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STUDIE REFERIERT
Kombinationstherapien für LUTS bei Männern
Beschwerden des unteren Harntrakts werden bei Männern durch eine Vergrösserung der Prostata und die Blase verursacht. Somit könnte es sinnvoll sein, Medikamente mit verschiedenen Wirkmechanismen zu kombinieren. In einem systematischen Review wurden Nutzen und Risiken verschiedener Kombinationstherapien zusammengefasst.
EUROPEAN UROLOGY
Beschwerden des unteren Harntrakts (lower urinary tract symptoms, LUTS) bei Männern können in Symptome der Blasenspeicherung, der Miktion und in Beschwerden nach der Miktion unterteilt werden. Je nach Erfassung und Einschätzung der Symptome variiert die Prävalenz der LUTS von 10,3 bis 25,1 Prozent. Die Inzidenz der LUTS nimmt von 3 Betroffenen von 1000 Männern pro Jahr im Alter von 45 bis 49 Jahren auf 38 von 1000 Männern pro Jahr im Alter von 75 bis 79 Jahren zu. Traditionell wurden die Beschwerden auf eine gutartige Vergrösserung der Prostata (benigne Prostatahyper-
Merksätze
O Patienten mit einem Prostatavolumen > 30 ml profitieren von Alpha-1-Blocker/5-ARI in besonderem Ausmass.
O Die Kombination Alpha-1-Blocker/Antimuskarinika ist eine Second-Line-Option bei einem PVR < 200 ml und Qmax > 5 ml/s.
O Alpha-1-Blocker/Antimuskarinika reduzieren die Miktionsfrequenz und die Häufigkeit von Drangepisoden.
O Auch von Alpha-1-Blocker/Antimuskarinikum profitieren vor allem Patienten mit vergrösserter Prostata.
O Mit Alpha-1-Blocker/PDE-5-I können LUTS und ED behandelt werden.
plasie, BPH) zurückgeführt. Mittlerweile ist jedoch bekannt, dass auch die Blase oft massgeblich zu den Beschwerden beiträgt. Zu den Behandlungsoptionen bei LUTS bei Männern gehören Alpha-1-Adrenozeptor-Antagonisten (Alpha-1-Blocker), 5-Alpha-Reduktase-Inhibitoren (5-ARI), Muskarinrezeptorantagonisten (Antimuskarinika) und die kürzlich in den USA und in Europa zugelassenen Phosphodiesterase-5-Inhibitoren (PDE-5-I) (Kasten). Diese Substanzen werden meist als Monotherapie verordnet. Je nach Beschwerdebild könnte es jedoch sinnvoll sein, eine Kombination mit verschiedenen Wirkmechanismen zusammenzustellen. Claudius Füllhase von der LudwigMaximilian-Universität (LMU) München und sein Team untersuchten Wirksamkeit und unerwünschte Wirkungen verschiedener Kombinationstherapien zur Behandlung von LUTS bei Männern in einem systematischen Review. Im Rahmen ihrer Untersuchung analysierten die Wissenschaftler 49 Studien mit einer Evidenzklasse ab 1b (randomisierte Studien) aus dem Zeitraum von Januar 1988 bis März 2012.
Alpha-1-Blocker/5-ARI Zur gut etablierten Kombination Alpha-1-Blocker/5-ARI werteten die Wissenschaftler die folgenden fünf randomisierten kontrollierten Studien aus: O VA-COOP (Veterans Affairs
Cooperative) O ALFIN (Alfuzosin, Finasteride,
and Combination in the Treatment of BPH) O MTOPS (Medical Therapy of Prostatic Symptoms) O PREDICT (Prospective European Doxazosin and Combination Therapy) O CombAT (Combination of Avodart and Tamsulosin).
