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Sekundärprophylaxe bei KHK
Es gilt, die Blutfette in den Griff zu bekommen
FORTBILDUNG
Die Atherosklerose und die koronare Herzerkrankung (KHK) im Besonderen sind Volkskrankheiten, denen meist Fettstoffwechselstörungen zugrunde liegen. Für diese Patienten wird eine Dauerbehandlung im Sinne einer Sekundärprophylaxe empfohlen. Der folgende Beitrag erläutert, wie man dabei leitliniengerecht vorgehen kann.
CHRISTIAN J. F. HOLUBARSCH
Die ESC-Guidelines 2011 sehen als Sekundärprophylaxe bei KHK folgende pharmakologische Interventionen vor: Acetylsalicylsäure, Betarezeptorenblocker, ACE-Hemmer oder Angiotensinrezeptorblocker (ARB) sowie Statine. Das sind sogenannte IA-Empfehlungen, das heisst, jede dieser vier Interventionen ist «beneficial, useful and effective» (I) und durch mehrere kontrollierte, randomisierte, plazebokontrollierte Studien abgesichert (A). Eine Therapie gemäss solcher Leitlinien ist wichtig und unumgänglich, auch wenn Leitlinien nur ein Teil einer patientengerechten Therapie sowie nur ein Teil der evidenzbasierten Medizin sind. Im Folgenden konzentrieren wir uns auf den vierten Punkt, die Cholesterinsenkung.
LDL-Cholesterin senken Bereits in den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts wurde durch epidemiologische Studien eine Assoziation zwischen Gesamtcholesterin und KHK-Risiko gut belegt (1, 2).
Merksätze
O In der Sekundärprävention bei KHK beträgt der LDL-CholesterinZielwert < 70 mg/dl oder eine Reduktion des LDL-Ausgangswertes um mehr als die Hälfte.
O Eine Statinintoleranz tritt in der Praxis bei maximal 10 bis 15 Prozent aller Patienten auf.
O Die Kombination von Statin und Nikotinsäure hat ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Profil und wird nicht empfohlen.
O Fibrate reduzieren die Rate an Myokardinfarkten, insbesondere bei hohen Triglyzerid- und niedrigen HDL-Cholesterin-Werten.
Diese epidemiologischen Korrelationen wurden durch weitere Studien bestätigt. Diese zeigten, dass eine Senkung des LDL-Cholesterins durch den Lipidsenker Simvastatin die Lebenserwartung statistisch signifikant verlängerte. Auch die Re-Infarktrate und die Notwendigkeit einer erneuten PTCA/ ACVB-Operation wurden um jeweils 30 bis 40 Prozent verringert (3). Die Risikoreduktion durch Absenken des LDL-Cholesterins lässt sich am besten mit einer linearen Regression beschreiben. Es gibt bisher keinerlei Hinweise dafür, dass ein besonders niedriges LDL-Cholesterin von Nachteil sein könnte. In einer jüngst publizierten Studie – allerdings in der Primärprophylaxe – konnte mit Rosuvastatin das LDL-Cholesterin bei einem Grossteil der Patienten auf < 50 mg/dl abgesenkt werden. Ohne Nebenwirkungen hatten diese Patienten ein besseres Outcome als diejenigen, die kein Rosuvastatin erhielten, und auch als solche, die trotz Rosuvastatin einen Wert für LDL-Cholesterin unter 50 mg/dl nicht erreichen konnten (4). In den ESC-Leitlinien 2011 steht daher ein Zielwert von < 70 mg/dl, oder – falls dieser nicht erreicht werden kann – es wird zumindest eine Halbierung des LDL-CholesterinAusgangswertes empfohlen (5). Um die Zielwerte für das LDL-Cholesterin zu erreichen, lautet die IA-Empfehlung, ein Statin (Atorvastatin [Sortis® und Generika], Fluvastatin [Lescol® und Generika], Pitavastatin [Livazo®], Pravastatin [Selipran® und Generika], Rosuvastatin [Crestor®], Simvastatin [Zocor® und Generika]) in maximaler oder noch tolerabler Dosierung zu geben (vgl. Tabelle).
