Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Kardiologie
Bekommen Choleriker eher einen Herzinfarkt?
«Ich bekomme gleich einen Herzinfarkt!», das hat schon so manch über alle Massen wütender Mensch lauthals seinen Mitmenschen mitgeteilt oder zumindest bei sich gedacht. Doch stimmt es wirklich, dass das Herz vor Wut versagen kann? Ja, insbesondere für Personen, die sowieso schon ein höheres kardiovaskuläres Risiko tragen, meinen die Autoren einer kürzlich im «European Heart Journal» publizierten Studie. Sie berufen sich dabei auf eine Metaanalyse aus
9 Studien, die zwischen 1999 und 2013 zu der Frage erschienen waren, ob es einen Zusammenhang zwischen Wutausbrüchen und kardiovaskulären Ereignissen wie Herzinfarkt oder akute Koronarsymptome, Schlaganfall oder Herzrhythmusstörungen gibt. Es versteht sich von selbst, dass Studien dieser Art keine Ursache-Wirkungs-Beziehungen beweisen können. Trotzdem wagen die Autoren von der Harvard School of Public Health in Boston diverse Zahlenspiele, die altbekannte Vorurteile bestätigen. Demnach soll in den zwei Stunden nach einem Wutanfall das Risiko für einen Herzinfarkt oder akute Koronarsymptome etwa um das 4-Fache erhöht sein, wobei die Angaben in den Studien zwischen einem 2½-fach bis 9-fach erhöhtem Risiko schwankten – so oder so, das Risiko war statistisch signifikant erhöht. Dieses begehrte Prädikat erreichte man nicht bei der Betrachtung, ob Schlaganfälle nach Wutausbrüchen häufiger waren: Es gab sowohl Studien, die in der Vergangenheit ein niedrigeres Risiko konstatiert hatten (–20%), als auch solche, die ein 16-fach erhöhtes dafür fanden. Im Mittel ergab das für die Autoren der Metaanalyse eine Risikoerhöhrung für Hirnschläge um das gut 3-Fache, wenn auch ohne statistische Signifikanz.
Die Autoren verschweigen nicht, dass
das Risiko ingesamt niedrig ist, wegen
Wutausbrüchen einen Herz- oder
Schlaganfall zu erleiden. Bei einem
niedrigen kardiovaskulären Ausgangs-
risiko (5% 10-Jahres-Risiko) wäre es
pro Jahr 1 zusätzlicher Herzinfarkt bei
10 000 Personen, vorausgesetzt, dass
diese alle (!) mindestens einmal jeden
Monat so richtig wütend sein würden.
Bei einem höheren Basisrisiko (20%
10-Jahres-Risiko) wären es pro Jahr
4 zusätzliche Herzinfarktfälle. Um auf
eindrucksvollere Risikoraten zu kom-
men, dachten sich die Autoren hypo-
thetische «Super-Choleriker» aus, die
mindestens 5-mal täglich (!) ausrasten.
Vorausgesetzt man fände 10 000 solch
wenig sympathischer Zeitgenossen, dann
käme man bei ihnen rechnerisch auf
158 bis 657 zusätzliche Herzinfarkt-
fälle pro Jahr, je nach Basisrisiko.
Man mag über derartige Zahlenspiele
lächeln, für die Autoren sprechen sie
jedoch allen Ernstes dafür, besonders
impulsive Menschen pharmakologisch
ruhig zu stellen. Darüber könnte man
sich geradezu aufregen ...
RBOO
Mostofsky E, Penner EA, Mittleman MA: Outbursts of anger as a trigger of acute cardiovascular events: a systematic review and meta-analysis. European Heart Journal doi:10.1093/eurheartj/ehu033, online publication March 4th, 2014.
Infektiologie
Masern vom Arzt
Man schätzt, dass das berufliche Infektionsrisiko für Masern bei Ärzten bis zu 19-mal so hoch wie in der Normalbevölkerung ist. Doch obwohl es gerade Mediziner besser wissen sollten, vernachlässigen offenbar nicht wenige von ihnen den eigenen Impfschutz. So ergab eine Untersuchung unter Frankfurter Medizinstudenten aus dem Jahr 2010, dass jeder vierte Student
kurz vor dem ersten Patientenkontakt keine hinreichende Masernimmunität hatte. Bei einem Kontakt mit einem an Masern erkrankten Kind wäre eine Ansteckung also recht wahrscheinlich. Hinzu kommt, dass Masern von frischgebackenen, jungen Ärzten nicht immer gleich erkannt werden: «Gerade junge Mediziner kennen die Erkrankung oft nur aus dem Lehrbuch und können Hautausschlag und andere Anzeichen nicht passend zuordnen», so Prof. Ulrich R. Fölsch, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Bei Ärzten, die Kontakt zu
Kindern haben, insbesondere abwehrgeschwächten, sollte der Impfstatus deshalb vorsichtshalber serologisch bestätigt werden. Wie in der Schweiz gibt es auch in Deutschland keine Impfpflicht gegen Masern.
RBOO
Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), 6. März 2014.
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ARS MEDICI 5 I 2014
Suchtmedizin
Übelkeit und Bauchkrämpfe durch Cannabismissbrauch
Wenn der Anfall einsetzt, wird ihnen speiübel, sie müssen sich übergeben und krümmen sich vor Bauchschmerzen. Suchtmediziner sehen die Störung in letzter Zeit häufiger. Die Kombination aus Übelkeit, Bauchkoliken und einer hohen Wasserrechnung ist für sie ein untrügliches Zeichen für das Cannabis-Hyperemesis-Syndrom.
