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Berichte, Studien, Innovationen
ARGUS PHARMAKOTHERAPIE
Schützt der Serotoninwiederaufnahmehemmer Escitalopram vor Stressherzinfarkt?
«Die synaptische Verfügbarkeit von Serotonin zu erhöhen, könnte künftig ein wichtiger Baustein im Management der koronaren Herzkrankheit werden. Die sechswöchige Verstärkung der serotonergen Funktion neben der besten evidenzbasierten Therapie von Patienten mit koronarer Herzkrankheit scheint das Auftreten einer stressinduzierten Myokardischämie zu reduzieren», so die Autoren.
Nicht nur körperliche Belastung, sondern auch psychischer Stress kann bei Patienten mit einer koronaren Herzerkrankung eine akute Myokardischämie auslösen. Möglicherweise schützt eine antidepressive Therapie mit dem Serotoninwiederaufnahmehemmer Escitalopram gefährdete Patienten vor dem Myokardinfarkt.
JOURNAL OF THE AMERICAN MEDICAL ASSOCIATION
Dass nicht nur Schneeschippen am frühen Morgen das Risiko einer Myokardischämie erhöht, sondern auch psychosozialer Stress dem Herzen schadet, ist mittlerweile bekannt. Emotionaler Stress kann die Perfusion der Koronararterien reduzieren und sogar einen Myokardinfarkt auslösen. In der kardiologischen Belastungsdiagnostik wird die klassische Ergometrie zunehmend durch einen standardisierten mentalen Stresstest ergänzt. Dazu stellt der Untersucher dem Patienten mehrere mentale Aufgaben, bevor es zur Prüfung der körperlichen HerzKreislauf-Belastungsfähigkeit kommt. Ein positiver Stresstest nach mentaler Belastung ist bei bis zu 70 Prozent aller Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit (KHK) nachweisbar und korreliert mit einem erhöhten Risiko kardiovaskulärer Ereignisse. Der Ansatz, das Herz mittels Antidepressivum zu schützen, ist indes neu: Patienten mit einer stabilen KHK und positivem Stresstest nach mentaler Belastung profitieren von einer sechswöchigen Behandlung mit dem Serotoninwiederaufnahmehemmer Escitalopram, so das Ergebnis einer aktuellen Studie. Die Therapie mit dem SSRI halbierte fast das Risiko einer durch mentalen Stress induzierten Ischämie (MSIMI, mental stress-induced myocardial ischemia). In der US-Studie mussten die Teilnehmer drei mentale Tests absolvieren: zunächst eine Matheaufgabe lösen, dann einen Stern
im Spiegel nachzeichnen und schliesslich zu einem Thema sprechen, das sie wütend oder traurig machte. Zwischen den Einzeltests gab es eine sechsminütige Ruhepause. Anschliessend ging es auf den Laufbandergometer; Ischämien wurden anhand von EKG und Echokardiografie aufgespürt. Bei 127 von 310 psychisch gesunden Patienten mit stabiler KHK kam es zu ischämischen Veränderungen, die die Patienten ohne mentalen Stress nicht gezeigt hatten. Sie wiesen entweder eine neu aufgetretene regionale Wandbewegungsstörung und/oder einen Abfall der linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF) um mindestens 8 Prozent auf. ST-Strecken-Veränderungen wurden hingegen unter mentalem Stress nicht beobachtet. Diese «stressanfälligen» Patienten mit positivem MSIMI-Test erhielten dann über sechs Wochen entweder Escitalopram in einer Dosis (auftitriert von 5 mg) von 20 mg (n = 64) oder Plazebo (n = 63). Bei Wiederholung der Stresstests nach sechs Wochen war bei 34,2 Prozent der mit SSRI behandelten Patienten gegenüber 17,5 Prozent im Plazeboarm keine MSIMI mehr nachweisbar. Die statistische Signifikanz des Unterschieds ging allerdings verloren, wenn Geschlecht und Unterschiede in der Ausgangs-LVEF berücksichtigt wurden. Weder wurde die Rate der Ischämien nach körperlicher Belastung verändert noch die Gesamtbelastbarkeit durch den SSRI erhöht. Patienten unter Escitalopram berichteten jedoch, insgesamt ruhiger geworden zu sein und sich selbst mehr unter Kontrolle zu haben. Die hämodynamische Antwort auf emotionalen/mentalen Stress ist insoweit verschieden von belastungsinduziertem Stress, als dass die Herzfrequenz weniger ansteigt und auch der Blutdruckanstieg geringer ausfällt als bei physischem Stress. SSRI dämmen diese hämodynamische Antwort weiter ein: Unter Belastung liefen in der Escitalopramgruppe signifikant geringere Veränderungen von Puls und systolischem Blutdruck ab.
SSRI als Thrombozytenaggregationshemmer? Neben zu erwartenden Wirkungen auf die psychische Stabilität könnten andere protektive Mechanismen bei einer Therapie mit SSRI zum Tragen kommen. Escitalopram reduzierte in der Studie das Serotonintransportvolumen der Thrombozyten, was möglicherweise zu einer Thrombozytenaggregationshemmung führte. Diese wurde bereits im Tiermodell gezeigt.
Metabolische und psychische Faktoren SSRI verbessern nicht nur negative Emotionen, die schlecht fürs Herz sind, sondern beeinflussen Biomarker, die mit einem schlechteren kardiovaskulären Ergebnis korrelieren. Die Autoren gehen davon aus, dass eine Dysregulation der Antwort auf emotionalen Stress bei bestimmten Patienten zu einer mental induzierten Stressischämie führt. Diese entsteht durch Vasokonstriktion in Mikrogefässen im Kontext einer endothelialen Dysfunktion oder Atherosklerose. In diesem Zusammenhang könnten vaskuläre und metabolische Wirkungen der SSRI auf Gewicht, Body-Mass-Index, Insulinresistenz, diastolischen Blutdruck sowie Lipidstoffwechsel interessant sein. O
Anka Stegmeier-Petroianu
Jiang W et al.: Effect of escitalopram on mental stress-induced myocardial ischemia: results of the REMIT trial. JAMA 2013; 309(20): 2139–2149.
ARS MEDICI 5 I 2014
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