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FORTBILDUNG
Blutdruck senken – aber nicht mehr ganz so tief
Neue evidenzbasierte Guideline aus den USA zum Management der Hypertonie bei Erwachsenen
Leitlinien sind keineswegs in Stein gemeisselt, dies zeigt das Beispiel einer neuen Hypertonieguideline aus den USA, die wegen weniger strenger Therapieziele schon gleich in Kritik geriet.
HALID BAS
Kürzlich wurden neue US-amerikanische Empfehlungen zur Behandlung des hohen Blutdrucks (BD) bei Erwachsenen publiziert (1). Als Antwort auf die oft geübte Kritik an der Zusammensetzung von Gremien, die Guidelines entwickeln, und aufgrund der mannigfachen Interessenkonflikte ihrer Mitglieder beschreibt die Publikation die Auswahl der Mitglieder der Expertengruppe ebenso wie den externen Reviewprozess im Detail. Allerdings stellten sich offizielle Instanzen wie Abteilungen der National Institutes of Health oder Fachgesellschaften wie die amerikanischen Kardiologen nicht explizit hinter die neue Guideline der Arbeitsgruppe. Deren Mitglieder wollten 3 Fragen beantworten: O Bewirkt die Aufnahme einer pharmakologischen anti-
hypertensiven Therapie bei spezifischen Blutdruckschwellenwerten eine Verbesserung der Gesundheitsoutcomes? O Führt die Behandlung mit Antihypertensiva bis zu spezifischen BD-Zielwerten zu besseren Ergebnissen?
Merksätze
O Eine neue US-amerikanische Guideline postuliert erstmals etwas «weichere» BD-Ziele als zuvor und steht damit in Einklang mit den europäischen ESH/ESC-Empfehlungen.
O Eine Behandlungsindikation ist demnach gegeben bei diastolischem BD > 90 mmHg für Personen unter 60 Jahren beziehungsweise bei systolischem BD > 150 mmHg bei Personen über 60 Jahre.
O Für Jüngere (< 60 Jahre) ist der BD-Zielwert unter Therapie 140/90 mmHg und für Ältere (≥ 60 Jahre) 150/90 mmHg.
O Bei Hypertonikern mit Begleiterkrankungen (Diabetes, chronische Nierenerkrankung) liegt der BD-Zielwert mit 140/90 mmHg nicht mehr ganz so tief.
O Zur Erstlinientherapie empfehlen diese US-amerikanischen Guidelines die Betablocker nicht mehr.
O Unterscheiden sich die verschiedenen Antihypertensivawirkstoffklassen hinsichtlich Nutzen und Schädigungen bei spezifischen Gesundheitsoutcomes?
Neun Empfehlungen Der Evidenzreview stützte sich auf randomisierte kontrollierte Studien mit Personen über 18 Jahre, mehr als 100 Teilnehmern und über 1-jährigen Beobachtungszeiten. Besonderes Augenmerk galt Studien mit präspezifizierten Komorbiditäten wie Diabetes, Koronarerkrankung, peripher arterieller Erkrankung, vorangegangenem Stroke, chronischer Nierenerkrankung, Proteinurie, ferner auch bei älteren Erwachsenen, Frauen und Männern sowie unterschiedlichen Rassen und Ethnien. Die Auswertung der Daten führte die Arbeitsgruppe zu 9 Empfehlungen. Empfehlung Nr. 1: In der Allgemeinbevölkerung ab 60 Jahren soll eine medikamentöse blutdrucksenkende Therapie bei systolischen Werten ab 150 mmHg oder diastolischen Werten ab 90 mmHg so durchgeführt werden, dass BD-Zielwerte unter 150 mmHg systolisch und unter 90 mmHg diastolisch erreicht werden. Das ist eine Grad-A-Empfehlung mit hoher Wahrscheinlichkeit für einen substanziellen Nettobehandlungsnutzen. Eine Begleitempfehlung hält fest, dass keine Therapieanpassung notwendig ist, wenn bei Personen ab 60 Jahren die medikamentöse Behandlung zu tieferen BD-Werten (z.B. ≤ 140 mmHg systolisch) führt und gut vertragen wird. Das ist eine Grad-E-Expertenempfehlung. Empfehlung Nr. 2: In der Allgemeinbevölkerung