Transkript
FORTBILDUNG
Serie: Adipositas
Bariatrische Operation als Ultima Ratio
Serie Adipositas, Teil 3: Multimodale Behandlungsstrategie
Nachdem sich der erste Teil unseres Übersichtsartikels mit den Ursachen und Konsequenzen von Übergewicht beschäftigt und der zweite Teil die Möglichkeiten aufgezeigt hat, die mit Adipositas einhergehenden kardiovaskulären Risikofaktoren durch die Ernährung positiv zu beeinflussen, stellt der vorliegende dritte und letzte Teil die Steigerung der körperlichen Aktivität als wesentlichen Teil einer Behandlungsstrategie vor, die durch medikamentöse und gegebenenfalls auch chirurgische Massnahmen ergänzt werden kann.
Aerobic, Laufband und Velofahren senkte den Blutdruck, reduzierte die Einnahme von Blutdrucksenkern, senkte den Lipidgehalt im Blut und besserte die kardiovaskulären Parameter (163). Auch die Entzündungsmarker im Blut konnten durch körperliches Training reduziert werden (164, 165). Dabei sollte nicht nur die Gewichtsabnahme, sondern vor allem auch die Besserung der Stoffwechselparameter kontrolliert werden (166). Es besteht kein Zweifel daran, dass es bei vermehrter körperlicher Aktivität zu einem Energiedefizit im Körper kommt (167). Die bei Ausdauertraining empfohlenen Powerdrinks (z.B. 0,2 g Kohlenhydrate/kg), alle 15 Minuten getrunken, können bei gleicher Bilanzierung durch das Essen einer Banane ersetzt werden (168).
OTTO KNES UND SIGRUN CHRUBASIK-HAUSMANN
Körperliche Aktivität Körperliche Aktivität setzt auf molekularer Ebene Mechanismen in Gang, die antiatherogene Prozesse steuern, zum Beispiel die Erhöhung der Superoxiddismutase. Regelmässiges Training entspricht deshalb einer wirksamen antioxidativen und antiatherogenen Therapie (160, 161). Auch bei Senioren konnte durch körperliches Training die antioxidative Kapazität im Blut gesteigert werden (162). Ein Bewegungsprogramm mit dreimal wöchentlich 45 Minuten
Merksätze
Programme Mit einem 3 Monate dauernden Programm, das auch das Essverhalten der Adipösen schulte, konnten Gewichtsabnahmen von etwa 13 kg erzielt werden (169). In Einzelfällen kann eine Psychotherapie erforderlich sein, um das unkontrollierte Essverhalten zu beeinflussen (170). Im Einklang damit konnte gezeigt werden, dass ein multimodales Programm aus Diät (ca. 400 kcal), körperlicher Aktivität und mentalem Training mit der Abnahme des Body-Mass-Index (BMI) um einen Punkt (entsprechend 3 kg) und der Abnahme des erhöhten Blutdrucks (Abbildung 9) einhergeht (171, 172). Dabei wird das Ergebnis der Kalorienreduktion nicht durch die Zusammensetzung der Diät beeinflusst.
Veränderung des systolischen Blutdrucks (mmHg)
O Regelmässiges körperliches Training stellt eine wirksame antioxidative und antiatherogene Therapie dar.
O Schulungsprogramme zur Umstellung der Lebensgewohnheiten und des Essverhaltens können zu einer Gewichtsreduktion beitragen; ihr Therapieerfolg ist vor allem von der Motivation der Teilnehmer abhängig.
O Die Einnahme synthetischer Appetitzügler geht mit schwerwiegenden Nebenwirkungen einher.
O Chirurgische Massnahmen sollten nicht als Erstlinientherapie angesehen werden.
Gewichtsreduktion (%)
Abbildung 9: Korrelation zwischen Gewichtsabnahme und Abnahme des erhöhten Blutdrucks (172).
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FORTBILDUNG
Tabelle 4:
Kontraindikationen zur Durchführung einer bariatrischen Operation
O ausgeprägte Niereninsuffizienz (Kreatinin > 300 mmol/l) bzw. Dialyse
O instabile Angina pectoris, Herzinfarkt in den vergangenen 3 Monaten
O Leberzirrhose Child B/C O Morbus Crohn O Lungenembolie in den vorausgehenden 6 Monaten O Krebserkrankung in den vorausgehenden 2 Jahren O ernsthaftes nicht übergewichtsbedingtes behandlungsbedürftiges
psychisches Leiden O Drogenkonsum O mangelnde Mitarbeit oder Einsicht
Bewährt haben sich auch Internetprogramme, die auf regelmässigem Wiegen beruhen (173). Doch ist der Therapieerfolg von individuell angepassten Programmen, die auch eine Änderung der Lebensgewohnheiten einbeziehen, bei Kollektiv-Online-Programmen grösser (174). Darüber hinaus ist der Therapieerfolg vor allem von der Motivation der Teilnehmer abhängig (175).