Die Symptome wurden zunächst in Australien beschrieben. Man vermutete zunächst eine psychogene Störung, die von selbst wieder zurückgeht. Mittlerweile ist man sich jedoch sicher, dass das Cannabis-Hyperemesis-Syndrom eine handfeste und ernst zu nehmende Folge eines langjährigen, in der Regel hoch dosierten Cannabiskonsums sei. Die Drogenkonsumenten erkennen den Zusammenhang meistens nicht, einige versuchen sogar, die Übelkeit mit der Droge zu
bekämpfen. Viele haben im Internet recherchiert, dass Cannabis gegen Übelkeit hilft, so der Erstautor einer kürzlich erschienenen Übersichtsarbeit zu diesem Thema. Von den Ärzten werde das Cannabis-HyperemesisSyndrom nur selten diagnostiziert. Wegen der akuten Dynamik und der oft dramatischen Symptomatik der zyklisch auftretenden «abdominellen Krisen» durchlaufen die Patienten in der Regel mehrfach das gesamte ambulante und stationäre Notfallhilfesystem ihrer Region. In dem Artikel wird unter anderem der Fall eines jungen Konsumenten geschildert, der von einem Hausarzt innerhalb eines letzten Heilversuchs sogar mit Morphininfusionen behandelt wurde. Das linderte zwar die Übelkeit, behob aber nicht die Ursache der Probleme. Schon bald benötigte der Patient Methadon zum Opiatentzug. Schliesslich wurde beides, Methadon und Cannabis, abgesetzt und der Patienten in eine Fachklinik eingewiesen. Eine Alternative zum Drogenverzicht sehen die Autoren nicht. Medikamente gegen Erbrechen seien wirkungslos, Beruhgungsmittel wie Lorazepam könnten die Patienten süchtig machen, und Psychopharmaka hätten schwere Nebenwirkungen.
Thieme-Verlag/RBOO
Bonnet U, Stratmann U und Isbruch K: Keine Opiate gegen das Cannabis-Hyperemesis-Syndrom. DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2014; 139 (8): 375-377.
Palliativmedizin
Neue Forschungsförderung in der Schweiz
Mit einem Förderprogramm möchte die SAMW zusammen mit der Stanley-ThomasJohnson-Stiftung und der Gottfried- und Julia-Bangerter-Rhyner Stiftung dazu beitragen, dass die Forschung in Palliative Care auch in der Schweiz auf- und ausgebaut wird. Zu diesem Zweck stellen die Johnson-Stiftung und die Bangerter-Stiftung von 2014 bis 2017 Fördergelder in Höhe von zirka 1 Million Franken pro Jahr zur Verfügung. Forschungsprojekte werden in der Regel mit maximal 80 000 Franken pro Gesuch und
Jahr für maximal 3 Jahre gefördert, Stipendien mit maximal 20 000 Franken pro Jahr für maximal 2 Jahre (grundsätzlich hälftig als Stipendium und hälftig als Darlehen). Die nächste Eingabefrist endet am 1. Juni 2014. Weitere Informationen unter: www.samw.ch/de/Forschung/PalliativeCare.html
SAMW/RBOO
RÜCKSPIEGEL
Vor 10 Jahren
Autismuspublikation widerrufen
Am 6. März 2004 zogen 10 der 13 Ko-Autoren eine umstrittene «Lancet»-Publikation aus dem Jahr 1998 zurück, wonach die MMR-Impfung etwas mit Autismus zu tun habe. Die Hypothese stützte sich auf Beobachtungen in insgesamt 8 Fällen, und sie konnte nie durch epidemiologische Daten oder handfeste Studien belegt werden. Erst jetzt, 6 Jahre nach der Publikation war bekannt geworden, dass Erstautor Wakefield von Anwälten, die für Eltern autistischer Kinder Entschädigungen einklagen wollten, eine erhebliche Summe an Drittmitteln erhalten hatte. 2010 verurteilte die britische Ärztekammer Wakefield, und er erhielt Berufsverbot in Grossbritannien.
Vor 50 Jahren
Herzklappe aus dem Bauch
Am St. George Hospital in London experimentiert man mit künstlichen Herzklappen, die von körpereigenem Gewebe überwachsen sind. Das berichtet das Wochenmagazin «Die Zeit» in ihrer Ausgabe vom 20. März 1964. Dazu wird ein Bauchdeckengewebe in eine herzklappenförmige, poröse Plastikkapsel eingebracht, das Ganze anschliessend in die Bauchdecke gepflanzt und dort für 6 Wochen belassen. Danach wird die neue Herzklappe mit Kunststoffkern entnommen und dem Patienten eingesetzt.
Vor 100 Jahren
Medizin als Business
Am 21. März 1914 erscheint im «British Medical Journal» ein ausführlicher Artikel mit dem Titel «The business of Medical Practice». Autor Sir John Collie beklagt, dass Ärzte die Frage der angemessenen Bezahlung vernachlässigten, weil das als eher unschicklich gelte. Um seinen Kollegen auf die Sprünge zu helfen, versichert er ihnen nicht nur, dass es keinesfalls unehrenhaft sei, als Arzt an wirtschaftliche Aspekte zu denken, sondern er erteilt auch handfeste Ratschläge zur Buchhaltung, zu der Gesetzeslage und nicht zuletzt zu der Frage, wie man sein Geld am besten anlegt; von Aktiengeschäften an der Börse riet er ab.
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