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FORTBILDUNG
EULAR-Praxisempfehlungen zu mittelgradig bis hoch dosierten Glukokortikoiden bei rheumatischen Erkrankungen
Bei manchen rheumatischen Erkrankungen ist eine Behandlung mit Prädnisonäquivalenten zwischen 7,5 und 100 mg täglich erforderlich. Eine Arbeitsgruppe der EULAR hat deshalb spezielle Empfehlungen erarbeitet, die eine sichere Anwendung mittelgradig bis hoch dosierter Glukokortikoide im klinischen Alltag unterstützen sollen.
Die neuen EULAR-Empfehlungen zum Management mittelgradig bis hoch dosierter GC wurden nun kürzlich von einer weiteren interdisziplinären Arbeitsgruppe mit 16 Experten aus 7 europäischen Ländern erarbeitet. Die Empfehlungen basieren auf einer systematischen Literaturrecherche zur Anwendung mittelgradig bis hoch dosierter GC bei rheumatischen und anderen entzündlichen Erkrankungen sowie auf Vorschlägen der Experten für relevante Empfehlungen und auf Abstimmungsergebnissen der Arbeitsgruppe.
ANNALS OF THE RHEUMATIC DISEASES
Glukokortikoide (GC) gehören seit vielen Jahren zu den Eckpfeilern bei der Behandlung rheumatischer Erkrankungen. Ihre Wirksamkeit im Hinblick auf eine Verzögerung der Gelenkschädigung bei rheumatoider Arthritis (RA) ist in zahlreichen Studien belegt. GC werden jedoch auch – oft in höheren Dosierungen – bei vielen anderen rheumatischen Erkrankungen wie Polymyalgia rheumatica, Lupus erythematodes und Vaskulitis angewendet. Bei der mittelgradig bis hoch dosierten GC-Therapie (> 7,5 mg bis ≤ 100 mg Prednison/-äquivalent täglich) kommt es neben genomischen Effekten, die bereits bei geringeren Dosierungen auftreten, auch zu nicht genomischen Wirkungen. Dies weist darauf hin, dass sich das Nutzen-Risiko-Profil hoher Dosierungen von dem niedriger Dosierungen unterscheidet. Die European League Against Rheumatism (EULAR) hat in der Vergangenheit bereits allgemeine Empfehlungen für das Management der GC-Therapie bei rheumatischen Erkrankungen herausgegeben. Diese basieren jedoch vor allem auf der Evidenz und den Erfahrungen mit niedrig dosierten GC (≤ 7 mg/Tag).
Merksätze
O Bei hohen Glukokortikoid-(GC-)Dosierungen treten neben genomischen auch nicht genomische Effekte auf.
O Einer GC-induzierten Osteoporose kann mit Modifizierungen des Lebensstils und Medikamenten entgegengewirkt werden.
O Bei plötzlicher Unterbrechung der Behandlung kann es zur Nebenniereninsuffizienz kommen.
O Vor Beginn und während der GC-Behandlung ist eine Evaluierung der Komorbiditäten erforderlich.
Unerwünschte Wirkungen – vorbeugen und behandeln Als wichtige Massnahme erachten die Experten, den Patienten das Ziel einer mittelgradig bis hoch dosierten GC-Behandlung und die damit verbundenen Risiken zu erläutern. Aus Studien zu rheumatischen und anderen Erkrankungen geht hervor, dass mit dieser Vorgehensweise unrealistische Bedenken beseitigt und die Therapietreue verbessert werden können. Ergänzend empfehlen sie, mit den Betroffenen Veränderungen des Lebensstils zur Vorbeugung oder zur Minimierung unerwünschter Wirkungen wie der Entwicklung einer GCinduzierten Osteoporose zu besprechen. Dazu gehören vor allem eine Umstellung der Ernährung und regelmässige körperliche Bewegung. Zu weiteren Lebensstiländerungen, mit denen der Entwicklung einer Osteoporose entgegengewirkt werden kann, gehören die Einstellung des Rauchens, eine Einschränkung des Alkoholkonsums, eine angemessene Aufnahme von Kalzium mit der Nahrung und Krafttraining. Diese Massnahmen sind zudem zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen wirksam. Des Weiteren sollte der Arzt gegebenenfalls Hinweise zur Wundvorbeugung oder eine Anleitung zur angemessenen Wundversorgung geben. Patienten mit manifester Osteoporose oder einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer GC-induzierten Osteoporose sollten auch Medikamente zur Prävention oder zur Behandlung erhalten. In Metaanalysen wurde die Wirksamkeit von Kalzium- oder Vitamin-D-Präparaten und Bisphosphonaten in diesem Zusammenhang belegt. Bei einer länger als 3 Wochen andauernden Applikation von mehr als 7,5 mg eines Prednisonäquivalents ist das Risiko für eine GC-induzierte Nebenniereninsuffizienz zu berücksichtigen. Zur Nebenniereninsuffizienz kann es bei plötzlicher Unterbrechung einer Dauerbehandlung kommen, etwa bei akuten Erkrankungen oder im Rahmen chirurgischer Eingriffe. In diesen Situationen empfiehlt die Arbeitsgruppe eine angemessene GC-Substitution. Pragmatisch könnte die Dosis 3 Tage lang erhöht werden. Auch wäre in Abhängigkeit von
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den jeweiligen klinischen Gegebenheiten ein Wechsel zu intravenösem Hydrokortison möglich, zum Beispiel mit 25 mg/Tag bei Personen, die 10 mg/Tag Prednison erhalten, oder 3-mal täglich 50 mg bei Patienten, die mit hoch dosiertem GC behandelt werden.
