Transkript
FORTBILDUNG
Das Risiko senken, nicht nur den Laborwert
Unterschiede zwischen verschiedenen Guidelines zum Lipidmanagement
Die aktuellen Guidelines der US-amerikanischen Kardiologen zum Lipidmanagement versuchen, neue Wege zu gehen, indem sie die Berechnung des kardiovaskulären 10-Jahres-Risikos auf repräsentative Kohortenstudien stützen und eine je nach Risikograd unterschiedlich intensive Statintherapie propagieren, ohne auf die bisherigen LDL-Cholesterin-Zielwerte abzustellen.
HALID BAS
Im November haben die Arbeitsgruppen für Praxisguidelines des American College of Cardiology und der American Heart Association vier neue Guidelines veröffentlicht, die Empfehlungen zur Behandlung des Cholesterins (1), zur Abschätzung des kardiovaskulären Risikos (2), zum Lifestylemanagement zwecks Reduktion des kardiovaskulären Risikos (3) und zum Umgang mit Übergewicht und Adipositas (4) bieten. Die gleichzeitige Publikation unterstreicht, dass alle diese Risikoaspekte und Präventions- respektive Behandlungsansätze in einem engen Zusammenhang stehen. Insbesondere
Merksätze
O Die neuen US-amerikanischen Guidelines zum Lipidmanagement identifizieren vier Gruppen von Individuen, welche von einer Statintherapie profitieren: bei klinisch manifester kardiovaskulärer Erkrankung, bei primärer LDL-Cholesterin-Erhöhung, bei Diabetes sowie primärpräventiv bei Individuen ohne solche Risikofaktoren, aber mit einem geschätzten 10-Jahres-Risiko von > 7,5 Prozent.
O Die neue Guideline fordert dazu auf, die gängigen Zielwerte zu verlassen, weil randomisierte, kontrollierte Studien gezeigt haben, dass in den von einer Statintherapie profitierenden Gruppen die kardiovaskulären Ereignisraten dann gesenkt werden, wenn die maximal tolerierte Statindosis zum Einsatz kommt.
O Für die Abschätzung des kardiovaskulären 10-Jahres-Gesamtrisikos sind hierzulande andere, auf europäischen Beobachtungsdaten basierende Hilfsmittel (Score-Tafel, Risikorechner) zu verwenden.
die Guideline zum Lipidmanagement enthält einige bemerkenswerte Neuerungen, die hier referiert werden.
Fokus auf Risikoreduktion Die Expertengruppe betont die Wichtigkeit der Abschätzung des kardiovaskulären Risikos. Sie fokussiert bei der Senkung des Blutcholesterins auf die Reduktion dieses Risikos. Deshalb nahm sie einen systematischen Review der Evidenz aus randomisierten, klinischen Studien (randomized controlled trials, RCT) höchster Qualität vor, die über kardiovaskuläre Endpunkte berichtet hatten. Dieser Review ergab mit starker Evidenz, «wer welche Therapie in welcher Intensität erhalten soll», so die Autoren. Für das Herz gesunde Lebenstilgewohnheiten sind die Grundlage der Prävention von atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankungen (atherosclerotic cardiovascular diseases, ASCVD). Bei Individuen zwischen 40 und 75 Jahren ohne klinische Zeichen für ASCVD oder Diabetes und LDLCholesterin 70–189 mg/dl (1,8–4,9 mmol/l), die keine cholesterinsenkenden Medikamente erhalten, ist das geschätzte kardiovaskuläre 10-Jahres-Risiko alle 4 bis 6 Jahre erneut zu ermitteln. Die Taskforce identifizierte vier Gruppen von Individuen, die von einer Statintherapie profitieren: 1. Indivduen mit klinisch manifester kardiovaskulärer
Erkrankung 2. Individuen mit primärer LDL-Cholesterin-Erhöhung
≥ 190 mg/dl (4,9 mmol/l) 3. Individuen zwischen 40 und 75 Jahren mit Diabetes und
LDL-Cholesterin 70–189 mg/dl (1,8–4,9 mmol/l) 4. Individuen zwischen 40 und 75 Jahren ohne manifeste
kardiovaskuläre Erkrankung und ohne Diabetes mit LDL-Cholesterin 70–189 mg/dl (1,8–4,9 mmol/l) und einem geschätzten kardiovaskulären 10-Jahres-Risiko von 7,5 Prozent oder höher.
