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STUDIE REFERIERT
Botulinumtoxin bei überaktiver Blase und neurogener Detrusorüberaktivität
Botoxinjektionen in den Blasendetrusor bessern Symptomatik und Lebensqualität
Harninkontinenz ist ein gravierendes Symptom bei überaktiver Blase oder bei neurogener Detrusorüberaktivität. Orale Anticholinergika zeigen nicht immer den gewünschten Therapieerfolg. Aktuelle Studien untersuchten, ob Onabotulinumtoxin A für diese Patienten eine wirksame Therapiealternative darstellt.
NEUROLOGY/EUROPEAN UROLOGY
Verschiedene Störungen wie überaktive Blase und neurogene Detrusorüberaktivität können zu unfreiwilligem Harnabgang führen – ein Problem, das häufig tabuisiert wird und zu erheblichen psychosozialen Einschränkungen führen kann. Patienten mit Harninkontinenz fühlen sich in ihrer Lebensqualität ähnlich stark beeinträchtigt wie Patienten mit anderen chronischen Erkrankungen wie etwa Asthma, Diabetes oder Krebs. Deshalb sind wirksame Behandlungsmöglichkeiten für Inkontinenzpatienten essenziell.
Merksätze
O Onabotulinumtoxin A führte bei Patienten mit überaktiver Blase und Inkontinenzepisoden zu einer signifikanten und klinisch relevanten Besserung der Symptomatik und zu einem Gewinn an Lebensqualität.
O Onabotulinumtoxin A kann bei Patienten mit neurogener Detrusorüberaktivität, die auf Anticholinergika nicht zufriedenstellend angesprochen hatten, zu einer Besserung der Lebensqualität führen.
Überaktive Blase Bei der überaktiven Blase (overactive bladder, OAB; früher: «Reizblase») kommt es zu häufigem Harndrang mit oder ohne Dranginkontinenz sowie meist zu Pollakisurie und Nykturie. Die Prävalenz der überaktiven Blase beträgt bei Frauen und Männern ungefähr 12 bis 19 Prozent. Etwa ein Drittel der OAB-Patienten leidet an einer Harninkontinenz – ein Symptom, das die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Betroffenen stark einschränkt und zu Vermeidungsverhalten und eingeschränkter Arbeitsproduktivität führt. Orale Anticholinergika gelten als medikamentöse Erstlinientherapie bei überaktiver Blase. Jedoch beenden zahlreiche Patienten die Therapie aufgrund ungenügender Wirksamkeit oder inakzeptabler Nebenwirkungen. Eine kürzlich publizierte Studie untersuchte, ob OAB-Patienten von Onabotulinumtoxin-A-Injektionen in den Blasendetrusor profitieren. In eine randomisierte, plazebokontrollierte doppelblinde Phase-III-Studie (1) wurden Patienten mit idiopathischer OAB aufgenommen, die während 3 Tagen 3 oder mehr Dranginkontinenzepisoden erlitten, täglich mindestens 8 Miktionen angaben und unter Anticholinergika keine zufriedenstellende Symptomkontrolle erreichten. Die Teilnehmer erhielten entweder 100 U Onabotulinumtoxin A (n = 277) oder Plazebo (n = 271) verabreicht (20 Injektionen à 0,5 ml in den Blasendetrusor). Als primäre Endpunkte wurden definiert: O Veränderung der täglichen Inkon-
tinenzepisoden im Vergleich zum Ausgangsbefund O Anteil der Patienten, die gemäss der Treatment Benefit Scale (TBS) in Woche 12 über ein Ansprechen auf die Therapie berichteten
Zu den weiteren Endpunkten zählten andere OAB-Symptome (Dranginkontinenzepisoden, Miktion, Drangsymptomatik, Nykturie) sowie verschiedene Lebensqualitäts-Scores (Incontinence Quality of Life [I-QOL], King’s Health Questionnaire [KHQ]). Zur Sicherheitsbewertung wurden die Parameter unerwünschte Wirkungen, Restharnvolumen nach der Miktion, Harnvolumen und Beginn einer sauberen intermittierenden Katheterisierung herangezogen. Bei den mit Onabotulinumtoxin A behandelten Patienten wurde in Woche 12 eine signifikante Abnahme der täglichen Inkontinenzepisoden festgestellt (-2,95 unter Onabotulinumtoxin A vs. -1,03 unter Plazebo; p < 0,0001). Ebenso gingen alle anderen OABSymptome in der Verumgruppe im Vergleich zur Plazebogruppe signifikant zurück (p < 0,01). Die Patienten stellten entsprechend der TBS eine signifikante Besserung ihrer Erkrankung fest (62,8% unter Onabotulinumtoxin A vs. 26,8% unter Plazebo; p < 0,001). Klinisch relevante Besserungen in allen I-QOL- und KHQ-Domänen (p < 0,001 vs. Plazebo) signalisierten positive Auswirkungen auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität. Nebenwirkungen wurden hauptsächlich im Bereich des Harntrakts beobachtet. Das durchschnittliche Restharnvolumen nach der Miktion war in der Onabotulinum-A-Gruppe höher (46,9 ml vs. 10,1 ml in Woche 2; p < 0,001). Mit sauberen intermittierenden Katheterisierungen begannen 6,9 Prozent der OnabotulinumtoxinA-Patienten