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FORTBILDUNG
Diagnostische und therapeutische Herausforderung bei alten Menschen mit Schlafstörungen
Ein ausreichender und erholsamer Schlaf ist ein wichtiger Faktor für subjektives Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit und Lebensqualität. Ein gestörter Schlaf und seine Folgen belasten im höheren Lebensalter nicht nur den Betroffenen, sondern auch Familien und Betreuungspersonen. Gerade im Kontext von Multimorbidität, Pflegebedürftigkeit, Heimunterbringung und Demenz stellen Schlafstörungen eine diagnostische und therapeutische Herausforderung dar. Die Grundzüge einer adäquaten Abklärung und Behandlung von Schlafstörungen sollten jedem, der multimorbide alte Menschen betreut, geläufig sein.
HELMUT FROHNHOFEN
Viele ältere Menschen sind mit ihrem Schlafvermögen unzufrieden, und fast jeder Dritte klagt über einen gestörten Schlaf (1, 2). Berichtet werden Ein- und Durchschlafstörungen, Früherwachen oder Schläfrigkeit am Tag (3). Diese klinischen Zeichen sind jedoch unspezifisch und müssen durch eine gezielte Anamneseerhebung weiter abgeklärt werden. Die Diagnostik wird oft dadurch erschwert, dass die klinische Präsentation von Krankheiten im höheren Lebensalter durch die Überlagerung mit alterstypischen Veränderungen des Organismus, Umgebungsfaktoren, Multimorbidität und Polypharmazie beeinflusst wird (4, 5). Bei älteren Menschen haben sich konsentierte Screeningfragen zur Abklärung einer Schlafstörung gerade in der täglichen Praxis als sehr hilfreich erwiesen (Tabelle 1) (6). Diese Fragen beziehen sich auf die folgenden Kategorien von Schlafstörungen:
Merksätze
O Komorbiditäten sind bei Schlafstörungen alter Menschen eher die Regel und müssen unbedingt berücksichtigt werden.
O Eine Pharmakotherapie von Schlafstörungen im Alter sollte mit einer niedrigen Dosis beginnen, die langsam gesteigert wird.
O Insomnie O Parasomnien O schlafbezogene Atemstörungen O Hypersomnie. Anschliessend muss gegebenenfalls gezielt mithilfe validierter Fragebögen (www.dgsm.de) in dem betroffenen Bereich weitergesucht werden.
Physiologische Veränderungen im Alter Der Schlaf zeigt beim gesunden und beschwerdefreien älteren Menschen im Vergleich zu jüngeren Menschen Veränderungen, die als normal gelten (7). Zu diesen Veränderungen gehören eine leicht reduzierte Gesamtschlafzeit, eine deutlich reduzierte Schlafeffizienz, eine leicht verlängerte Einschlaflatenz und eine nächtliche Wachzeit nach dem erstmaligen Einschlafen von bis zu 2 Stunden Dauer (7, 8). Zudem gehen ältere Menschen im Vergleich zu jüngeren Menschen früher zu Bett und wachen früher auf. Auch schlafen ältere Menschen häufiger am späten Nachmittag oder am frühen Abend (6, 9, 10). Die Kenntnis der altersphysiologischen Veränderungen des Schlafs ist wichtig, da hierdurch in Beratungsgesprächen eine falsche Erwartungshaltung an das eigene Schlafvermögen korrigiert werden kann (1). In einer Metaanalyse mit mehr als 3000 Teilnehmern wurden Normalwerte für den Schlaf über die gesamte menschliche Lebensspanne ermittelt (8). Die wichtigsten Ergebnisse aus dieser Studie sind für die älteren Teilnehmer qualitativ in Tabelle 2 aufgeführt. Daraus geht hervor, dass sich die grössten Veränderungen zwischen mittelalten und älteren Personen finden.
Insomnie beim alten Menschen Die ICSD-2-Kriterien für die Diagnose einer Insomnie (Schlaflosigkeit) gelten auch im höheren Lebensalter. Die Patienten berichten über Ein- und/oder Durchschlafstörungen sowie Früherwachen, die an wenigstens 3 Nächten in der Woche auftreten und für mindestens 1 Monat andauern. Ist zudem die Tagesbefindlichkeit gestört, liegt eine schwere Insomnie vor (11). Die Häufigkeit einer Insomnie bei alten Menschen wird mit bis zu 50 Prozent angegeben und ist von den verwendeten Selektions- und Diagnosekriterien abhängig (12–16). Im höheren Lebensalter nimmt dabei der Anteil der sekundären Insomnien, also der Insomnien infolge einer anderen Grunderkrankung, deutlich zu (17). Wesentliche Grunderkrankungen sind die Herzinsuffizienz, die Demenz, die depressive Episode und das Restless-legs-Syndrom (17).
