Transkript
STUDIE REFERIERT
Statine und Kognition
Aktuelle Publikationen stellen FDA-Warnung infrage
Im Frühjahr 2012 wies die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA auf mögliche Gedächtnisstörungen durch Statine hin und veranlasste, dass entsprechende Sicherheitshinweise in die Beipackzettel aufgenommen wurden. Kürzlich veröffentlichte Studien fanden jedoch keinen Zusammenhang zwischen Statineinnahme und kognitiven Störungen.
ANNALS OF INTERNAL MEDICINE/ MAYO CLINIC PROCEEDINGS
Statine gehören zu den am häufigsten verordneten Medikamenten. Grosse randomisierte Studien haben gezeigt, dass die Lipidsenker das Risiko für Herzinfarkt und ischämischen Schlaganfall sowie die Gesamtmortalität deutlich senken. Wie alle wirksamen Medikamente können auch Statine zu Nebenwirkungen führen, beispielsweise zu Myopathie. Im Jahr 2012 wies die Food and Drug Administration (FDA) – wohl insbesondere aufgrund entsprechender Fallberichte – auf eine weitere potenzielle Statinnebenwirkung hin: kognitive Beeinträchtigung. Bei einigen Statinanwendern sei es innerhalb eines Jahres nach Beginn der Statintherapie zu Gedächtnisstörungen und Desorientiertheit gekommen, wobei sich diese unerwünschten Wirkungen nach Absetzen
Merksätze
O Zwei aktuelle Übersichtsarbeiten konnten keine Beeinträchtigung der Kognition durch Statine feststellen.
O Eine Arbeitsgruppe fand sogar Hinweise auf demenzpräventive Wirkungen einer langfristigen Statintherapie.
O Um die Effekte von Statinen auf die Kognition abschliessend beurteilen zu können, sind jedoch grössere, sorgfältig geplante Studien notwendig.
der Medikation zurückbilden könnten. Die FDA stellte zudem fest, dass die erwähnten kognitiven Effekte nicht mit dem Auftreten progredienter Demenzen wie beispielsweise Alzheimer-Demenz assoziiert seien. Die FDA-Warnung führte zu Änderungen der Sicherheitshinweise in den entsprechenden Fachund Gebrauchsinformationen. Trotz der FDA-Warnung ist der Zusammenhang zwischen Statintherapie und möglichen kognitiven Beeinträchtigungen unklar, sodass sich gleich zwei Arbeitsgruppen in systematischen Reviews dieser Frage annahmen.
Kein Hinweis für negative Statineffekte auf Kognition Das Team um Karl Richardson vom Perelman Center for Advanced Medicine, Philadelphia, identifizierte in einer umfangreichen Datenbankrecherche randomisierte, kontrollierte Studien sowie Kohorten-, Fall-Kontrollund Querschnittstudien, in denen die kognitive Funktion von Statinanwendern untersucht wurde (1). Insgesamt werteten die Autoren 57 Studien aus. Die Resultate: Unter Statinanwendern konnten die Wissenschaftler ein erhöhtes Risiko für Alzheimer-Demenz sowie eine reduzierte kognitive Leistungsfähigkeit (bezüglich der Kategorien prozedurales Gedächtnis, Aufmerksamkeit und motorische Geschwindigkeit) mit niedriger Evidenz ausschliessen. Ein Zusammenhang mit einer erhöhten Inzidenz von Demenzen oder leichten kognitiven Störungen (mild cognitive impairment, MCI) liess sich mit moderater Evidenz ausschliessen. Darüber hinaus untersuchte die Arbeitsgruppe die Postmarketingdaten der FDA: Kognitive Probleme bei Patienten unter Statintherapie wurden nur selten gemeldet (1,9-mal pro 1 Mio. Verschreibungen), ähnlich viele unerwünschte kognitive Ereignisse wurden aber auch unter anderen häufig verordneten Herz-Kreislauf-Medikamenten wie Losartan und Clopidogrel gefunden (1,6 bzw. 1,9 pro 1 Mio. Verschreibungen).
Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass für die meisten Outcomes bis jetzt nur wenige hochwertige, gross angelegte kontrollierte Studien vorliegen und die Evidenzlage suboptimal ist. Sie fordern grössere, sorgfältig geplante und durchgeführte Studien, um den Effekt von Statinen auf die Kognition abschliessend beurteilen zu können.
Schützen Statine langfristig
sogar vor einer Demenz?
Kristopher J. Swiger von der Johns Hop-
kins Universität, Baltimore, und Mit-
arbeiter untersuchten in einem systema-
tischen Review und einer Metaanalyse
die kurz- und langfristigen Effekte von
Statinen auf die Kognition (2). Für ihre
Analyse berücksichtigten die Autoren
qualitativ hochwertige randomisierte
kontrollierte Studien und prospektive
Kohortenstudien, an denen erwachsene
Statinanwender ohne vorbestehende ko-
gnitive Beeinträchtigungen teilnahmen.
16 Studien wurden für die qualitative
Auswertung, 11 Studien für die quan-
titative Auswertung (Metaanalyse) be-
rücksichtigt. Die Kurzzeitstudien zeig-
ten keinen konsistenten Effekt der Sta-
tintherapie auf kognitive Endpunkte,
doch sprachen die Ergebnisse der ver-
fügbaren Studien gegen signifikante
ungünstige Kurzzeiteffekte der Statine
auf die Kognition.
Die Langzeitdaten wiesen sogar darauf
hin, dass Statine vor einer Demenz
schützen können: An den Langzeit-
studien nahmen insgesamt 23 443 Pa-
tienten teil, die durchschnittlich 3 bis
24,9 Jahre lang mit Statinen behandelt
wurden. 3 Studien fanden keinen Zu-
sammenhang zwischen Statineinnahme
und Demenzentwicklung, in 5 Studien
wurde ein demenzprotektiver Effekt
der Statine nachgewiesen. Die gepool-
ten Daten ergaben bei den Statinpatien-
ten ein um 29 Prozent reduziertes
Demenzrisiko.
O
Andrea Wülker
Quellen: 1. Richardson K et al.: Statins and cognitive function:
a systematic review. Ann Intern Med 2013; 159: 688–697. 2. Swiger KJ et al.: Statins and cognition: a systematic review and meta-analysis of short- and long-term cognitive effects. Mayo Clin Proc 2013; 88(11): 1213–1221.
Interessenlage: Einige Autoren geben an, von verschiedenen Institutionen und Pharmaunternehmen Honorare beziehungsweise Stipendien erhalten zu haben, unter anderem auch von Statinherstellern.
ARS MEDICI 3 I 2014
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