Das Vorgehen gemäss der individuellen Risikoabschätzung fasst der Algorithmus in Kasten 1 zusammen. Präzisierungen zu Statintherapien hoher, mittlerer und geringer Intensität mit den verschiedenen Wirkstoffen gibt Kasten 2. Das individuelle Ansprechen auf die Statintherapie war in den RCT unterschiedlich und wird auch in der täglichen Praxis unterschiedlich (evtl. auch unterdurchschnittlich) sein, wie die Guideline festhält. Da in der Statinära nur wenige Studien mit anderen Lipidsenkern durchgeführt wurden und diese wenigen bei den Studienpopulationen keine signifikante zusätzliche Reduktion
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FORTBILDUNG
Kasten 1:
Wichtigste Empfehlungen in der ACC/AHA-Guideline zur Statintherapie in der Prävention atherosklerotischer kardiovaskulärer Erkrankungen (ASCVD) (nach 1)
Erwachsene > 21 Jahre
Ja
und Kandidaten für Statintherapie
klinische ASCVD Nein
Alter ≤ 75 Jahre:
Ja Statin hohe Intensität
(mittlere Intensität wenn nicht Kandidat für hohe Intensität)
Alter > 75 Jahre oder nicht Kandidat Ja für Statin hohe Intensität:
Statin mittlere Intensität
LDL-Cholesterin ≥190 mg/dl (4,9 mmol/l)
Nein
Diabetes Typ 1 oder 2 Alter 40–75 Jahre
Nein
kardiovaskuläres 10-JahresRisiko abschätzen
(mit Pooled Cohort Equations)
Ja Ja Ja
Statin hohe Intensität
Statin mittlere Intensität
Geschätztes kardiovaskuläres 10-Jahres-Risiko ≥ 7,5%:
Statin hohe Intensität
10-Jahres-Risiko ≥7,5% und Alter 40–75 Jahre
Ja
Nein
Der ASCVD-Präventionsnutzen einer Statintherapie kann hier weniger klar ausfallen als in den anderen Gruppen.
Statin mittlere bis hohe Intensität
Statintherapie hohe Intensität: Tagesdosis senkt das LDL-Cholesterin um ≥ 50 Prozent. Statintherapie mittlere Intensität: Tagesdosis senkt das LDL-Cholesterin um 30 bis ≤ 50 Prozent.
des kardiovaskulären Risikos aufzeigen konnten, ergab sich weniger Evidenz für den Einsatz von Nichtstatinen zur kardiovaskulären Risikoreduktion. Die Autoren der Guideline machen sich für die Evidenz aus klinischen Statinstudien stark und gewichten diese eindeutig stärker als Erkenntnisse, welche in epidemiologischen Beobachtungsstudien gewonnen wurden. Während der letzten 15 Jahre fand eine Therapie mit Zielwerten für Blutfette (treat to target) am meisten Verbreitung. Die Autoren sehen dabei jedoch drei Probleme: Heute verfügbare RCT-Daten gäben keinen Aufschluss darüber, welches
das Ziel sein sollte, zudem sei nicht klar, welche zusätzliche Risikoreduktion resultiere, wenn ehrgeizigere Ziele verfolgt würden, und schliesslich würden die potenziellen Nebenwirkungen von Kombinationstherapien zur Erreichung des spezifischen Behandlungsziels nicht berücksichtigt. Aus diesem Grund haben sie auch das Prinzip «Je tiefer, desto besser» (lowest is best) verworfen – jedenfalls solange keine Resultate laufender Studien zur maximalen Statintherapie vorliegen. Die neue US-amerikanische Guideline legt deshalb die Betonung auf die Senkung des Niveaus des kardiovaskulären Risikos mit den obigen vier Indikationsgruppen für eine
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Kasten 2:
Statintherapien hoher, mittlerer und geringer Intensität
Statintherapie hohe Intensität
Tagesdosis senkt LDL-Cholesterin durchschnittllich um zirka ≥ 50 Prozent
Statintherapie mittlere Intensität
Tagesdosis senkt LDL-Cholesterin durchschnittllich um 30 bis < 50 Prozent
Statintherapie niedrige Intensität
Tagesdosis senkt LDL-Cholesterin durchschnittllich um < 30 Prozent
Atorvastatin (40*)–80 mg Rosuvastatin 20 (40) mg
Atorvastatin 10 (20) mg Rosuvastatin (5) 10 mg Simvastatin 20–40 mg Pravastatin 40 (80) mg Fluvastatin retardiert 80 mg Fluvastatin 2 × 40 mg/Tag Pitavastatin 2–4 mg
Simvastatin 10 mg Pravastatin 10–20 mg Fluvastatin 20–40 mg Pitavastatin 1 mg
Kursiv gedruckte Statine und Dosierungen entsprechen zwar der FDA-Zulassung, wurden aber nicht in randomisierten, kontrollierten Studien (RTC) geprüft. Für die anderen Dosierungen konnten hingegen RTC eine Reduktion schwerer kardiovaskulärer Ereignisse zeigen.