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Tabelle 1:
Screeningfragen bei vermuteter Schlafstörung im höheren Lebensalter (6)
Um wie viel Uhr gehen Sie normalerweise zu Bett? Zu welcher Uhrzeit erwachen Sie morgens normalerweise? Fällt es Ihnen häufig schwer, einzuschlafen? Wie oft wachen Sie in der Nacht auf? Wenn Sie nachts aufwachen, fällt es Ihnen schwer, wieder einzuschlafen? Schnarchen Sie nachts, oder haben Sie Atempausen? Bewegen Sie sich nachts heftig im Bett, oder treten Sie um sich? Wissen Sie, ob Sie im Schlaf essen, umherlaufen, treten oder schreien? Fühlen Sie sich tagsüber überwiegend müde oder schläfrig? Schlafen Sie mehrfach tagsüber ein? Kommt es vor, dass Sie tagsüber einschlafen, ohne dies zu wollen? Wie viel Schlaf benötigen Sie, um sich wach und leistungsfähig zu fühlen? Nehmen Sie irgendwelche Präparate, um Ihren Schlaf zu verbessern?
Nach Grunderkrankungen fahnden! Die Behandlung einer Insomnie orientiert sich an der auslösenden Ursache, wobei gerade bei älteren Menschen die Behandlung der Komorbiditäten im Vordergrund stehen muss (12). Weiterhin können im höheren Lebensalter mehrere Ursachen für eine Insomnie gleichzeitig vorliegen sowie primäre und sekundäre Insomnien sich überlappen (17). Die Grundlage der Behandlung einer Insomnie im Alter ist die konsequente Suche nach auslösenden Faktoren und Erkrankungen sowie deren Beseitigung. Neben dem Umsetzen der Empfehlungen der Schlafhygiene müssen insbesondere depressive Episoden und persistierende Schmerzen behandelt werden (24).
Verhaltenstherapie Verhaltenstherapeutische Massnahmen wie Stimuluskontrolle und Schlafrestriktion sind auch bei alten Menschen hoch effektiv (25–27). Auch eine als «Countercontrol» bekannte Abwandlung der Stimuluskontrolle kann helfen. Die Patienten sollen bei Einoder Durchschlafstörungen ihr Bett nicht mehr verlassen, sondern sich bewusst mit anderen Tätigkeiten wie Lesen, Fernsehen oder Musikhören beschäftigen, bis sie wieder das Gefühl haben, einschlafen zu können. Countercontrol ist weniger wirksam als Stimuluskontrolle, doch bessern sich Einschlaflatenz und Durchschlafvermögen um 20 bis 30 Prozent (28).
Tabelle 2:
Qualitative Veränderung von Parametern des normalen Schlafs nach Altersgruppen (8)
Altersgruppen (Jahre)
Gesamtschlafzeit Einschlaflatenz Schlafeffizienz Stadium 1 Stadium 2 Tiefschlaf REM-Schlaf REM-Latenz Durchschlafstörung
40–60 vs. 60–70
↓ ←→
↓ ↑ ↑ ↓ ↓ ←→ ↑
60–70 vs. > 70
←→ ←→
↓ ←→ ←→ ←→ ←→ ←→ ←→
Für die Abklärung einer Insomnie beim alten Menschen hilft ein strukturiertes Vorgehen (6); in Tabelle 3 sind die wichtigsten Fragen zusammengefasst. Ob eine Insomnie behandelt werden muss, hängt auch im höheren Alter von den Symptomen, dem Leidensdruck und den assoziierten Gesundheitsstörungen ab (12). Ältere Menschen mit Insomnie stürzen häufiger, zeigen häufiger kognitive Probleme, sind in ihrer Leistungsfähigkeit und Selbstversorgungsfähigkeit deutlicher beeinträchtigt und haben eine höhere Mortalität als ältere Menschen ohne Insomnie (12, 18–23).
Medikamentöse Therapie Die am häufigsten verwendeten Präparate zur pharmakologischen Behandlung der Insomnie sind Benzodiazepine und Nichtbenzodiazepinhypnotika, sogenannte Z-Drugs. Die Indikation zur Pharmakotherapie einer Insomnie sollte im höheren Alter kritisch überdacht werden. Entschliesst man sich zu einer solchen Behandlung, muss mit einer niedrigen Dosis begonnen und darf diese nur langsam gesteigert werden («start low, go slow»). Die Wirksamkeit von Benzodiazepinen und Z-Drugs konnte in Studien belegt werden. In einer Metaanalyse liess sich zeigen, dass die Gesamtschlafzeit zunahm und die Zahl der nächtlichen Aufwachphasen sank, jedoch stiegen auch die unerwünschten Effekte (29). Letztere waren aber abhängig von der Art des verwendeten Präparates, der Dosis und der Dauer der Einnahme (29). Für andere Präparate wie Antihistaminika, Antidepressiva oder Neuroleptika gibt es keine Evidenz bezüglich der Behandlung der Insomnie im höheren Lebensalter. Auch müssen die anticholinergen Effekte dieser Präparate (Gefahr des Delirs, Beeinträchtigung der Hirnleistung, Verstärkung einer Schlafapnoe) bedacht werden (30–32).
