Niedersachsen e.V. Zahlungen von den Firmen Abbott, Bayer, Berlin-Chemie, Bristol-Myers Squibb, Lilly, MSD, Novartis Pharma, Novo Nordisk, Roche, Sanofi, Sanofi-Aventis, Takeda und UCB Pharma erhalten.
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 15/2013. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor; der Artikel wurde von der Redaktion ARS MEDICI an die Verhältnisse in der Schweiz angepasst.
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