Transkript
FORTBILDUNG
EULAR-Empfehlungen zur Therapie der rheumatoiden Arthritis
Die European League Against Rheumatism (EULAR) hat kürzlich die Empfehlungen für das Management der rheumatoiden Arthritis überarbeitet. In ihrem Update geben die Experten Hinweise zur individuellen Vorgehensweise bei der Anwendung konventioneller Medikamente und neuerer Biologicals.
ANNALS OF THE RHEUMATIC DISEASES
Das Management der rheumatoiden Arthritis (RA) beruht vorwiegend auf der Behandlung mit krankheitsmodifizierenden Medikamenten (disease-modifying antirheumatic drugs, DMARD). Diese werden in synthetische (sDMARD) und biologische DMARD (bDMARD) unterteilt. Als konventionelle synthetische Medikamente (csDMARD) stehen Methotrexat, Sulfasalazin und Leflunomid (Kasten) zur Verfügung. Bei dem ebenfalls chemisch hergestellten Januskinase-(JAK-)Hemmer Tofacitinib handelt es sich um ein zielgerichtetes DMARD (tsDMARD). Zu den Biologicals (boDMARD) gehören Tumor-Nekrose-Faktor-(TNF-)Inhibitoren (Adalimumab, Certolizumab Pegol, Etanercept, Golimumab, Infliximab), der T-Zell-Kostimulations-Inhibitor Abatacept, der B-Zell-Antikörper Rituximab sowie der Interleukin-(IL-)6-Rezeptor-Blocker Tocilizumab und der IL-1-Inhibitor Anakinra. Zu Infliximab wurden mittlerweile auch zwei Biosimilars (bsDMARD) entwickelt.
Merksätze
O MTX bleibt der Eckpfeiler zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis.
O csDMARD können in serieller Monotherapie oder kombiniert angewendet werden.
O Glukokortikoide sollten maximal 6 Monate im Rahmen einer Kombinationstherapie gegeben werden.
O Alle Biologicals sind vergleichbar wirksam und sicher.
Die Vielzahl der therapeutischen Optionen erschwert oft die Entscheidungsfindung in der klinischen Praxis. In ihren überarbeiteten Empfehlungen geben die Experten der EULAR eine praxisorientierte Hilfestellung bei der Auswahl und der Anwendung individuell geeigneter Einzelsubstanzen oder Kombinationsregime. Die Empfehlungen basieren auf der aktuellen Evidenz sowie auf Abstimmungsergebnissen eines Expertenkomitees mit 33 Mitgliedern aus 11 europäischen Ländern und den USA.
Behandlungsziel ist die Remission Aus den EULAR-Empfehlungen von 2010 wurde übernommen, dass die Behandlung mit DMARD möglichst sofort nach der Diagnose der RA mit dem Ziel einer Remission beginnen sollte. Allerdings erachten die Experten deren Definition über den Disease-Activity-Score für 28 Gelenke (DAS28; Werte < 2,6) mittlerweile als nicht mehr ausreichend. Stattdessen sollten hierzu die aktuelleren und strengeren Kriterien des American College of Rheumatology (ACR) und der EULAR herangezogen werden (Anmerkung der Referentin: Nach diesen Kriterien liegt eine Remission bei weniger als einem geschwollenen und einem schmerzhaften Gelenk, bei einer Serumkonzentration an C-reaktivem Protein [CRP] bis zu 1 mg/dl oder alternativ einer Blutsenkung [BSG] bis zu 20 mm/h bei Männern und bis zu 30 mm/h bei Frauen sowie einer Beurteilung des allgemeinen Befindens durch den Patienten bis zu einem Wert von 1 auf einer Skala von 1 bis 10 vor). Zu einem guten klinischen Ergebnis gehören mittlerweile nicht nur eine Remission im Hinblick auf Zeichen und Symptome der RA, sondern auch eine maximale funktionelle Verbesserung und eine anhaltende Hemmung der progressiven Gelenkschädigung. Für Patienten, bei denen keine Remission erreicht werden kann, wird das Ziel einer möglichst geringen Krankheitsaktivität angestrebt. Bei aktiver Erkrankung werden zunächst alle 1 bis 3 Monate Kontrolluntersuchungen vorgenommen, nach Erreichen und Stabilisierung des Behandlungsziels ist dann eine Überwachung im Abstand von 6 Monaten ausreichend. Wird 3 Monate nach Behandlungsbeginn keine Verbesserung beobachtet oder kann das Behandlungsziel innerhalb von 6 Monaten nicht erreicht werden, empfehlen die Experten eine Anpassung der Therapie. Bei einer Besserung nach 3 Monaten ist zu berücksichtigen, dass die maximale Effektivität der meisten Medikamente oft nicht vor Ablauf von 6 Monaten beobachtet werden kann. Das gilt auch für Biologicals. Vor einer Entscheidung bezüglich der weiteren Behandlung sollten diese 6 Monate daher abgewartet werden.
