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STUDIE REFERIERT
In welchem Mass senken Ballaststoffe in der Ernährung das kardiovaskuläre Risiko?
Dass eine an Obst, Gemüse und Vollkorn reiche Ernährung die Gesundheit eher fördert, ist eine Binsenweisheit. Britische Epidemiologen und Statistiker haben nun versucht, den potenziellen kardiovaskulären Nutzen zu beziffern.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Ein direkter Wirkmechanismus für eine schützende Wirkung von Nahrungsfasern auf das Herz-Kreislauf-System ist nicht bekannt. Positive indirekte Effekte seien jedoch plausibel, schreiben die Autoren der neuen Metaanalyse. Dazu gehört beispielsweise die langsamere Resorption der Nährstoffe durch den Darm und dadurch weniger steil ansteigende postprandiale Blutglukose- und Blutlipidwerte. Nahrungsfasern verlangsamen die Magenentleerung, sodass die Sättigung länger anhält, was Übergewicht vermeiden hilft. Ein weiterer potenziell positiver Effekt sei die Synthese kurzkettiger Fettsäuren aus Nahrungsfasern durch Darmbakterien, da diese Fettsäuren zirkulierendes Cholesterin verminderten. Nicht zuletzt enthalten ballaststoffreiche Nahrungsmittel häufig weitere, gesundheitsfördernde Substanzen. Anders als in bisherigen Studien und Metaanalysen habe man nun erstmals
Merksätze
O Der zusätzliche Verzehr von 7 Gramm Nahrungsfasern pro Tag reduziert das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse oder KHK vermutlich um zirka 9 Prozent.
O Dieses Resultat wurde mit natürlichen Lebensmitteln ermittelt und darf nicht ohne Weiteres auf künstlich angereicherte Produkte übertragen werden.
systematisch nach einer Dosis-WirkungsBeziehung zwischen Ballaststoffaufnahme und kardiovaskulärer Risikoreduktion gesucht und dabei auch Quelle und Natur der Nahrungsfasern berücksichtigt, betonen Diane E. Threapleton und ihre Koautoren.
Altbekannte Studien neu ausgewertet Insgesamt fanden sie 22 für ihre Metaanalyse geeignete Studien (Angaben zu kardiovaskulären Ereignissen und KHK, verlässliche Angaben zum Ballaststoffverzehr, Follow-up mindestens 3 Jahre). Die Studien wurden zwischen 1990 und August 2013 publiziert. Die Studienkohorten stammen aus europäischen Ländern, den USA, Japan und Australien, darunter altbekannte wie die Nurses Health Study, der US-amerikanische National Health and Nutrition Examination Survey (NHANES) oder die europäische EPIC-Erhebung über Zusammenhänge zwischen Krebs und Ernährung. In den Studien, die in ihre Metaanalyse eingingen, sei das Biasrisiko eher gering gewesen, weil Einflüsse durch Alter, Geschlecht, Bildungsniveau, gesellschaftliche Schicht und Rauchen berücksichtigt worden seien, so die Autoren. Weitere Aspekte wie die Bewegung oder die Ernährung neben den Ballaststoffen wurden hingegen nicht in allen der Metaanalyse zugrunde liegenden Studien berücksichtigt. Das sei allerdings nicht schlimm, argumentieren die Autoren, da eine nachträgliche Modellberechnung inklusive derartiger Faktoren die Resultate ihrer Metaanalyse nicht infrage gestellt habe.
Resultate Das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und KHK sinkt gemäss den Berechnungen der Autoren um je 9 Prozent pro zusätzlichen 7 Gramm Nahrungsfasern pro Tag. Das entspricht täglich zusätzlich einer Portion Vollkornprodukte plus einer Portion Boh-
nen oder Linsen oder zwei bis vier Por-
tionen Früchte und/oder Gemüse.
Was 9 Prozent Risikoreduktion in ab-
soluten Zahlen bedeutet, zeigt ein Bei-
spiel: In der europäischen EPIC-Studie
hat man für die Allgemeinbevölkerung
im Durchschnittsalter von 50 Jahren
eine Herz-Kreislauf-bedingte Mortali-
tät von 0,89 Prozent innert 12 Jahren
errechnet. Runden wir das grosszügig
auf 1 Prozent auf, um es anschaulicher
zu machen: Demnach würden 10 von
1000 Personen dieser Alterskohorte in-
nert 12 Jahren an einer Herz-Kreislauf-
Erkrankung sterben. Falls die Ballast-
stoffrechnung der Autoren aus Leeds
stimmt (und wir auch hier grosszügig
aufrunden, nämlich auf eine 10%-ige
relative Risikoreduktion), wären es
dank des oben genannten zusätzlichen
Nahrungsfaserverzehrs statt 10 nur noch
9 von 1000 Personen. Das mag auf den
ersten Blick ein scheinbar kleiner Effekt
sein, Epidemiologen jedoch rechnen im
Bevölkerungsmassstab: «Geringe Risi-
koreduktionen können vielen tausend
Personen nützen», schreiben Threaple-
ton und ihre Koautoren.
Trotz ihrer umfangreichen statistischen
Berechnungen und des eher geringen
Biasrisikos empfehlen sie, den errech-
neten Wert nicht unbedingt als exakt zu
interpretieren, sondern eher als gene-
relle Richtung.
Die Autoren kommen somit letztlich
einmal mehr zu der nicht ganz neuen
Schlussfolgerung, dass eine höhere
Aufnahme von Nahrungsfasern im All-
gemeinen beziehungsweise der Verzehr
unlöslicher Ballaststoffe und Fasern
aus Getreide, Früchten oder Gemüse
mit einem niedrigeren Risiko für kar-
diovaskuläre Erkrankungen und KHK
bei gesunden Personen einhergeht. Sie
betonen, dass die Ergebnisse ihrer Me-
taanalyse auf dem Verzehr natürlicher
Nahrungsmittel beruhen, und man
diese somit nicht auf künstlich mit
Ballaststoffen angereicherte Produkte
übertragen darf.
O
Renate Bonifer
Threapleton DE et al.: Dietary fibre intake and risk of cardiovascular disease: systematic review and metaanalysis. BMJ 2013; 347:f6879 doi: 10.1136/bmj.f6879.
Interessenlage: Die Erstautorin erhielt ein Promotionsstipendium von Kelloggs Marketing und Sales Company, ein Koautor erhielt für ein anderes Projekt Unterstützung von Danone. Alle anderen Autoren deklarierten, dass keine Interessenkonflikte bestanden.
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ARS MEDICI 5 I 2014