* Evidenz stammt nur aus 1 RTC (IDEAL-Studie) bei Unverträglichkeit der höheren Atorvastatindosis.
Kasten 3:
In der Schweiz zugelassene Statine
Atorvastatin Fluvastatin Pitavastatin Pravastatin Rosuvastatin Simvastatin
Sortis® oder Generika Lescol® oder Generika Livazo® Mevalotin®, Selipran® oder Generika Crestor® Zocor® oder Generika
Statintherapie. Für die Indikation zur Aufnahme einer Statinbehandlung gibt es auch Ausnahmen, so bei Patienten, die einer Hämodialyse bedürfen oder bei solchen mit Herzinsuffizienz der Klassen III oder IV. Gegen eine Strategie zur Senkung des Lebenszeitrisikos spricht, dass es keine Langzeitdaten aus RTC über 15 Jahren gibt und über Sicherheit und Effektivität von Statintherapien über mehr als 10 Jahre und bei Individuen unter 40 Jahren zu wenig bekannt ist.
Keine Zielwerte mehr für LDL-Cholesterin und Nicht-HDL-Cholesterin Die neue Guideline fordert dazu auf, gängige Zielwerte (z.B. LDL-Cholesterin < 70 mg/dl [1,8 mmol/l] in der Sekundärund < 100 mg/dl [2,6 mmol/l] in der Primärprävention) zu vergessen. Die RTC zeigen nämlich, dass in den von einer Statintherapie profitierenden Gruppen die kardiovaskulären Ereignisraten gesenkt werden, wenn die maximal tolerierte Statindosis zum Einsatz kommt. In einer einzelnen Studie (AIM-HIGH) brachte bei intensiver Statintherapie (LDLCholesterin 40–70 mg/dl [1,0–1,8 mmol/l]) eine zusätzliche LDL-Cholesterin-Senkung und die Beeinflussung weiterer Lipide durch Nikotinsäure keine zusätzliche kardiovaskuläre Risikoreduktion.
Die Fokussierung auf LDL-Cholesterin-Zielwerte könne zur Unterbehandlung mit Statinen oder zur Überbehandlung mit Nichtstatinlipidsenkern ohne die in Studien belegte Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse führen, selbst wenn ein solcher Wirkstoff das LDL- oder das Nicht-HDL-Cholesterin zusätzlich senke. Wie die Empfehlungen in die Praxis umgesetzt werden sollen, skizzieren die Experten an einigen Beispielen: Wenn ein Patient in der Sekundärprävention unter 80 mg/Tag Atorvastatin ein LDL-Cholesterin von 78 mg/dl aufweist, dann erhält er eine evidenzbasierte Behandlung, selbst wenn er den bisherigen Zielwert von 70 mg/dl (1,8 mmol/l) nicht erreicht. Das, weil es bisher keine Daten gibt, die – mit akzeptabler Sicherheitsmarge – eine zusätzliche kardiovaskuläre Risikoreduktion belegen, wenn eine Statintherapie hoher Intensität um einen oder mehrere Lipidsenker (Nikotinsäure, Fibrat) erweitert wird. Individuen mit familiärer Hyperlipidämie (FH) erreichen in vielen Fällen das bisher postulierte LDH-Cholesterin-Ziel < 100 mg/dl (2,6 mmol/l) nicht. Beispielsweise kann ein FHPatient selbst unter lipidsenkender Tripletherapie nur ein LDL-Cholesterin von 120 mg/dl (3,1 mmol/l) erreichen. Das ist aber nicht als Therapieversagen zu interpretieren, da das LDL-Cholesterin von 325 auf 120 mg/dl (8,4 auf 3,2 mmol/l) fiel, also um > 50 Prozent, und Beobachtungsstudien auch ohne Erreichen des Zielwerts für dieses Szenario signifikante Risikoreduktionen ergaben. Bei Patienten zwischen 40 und 75 Jahren mit Diabetes wurden bisher oft aggressivere Zielwerte, nicht nur für