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STUDIE REFERIERT
Blutdrucksenkung bei Diabetes mellitus
Welche Antihypertensiva sind vorteilhaft? Ergebnisse einer Metaanalyse
Plazebo oder anderen aktiven Medikamenten bei erwachsenen Diabetespatienten verglichen wurden. Die Nachbeobachtungszeit musste 12 Monate oder länger sein, und die Studien mussten Angaben zu einem oder mehreren der folgenden Ergebnisse enthalten: O Gesamtmortalität O terminale Niereninsuffizienz O Verdoppelung der Serumkreatinin-
konzentration.
Einige blutdrucksenkende Medikamente wirken zusätzlich organprotektiv. Eine kürzlich publizierte Metaanalyse verglich die Effekte verschiedener Antihypertensivaklassen auf das Überleben und auf wichtige renale Endpunkte.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Diabetes mellitus führt häufig zu Nephropathie und terminaler Niereninsuffizienz. «Angiotensin-convertingenzyme»-Inhibitoren (ACE-Hemmer) und Angiotensinrezeptorblocker (ARB) sind die beiden wichtigsten Vertreter der Substanzklassen, die das ReninAngiotensin-System hemmen. Sowohl ACE-Inhibitoren als auch ARB weisen nephroprotektive Eigenschaften auf. Deswegen empfehlen internationale
Merksätze
O Die aktuelle Metaanalyse belegt die nephroprotektiven Eigenschaften sowie die Überlegenheit von ACE-Hemmern bei Diabetespatienten und zeigt die ungünstigen Effekte von Betablockern auf.
O Die Metaanalyse kann für Angiotensinrezeptorblocker (ARB) im Vergleich zu ACE-Inhibitoren bei Diabetespatienten keinen besseren nephroprotektiven Effekt nachweisen.
O Im Hinblick auf die Behandlungskosten sollten deshalb ACE-Hemmer als First-lineAntihypertensiva bei Diabetes mellitus eingesetzt werden.
O Wenn ACE-Hemmer bei Diabetikern keine ausreichende Blutdrucksenkung bewirken, können zusätzlich Kalziumantagonisten gegeben werden.
Leitlinien, zur Blutdrucksenkung bei hypertensiven Diabetespatienten als Erstlinientherapie entweder ACE-Hemmer oder ARB zu verabreichen, wenn der Kostengesichtspunkt nicht im Vordergrund steht. Jedoch gibt es nur wenige klinische Studien, in denen ACEInhibitoren direkt mit ARB verglichen wurden, und es ist unklar, ob ACEHemmer beziehungsweise ARB bei Diabetespatienten unterschiedliche protektive Wirkungen entfalten. Darüber hinaus benötigen viele Diabetiker mit Bluthochdruck zusätzlich zu den Hemmstoffen des Renin-AngiotensinSystems weitere Antihypertensiva, um eine adäquate Blutdruckkontrolle zu erreichen, und bis anhin gibt es keinen Konsens bezüglich der Wahl der Substanzen für die Kombinationstherapie. In einer aktuellen Netzwerkmetaanalyse wurden die Effekte verschiedener antihypertensiver Substanzklassen (Hemmstoffe des Renin-AngiotensinSystems und andere blutdrucksenkende Medikamente) in Mono- und Kombinationstherapie auf das Überleben und auf wichtige renale Auswirkungen bei Patienten mit Diabetes untersucht. Dabei bedienten sich die Autoren eines besonderen Verfahrens («Bayesian network meta-analysis»), mit dessen Hilfe verschiedene Therapien verglichen werden können.
Methoden In einer umfangreichen Literaturrecherche wurden randomisierte klinische Studien aus den Jahren 1970 bis 2011 identifiziert, in denen Diabetespatienten mit Antihypertensiva behandelt worden waren. Für die Metaanalyse wurden randomisierte klinische Studien im Parallelgruppendesign berücksichtigt, in denen die Effekte einer antihypertensiven Mono- oder Kombinationstherapie mit
Terminale Niereninsuffizienz war dabei definiert als Notwendigkeit einer Dialysetherapie oder Nierentransplantation. Berücksichtigt wurden Studien mit Patienten aller Diabetestypen und unabhängig vom Ausmass der Albuminurie. In den Studien kamen folgende Antihypertensiva zur Anwendung: ACEHemmer, ARB, Alphablocker, Betablocker, Kalziumantagonisten, Diuretika sowie Kombinationen aus den genannten Substanzen.
