Transkript
FORTBILDUNG
Tumorschmerzen individuell lindern
Unterschiedliche Schmerzformen erfordern unterschiedliche Therapien
Ein Grossteil tumorbedingter Schmerzen ist gut zu behandeln. Geeignete Pharmaka müssen die jeweilige Pathophysiologie des Tumorschmerzes und individuelle Patientengegebenheiten berücksichtigen. Daneben dürfen andere Therapiemassnahmen im Sinne eines ganzheitlichen Konzeptes nicht vergessen werden.
MICHAEL T. PAWLIK UND SUSANNE HOPF
Schmerzen sind nach heutigem Verständnis ein multidimensionales Ereignis, das am besten mit dem «biopsychosozialen Modell» beschrieben wird (1), das heisst, die Folgen der Krebserkrankung und ihre Auswirkungen auf andere Aspekte des Patientenlebens spielen eine Rolle. Hierzu gehören insbesondere Ängste, soziale Bindungen und das Ausmass der Unterstützung durch die Familie und Freunde des Patienten. Eine erfolgreiche Schmerztherapie bezieht daher auch diese Bereiche mit ein. Es gibt eine Reihe wichtiger Ursachen für die oftmals unzureichende Versorgung von Patienten mit Tumorschmerzen: O mangelnde Kenntnisse in der Schmerztherapie O unzureichende Versorgungsstrukturen O fehlende Erfahrung des Therapeuten O Ängste vor Opioiden
Merksätze
O Die Therapie sollte sich nicht nur nach der Schmerzstärke, sondern auch nach der Pathophysiologie richten.
O Für eine wirksame Therapie ist klar zu unterscheiden zwischen Dauerschmerzen und Durchbruchschmerzen.
O Man sollte von Anfang an eine prophylaktische Behandlung bekannter, häufig auftretender Nebenwirkungen durchführen.
O Oft wählen erfahrene Schmerztherapeuten bereits bei beginnenden Tumorschmerzen Opioide der Stufe III, um eine Umstellung in der Finalphase der Tumorerkrankung zu vermeiden.
O Echte Durchbruchschmerzen lassen sich mit herkömmlicher Galenik oral kaum ausreichend lindern, sondern erfordern bukkales, sublinguales oder nasales Fentanyl.
O Vernachlässigung des «Schmerzproblems» im Kontext einer malignen Erkrankung
O Konzentration auf biologische Faktoren und Vernachlässigung anderer psychosozialer Faktoren, die das Schmerzerleben modulieren können.
Ursachen von Tumorschmerzen Neben dem Tumor selbst, der durch Knochen- und Weichteilinfiltration Schmerzen auslösen kann (60–90% der tumorbedingten Schmerzen), können Nerven und Blutgefässe durch den Tumor komprimiert werden und so Schmerzen auslösen. Zusätzlich sind in 5 bis 20 Prozent paraneoplastische Syndrome, Zosterneuralgien oder Infektionen verantwortlich für Schmerzen. Darüber hinaus können therapiebedingt durch Operationen, Bestrahlung oder Chemotherapie sowohl Nervendestruktionen, Ödeme, Mukositiden oder Läsionen an sich gesunder Gewebe ausgelöst werden, die sich auf die durch den Tumor ausgelösten Schmerzen «aufpfropfen». Vergessen wird oftmals, dass die Patienten auch vor ihrer Tumorerkrankung schmerzbedingte Therapien benötigten, die eine Weiterbehandlung auch während des Tumorleidens verlangen.
Schmerzen differenziert betrachten In den vergangenen 25 Jahren erfolgte die Schmerztherapie des Tumorpatienten nach dem Stufenschema der WHO (Tabelle 1 und 2). Auch wenn die wesentlichen Punkte bis heute gültig sind, weist das WHO-Schema einige Schwachpunkte auf. So führt die ausschliessliche Orientierung an der Schmerzstärke des Patienten oftmals nicht zur geeigneten Medikamentenauswahl und dem gewünschten Ergebnis der Schmerzlinderung. Unter dem Stichwort «mechanismenorientierte Therapie» betrachtet man Tumorschmerz unter einem neuen Blickwinkel, von dem man sich eine weitere Verbesserung der Therapie erhofft (2). Biologische Mechanismen im Zusammenhang mit dem Tumorgeschehen führen zu spezifischen Symptomen, die mit einer spezifischen Therapie zu behandeln sind. Bei der Einschätzung der Schmerzen muss der Arzt zunächst eine Charakterisierung vornehmen (3). Dadurch kommen im Einzelfall viel früher Co-Analgetika aus dem WHO-Stufenplan zum Einsatz, als dies in der Vergangenheit bei der konsekutiven «Abarbeitung» des WHO-Stufenschemas der Fall war. Bei der Differenzierung und Zuordnung des Schmerzbildes werden folgende Schmerzen unterschieden (Tabelle 3): Nozizeptorschmerzen, neuropathische Schmerzen und gemischte Schmerzbilder (mixed pain).