Nur die Studie MTOPS und CombAT wurden über einen längeren Zeitraum als 1 Jahr durchgeführt. Das längste
Follow-up in betrug 6 Jahre (MTOPSStudie). In vier Publikationen wurden Terazosin, Alfuzosin oder Doxazosin in Kombination mit Finasterid untersucht, und eine Studie befasste sich mit Tamsulosin/Dutasterid im Vergleich zu den Einzelmedikamenten und zu Plazebo. Im Hinblick auf eine subjektiv empfundene Verbesserung der Symptome erwies sich die Kombination bei einer Behandlungsdauer von mehr als 1 Jahr und ab einer Prostatagrösse von 30 ml als wirksamer im Vergleich zu den Einzelmedikamenten und zu Plazebo. Das zeigte sich in einer ausgeprägteren Reduzierung der Punktwerte auf dem American Urological Association Symptom Score (AUA-SS) und dem International Prostate Symptoms Score (IPSS). Bei einer Behandlungsdauer von weniger als 1 Jahr war die Monotherapie mit Alpha-1-Blockern ungeachtet des Prostatavolumens ebenso wirksam wie die Kombination. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen die Wissenschaftler bei der Evaluierung objektiver Endpunkte. Bei einer Behandlungsdauer von weniger als 1 Jahr wurde unter der Kombination zwar eine signifikant ausgeprägtere Zunahme der maximalen Harnflussrate (Qmax) im Vergleich zu Plazebo und zu 5-ARI beobachtet, jedoch nicht im Vergleich zur Monotherapie mit Alpha-1-Blockern. Erst bei einer Behandlungsdauer von mehr als 1 Jahr war die Erhöhung der Qmax unter der Kombination auch im Vergleich zur Alpha-1-Blocker-Monotherapie signifikant ausgeprägter. Die Prostatagrösse reduzierte sich innerhalb eines Behandlungszeitraums von 4 Jahren unter 5-ARI und der Kombination um 19 bis 28 Prozent. Bei der Monotherapie mit Alpha-1-Blockern wurde dagegen eine Prostatavergrösserung um 4,6 bis 24 Prozent beobachtet. Da diese Volumenzunahme mit derjenigen unter Plazebo vergleichbar war, handelt es sich hier vermutlich um den natürlichen Prozess der Prostatavergrösserung. Das Risiko für akutes Harnverhalten (acute urinary retention, AUR) und einen chirurgischen Eingriff wurde von 5-ARI allein und von Alpha-1-Blocker/ 5-ARI in einer vergleichbaren Grössenordnung gesenkt. Die Monotherapie mit Alpha-1-Blockern hatte dagegen keinen signifikanten Einfluss auf die Häufigkeit von AUR und chirurgischen
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STUDIE REFERIERT
Kasten:
Medikamente zur Behandlung von LUTS/BHP bei Männern
Alpha-1-Blocker
O Alfuzosin (Xatral® und Generika) O Doxazosin (Cardura® und Generika) O Silodosin (Silodyx®, Urorec®) O Tamsulosin (Omix®, Pradif® und Generika) O Terazosin (Hytrin®)
5-ARI
O Finasterid (Proscar® und Generika) O Dutasterid (Avodart®)
Antimuskarinika
O Propiverin (nicht im AK der Schweiz) O Tolterodin (Detrusitol® und Generika)
PDE-5-I
O Sildenafil (Viagra® und Generika) O Tadalafil (Cialis®, Adcirca®)
Eingriffen. Der Nutzen zur Prävention von AUR und Chirurgie unter der Kombination oder 5-ARI zeigte sich nach einer Behandlungsdauer von 8 Monaten. In einer Subgruppenanalyse kamen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass Patienten mit vergrösserter Prostata (> 30–40 ml oder PSA-Wert > 4 ng/ml als Proxyparameter für eine vergrösserte Prostata) bei einer Behandlungsdauer von mehr als 1 Jahr im Hinblick auf die Erhöhung der Qmax, auf die Prävention von AUR und chirurgischen Eingriffen sowie bezüglich der Reduzierung des IPSS in besonderem Masse von Alpha-1-Blocker/5-ARI profitieren. Bei diesen Patienten steht der Nutzen der Kombination in linearem Zusammenhang mit dem Prostatavolumen. Im Rahmen der SMART-Studie (The Symptom Management After Reducing Therapy) konnte der Alpha-1-Blocker 6 Monate nach Beginn mit Alpha-1-Blocker/5-ARI ohne Verschlechterung der Symptome abgesetzt werden. Ähnliche Ergebnisse wurden in einer kanadischen Studie beobachtet, in der ein Alpha-1Blocker nach 9 Monaten Kombinationstherapie abgesetzt wurde. Zur Absicherung dieser Ergebnisse sind jedoch weitere Studien erforderlich. Unter Alpha-1-Blocker/5-ARI kam es im Vergleich zur jeweiligen Einzelsubstanz häufiger zu unerwünschten Ereignissen, die sich addierten. Synergistische Effekte wurden nicht beobachtet. Schwere unerwünschte Ereignisse wur-
den in keiner Behandlungsgruppe beobachtet, und die Abbruchraten waren in allen Gruppen vergleichbar. Ergänzend weisen die Autoren auf das erhöhte Risiko für High-Grade-Prostatakarzinome im Zusammenhang mit 5-ARI und die Beeinflussung der PSASerumwerte durch diese Substanzen hin.