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FORTBILDUNG
Phase 1 keine Kontraindikation für MTX
Beginn mit MTX oder Kombination
aus csDMARD
±
klinische Diagnose einer rheumatoiden Arthritis
Kurzfristige Kombination mit niedrig dosiertem
Glukokortikoid
Kontraindikation für MTX
Beginn mit
Leflunomid oder
±
Sulfasalazin als Einzelsubstanz oder
in Kombination
Therapieversagen Phase 1: Beginn mit Phase 2
Nein
Ziel innerhalb von 6 Monaten erreicht
Ja
Therapie fortsetzen
Phase 2
prognostisch ungünstige Faktoren
Zugabe eines Biologicals: TNF-Inhibitor oder Abatacept oder Tocilizumab, ggf. Rituximab
Nein
Therapieversagen aufgrund unzureichender Wirksamkeit
und/oder FehlschTloaxgiz,itmätainngPehlansdee1
Wirksamkeit oder Toxizität in Phase 1
Ziel innerhalb von 6 Monaten erreicht
keine prognostisch ungünstigen Faktoren
Wechsel zu einem zweiten csDMARD: Leflunomid, Sulfasalazin, MTX allein oder in Kombination; idealerweise Zugabe von Glukokortikoiden
Therapieversagen Phase 2: Beginn mit Phase 3
Nein
Ziel innerhalb von 6 Monaten erreicht
Ja
Therapie fortsetzen
Phase 3
andere bDMARD +csDMARD
Wechsel der BiologicalBehandlung:
Ersatz des ersten boDMARD mit einem anderen Biological:
Abatacept oder Rituximab oder (zweiter) TNF-Inhibitor oder
Tocilizumab
Therapieversagen aufgrund unzureichender Wirksamkeit
und/oder Toxizität in Phase 2
Ziel innerhalb von 6 Monaten erreicht
andere Biologicals +csDMARD
Nein
Wechsel zu Tofacitinib (±DMARD)
(nach mindestens 1 Biological)
Ziel innerhalb von Ja 6 Monaten erreicht
Therapie fortsetzen
empfohlene Vorgehensweise nach Versagen von Biologicals (idealerweise nach 2 Biologicals) empfohlen nach Versagen von 2 Biologicals empfohlen; Wirksamkeit und Sicherheit nach Versagen von Abatacept, Rituximab und Tocilizumab nicht ausreichend untersucht möglicherweise empfohlen; Wirksamkeit und Sicherheit von bDMARD nach Versagen von Tofacitinib nicht bekannt zum Zeitpunkt der Erstellung des Updates
Abbildung: Therapiealgorithmus zum Management der rheumatoiden Arthritis (nach EULAR-Empfehlungen)
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FORTBILDUNG
Kasten:
DMARD zur Behandlung von rheumatoider Arthritis
der vielen wirksamen csDMARD und bDMARD sowie aufgrund des ungünstigen Nutzen-Risiko-Profils einstimmig zurückgenommen. Diese Substanzen sollten Ausnahmefällen vorbehalten bleiben.