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Fallbeispiele aus der Praxis
Fall 1:
Ein 58-jähriger Patient wird aus dem Krankenhaus nach einer Leberteilresektion von vier Kolonkarzinommetastasen in der rechten Leber entlassen. Bereits bei der Entlassung gibt er stechende, ziehende und brennende Dauerschmerzen der Stärke VAS 7–8, einseitig unterhalb des linken Schulterblattes, an. Bei der Untersuchung in der Klinik zeigen sich unauffällige muskuläre Befunde und ein intaktes Integument. Unter der Verdachtsdiagnose muskuloskeletaler Ursachen wird Diclofenac 2 × 75 mg p.o. verordnet, das nach 5 Tagen keinerlei Verbesserung erbringt. Ergänzend wird Metamizol 4 × 40 gtt und 3 × 50 mg Tramadol vom Hausarzt rezeptiert, welches eine leichte Verbesserung der Schmerzsymptomatik auf VAS 6 ergibt. Im weiteren Verlauf persistieren die Schmerzen in Stärke, Lokalisation und Charakter. Eine Erhöhung der Tramadoldosis auf 3 × 150 mg führt zu Schwindel und Übelkeit, zeigt aber keine Veränderung der Schmerzen. Nach 14 Tagen wird ein Schmerztherapeut hinzugezogen, der als Ursache eine Post-Zoster-Neuralgie (Herpes zoster sine herpete) annimmt und Diclofenac und Tramadol absetzt. Unter der einschleichenden Dosis von Amitriptylin 25 mg noctu und Pregabalin 2 × 75 mg, dann 2 × 150 mg nehmen die Schmerzen auf VAS 3–4 ab. Da der Patient noch unter einer starken Allodynie leidet und eine weitere Steigerung beider Substanzen nicht ohne Nebenwirkung verträgt, wird 2 Wochen später ein kutanes Capsaicinpflaster 8% (Qutenza®) für 45 Minuten aufgetragen, das nach 36 Stunden zur vollständigen Schmerzfreiheit für 4 Monate führt. Im weiteren Verlauf können das Antikonvulsivum und das trizyklische Antidepressivum abgesetzt werden. Kommentar: Eine genaue Schmerzanamnese und die Analyse der möglichen Pathophysiologie (Immunsuppression bei Tumor!) führen oftmals schon zur Diagnose der tumorassoziierten ZosterNeuralgie. Eine entsprechende Verordnung von Co-Analgetika (Tabelle 2) anstelle «herkömmlicher Analgetika» steht hier an erster Stelle und führt erst zum gewünschten Erfolg. Die unnötige Einnahme von Basisanalgetika kann vermieden werden.