gegenüber 0,7 Prozent der Plazebopatienten. Onabotulinumtoxin A 100 U wurde gut vertragen und führte zu signifikanten und klinisch relevanten Besserungen aller OAB-Symptome, zu einem von den Patienten angegebenen subjektiven Nutzen sowie zu einer Besserung der Lebensqualität bei Patienten, deren Symptomatik auf Anticholinergika nicht ausreichend angesprochen hatte, so das Fazit der Autoren. Neurogene Detrusorüberaktivität Die neurogene Detrusorüberaktivität tritt häufig als Folge einer Rückenmarkverletzung oder anderer neurologischer Erkrankungen wie beispiels- 102 ARS MEDICI 2 I 2014 STUDIE REFERIERT weise multiple Sklerose (MS) auf. Das Krankheitsbild kann zu urologischen Symptomen wie etwa Harninkontinenz führen, was die Lebensqualität der Betroffenen erheblich einschränkt. Diese Patienten benötigen lebenslang eine intensive medizinische Betreuung. Als Erstlinientherapie erhalten Patienten mit neurogener Detrusorüberaktivität Anticholinergika. Zusätzlich werden in vielen Fällen saubere intermittierende Katheterisierungen vorgenommen. Jedoch brechen viele Patienten diese Therapie ab, weil sie nicht zufriedenstellend wirkt oder zu Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Obstipation und Verschwommensehen führt. Onabotulinumtoxin A kann die Anzahl der Inkontinenzepisoden reduzieren sowie urodynamische Parameter und die Lebensqualität verbessern. In einer randomisierten, plazebokontrollierten, doppelblinden Phase-IIIStudie (2) über 52 Wochen untersuchte ein internationales Forscherteam den Effekt von Onabotulinumtoxin A bei Patienten, die eine Harninkontinenz aufgrund einer neurogenen Detrusorüberaktivität aufwiesen und auf eine anticholinerge Therapie nicht ausreichend angesprochen hatten. Das Durchschnittsalter der Patienten betrug 46 Jahre; zu Beginn der Studie hatten die Teilnehmer im Schnitt 30,5 Inkontinenzepisoden pro Woche. Die Patienten erhielten randomisiert entweder Onabotulinomtoxin A (200 oder 300 U) oder Plazebo (0,9%ige Kochsalzlösung) intramuskulär in den Detrusor injiziert. Die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Patienten wurde mit den folgenden Tests erfasst: O Incontinence Quality of Life (I-QoL)- Fragebogen (Gesamtscore und die Unterkategorien Vermeidungs- und Einschränkungsverhalten, psychosoziale Parameter, Schamgefühle im sozialen Kontext), O modifizierte Fragebogen Overactive Bladder Patient Satisfaction with Treatment Questionnaire (OAB-PSTQ) O Patient Global Assessment (globale Einschätzung des Patienten). Die Bewertungen wurden zu Beginn der Studie, in Woche 6 nach der Behandlung (primärer Zeitpunkt), in Woche 12 und danach in 12-wöchigen Intervallen vorgenommen. Die Patienten bekamen randomisiert entweder Plazebo (n = 149) oder Ona- botulinumtoxin A (200 U [n = 135] oder 300 U [n = 132]). In Woche 6 hatte sich der I-QoL-Gesamtscore in beiden Onabotulinumtoxin-A-Gruppen deutlicher gebessert (p < 0,001) als in der Plazebogruppe. Auch der OAB-PSTQ ergab in Woche 6 in beiden Verumgruppen ausgeprägtere durchschnittliche Besserungen im Vergleich zu Plazebo (p < 0,001). Darüber hinaus berichteten die Patienten aus den beiden Onabotulinumtoxin-A-Gruppen im Patient Global Assessment über deutlichere Besserungen als die Patienten aus der Plazebogruppe (p ≤ 0,001 im Vergleich zu Plazebo). Diese Studie liefert Klasse-I-Evidenz, dass die intramuskuläre Injektion von Onabotulinumtoxin A in den Detrusor (200 oder 300 U) bei Patienten mit neurogener Detrusorüberaktivität, die auf eine vorausgegangene anticholinerge Therapie nicht ausreichend angesprochen hatten, zu einer Besserung von Parametern der Lebensqualität führen kann. Auch die Therapiezufriedenheit war in den beiden Verumgruppen höher, fassen die Autoren zusammen. O Andrea Wülker Quellen: 1. Chapple C et al.: Onabotulinumtoxin A 100 U signifi- cantly improves all idiopathic overactive bladder symptoms and quality of life in patients with overactive bladder and urinary incontinence: a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. European Urology 2013; 64: 249–256. 2. Chancellor MB et al.: Onabotulinumtoxin A improves quality of life in patients with neurogenic detrusor overactivity. Neurology 2013; 81: 841–848. Interessenlage: Sponsor der beiden Studien war Allergan Inc. Die Autoren geben an, von verschiedenen Pharmaund Medizintechnikunternehmen Referenten- und Beraterhonorare oder Forschungsstipendien erhalten zu haben. Einige der Autoren sind bei Allergan angestellt. ARS MEDICI 2 I 2014 103