Alternativen bei Statinintoleranz oder mangelnder Wirkung Bei Patienten, die Statine überhaupt nicht tolerieren können, werden gallensäurebindende Mittel (Colestyramin [Quantalan®, Ipocol®]) mit einer IIaB-Empfehlung vorgeschlagen (should be considered) (5). Statinintoleranz tritt in der alltäglichen Praxis bei maximal 5 bis 10 Prozent aller Patienten auf – in Form von subjektiv inakzeptablen Muskelschmerzen und Muskelschwäche. Viel seltener sind es laborchemische Zeichen, die zu einem Absetzen eines Statins zwingen (5-fache Überschreitung des oberen Grenzwertes der Kreatinphosphokinase [CK] bei weniger als 0,1% aller Patienten; 3-fache Überschreitung der oberen Grenzwerte von GOT oder GPT bei 0,5 bis 2% aller Patienten). Allerdings sind die gastrointestinalen Wirkungen der gallensäurebindenden Mittel insgesamt bei höheren Dosierungen
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FORTBILDUNG
Tabelle:
Pharmakologische Behandlung der Hypercholesterinämie
Empfehlungen
Klasse Evidenzlevel
Um die Zielwerte zu erreichen, sollten Statine bis zur höchsten empfohlenen Dosis oder höchsten tolerablen Dosis verordnet werden.
I
A
Im Fall einer Statin-Intoleranz kommen gallensäurebindende Mittel oder Nikotinsäure in Betracht.
IIa
B
Im Fall einer Statinintoleranz kommt auch ein Cholesterinabsorptionshemmer, alleine oder in Kombination mit gallensäurebindenden Mitteln oder Nikotinsäure, in Betracht.
IIb
C
Werden die Zielwerte nicht erreicht, kommt eine Kombination aus Statin, Cholesterinabsorptionshemmer oder gallensäurebindenden Mitteln oder Nikotinsäure in Betracht.
IIb
C
Quelle: ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias. Eur Heart J 2011; 32: 1769–1818.
sehr häufig und sehr unangenehm (Flatulenz, Obstipation, Diarrhö, reduzierte Absorption fettlöslicher Vitamine). Die Expertenempfehlung lautet daher: Bei Statinintoleranz sowie Unverträglichkeiten von Austauscherharzen und Nikotinsäure ist Ezetimib (Ezetrol®), ein Cholesterinabsorptionshemmer, eine pharmakologische Möglichkeit mit einer IIbC-Empfehlung (may be considered) – wegen dessen sehr guter Verträglichkeit und guter Wirksamkeit; die durchschnittliche LDL-Senkung mit Ezetimibmonotherapie wird mit 20 Prozent angegeben (5). Werden mit einer tolerierten Statindosis die Therapieziele der Leitlinien nicht erreicht, wird die zusätzliche Gabe von Ezetimib oder Austauscherharzen empfohlen. Wegen fehlender klinischer Studien mit den genannten Kombinationsmöglichkeiten kann es sich bis auf Weiteres nur um eine IIbD-Empfehlung handeln. Das Ausmass der zusätzlichen LDL-Cholesterin-Senkung bei einer Kombinationstherapie mit Simvastastin plus Ezetimib (Inegy®) wird mit 13 bis 16 Prozent angegeben (6).
HDL-Cholesterin steigern? Die Bedeutung der HDL-Cholesterin-Konzentration kommt besonders bei niedrigen HDL-Werten zwischen 25 und 40 mg/dl zum Tragen (7). Bei solch niedrigen Werten wirkt sich ein hoher LDL-Cholesterin-Wert besonders dramatisch aus. Es bieten sich fünf Möglichkeiten an, das HDLCholesterin zu steigern:
Alkohol und HDL Das Ausmass, HDL-Cholesterin durch alkoholische Drinks zu steigern, ist gering, sofern man die maximal zulässigen beziehungsweise empfehlenswerten Dosen von < 20 g/Tag für die Frau und < 30 g/Tag für den Mann einhält. Jenseits dieser
Alkoholmengen steigen die Mortalität und die Morbidität aufgrund hepatischer und gastrointestinaler Nebenwirkungen wieder an (8).