Fall 2:
Eine 42-jährige Patientin kommt mit einem in Lunge, Knochen und Hirn metastasierten Mammakarzinom in die Hausarztpraxis. Sie erhält bereits Morphin ret. 3 × 40 mg, zusätzlich alle 3 Wochen eine ambulante Bisphosphonattherapie i.v. Nun berichtet sie über seit 10 Tagen bestehende, stärkste, drückende und intermittierend stechende, einschiessende Dauerkopfschmerzen (VAS 9). Ihr Gynäkologe habe deshalb die Morphindosis um 50 Prozent erhöht (3 × 60 mg) und zusätzlich 4 × 1 g Paracetamol verordnet, was allerdings zu keiner signifikanten Reduktion der Kopfschmerzen geführt habe. Sie halte das nicht aus und könne so nicht weiterleben. In der Untersuchung zeigt sich ein unauffälliger neurologischer Befund, insbesondere ohne Auffälligkeit der Hirnnerven und Pupillen. Unter der Annahme eines erhöhten Hirndruckes
verordnet der Hausarzt Dexamethason 8-8-8 mg für zwei Tage und reduziert dieses in den folgenden Tagen auf 4-0-4 mg. Die Medikation wird um 4 × 40 gtt Metamizol ergänzt, gleichzeitig Paracetamol abgesetzt. Darunter verbessert sich zunächst der Dauerkopfschmerz sehr deutlich (VAS 3–4), die einschiessenden Schmerzen jedoch bleiben und werden als subjektiv weiterhin bedrohlich erlebt. Nach Reduktion der Morphindosis auf die Ausgangswerte wird Pregabalin 2 x 75 mg ergänzt, woraufhin die Attacken sistieren. Nach 5 Tagen stellen sich allerdings Doppelbilder ein, die differenzialdiagnostisch entweder auf eine Zunahme des Hirnbefundes oder Nebenwirkungen von Pregabalin zurückgeführt werden. Es erfolgt der Austausch von Pregabalin auf 3 × 400 mg Gabapentin, worauf weiterhin keine Attacken auftreten und die Doppelbilder der Patientin verschwinden. Gleichzeitig veranlasst der Hausarzt die Vorstellung beim Strahlentherapeuten, der die Indikation für eine Bestrahlung der Hirnmetastasen stellt. Kommentar: Es handelt sich um eine initial gut eingestellte Patientin, die sich mit neuer Schmerzproblematik vorstellt. Federführend für die Verordnung ist hier die Neuropathophysiologie, die mit dem angesetzten Kortikoid zu einer Ödemreduktion und Verbesserung der Symptomatik führt. Anzunehmen ist eine zusätzliche neuropathische Komponente, die ex juvantibus mit einem Antikonvulsivum gut zu behandeln ist. Die schnelle Aufsättigung und Notwendigkeit einer nur 2-maligen Gabe von Pregabalin pro Tag wird manchmal durch das Nebenwirkungsprofil beeinträchtigt. Gabapentin ist oftmals besser verträglich und kann problemlos gegen Pregabalin ausgetauscht werden (et vice versa).
Fall 3:
Ein 62-jähriger Patient mit in das gesamte Skelett metastasiertem Prostatakarzinom klagt über 4- bis 5-mal pro Tag plötzlich einsetzende Schmerzen im Bereich des Rückens, die zirka 10 bis 30 min anhalten. Die Ruheschmerzen sind unter der Gabe von 3 × 40 mg Morphin ret. gut eingestellt (VAS 2–3). Die von der Klinik verschriebenen unretardierten Morphintabletten à 20 mg wirken gut auf den Bewegungsschmerz, nicht aber auf den Durchbruchschmerz, weshalb er täglich zunehmend panisch reagieren würde. Der Hausarzt verordnet Fentanyl-Bukkaltabletten und titriert mit dem Patienten auf 400 µg Einzeldosis. Hierunter können die Durchbruchschmerzen innerhalb von 5 bis 8 min kupiert werden. Kommentar: Echte Durchbruchschmerzen lassen sich mit herkömmlicher Galenik oral kaum suffizient therapieren. Um die teuren Kosten pro Einzelapplikation im Rahmen zu halten, hilft es, «incident pain» mit «günstigen», unretardierten Opioiden zu behandeln. Echter Durchbruchschmerz verlangt dagegen häufig den Einsatz teurer bukkaler, sublingualer oder nasaler* Applikationsformen von Fentanyl.
*Anm. d. Red.: Fentanyl-Nasenspray (Instanyl®) ist in der EU zugelassen, nicht aber in der Schweiz.
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Tabelle 1:
Medikamente des WHO-Stufenplans
Wirkstoff
Handelsnamen
Stufe 1
Ibuprofen Naproxen Paracetamol Metamizol Diclofenac Etoricoxib Celecoxib
Brufen® und Generika Apranax®, Profen® und Generika Panadol® und Generika Minalgin®, Novalgin® Voltaren® und Generika Arcoxia® Celebrex®
Stufe 2
Tilidin* Tramadol
Valoron® Tramal® retard, Tramundin®
Stufe 3
Morphin
Hydromorphon Oxycodon
Tapentadol Fentanyl
Buprenorphin Methadon
MST Continus, Kapanol®, Sevredol®, Sevre-Long® Jurnista®, Palladon® und Generika Oxycontin®, Oxynorm® und Generika Targin® (mit Naloxon) Palexia® Durogesic® Matrix, Actiq®, Effentora® und Generika Temgesic®, Transtec®, Subutex® Ketalgin® und Generika
Alle Angaben gemäss www.swissmedic.ch; die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Insbesondere die Detektion neuropathischer Schmerzen kann für den in der Schmerztherapie unerfahrenen Arzt schwierig sein. Hierbei können Screeninginstrumente wie der painDetect®-Bogen des Deutschen Forschungsverbundes Neuropathischer Schmerz eine Unterstützung darstellen (www.pain-detect.de).