csDMARD O Methotrexat (Methotrexat Pfizer® und Generika) O Sulfasalazin (Salazopyrin®) O Leflunomid (Arava® und Generika)
tsDMARD O Tofacitinib (Xeljanz®)
boDMARD O Adalimumab (Humira®) O Certolizumab Pegol (Cimzia®) O Etanercept (Enbrel®) O Golimumab (Simponi®) O Infliximab (Remicade®) O Abatacept (Orencia®) O Rituximab (Mabthera®) O Tocilizumab (Actemra®) O Anakinra (nicht im AK der Schweiz)
bsDMARD O Infliximab-Biosimilars (Inflectra®, Remsima®, nicht im AK der
Schweiz)
MTX bleibt Medikament der ersten Wahl MTX ist als Einzelsubstanz oder in Kombination mit Glukokortikoiden sowie mit anderen sDMARD oder bDMARD ein hoch wirksames Medikament und bleibt daher ein Eckpfeiler bei der Behandlung der rheumatoiden Arthritis. Bei aktiver RA empfehlen die Experten daher weiterhin MTX als Bestandteil der initialen Behandlung. Die Substanz wird meist gut vertragen, vor allem bei gleichzeitiger Folatsubstitution. Dennoch sind bei bestimmten Patienten Sicherheitsaspekte wie MTX-induzierte Lungenerkrankungen oder Kontraindikationen wie Leber- oder Nierenerkrankungen zu beachten. In diesen Fällen haben sich Sulfasalazin oder Leflunomid als vergleichbar wirksame Alternativen erwiesen. Beide Substanzen können auch mit Biologicals kombiniert werden. Goldsalze sind zwar ebenfalls wirksam, haben in der aktuellen Fassung der EULAR-Empfehlungen jedoch einen untergeordneten Stellenwert, da sie nur selten angewendet werden und in vielen Ländern nicht verfügbar sind. Bei Patienten mit sehr geringer Krankheitsaktivität werden gelegentlich auch Antimalariamittel wie Hydroxychloroquin (Plaquenil®, Hydroxychloroquine Zentiva®) und Chloroquin (Nivaquine®) in Kombination oder als Einzelsubstanzen angewendet. Diese Substanzen weisen neben ihren Eigenschaften als DMARD günstige metabolische Wirkungen auf und gelten als sicher in der Schwangerschaft. Allerdings können sie die Progression der Gelenkschädigung nicht im gleichen Mass aufhalten wie andere Medikamente und sind daher ebenfalls von untergeordneter Bedeutung. Die Empfehlung von Azathioprin (Imurek® und Generika), Ciclosporin A (Sandimmun®, Ciclosol®) oder Cyclophosphamid (Endoxan®) für therapierefraktäre Fälle oder bei Kontraindikationen gegenüber Biologicals wurde angesichts
Sequenzielle Monotherapie oder csDMARD in Kombination Aus neuen Studien geht hervor, dass eine sequenzielle Monotherapie mit csDMARD im Hinblick auf das klinische, das funktionelle und das strukturelle Ergebnis ebenso wirksam ist wie eine Kombinationstherapie und dass das schrittweise Vorgehen von der MTX-Monotherapie bis zur Anwendung von Biologicals der Anwendung einer csDMARD-Kombination signifikant überlegen ist. Die Arbeitsgruppe war jedoch der Auffassung, dass eine Kombination aus csDMARD (mit oder ohne Glukokortikoide) bei manchen Patienten dennoch eine geeignete Alternative darstellen kann und die Entscheidung deshalb individuell abgewogen werden sollte. Niedrig dosierte Glukokortikoide sollten als Bestandteil des initialen Therapieregimes aufgrund von Sicherheitsbedenken bei der Langzeitanwendung möglichst nur für einen Zeitraum von bis zu 6 Monaten angewendet werden. Als niedrige Dosierungen gelten bis zu 7,5 mg/Tag Prednison(-äquivalent). In Kombination mit csDMARD weisen Glukokortikoide eine Wirksamkeit zur Verbesserung klinischer, funktioneller und struktureller Ergebnisse auf, die mit der Effektivität der Kombination von TNF-Inhibitoren plus MTX vergleichbar ist. Eine Monotherapie mit Glukokortikoiden sollte nur in Ausnahmefällen durchgeführt werden, wenn alle anderen DMARD kontraindiziert sind.