Sport und HDL Frauen haben von Anfang an höhere HDL-CholesterinSpiegel und können diese durch Sport besser steigern als Männer (9). Die Frage lautet: Gibt es Grenzwerte bei sportlicher Betätigung, das heisst, ab welchem Ausmass beginnt ein positiver Einfluss, und gibt es ein Höchstmass, oberhalb dessen dieser positive Einfluss wieder abnimmt? Wissenschaftlich belegt ist der positive Einfluss des Sports auf kardiovaskuläre Erkrankungen für 20 Minuten körperliche Aktivität fünfmal pro Woche. Paffenberger et al. beschreiben ein Optimum für körperliche Aktivität für die bestmögliche Lebenserwartung von 3500 kcal/Woche – entsprechend einem etwa einstündigen täglichen Training. Bei mehr an Sport scheint die Lebenserwartung dann wieder rückläufig zu sein (10).
Medikamente und HDL Statine haben einen geringen, aber signifikanten Effekt auf das HDL-Cholesterin im Sinne einer begrenzten 5- bis 10-prozentigen Steigerung. Bei Patienten mit manifester KHK oder Diabetes mellitus stehen Statine ohnehin auf dem Verordnungszettel, sodass dieser geringe Nebeneffekt gegeben ist. Bezüglich des HDL-Cholesterins wirken Fibrate ähnlich wie Statine. Fibrate haben jedoch ihren ersten Stellenwert bei der Hypertriglyzeridämie (siehe unten). Nikotinsäure galt bisher als die effektivste Substanz, um das HDL-Cholesterin anzuheben. In den Achtzigerjahren wurde für diese Monosubstanz eine Reduktion der Gesamtmortalität nachgewiesen (Coronary Drug Project, plazebokontrolliert, Studiendauer 14 Jahre [11]). Wegen unangenehmer Nebenwirkungen (Flush) wurde die Einnahme der Monosubstanz in der Praxis von den Patienten grösstenteils abgelehnt. Auch eine veränderte Galenik (extended release) führte nicht zu einer relevant verbesserten Akzeptanz durch die Patienten. Inzwischen wurde der pathophysiologische Mechanismus dieses Flush-Phänomens aufgeklärt: Nikotinsäure setzt aus Mastzellen der Haut Prostaglandin E2 frei, welches, rezeptorvermittelt, zu einer überschiessenden Vasodilatation der Hautgefässe führt. Nikotinsäure wurde deshalb bis Anfang dieses Jahres als Kombinationspräparat mit Laropiprant (Tredaptive®) angeboten – einem Prostaglandin-E2-Rezeptor-Antagonisten. Die Flush-Rate und die Flush-Intensität verminderten sich dadurch deutlich. Die HPS2-THRIVE-Studie, in welcher Tredaptive® gegen Plazebo bei mit Statin behandelten Patienten mit hohem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse geprüft wurde, lieferte leider enttäuschende Ergebnisse: Es kam zu keiner statistisch signifikanten Verminderung der Ereignisrate (Herzinfarkt, Hirninfarkt) im Vergleich zur Gruppe, die ausschliesslich ein Statin erhalten hatte. Jedoch resultierten aus der Kombinationstherapie mit Statinen und Nikotinsäure ernsthafte Nebenwirkungen wie Blutungen, Myopathien, Infektionen und das Neuauftreten eines Diabetes mellitus. Diese ungünstige Nutzen-Risiko-Konstellation rechtfertigt nicht länger die Verschreibung von Tredaptive® (12). Das Medikament wurde in der Schweiz am 31. Januar 2013 vom Markt genommen.
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Wie wichtig ist HDL tatsächlich? Die Frage, welche Rolle HDL-Cholesterin bei der Genese der Atherosklerose spielt, ist bei Weitem nicht geklärt. Es wäre zu einfach, aufgrund der HPS2-THRIVE-Studie dem HDL-Cholesterin jegliche Bedeutung abzusprechen. Die vorläufigen Ergebnisse der HPS2-THRIVE-Studie können wie folgt interpretiert werden: Die beobachteten Nebenwirkungen sind durch Laropiprant, nicht durch Nikotinsäure ausgelöst, sie treten ausschliesslich im chinesischen Studienarm auf, und sie resultieren aus der Kombination von Statinen und Nikotinsäure. Die fehlende Nachweisbarkeit eines Nutzens ist auf eine zu kurze Studiendauer zurückzuführen, insbesondere in Anbetracht der Statintherapie, und die HDL-Cholesterin-Steigerungen durch medikamentöse Interventionen sind nicht zu vergleichen mit genetisch bedingten oder durch Sport erworbene hohe HDL-Cholesterin-Werte.