Alpha-1-Blocker/Antimuskarinikum Die Kombination Alpha-1-Blocker/ Antimuskarinikum wurde in den meisten Studien als Add-on-Therapie zu Alpha-1-Blockern untersucht. Nur in der TIMES-Studie (Tolterodine and Tamsulosin in Men with LUTS Including OAB: Evaluation of Efficacy and Safety) wurde Tolterodin prospektiv mit Plazebo, Tamsulosin und der Kombination verglichen. In allen Studien wurden als Einschlusskriterien ein maximales Restharnvolumen (post-voidal residue, PVR) und eine untere Grenze der Qmax definiert. Rückschlüsse im Hinblick auf die Wirksamkeit und die Sicherheit gelten daher nur für Patienten mit einem PVR unter 200 ml und einem Qmax über 5 ml/s. Bis anhin wurde keine Studie über einen längeren Zeitraum als 4 Monate durchgeführt. In den Add-on-Studien wurde unter der Kombination eine signifikante Reduzierung des IPSS im Vergleich zur Monotherapie mit Alpha-1-Blockern beobachtet. Das war vor allem auf die Fragen 2, 4 und 7 zu Blasenspeichersymptomen zurückzuführen. Im Hinblick auf Qmax wurden in den Add-onStudien keine signifikanten Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen beobachtet. Durch Hinzufügen eines Antimuskarinikums konnte jedoch im Vergleich zur Monotherapie mit Alpha-1-Blockern eine signifikant höhere Reduzierung der 24-Stunden-Miktionsfrequenz und der Häufigkeit von Drangepisoden erreicht werden. In der TIMES-Studie zeigte sich bei der Auswertung eines Patientenfragebogens ein signifikant höherer subjektiver Nutzen der Kombination im Vergleich zu den beiden Einzelsubstanzen und zu Plazebo. Des Weiteren hatten sich IPSS und der IPSS-Subscore zu den Blasenspeichersymptomen ausschliesslich unter der Kombination signifikant verbessert. Bei Männern mit einem PSAWert unter 1,3 ng/ml oder einem Prostatavolumen von weniger als 29 ml war Tolterodin im Hinblick auf die
Reduzierung der Blasenspeichersymptome als Einzelsubstanz jedoch ebenso wirksam wie die Kombination. Bei einem Prostatavolumen von mehr als 29 ml konnte nur mit der Kombination eine signifikante Reduzierung der 24-Stunden-Miktionsfrequenz erreicht werden. Bei Patienten mit einem Prostatavolumen von weniger als 29 ml wurde die 24-Stunden-Miktionsfrequenz dagegen auch mit einer Tolterodinmonotherapie reduziert. Aus der TIMES-Studie geht somit hervor, dass auch von dieser Kombination vor allem Männer mit vergrösserter Prostata profitieren. Unerwünschte Ereignisse im Zusammenhang mit Alpha1-Blocker/Antimuskarinikum sind identisch mit denen der Einzelsubstanzen und potenzieren sich nicht.
Alpha-1-Blocker/PDE-5-I
Die Kombination Alpha-1-Blocker/
PDE-5-I zur Behandlung von LUTS/
BPH wurde bis anhin nur in kleinen
Pilotstudien untersucht, deren Ergeb-
nisse in einer Metaanalyse mit insge-
samt 278 Patienten zusammengefasst
wurden. Hier wurde unter Alpha-1-
Blocker/PDE-5-I im Vergleich zur Mo-
notherapie mit Alpha-1-Blockern eine
Erhöhung der Punktwerte auf dem
IPSS und dem International Index of
Erectile Function sowie eine Erhöhung
der Qmax beobachtet.
Zur Behandlung von LUTS und erek-
tiler Dysfunktion (ED) wurde mittler-
weile auch Tadalafil als Monotherapie
zugelassen. Die Autoren halten diese
Option für besonders interessant, weil
nach Angaben des Multinational Sur-
vey of the Aging Male-7 etwa 60 bis
80 Prozent der Patienten mit LUTS
auch von ED betroffen sind. Eine Ver-
besserung der LUTS wurde bei einer
Monotherapie mit PDE-5-I oder unter
der Kombination mit Alpha-1-Blo-
ckern beobachtet. Ob die Kombination
zur Behandlung von LUTS und ED
wirksamer ist, muss sich noch heraus-
stellen.
O
Petra Stölting
Füllhase C et al.: Systematic review of combination drug therapy for non-neurogenic male lower urinary tract symptoms. European Urology 2013(64): 228–243.
Interessenkonflikte: 5 der 14 Autoren haben Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten.
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