Komorbiditäten überwachen Bei allen Patienten mit entzündlichen rheumatischen Erkrankungen ist eine Überwachung im Hinblick auf Komorbiditäten als Bestandteil einer guten klinischen Praxis erforderlich. Da einige Komorbiditäten zudem Risikofaktoren für unerwünschte Wirkungen bei einer GC-Therapie darstellen, können durch rechtzeitige Identifizierung und Behandlung die Dauer und die Schwere unerwünschter Ereignisse vermindert werden. Zu den häufigsten Komorbiditäten gehören Diabetes und Glukoseintoleranz. Bei RA ist die bei Diabetikern beeinträchtigte Insulinsensitivität mit einer erhöhten Krankheitsaktivität verbunden. Auch kardiovaskuläre Parameter wie Blutdruck oder Lipidspiegel werden durch entzündliche rheumatische Erkrankungen ungünstig beeinflusst, und in retrospektiven Analysen zeigte sich ein vermehrtes Auftreten kardiovaskulärer Erkrankungen bei RA-Patienten mit nachweisbaren Rheumafaktoren. Die Arbeitsgruppe weist darauf hin, dass eine Behandlung mit GC mit einem erhöhten Risiko für peptische Ulzera verbunden sein kann. Das gilt vor allem, wenn gleichzeitig nichtsteroidale antientzündliche Medikamente (NSAID) eingenommen werden. Andererseits kann die Applikation von GC in manchen Fällen eine Reduzierung an NSAID ermöglichen. In Kohorten- und Fallstudien waren GC auch mit einem erhöhten Infektionsrisiko verbunden. Gleichzeitig verabreichte Immunsuppressiva können dieses Risiko weiter erhöhen. Zu beachten ist auch, dass GC den Augeninnendruck erhöhen und zur Verschlimmerung bereits vorhandener Glaukome führen können. Das Risiko im Zusammenhang mit Glaukomen ist von der Dosis abhängig. Die Patienten sollten nach starker Kurzsichtigkeit und Diabetes sowie zu Glaukomen in der Familiengeschichte befragt werden. Ist einer dieser Faktoren vorhanden, empfehlen die Experten eine Untersuchung beim Augenarzt.
Bei längerfristiger Behandlung raten die Experten, regelmässig die Notwendigkeit einer kontinuierlichen GC-Behandlung zu evaluieren. Im Rahmen der Dauerbehandlung sollte die Dosis im Hinblick auf das therapeutische Ansprechen sowie auf das Risiko der Unterbehandlung und der Entwicklung unerwünschter Wirkungen immer wieder überprüft und entsprechend titriert werden. Die Experten weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass derzeit keine Richtlinie mit einer Anleitung für diese schwierige Aufgabe zur Verfügung steht.
Steroidsparende Medikamente – keine Empfehlung Häufig werden einem GC-Regime zur Verbesserung der Wirksamkeit andere immunmodulierende Substanzen wie Biologicals beigefügt, mit denen die kumulative GC-Dosis potenziell reduziert werden kann. Da die Autoren dazu nur Studien zu Polymyalgia rheumatica und zur Riesenzellarteriitis mit widersprüchlichen Ergebnissen identifizieren konnten, wies die Arbeitsgruppe den Vorschlag für eine Empfehlung im Hinblick auf die Anwendung steroidsparender Medikamente zurück.
Kontinuierliches Monitoring Schliesslich erachten die Experten bei allen Patienten ein Monitoring im Hinblick auf klinisch signifikante unerwünschte Wirkungen wie Bluthochdruck, Gewichtszunahme und Infektionen als sinnvoll. Des Weiteren sollte auf die Entwicklung des osteoporotischen Frakturrisikos oder einer Osteonekrose sowie auf Myopathien, Augen- und Hauterkrankungen oder neuropsychologische Nebenwirkungen geachtet werden.
Petra Stölting
Duru N et al.: EULAR evidence-based and consensus-based recommendations on the management of medium to high-dose glucocorticoid therapy in rheumatic diseases. Ann Rheum Dis 2013; 72: 1905–1913.
Interessenkonflikte: Die Arbeitsgruppe wurde von der EULAR finanziert. 1 der 3 Autoren hat als Sprecher für Mundipharma International Limited gearbeitet und erhielt Honorare für seinen Beitrag.
Abwägung von Nutzen und Risiken Zur Identifizierung einer geeigneten initialen Dosis stehen nur wenige randomisierte, kontrollierte Studien zur Verfügung. In einem systematischen Review zur Behandlung der Polymyalgia rheumatica zeigte sich, dass bei den meisten Patienten mit 15 mg Prednison täglich eine Remission erreicht werden kann. Bei einer Riesenzellarteriitis werden oft höhere Dosierungen gegeben, meist 40 bis 60 mg Prednison/Tag. Der Nutzen einer Stosstherapie mit mehr als 250 mg Prednison bei dieser Erkrankung geht aus randomisierten, kontrollierten Studien (RCT) nicht eindeutig hervor. Für andere rheumatische Erkrankungen wurden noch keine RCT im Hinblick auf spezifische Anfangsdosierungen durchgeführt. Allgemein steht die geeignete initiale Dosis mit der Art und der Schwere der Erkrankung, den Behandlungszielen und den Patientencharakteristika wie Alter, Komorbiditäten und Körpergewicht in Zusammenhang, welche die Pharmakokinetik und die Sensitivität gegenüber GC beeinflussen.
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