Fibrate bei Hypertriglyzeridämie Hypertriglyzeridämie ist ein eigenständiger Risikofaktor für die KHK, von der Gewichtung her rangiert sie jedoch deutlich nach dem LDL- und dem HDL-Cholesterin (13). Triglyzeride (TG) sind aber nicht nur ein Risikofaktor für eine Atherosklerose: Bei Werten > 880 mg/dl besteht eine erhebliche Gefahr für eine Pankreatitis; 10 Prozent aller Pankreatitiden resultieren aus einer Hypertriglyzeridämie. Eine Pankreatitis kann jedoch schon bei Werten ab 440 mg/dl auftreten, sodass solche Patienten aufgrund der gastrointestinalen Indikation behandelt werden müssen. Das bedeutet fettarme Ernährung, kein Alkohol sowie Fibrate bei Triglyzeridspiegeln über 400 bis 500 mg/dl (Cedur®, Hyperlipen®, Lipanthyl®, Trilipix®). Unabhängig von dieser Konstellation tritt eine Hypertriglyzeridämie (TG > 150 mg/dl) häufig mit einer Hypercholesterinämie und niedrigem HDL-Cholesterin-Spiegel auf. Allerdings zeigte sich in der ACCORD-Studie (14) mit Diabetespatienten kein signifikanter Einfluss von Fibraten auf den primären Endpunkt (Mortalität, Myokardinfarkt, Hirninfarkt). Nur in der Subgruppenanalyse (Patienten mit hohem TG und niedrigem HDL-Cholesterin) war ein positiver Effekt von Fibraten auf die Endpunkte zu erkennen. Fibrate in Monotherapie reduzieren die Rate von Myokardinfarkten, insbesondere bei hohen TG- und niedrigen HDLCholesterin-Werten (15–18). In den ESC-Guidelines 2011 erhalten die Fibrate daher eine IA-Empfehlung bei Monotherapie und eine IIaC-Empfehlung für Statine und Fibrate. In Betracht kommen auch Omega-3-Fettsäuren (IIaB). Die günstigen Effekte von Omega-3-Fettsäuren liegen jedoch mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht in der Reduktion der Triglyzeride, sondern vielmehr in ihrem membranstabilisierenden Potenzial und damit in der Reduktion des plötzlichen Herztodes (19).
Zusammenfassung Für die Sekundärprophylaxe bei KHK empfehlen die europäischen Experten: O Erreichen eines LDL-Cholesterin-Zielwertes (< 70 mg/dl oder mehr als 50%-ige Reduktion des LDL-Ausgangswertes): In der Sekundärprophylaxe ist die Gabe eines Statins in der höchsten empfohlenen Dosis beziehungsweise in der höchsten tolerablen Dosis mit einer Klasse-IA-Empfehlung zu verordnen. Alle anderen Interventionen, sei es wegen Unverträglichkeit von Statinen, sei es in Kombination, erreichen nicht dieses Maximalniveau. O Die Empfehlungen für die Sekundärprophylaxe bei KHK können auf Patienten mit moderater oder schwerer Niereninsuffizienz (GFR 15 bis 89 ml/min/1,73 m² Körperoberfläche) und auf die periphere arterielle Verschlusskrankheit übertragen werden sowie auf die Sekundärprophylaxe nach Hirnschlag. Obwohl davon auszugehen ist, dass eine Statinintervention bei nachgewiesener Atherosklerose der Karotiden einen günstigen Einfluss auf den weiteren Verlauf hat, gibt es der- zeit keine randomisierten Studien, welche diese wichtige Frage zu klären vermögen. O Prof. Dr. med. Christian J. F. Holubarsch Ärztlicher Direktor und Chefarzt Park-Klinikum Bad Krozingen Lazariterhof und Klinik Baden D-79189 Bad Krozingen Interessenkonflikte: keine deklariert Literatur beim Verfasser. Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 7/2013. Die Übernahme erfolgte mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor. Der Text wurde von der Redaktion ARS MEDICI leicht überarbeitet und an die Schweizer Verhältnisse angepasst (Medikamente). 42 ARS MEDICI 1 I 2014