Dauer- oder Durchbruchschmerz? Für eine adäquate Behandlung ist zusätzlich die genaue Unterscheidung wichtig, ob es sich um Dauerschmerzen oder Durchbruchschmerzen handelt. Durchbruchschmerzen werden nochmals unterteilt in Schmerzen, die unvorhergesehen ohne Ankündigung auftreten (breakthrough pain), und Schmerzen, die durch Aktivitäten wie Bewegung, Nahrungsaufnahme, Defäkation und so weiter getriggert werden (incident pain). Während Dauerschmerzen durch die seit 15 Jahren existierenden Opioidretardpräparate vergleichsweise gut behandelt werden können, stellt die Behandlung von echtem «breakthrough pain» ein grosses Problem dar. Bei zirka 60 Prozent der Tumorschmerzpatienten tritt dieser auf und gilt als oftmals vernachlässigtes Problem. Bei 75 Prozent dieser Patienten dauern diese akuten Schmerzspitzen ≤ 30 Minuten, bei 7 Prozent länger als 60 bis 90 Minuten (4). Daneben spielt auch die Stärke von Schmerzen eine wichtige Rolle. Sie werden am besten subjektiv durch den Patienten angegeben. Hierbei kommen vor allem die numerische Ratingskala (NRS), die verbale Ratingskala (VRS) und die visuelle Analogskala (VAS) zum Einsatz: O NRS und VAS: 0 = kein Schmerz, 10 = stärkster vorstell-
barer Schmerz O VRS: kein Schmerz, erträglicher Schmerz, nicht erträg-
licher Schmerz; Bestimmung jeweils in Ruhe und bei Belastung.
Anforderungen an eine orale Schmerztherapie Oberste Therapiemaxime ist eine ausreichende Wirksamkeit bei akzeptabler Verträglichkeit, die jedoch häufig schwer zu erreichen ist. Dabei scheint die gute Verträglichkeit von Medikamenten besonders wichtig zu sein, da bis zu 25 Prozent der Patienten in Studien die Medikamenteneinnahme wegen der Nebenwirkungen abbrechen, während dies nur 12 Prozent wegen ungenügender Wirksamkeit tun (5). Appetitverlust,
Tabelle 2:
Co-Analgetika des WHO-Stufenplans
Schmerztyp
neuropathisch, brennend neuropathisch, einschiessend
Substanzklasse
trizyklische Antidepressiva Antikonvulsiva
neuropathisch, krampfartig, Phantomschmerz
Knochenschmerz Metastasen
Antikonvulsiva
Hormone Bisphosphonate
perineurales peritumoröses Ödem
Hormone Kortikosteroide
Substanz
Amitriptylin Clomipramin
Gabapentin Pregabalin Carbamazepin
Oxacarbazepin Baclofen Calcitonin
Clodronsäure Zoledronat Pamidronsäure Calcitonin
Dexamethason
Dosierung
1 × 25–75 mg/tgl. 1 × 75–100 mg/tgl. 300–3600 mg/tgl. 2 × 75–300 mg/tgl. 200–1800 mg/tgl. 600–1200 mg/tgl. 15–75 mg/tgl. 100–200 IE/tgl. 800 mg/12 h max. 3,2 g/tgl.