Ergebnisse Insgesamt wurden 63 geeignete Studien mit insgesamt 36 917 Teilnehmern identifiziert, in denen 11 verschiedene antihypertensive Therapieschemata zur Anwendung kamen (inklusive Plazebo). In diesen Studien wurde über folgende Ereignisse berichtet: O 2400 Todesfälle O 766 Patienten mit terminaler dialyse-
pflichtiger Niereninsuffizienz O 1099 Patienten mit einer Verdop-
pelung der Serumkreatininkonzentration.
Im Vergleich zu Plazebo konnten nur ACE-Inhibitoren die Verdoppelung der Serumkreatininkonzentration signifikant reduzieren (Odds Ratio [OR]: 0,58, 95%-Bayes-Konfidenzintervall [KI]: 0,32–0,90), und nur Betablocker zeigten einen signifikanten Mortalitätsunterschied (OR: 7,13, 95%-Bayes-KI: 1,37–41,39). Der Vergleich aller Behandlungsoptionen ergab keine statistische Signifikanz in Bezug auf das Dialyseergebnis. Obwohl die günstigen Effekte der ACE-Inhibitoren im Vergleich zu den ARB keine statistische Signifikanz erreichten, zeigten ACE-Inhibitoren konsistent höhere Wahrscheinlichkeiten einer Überlegenheit in Bezug auf alle drei Zielkriterien.
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STUDIE REFERIERT
Obwohl der protektive Effekt einer Kombinationstherapie aus ACE-Hemmer plus Kalziumantagonist im Vergleich zu Plazebo statistisch nicht signifikant war, ergab das Therapieranking, dass diese Kombinationstherapie mit der grössten Wahrscheinlichkeit (73,9%) zu einer Reduktion der Mortalität führt, danach folgen ACE-Inhibitor plus Diuretikum (12,5%), ACE-Inhibitoren (2,0%), Kalziumantagonisten (1,2%) und ARB (0,4%).
Diskussion In der vorliegenden Metaanalyse konnte gezeigt werden, dass die Gabe von ACE-Inhibitoren die einzige Therapie ist, die im Vergleich zu Plazebo eine Verdoppelung der Serumkreatininkonzentration signifikant verhindern kann. Darüber hinaus erwiesen sich Betablocker im Hinblick auf die Gesamtmortalität als signifikant unterlegen. ACE-Hemmer zeigten im Vergleich zu ARB in Bezug auf alle Zielkriterien eine höhere Wahrscheinlichkeit einer Überlegenheit. Die Kombination aus ACEInhibitor plus Kalziumantagonist wies die grösste Wahrscheinlichkeit auf, hinsichtlich der Reduktion der Mortalität die beste Behandlungsoption zu sein. Aus früheren Studien ist bekannt, dass ACE-Hemmer das Renin-AngiotensinSystem blockieren, den glomerulären Kapillardruck durch Vasodilatation der efferenten Arteriolen senken, die Albuminurie reduzieren, die Progression der Niereninsuffizienz verlangsamen und das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen senken. Darüber hinaus weisen die Ergebnisse von klinischen Studien und Metaanalysen darauf hin, dass ACE-Inhibitoren bei diabetischer Nephropathie einen nierenprotektiven Effekt entfalten, der sich nicht allein durch die Blutdrucksenkung erklären lässt; möglicherweise sind dafür nichthämodynamische antiproteinurische Effekte der ACE-Hemmer verantwortlich wie beispielsweise eine vermehrte Selektivität der glomerulären Barriere, ein kompensatorisches Wachstum der residuellen Nephrone und die Limitation der interstitiellen Inflammation und Fibrose. Wie die ACE-Hemmer zählen auch die ARB zu den Hemmstoffen des ReninAngiotensin-Systems. ARB blockieren selektiv die Aktivierung von Angio-