unter 60 Jahren soll eine antihypertensive Pharmakotherapie bei diastolischem BD ab 90 mmHg begonnen werden mit dem Ziel, diesen Wert unter 90 mmHg abzusenken. Das ist bei Alter 30 bis 59 eine Grad-A-Empfehlung, bei Alter zwischen 18 und 29 Jahren eine Grad-E-Expertenmeinung. Empfehlung Nr. 3: In der Allgemeinbevölkerung unter 60 Jahren soll eine antihypertensive Pharmakotherapie bei systolischem BD ab 140 mmHg begonnen werden mit dem Ziel, diesen Wert unter 140 mmHg abzusenken. Das ist eine Grad-E-Expertenmeinung. Empfehlung Nr. 4: Bei Personen ab 18 Jahren mit chronischer Nierenerkrankung soll eine antihypertensive Therapie begonnen werden bei BD systolisch ab 140 mmHg oder diastolisch ab 90 mmHg mit dem Ziel, diesen Wert unter 140 mmHg respektive 90 mmHg abzusenken. Das ist eine Grad-E-Expertenmeinung. Empfehlung Nr. 5: Bei Personen ab 18 Jahren mit Diabetes soll eine antihypertensive Therapie begonnen werden bei BD
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systolisch ab 140 mmHg oder diastolisch ab 90 mmHg mit dem Ziel, diesen Wert unter 140 mmHg respektive 90 mmHg abzusenken. Das ist eine Grad-E-Expertenmeinung. Empfehlung Nr. 6: In der Allgemeinbevölkerung (ausser bei Schwarzen) und auch bei Diabetikern sollte die initiale antihypertensive Therapie ein Thiaziddiuretikum, einen Kalziumantagonisten, einen ACE-Hemmer oder einen Angiotensinrezeptorblocker umfassen. Das ist eine mittelstarke Grad-B-Empfehlung. Empfehlung Nr. 7: In der schwarzen Allgemeinbevölkerung und dort auch bei Diabetikern sollte die initiale antihypertensive Therapie ein Thiaziddiuretikum oder einen Kalziumantagonisten umfassen. Für die schwarze Allgemeinbevölkerung ist das eine mittelstarke Grad-B-Empfehlung, für schwarze Hypertoniker mit Diabetes eine schwache Grad-CEmpfehlung. Empfehlung Nr. 8: Bei Personen ab 18 Jahren mit chronischer Nierenerkrankung sollte die Initialbehandlung oder auch eine Add-on-Therapie einen ACE-Hemmer oder einen Angiotensinrezeptorblocker umfassen, um die Nierenfunktionsoutcomes zu verbessern. Diese Empfehlung betrifft alle chronisch Nierenkranken mit Hypertonie unabhängig von Rasse oder Diabetesstatus. Das ist eine mittelstarke Grad-BEmpfehlung. Empfehlung Nr. 9: Hauptziel der antihypertensiven Therapie ist das Erreichen und das Beibehalten der Ziel-BD-Werte. Ist das innert eines Monats nicht möglich, soll die Dosis des ersten Wirkstoffs erhöht oder ein zweiter Wirkstoff aus einer der empfohlenen Antihypertensivaklassen (Thiaziddiuretikum, Kalziumantagonist, ACE-Hemmer, Angiotensinrezeptorblocker) hinzugefügt werden. Behandelnde Ärztinnen und Ärzte sollen den Blutdruck überwachen und die Therapie anpassen, bis das BD-Ziel erreicht ist. Ist das BD-Ziel mit zwei Wirkstoffen nicht zu erreichen, soll ein dritter aus der Viererliste der Antihypertensivaklassen hinzutitriert werden. Ein ACE-Hemmer und ein Angiotensinrezeptorblocker sollen nicht gemeinsam verordnet werden. Führt eine Dreifachkombination nicht zum Erreichen des BD-Ziels, können Wirkstoffe aus anderen Antihypertensivaklassen eingesetzt werden. Bei Patientinnen oder Patienten, welche die BD-Zielwerte mit der angegebenen Strategie nicht erreichen oder eine komplizierte Hypertonie haben, kann die Überweisung zu Hypertoniespezialisten indiziert sein. Das ist eine Grad-EExpertenmeinung.
European Society of Cardiology (ESH/ESC 2013) dieselben
BD-Ziele für Jüngere (140/90 mmHg) und für Ältere
(150/90 mmHg), wobei die Grenze bei 60 Jahren liegt.