200 IE/tgl. initial: 16–32 mg Erhaltungsdosis: 4–8 mg Hirnödem: bis 16 mg
Hinweis sedierend, deshalb abendliche Gabe antriebssteigernd, morgendliche Gabe
membranstabilisierend, eher Ausnahmemedikament
ggf. Baclofen bzw. Calcitonin i.v.-Gabe bei akutem Phantomschmerz für 3 Tage p.o. und i.v. möglich cave: Nierenfunktion
Ausweichsubstanz, auch als Nasenspray, s.c./i.v. nicht abrupt absetzen appetit- und stimmungssteigernd, fiebersenkend
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Tabelle 3:
Formen chronischer Schmerzen
Nozizeptorschmerz
Läsion von Gewebe ohne Deletion der nozizeptiven Nervenstruktur muskuloskeletale Schmerzen (Knochen, Bänder, Muskulatur) viszerale Schmerzen (Thorax/Abdomen) Ischämieschmerzen Kopfschmerzen
Neuropathische Schmerzen
Schmerzen nach Läsion peripherer oder zentraler afferenter Strukturen Polyneuropathien Zosterneuralgie Phantomschmerz posttraumatische Neuropathien
«Mixed Pain»
Tumorschmerz chronischer Rückenschmerz CRPS (ohne Nervenverletzung)
CRPS: complex regional pain syndrome
Tabelle 4:
Charakteristika von Nozizeptorschmerzen
Schmerzursache Beschreibung
Lokalisation
somatisch Knochen Weichteile
viszeral Thorax Abdomen
ischämisch Extremitäten Viszerum
dumpf, drückend, scharf und gut pochend, bohrend, lokalisierbar ziehend, stechend
dumpf, krampfartig, kolikartig
schlecht lokalisierbar
hell, pochend
Extremität, auch viszeral möglich; evtl. Hautverfärbung sichtbar
Besonderheiten
Dauerschmerz, Bewegungsabhängigkeit, Durchbruchschmerz vegetative Begleitsymptome (Dermatome, Head-Zonen)
belastungsabhängig, abhängig von Nahrungsaufnahme
Tabelle 5:
Charakteristika von neuropathischen Schmerzen
Schmerzursache Beschreibung Lokalisation
peripher (Ner- einschiessend, ven und Nerven- elektrisierend plexus)
im Versorgungsgebiet der betroffenen Nervenstruktur
zentral (ZNS) brennend
im Versorgungsgebiet der betroffenen Nervenstruktur
sympathisch (Nerven und Nervenplexus)
brennend, heiss oft keinem speziellen Innervationsgebiet zuzuordnen
Besonderheiten
meist mit neurologischen Störungen, z.B. Hypästhesie, Parästhesie, Dysästhesie, Allodynie
meist mit neurologischen Störungen, z.B. Hypästhesie, Parästhesie, Dysästhesie, Allodynie
oft mit trophischen Störungen; sonst ebenfalls mit neurologischen Störungen
Übelkeit und Erbrechen, Schwindel und Konzentrationsschwierigkeiten gehören dabei zu den Hauptnebenwirkungen. Die Konsequenz ist deshalb eine strikte, prophylaktische Behandlung bekannter, häufig auftretender Nebenwirkungen. Dazu gehören die mit der ersten Opioidgabe zu startende antiemetische Prophylaxe und Substanzen gegen die opioidinduzierte Obstipation. Die Vielzahl der an Nausea und Emesis beteiligten neuronalen Strukturen macht die Behandlung komplex und erfordert ein sinnvolles Stufensystem. Eine Möglichkeit für ein solches Stufenkonzept zur Behandlung der Übelkeit ist in der Abbildung dargestellt. Vor dem Hintergrund der gängigen Polypharmazie geriatrischer Patienten spielt auch ein günstiges pharmakologisches Profil der Analgetika eine entscheidende Rolle, die zum Beispiel nur eine geringe Interaktion mit anderen Pharmaka aufweisen sollten. Im Kontext der Gesamtsituation des Patienten muss der Blick des Therapeuten auch auf den Krankheitsstatus gerichtet sein. Das Erreichen eines «ceiling-effect», wie zum Beispiel bei den Stufe-II-Opioiden Tramadol (600–800 mg) und Tilidin (600 mg), erfordert unter Umständen in der Endphase der Erkrankung die oftmals komplexe Umstellung eines Stufe-II-Opioids auf eines der WHO-Stufe III. Dabei können bei der individuellen Umrechnung zwischen einzelnen Opioidanalgetika sowohl Überdosierungen mit Müdigkeit und Adynamie wie auch Unterdosierungen mit den Nebenwirkungen zunehmender Schmerzen oder Entzugserscheinungen auftreten. Erfahrene Schmerztherapeuten wählen daher oftmals bei beginnenden Schmerzen bereits Opioide der Stufe III, um eine Umstellung in der Finalphase einer Tumorerkrankung zu vermeiden.