LDL-Cholesterin, sondern auch für HDL-Cholesterin und Triglyzeride gefordert. Für die Berücksichtigung der letzteren Lipide gibt es jedoch keine Evidenz aus RTC. Solche Patienten sollten einfach eine maximal tolerierte Statintherapie erhalten, so die Autoren. Die amerikanische Guideline legt für Individuen in der Primärprävention als Schwelle für den Beginn einer Statinbehandlung ein geschätztes kardiovaskuläres 10-Jahres-Risiko ≥ 7,5 Prozent fest und begründet das damit, dass Primär-
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FORTBILDUNG
NACHGEFRAGT
Prof. Dr. med. Bernhard Meier Direktor und Chefarzt Universitätsklinik für Kardiologie Departement Herz und Gefässe Inselspital, 3010 Bern
Die Quantifizierung wird in der Praxis kaum angewendet
Weshalb stellt man in Europa für die Therapieindikation auf ein kardiovaskuläres 10-Jahres-Risiko von 10 Prozent ab, während amerikanische Kardiologen die Schwelle bei 7,5 Prozent ansetzen? Prof. Dr. med. Bernhard Meier: Das beruht wohl auf der Affinität zur Metrik in Europa und auf einer gewissen Aversion dagegen in den USA.
Welches Gewicht haben die einzelnen beeinflussbaren kardiovaskulären Risikofaktoren, auch angesichts der Tatsache, dass das Alter das Risiko am stärksten beeinflusst? Meier: Das grösste Gewicht hat das Rauchen. Es ist auch am besten beeinflussbar durch völlige Abstinenz. Danach kommen Diabetes und Hypertonie, gefolgt von Bewegungsmangel und Körpergewicht beziehungsweise Bauchumfang.
Wie beurteilen Sie die verschiedenen Hilfsmittel zur Risikoabschätzung, beispielsweise Tafeln oder Risikorechner? Ist eine Quantifizierung in jedem Fall notwendig? Meier: Die Quantifizierung wird in der Praxis kaum angewendet. Geübte Grundversorger und Fachärzte machen in der Regel eine mentale globale Risikoabschätzung.
Gibt es auch in Europa Bestrebungen, sich von Zielwerten bei den Blutfetten zu trennen und sich generell auf eine im Rahmen der Verträglichkeit möglichst intensive Statinbehandlung zu stützen? Meier: Auch in Europa werden Zielwerte weiter bestehen, und das zu Recht. Ein bereits sehr tiefes LDL-Cholesterin mit einem hoch dosierten Statin zu behandeln, ergibt keinen Sinn.
Die überzeugenden Daten zum Nutzen der Statine stammen aus Behandlungsstudien. Wie begegnen Sie dem Argument, dass der Statinnutzen ausserhalb von Studien möglicherweise viel geringer ausfällt? Meier: Es ist anzunehmen, dass der Statinnutzen ausserhalb der Studien geringer ausfällt, da generell niedriger dosiert wird. Das ist nicht gut, aber immer noch besser als völliges Weglassen des Statins.
Wie gehen Sie in der Sekundärprävention mit Statinversagern um? Meier: Mit Ezetimib (Ezetrol®) hat man eine gute Alternative, um das LDL doch zu senken. Darum geht es hauptsächlich.
Die Fragen stellte H.B.O
präventionsstatinstudien auch bei LDL-Cholesterin-Werten zwischen 70 und 189 mg/dl substanzielle Reduktionen des kardiovaskulären Risikos dokumentieren. Eine Cochranesowie eine weitere Metaanalyse haben bestätigt, dass Statine in der Primärprävention die Gesamtmortalität und die nicht tödlichen kardiovaskulären Ereignisse reduzieren.