Biologicals bei Fehlschlag mit csDMARD oder ungünstiger Prognose Wird das Behandlungsziel mit der initialen Behandlung nicht erreicht, sollte – sofern keine ungünstigen prognostischen Faktoren vorliegen – zunächst ein anderes csDMARD versucht werden. Bei ungünstigen prognostischen Faktoren wie einer hohen Krankheitsaktivität, beim Nachweis von Antikörpern (Rheumafaktoren, Antikörper gegen zitrullinierte Proteine) oder bei früher Gelenkschädigung kann die Zugabe eines Biologicals in Betracht gezogen werden. Patienten, die auf MTX und/oder andere csDMARD nicht ausreichend ansprechen, können TNF-Inhibitoren, Abatacept oder Tocilizumab in Kombination mit MTX erhalten. In der Version von 2010 wurde empfohlen, bei unzureichendem Ansprechen auf csDMARD mit TNF-Inhibitoren zu beginnen. Im Update von 2013 erachteten die Experten aufgrund der klinischen Erfahrung jetzt alle genannten Substanzen als vergleichbar wirksam und sicher. Anakinra hat sich in Studien als relativ schwach wirksam erwiesen, kann jedoch im Einzelfall eine geeignete Option darstellen. Rituximab ist derzeit nur nach unzureichendem Ansprechen auf TNF-Inhibitoren zur Behandlung der RA zugelassen. Bei Kontraindikationen gegenüber anderen Substanzen kann Rituximab jedoch auch als Medikament der ersten Wahl angewendet werden. Von Monotherapien mit TNF-Inhibitoren, mit Abatacept oder mit Rituximab wird abgeraten, da sich diese nicht als besser wirksam im Vergleich zur MTXMonotherapie erwiesen haben. Schlägt die Behandlung mit einem Biological fehl, sollte ein anderes versucht werden.
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FORTBILDUNG
Tofacitinib nach Versagen von Biologicals Das tsDMARD Tofacitinib ist zwar zur Behandlung der RA zugelassen, bis anhin ist jedoch wenig über die langfristige Sicherheit bekannt. Angesichts der vielen csDMARD und bDMARD, zu denen bereits umfangreichere klinische Erfahrungen vorliegen, sollte Tofacitinib daher nur angewendet werden, wenn bDMARD nicht ausreichend wirksam sind.
Vorsichtige Dosisreduzierung oder Ausschleichen bei Remission Ist ein Patient nach Absetzen von Glukokortikoiden in anhaltender Remission, kann ein Ausschleichen des Biologicals erwogen werden. Das gilt vor allem, wenn das Therapieregime auch csDMARD beinhaltet. Aus der aktuellen Datenlage geht hervor, dass die RA oft wieder aufflammt, sobald ein TNF-Inhibitor abgesetzt wird. Aus den Studienergebnissen wird aber auch deutlich, dass ein ausgeprägtes, dauerhaftes Ansprechen die Wahrscheinlichkeit der Aufrechterhaltung eines guten Ergebnisses unter csDMARD nach Absetzen eines Biologicals erhöht. In manchen Studien war eine Dosisreduzierung des Biologicals, jedoch nicht das Absetzen mit einer Erhaltung eines guten klinischen Ergebnisses verbunden. Die meisten Studien zum Absetzen oder zur Dosisreduzierung wurden mit TNF-Inhibitoren durchgeführt, Daten zu anderen Biologicals weisen jedoch auf ähnliche Ergebnisse hin.
Bei nachhaltiger dauerhafter Remission kann auch eine
vorsichtige Reduzierung der csDMARD-Dosis in Betracht
gezogen werden. Diese Empfehlung gilt ausschliesslich für
Patienten, bei denen nach Ausschleichen von Glukokortiko-
iden mit csDMARD das Therapieziel erreicht oder bei denen
ein Biological erfolgreich abgesetzt wurde.
In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass ein
Absetzen von csDMARD bei etablierter RA in Remission bei
70 Prozent aller Patienten – also etwa doppelt so häufig wie
unter der Erhaltungstherapie – ungeachtet des Therapie-
regimes mit einem Aufflammen der Entzündung verbunden
ist. Daher liegt der Schwerpunkt dieser Empfehlung vor
allem auf einer Reduzierung der Dosis des csDMARD anstatt
auf dem vollständigen Absetzen. Die medikamentenfreie
Remission kann bei sehr frühzeitig behandelten Patienten mit
einer sehr frühen Remission eine Option sein.
O
Petra Stölting
Quelle: Smolen J et al.: EULAR recommendations for the management of rheumatoid arthritis with synthetic and biological disease-modifying antirheumatic drugs: 2013 update, Ann Rheum Dis, published online October 25, 2013.
Interessenkonflikte: Alle Autoren haben ihre Interessenkonflikte offengelegt. Der EULAR-Lenkungsausschuss erachtet diese als nicht vorhanden oder nicht relevant.