tensin-II-AT1-Rezeptoren, und man schreibt ihnen ähnliche kardioprotektive und nephroprotektive Eigenschaften wie den ACE-Inhibitoren zu. Zwar legen aktuelle Leitlinien äquivalente protektive Effekte von ACE-Inhibitoren und ARB bei hypertensiven Diabetikern nahe, doch bevorzugen manche Leitlinien ACE-Inhibitoren im Hinblick auf die Kosten als Erstlinientherapie und weisen darauf hin, dass ARB hauptsächlich eingesetzt werden sollten, wenn ACE-Hemmer nicht vertragen werden oder wenn ein kostengünstiger generischer ARB verfügbar ist. Kalziumantagonisten senken nachweislich den afferenten Arteriolendruck und interferieren mit dem Wachstum von glomerulären Mesangiumzellen. Die Kombination eines ACE-Hemmers mit einem Kalziumantagonisten führt zu einer ausgeprägteren Reduktion des intraglomerulären Drucks und der Albuminurie als die jeweilige Monotherapie. Aus tierexperimentellen Untersuchungen ist bekannt, dass die Kombination aus einem ACEInhibitor und einem Kalziumantagonisten einen positiven synergistischen Effekt auf die Endothelfunktion ausübt. Dies lässt vermuten, dass diese Therapie eine Atherosklerose verhindern oder stabilisieren kann. Kürzlich publizierte klinische Studien und Metaanalysen ergaben, dass die Kombinationstherapie aus einem ACEHemmer und einem Kalziumantagonisten den Blutdruck effektiv senkt und gefässprotektiv wirkt, wobei gleichzeitig die Nebenwirkungen der beiden Medikamente minimiert werden. Diese klinischen und experimentellen Befunde sind mit denjenigen der aktuellen Metaanalyse vereinbar und können erklären, warum die Kombinationstherapie aus einem ACE-Inhibitor und einem Kalziumantagonisten die grösste Wahrscheinlichkeit aufwies, die Gesamtmortalität bei Diabetespatienten zu senken. Diuretika führen bei Diabetikern zu einer effektiven Senkung von Plasmavolumen und Blutdruck. Zum andern ist der Einsatz von Diuretika mit negativen metabolischen Begleiterscheinungen wie Stimulation des Renin-Angiotensin-Systems, Elektrolytstörungen und einer Verschlechterung der glykämischen Kontrolle assoziiert. Die aktuelle Leitlinie der European Society of Car-
diology empfiehlt die Gabe von Diuretika bei Diabetespatienten nicht als antihypertensive Erstlinientherapie. In früheren klinischen Studien und Metaanalysen schnitten Betablocker im Vergleich zu anderen Antihypertensiva oft schlechter ab (höhere kardiovaskuläre und Gesamtmortalität, höhere Schlaganfallrate, erhöhtes Risiko für das Neuauftreten eines Diabetes). Eine vor einiger Zeit publizierte Metaanalyse kam zu dem Schluss, dass Betablocker im Vergleich zu Hemmstoffen des Renin-Angiotensin-Systems die kardiovaskuläre Mortalität erhöhen (relatives Risiko: 1,39, 95%-KI: 1,07– 1,80). Betablocker senken den zentralen Blutdruck nicht im gleichen Umfang wie andere Antihypertensiva. Dies kann zusammen mit den negativen metabolischen Effekten erklären, warum Betablocker im Vergleich zu anderen Antihypertensiva schlechtere kardiovaskuläre Ergebnisse aufweisen.
Schlussfolgerungen Die vorliegende Metaanalyse belegt die nephroprotektiven Effekte und die Überlegenheit des Einsatzes von ACEInhibitoren bei Patienten mit Diabetes. Zudem weist sie auf ungünstige Effekte von Betablockern hin. Mit der verfügbaren Evidenz ist es nicht möglich, bessere protektive Effekte von ARB im Vergleich zu ACE-Hemmern nachzuweisen. Im Hinblick auf die Therapiekosten sprechen die Ergebnisse dieser Metaanalyse für den Einsatz von ACE-Inhibitoren als First-line-Antihypertensiva bei Patienten mit Diabetes mellitus. Kann mit der alleinigen Gabe von ACE-Hemmern keine ausreichende Blutdrucksenkung erzielt werden, sollten Kalziumantagonisten als bevorzugter Kombinationspartner zusätzlich zu ACE-Inhibitoren verabreicht werden. O
Andrea Wülker
Wu HY et al.: Comparative effectiveness of renin-angiotensin system blockers and other antihypertensive drugs in patients with diabetes: systematic review and bayesian network meta-analysis. British Medical Journal 2013; 347: f6008.
Interessenlage: Die Autoren erklären, dass in den vergangenen drei Jahren keine finanziellen Beziehungen zu Organisationen bestanden, die eventuell ein Interesse an der veröffentlichten Metaanalyse gehabt haben könnten.
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