Gibt es Leitlinien, die bei der Behandlung von Tumorschmerzen helfen? Die derzeit aktuellste internationale evidenzbasierte Leitlinie zum Thema Tumorschmerz wurde 2012 von der European Association for Palliative Care (EAPC) herausgegeben (7). Bei der Erarbeitung der neuen Empfehlungen wurden verschiedene bereits bestehende Arbeiten herangezogen. Die Ergebnisse sind grösstenteils wenig überraschend und untermauern vielmehr die gängige Praxis. Insgesamt umfassen die Empfehlungen 16 Themen, darunter die Opioidrotation, die Einschätzung von Stufe-II- und Stufe-III-Opioiden und die Behandlung bei Durchbruchschmerzen. Nicht alle ursprünglich benannten Themen wurden in der Leitlinie berücksichtigt. Hintergründe hierfür waren eine mangelnde Evidenzbasis (Opioide bei Leberversagen, Verwen-
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MCP 3 × 10 mg + Haloperidol 3 × 0,5 mg + Ondansetron 3 × 4 mg–8 mg + Dexamethason 3 × 4 mg–8 mg + Levomepromazin 3 × 6,75 mg–12,5 mg
MCP 3 × 10 mg + Haloperidol 3 × 0,5 mg + Ondansetron 3 × 4 mg–8 mg + Dexamethason 3 × 4 mg–8 mg
MCP 3 × 10 mg + Haloperidol 3 × 0,5 mg + Ondansetron 3 × 4 mg–8 mg
MCP 3 × 30 gtt + Haloperidol 3 × 0,5 mg
MCP 3 × 10 mg (= 30 gtt)
Abbildung: Möglichkeit eines antiemetischen Stufenplans (nach [6]); MCP: Metoclopramid
dung von Opioidkombinationen), eine Überlappung mit
anderen Arbeiten (Cochrane Review zu opioidinduzierter
Obstipation) und fehlende Ressourcen (Rolle von Ketamin).
Leider kommen auch dringend erwartete pharmakoökono-
mische Betrachtungen aufgrund zu geringer evidenzbasierter
Untersuchungen in diesem Bereich in den Empfehlungen
nicht vor, obwohl sie für die Argumentation bei der Verwen-
dung «neuerer und teurerer» Medikamente gegenüber den
Kostenträgern äusserst hilfreich wären.
Aus Deutschland kommt die frisch aufgelegte Praxisleitlinie
der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie (DGS) e.V.
zum Tumorschmerz und zum Durchbruchschmerz, die auf
der Internetseite der DGS unter http://dgs-praxisleitlinien.de/
heruntergeladen werden kann.
O
Korrespondenzadresse: PD Dr. med. Michael T. Pawlik Klinik für Anästhesiologie, Intensiv- und
Notfallmedizin
Caritas-Krankenhaus St. Josef
D-93053 Regensburg
E-Mail: anaesthesiologie@caritasstjosef.de
Interessenlage: M. Pawlik erhielt Studiengelder der Firmen Janssen und Mundipharma, Vortragshonorare von Janssen, Mundipharma und B. Braun sowie Kongresskostenerstattungen von den Firmen Janssen, Mundipharma, Pfizer, Grünenthal.
Literatur: 1. Engel GL: The need for a new model: a challenge for biome-
dicine. Science 1977; 196: 129–137. 2. Muller-Schwefe G, Jaksch W, Morlion B: Make a CHANGE:
optimising communication and pain management decisions. Curr Med Res Opin 2011; 27: 481–488. 3. Portenoi RK: Treatment of cancer pain. Lancet 2011; 377: 2236–2247. 4. Zeppetella G: Opioids for the management of breakthrough cancer pain in adults: a systematic review undertaken as part of an EPCRC opioid guidelines project. Palliat Med 2011; 25(5): 516–524. 5. Kalso E et al.: The Vicious Circle in chronic pain management: balancing efficacy and adverse effects. Curr Med Res Opin 2011; 27(19): 2069–2071. 6. Clemens KE, Klaschik E: Übelkeit, Erbrechen und Obstipation in der palliativen Situation. Deutsches Ärzteblatt 2009; 1:16a. 7. Caraceni A, Hanks G, Kaasa S et al.: Use of opioid analgesics in the treatment of cancer pain: evidence-based recommendations from the EAPC. Lancet Oncol 2012; 13: 58–68.
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 18/2013. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autoren. Der Beitrag wurde von der Redaktion ARS MEDICI leicht gekürzt und überarbeitet. Die Angaben zu den verfügbaren Substanzen und Medikamenten wurden für die Schweiz angepasst.
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