In der Primärprävention Gesamtrisiko beurteilen Zur Abschätzung des kardiovaskulären 10-Jahres-Risikos empfiehlt die Guideline, neu zusammengestellte Daten aus gepoolten Kohortenstudien auf Bevölkerungsebene (Pooled Cohort Equations) zu benützen. Für die Risikogleichungen wurden die ursprünglichen Framingham-Daten deutlich erweitert, und neu wird auch das absolute Risiko für tödlichen und nicht tödlichen Stroke mitberücksichtigt. Für den praktischen Gebrauch werden folgende Risikofaktoren herangezogen: Alter, Geschlecht, Rasse, Gesamtcholesterin, HDLCholesterin, systolischer Blutdruck, antihypertensive Therapie, Diabetes und Raucherstatus. Diese Parameter können auch in einen Kalkulator eingegeben werden, der dann das 10-Jahres-Risiko, bei Erwachsenen bis 59 Jahre auch das Lebenszeitrisiko berechnet und direkt darstellt. «Diese Guidelines sind kein Ersatz für die ärztliche Beurteilung, sie sollen bei der Entscheidungsfindung helfen», sagten die Autoren mahnend. Vielmehr seien sie gedacht als Einstieg
für Ärzte und Patienten, um gemeinsam Therapieentscheidungen zu treffen. Am praktischen Beispiel bedeutet das allerdings, dass eine 70-jährige Person ohne andere Risikofaktoren als eben ihr Alter ein Statin erhalten sollte, da ihr 10-Jahres-Risiko über der Schwelle von 7,5 Prozent liegt. Da sich die meisten kardiovaskulären Ereignisse in der Altersgruppe über 70 Jahre ereignen, besteht hier das grösste Potenzial für eine absolute Risikoreduktion. Im Zusammenhang mit der Sicherheit von Statintherapien sprechen sich die Experten gegen eine routinemässige Kreatinkinasebestimmung aus, fordern jedoch, dass vor Beginn einer jeglichen Statintherapie sowie bei allen Kontrollvisiten explizit nach Muskelsymptomen (Schwäche, Schmerzen, Druckempfindlichkeit, Krämpfe, Steifigkeit) gefragt werden soll. Bei vereinzelten, ausgewählten Individuen, die in keine der vier für eine Statintherapie geeignete Gruppe passen, können zusätzliche Faktoren in der Gesamtbeurteilung des Risikos im Hinblick auf eine Statintherapie hilfreich sein. Dazu gehören Hinweise auf eine genetische Hyperlipidämie, positive Familienanamnese für frühzeitige Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei nahen Verwandten, hochsensitives C-reaktives Protein ≥ 2 mg/l, Hinweise auf Gefässverkalkungen (CACScore), Knöchel-Arm-Index (ABI) < 0,9 oder erhöhtes kardiovaskuläres Lebenszeitrisiko. ARS MEDICI 1 I 2014 37 FORTBILDUNG Expertenkritik an den Guidelines Wenige Tage nach der Online-Publikation der Guideline kritisierten Paul M. Ridker, Erstautor der JUPITER-Studie zur Primärprävention mit Statinen, und Nancy R. Cook die neuen Präventionsempfehlungen (5). Sie hatten den Risikokalkulator mit den Patientendaten aus drei grossen epidemiologischen Studien (Women’s Health Study, Physicians’ Health Study, Women’s Health Initiative [WHI] Observational Study) gefüttert und mit den dort tatsächlich beobachteten Ereignisraten verglichen. Der Kalkulator überschätzte das Risiko um 75 bis 150 Prozent, je nach Population. So können bei einem Mann mit einem 10-Jahres-Risiko von 4 plötzlich 8 Prozent herauskommen. Damit liegt er über der von der Guideline postulierten Grenze von 7,5 Prozent und qualifiziert für eine Statinbehandlung. «Eine Fehlkalibration dieses Ausmasses sollte bereinigt und in externen Validationskohorten überprüft werden, bevor diese neuen Vorhersagemodelle auf breiter Basis eingeführt werden», schreiben Ridker und Cook. Die beiden Fachgesellschaften AHA und ACC stehen weiterhin hinter den neuen Empfehlungen. Wie soll das 10-Jahres-Risiko bestimmt werden? Inzwischen gibt es etliche Guidelines, die sich mit dem kardiovaskulären Risiko und seiner Beeinflussung durch medizinische Interventionen befassen. Sie benützen zur Erfassung der individuellen Risikosituation teilweise sehr unterschiedliche Datensätze