Die ESH/ESC-Guideline erwähnt überdies ausdrücklich,
dass auch bei alten Patienten (> 80 Jahre) ein BD unter
150/90 mmHg anzustreben ist.
Die im Alter anzustrebenden BD-Zielwerte bleiben offenbar
umstritten. So sahen sich 5 Mitglieder der 17-köpfigen
Arbeitsgruppe genötigt, gegen die Lockerung der BD-Ziele im
Alter in einer eigenen Publikation Einspruch zu erheben (2).
Sie befürchten, dass so die Fortschritte in der Hypertonie-
behandlung der letzten Dekaden zunichte gemacht werden
könnten. Heute erhielten 82 Prozent der Hypertoniker eine
Therapie, und der mediane systolische Blutdruck bei
Behandelten betrage 136 mmHg. Mit Übernahme der neuen
BD-Ziele könnte potenziell bei mehr als der Hälfte der
Patienten, die schon einen Blutdruck unter 140 mmHg
haben, auf eine Therapie verzichtet werden. Ausserdem be-
trage der mediane systolische Blutdruck bei Hypertonikern
vor Aufnahme der Behandlung 152 mmHg, was bedeute,
dass unter dem neuen BD-Schwellenwert etwa die Hälfte
überhaupt keine Therapie mehr erhalten würde. Implizit
scheinen die gewichtigen US-amerikanischen Kardiologen-
vereinigungen (American Heart Association [AHA] und
American College of Cardiology [ACC]) diesen Autoren
recht zu geben, da sie kürzlich die alten JNC-7-Empfehlun-
gen unverändert zum nationalen Standard erklärt haben, bis
sie eine eigene Guideline veröffentlichen werden.
Zurzeit sind weitere Fachgesellschaften bei den BD-Zielen
für ihre Klientel strenger. So die American Diabetes Asso-
ciation (ADA 2013), die mit 80 mmHg einen tieferen diasto-
lischen Zielwert vorgibt, und ebenso die Kidney Disease:
Improving Global Outcome (KDIGO 2012), die für Patien-
ten mit chronischer Nierenerkrankung und Proteinurie ein
BD-Ziel unter 130/80 mmHg fordert.
Unter den zur Erstlinientherapie empfohlenen Wirkstoffklas-
sen führen die neuen US-amerikanischen Guidelines explizit
die Betablocker nicht mehr auf. Das, weil eine einzelne Stu-
die im Vergleich mit einem Angiotensinrezeptorblocker eine
Erhöhung kardiovaskulärer Komplikationen fand. Aller-
dings haben alle anderen Vergleichsstudien mit Thiaziden,
Kalziumantagonisten, ACE-Hemmern und Angiotensin-
rezeptorblockern für Betablocker eine mit diesen vergleich-
bare Effektivität ergeben.
O
Übereinstimmungen und Kontroversen Die Vorgängerin dieser Guideline, diejenige des Joint National Committee 7 (JNC 7) aus dem Jahr 2003, hatte – auf der Basis von Beobachtungsstudien – noch tiefere BD-Ziele bei Patienten mit Diabetes und chronischer Nierenerkrankung postuliert. Sie war damals in Übereinstimmung mit den Empfehlungen einiger anderer internationaler Fachgesellschaften, die in der Zwischenzeit ebenfalls weniger einschneidende Hypertoniebehandlungsziele fordern. Heute hat sich diesseits und jenseits des Atlantiks die Auffassung durchgesetzt, dass BD-Ziele in Abhängigkeit von Patientenalter und Begleiterkrankungen zu definieren sind und dass die BD-Senkung bei älteren Menschen etwas weniger energisch ausfallen darf als bei jüngeren. So empfiehlt die Guideline der European Society of Hypertension und der
Halid Bas
Quellen: 1. Paul A. James et al.: 2014 Evidence-based guideline for the management of high blood
pressure in adults. Report from the panel members appointed to the Eighth Joint National Committee (JNC 8). JAMA. Published online December 18, 2013. doi:10.1001/jama.2013.284427 2. Jackson T. Wright et al.: Evidence supporting a systolic blood pressure goal of less than 150 mmHg in patients aged 60 years and older: The minority view. Annals of Internal Medicine. Published online January 14, 2014. doi: 10.7326/M13-2981
Interessenlage: Die Autoren der Arbeitsgruppe deklarieren mannigfache finanzielle Beziehungen zu Pharmafirmen mit Interessen auf dem Gebiet blutdrucksenkender Therapien.
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