Besonderheiten im Pflegeheim Eine besondere Gruppe stellen Heimbewohner dar. Diese alten Menschen werden unter dem Aspekt der Pflegebedürftigkeit selektioniert und zeigen häufig zahlreiche Komorbiditäten. Physische und psychische Morbidität verändern die alterstypischen Merkmale des Nachtschlafs. Die ausgeprägtesten Veränderungen des Schlafs finden sich bei Demenzpatienten. Hier nimmt die Tiefe des Nachtschlafs ab mit der Folge leichterer Erweckbarkeit bei gleichzeitig reduzierter Vigilanz im Tagesverlauf. Damit zeigen demenzkranke Men-
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Tabelle 3:
Strategische Fragen zur Abklärung einer Insomnie im höheren Lebensalter (6)
Fragen zu Bettgehzeiten
Komorbiditäten O somatisch O psychiatrisch O Medikation Restless-legs-Syndrom
Hintergrund und Konsequenzen Störung des zirkadianen Rhythmus? Aufklärung und Beratung Sekundäre Insomnie, Behandlung der Grunderkrankung
Aktiv nachfragen, da oft nicht spontan berichtet
schen eine aufgehobene Tag-Nacht-Rhythmik, eine reduzierte Schlafeffizienz mit langen Wachphasen in der Nacht und häufigem Tagesschlaf. Bei diesen Patienten sind etablierte Mechanismen in Diagnostik und Therapie nicht mehr möglich. Verständnis und Kooperation sind reduziert. Der gestörte Schlaf kann Sozialverhalten, Funktionalität und Lebensqualität beeinflussen.
Der Schlaf bei Menschen mit Demenz
Viele Menschen mit Demenzsyndromen zeigen Störungen
ihrer Aktivitätsmuster. Die hieraus resultierenden Schlaf-
störungen belasten den Patienten, aber auch die betreuenden
Angehörigen oder Mitpatienten beziehungsweise Mitbewoh-
ner in Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäusern (33). Ur-
sächlich wird eine Störung der Neurone des Ncl. suprachias-
maticus im Rahmen der Demenz diskutiert. Zusätzlich kann
auch der Einfluss äusserer Zeitgeber infolge abnehmender
Empfindlichkeit reduziert sein. In einer an Demenzkranken
durchgeführten Aktimeterstudie zeigten 57 Prozent der Pa-
tienten auffällige Verhaltensmuster des Schlafverhaltens.
Diese Verhaltensmuster wurden als irregulärer Rhythmus
(30,5%), freilaufender Rhythmus (12,2%), Hypoaktivität
im Tagesverlauf (7,3%) und ultradianer Rhythmustyp
(7,3%) klassifiziert (34).
Dies bedeutet, dass die Schlafstörungen demenzkranker
Menschen Unterschiede zeigen und differenziert betrachtet
werden müssen. Auf der Basis der oben vorgenommenen Ein-
teilung können jedoch individuelle Behandlungskonzepte für
demenzkranke Menschen versucht werden. Die noch weni-
gen Daten zeigen auch, dass die Implementierung schlaf-
medizinischer und chronobiologischer Ansätze bei der
Versorgung Demenzkranker hilfreich sein kann, zumal die
rein pharmakologische Behandlung von Verhaltensstörun-
gen mit Neuroleptika mit einer Übersterblichkeit assoziiert
ist (35–37).
Einsamkeit, geringe Anregung von aussen, fehlende Licht-
exposition am Tag und Isolierung fördern bei Heimbewoh-
nern die Destabilisierung des zirkadianen Rhythmus. Dauer-
hafte Bettlägerigkeit entkoppelt von äusseren Zeitgebern und
fördert ein irreguläres Schlaf-Wach-Muster. Fehlende Licht-
exposition tagsüber und Bettlägerigkeit sind mit der Verfüg-
barkeit von Mitarbeitern in der Pflege assoziiert. So fand sich
in einer Studie mit niedrigem Pflegeschlüssel eine Bettlägerig-
keit am Tag bei 40 Prozent der Bewohner im Vergleich zu
26 Prozent bei ausreichendem Pflegeschlüssel (38). Unter-
suchungen zeigen auch, dass weniger mobile Heimbewohner
nachts etwa 12 Stunden im Bett verbringen und zusätzliche
2 Stunden während des Tages. Der typische wenig mobile
Heimbewohner verbringt damit lediglich 9 Stunden des
Tages ausserhalb des Betts. Diese Umgebungsfaktoren sind
aber grundsätzlich beeinflussbar. So führt eine Förderung der
Aktivität von Bewohnern oder eine ausreichende Lichtexpo-
sition gerade am Vormittag zu einer deutlichen Stabilisierung
des zirkadianen Rhythmus und mittelbar zu einer Verbesse-
rung des Schlafs.
O
Dr. med. Helmut Frohnhofen Klinik für Geriatrie und Zentrum für Altersmedizin Kliniken Essen-Mitte D- 45136 Essen
Interessenkonflikte: keine deklariert
Literatur unter www.arsmedici.ch
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 15/2013. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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