und Hilfsmittel. Das wurde nötig, da eine einfache Übertragung beispielsweise der US-amerikanischen epidemiologischen Daten aus der Framingham-Studie auf europäische Verhältnisse nicht sinnvoll ist und sich auf Bevölkerungsebene die Risikosituation auch zwischen verschiedenen europäischen Ländern unterscheidet. In europäischen Guidelines wird deshalb zwischen Ländern mit hohem und tiefem kardiovaskulärem Risiko unterschieden. Die Schweiz gehört zu den Ländern mit niedrigem Risiko. Die Guidelines der European Society of Cardiology (ESC) arbeiten mit den SCORE-Tafeln, die ebenfalls das HDL-Cholesterin berück- sichtigen und das absolute kardiovaskuläre 10-Jahres-Risiko berechnen (Management of Dyslipidaemias 2011 [6]). Online oder als Download ist auch ein Kalkulator verfügbar (7). Auch die schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Lipide und Atherosklerose (AGLA) bietet Hilfsmittel (AGLA-Score sowie AGLA-Risikorechner) an, die an die Schweizer Po- pulation angepasst sind (8). Beide Methoden basieren auf der PROCAM-Studie und berechnen das 10-Jahres-Risiko für ein tödliches Koronarereignis und einen nicht tödlichen Myokardinfarkt. O Halid Bas Interessenkonflikte sind aus den umfangreichen Dokumenten nicht direkt ersichtlich. Literatur: 1. Neil J. Stone et al.: 2013 ACC/AHA Guideline on the treatment of blood cholesterol to reduce atherosclerotic cardiovascular risk in adults: A report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines. Circulation 2013, published online November 12. 2. David C. Goff et al.: 2013 ACC/AHA Guideline on the Assessment of Cardiovascular Risk: A Report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines. Circulation 2013, published online November 12. 3. Robert H. Eckel et al.: 2013 AHA/ACC Guideline on Lifestyle Management to Reduce Cardiovascular Risk. A Report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines. Circulation 2013, published online November 12. 4. Michael D. Jensen et al.: 2013 AHA/ACC/TOS Guideline for the Management of Overweight and Obesity in Adults: A Report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines and The Obesity Society. Circulation 2013, published online November 12. 5. Paul M. Ridker, Nancy R. Cook: Statins: new American guidelines for prevention of cardiovascular disease. Lancet 2013, published online November 19. 6. www.escardio.org/guidelines 7. www.heartscore.org 8. www.agla.ch/risikoberechnung/agla-risikorechner Fachinformation zu Seite 30 und 31: Coversum® N Combi 2.5/0.625/Coversum® N Combi 5/1.25/ Coversum® N Combi 10/2.5. Z: Perindopril 2.5 mg/5 mg/10 mg, Indapamid 0.625 mg/1.25 mg/2.5 mg. I: Coversum® N Combi 2.5: Essentielle arterielle Hypertonie. Coversum® N Combi 5: Essentielle arterielle Hypertonie bei unkontrollierter Hypertonie durch Perindopril allein. Coversum® N Combi 10: arterielle Hypertonie, als Ersatz bei bereits kontrollierten Patienten in Behandlung mit Perindopril und Indapamid mit der gleichen Dosierung. D: 1 Tablette täglich am Morgen. KI: Überempfindlichkeit gegen Perindopril oder einen anderen ACE-Hemmer oder gegen Sulfonamide, Vorgeschichte eines angioneurotischen Ödems (Quincke-Ödem) in Zusammenhang mit der Einnahme eines ACE-Hemmers, schwere Niereninsuffizienz mit Kreatininclearance < 30 ml/min/Niereninsuffizienz mit Kreatininclearance < 60 ml/min, Kinder, Schwangerschaft, Stillzeit, hepatische Enzephalopathie, schwere Niereninsuffizienz, Hypokaliämie, kürzlich aufgetretene zerebrovaskuläre Insulte. UW: Asthenie, Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Husten. IA: Lithium, kaliumsparende Diuretika, Nicht-Antiarrhythmika, die Torsades de pointes hervorrufen. P: Packungen mit 30 oder 90 Tabletten. Kassenzulässig. Weitere Angaben: Siehe http:// www.swissmedicinfo.ch/; Servier (Suisse) S.A., 1242 Satigny. 38 ARS MEDICI 1 I 2014