Medikamentöse Behandlung Synthetische Appetitzügler gehen mit schwerwiegenden unerwünschten Wirkungen einher. Bei Einnahme von 10 bis 20 mg Sibutramin pro Tag, einem selektiven Monoaminwiederaufnahmehemmer (Serotonin, Noradrenalin) mit amphetaminähnlicher molekularer Struktur, wurden unter anderem Herzinfarkte aufgrund von Spasmen der Koronararterien beobachtet (176, 177, 178). Aufrund der sympathomimetischen Wirkung kommt es zu einem Anstieg des Blutdrucks und der Herzfrequenz (179). Der mit Sibutramin erzielte Gewichtsverlust betrug nach 6 bis 12 Monaten im Vergleich zu Plazebo etwa 3 bis 9 kg. Nach Beendigung der Therapie kam es jedoch wieder zur Gewichtszunahme (180). Deshalb hat der Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA (European Medicines Agency) die Empfehlung ausgesprochen, die Marktzulassungen für alle Medikamente mit dem Wirkstoff Sibutramin in der Europäischen Gemeinschaft zu sistieren. Die Arzneimittelbehörde der Schweiz, Swissmedic, ist dieser Empfehlung gefolgt, sodass Sibutramin auch in der Schweiz nicht mehr erhältlich ist (http://sibutramine.com/switzerland/de-ch). Auch Rimonabant, ein selektiver Cannabinoid-1-Rezeptor-Antagonist, der im Gehirn eine Appetithemmung bewirkt und peripher die Insulinempfindlichkeit und die Fettsäureoxidation verstärkt, wurde wegen psychiatrischer Nebenwirkungen und Suiziden wieder vom Markt genommen (www.infomed.ch/ pk_tem plate.php?pkid=242). Der derzeit einzige zugelassene synthetische Wirkstoff Orlistat (Xenical®), ein Lipstatinderivat, hemmt irreversibel die körpereigenen Lipasen, sodass die mit der Nahrung zugeführten Fette nicht resorbiert, sondern unverdaut ausgeschie-
den werden. Da somit auch die fettlöslichen Vitamine nicht resorbiert werden können, eignet sich das Präparat nur zur passageren Therapie. Unter der Behandlung treten sehr häufig Magen-Darm-Nebenwirkungen auf (u.a. Durchfall, Fettstuhl, Blähungen, Bauchschmerzen) (181). In Langzeitstudien verloren Patienten unter Orlistateinnahme 2,7 kg mehr an Gewicht als unter Einnahme eines Plazebos (182). Ob es anderen Synthetika (z. B. Glukagonanaloga, Tesofensin, Phentermin plus Topiramat, Bupropion plus Naltrexon bzw. Bupropion plus Zonisamid) gelingen wird, einen Platz in der Behandlung der Adipositas zu erhalten, müssen weitere Untersuchungen zeigen (183).
Adipositaschirurgie Gelingt es durch konservative Massnahmen nicht, den BMI in einen akzeptablen Bereich zu senken, kann alternativ eine bariatrische Operation durchgeführt werden. Die Swiss Study Group for Morbid Obesity hat die Voraussetzungen hierfür zusammengefasst: O BMI > 35 kg/m2 O erfolglose 2-jährige adäquate Therapie zur Gewichts-
reduktion (bei einem BMI > 50 kg/m2 ist eine Dauer von 12 Monaten ausreichend; www.vetag.ch/upload/4097368Voraussetzungen-fr-eine-bariatrische-Operation.pdf ).
Weiterhin sollte die Operation in einem zertifizierten Adi-
positaszentrum durchgeführt werden. Dieses sollte über
ein interdisziplinäres Team mit der notwendigen Erfahrung
verfügen (1 bariatrisch tätiger Chirurg, 1 Facharzt für
Innere Medizin/Endokrinologie, 1 Psychiater/Psychosomati-
ker, 1 Ernährungsberaterin). Voraussetzungen sind ein stan-
dardisiertes Evaluationsverfahren und ein Patientenmanage-
ment inklusive Qualitätssicherung. Die chirurgische Thera-
pie sollte nicht als Erstlinientherapie angesehen werden.
Der übergewichtige Patient sollte sich verpflichten, min-
destens 5 Jahre zu einer regelmässigen Nachkontrolle zu
kommen. Bei Patienten jenseits des 65. Lebensjahres sind
Operationsrisiken und Restlebenserwartung aufgrund der
Komorbiditäten abzuwägen; sie sollten nur in Adipositas-
referenzzentren operiert werden. Die Kontraindikationen
sind in Tabelle 4 zusammengefasst.
Heute wird auch zwischen der bariatrischen und der meta-
bolischen oder Diabetesoperation differenziert. Obwohl es
sich um dasselbe Operationsverfahren handelt, unterschei-
den sich die Patientenkollektive gravierend. Die Patienten,
die sich einer metabolischen Operation unterzogen, waren
älter, häufiger Männer, insulinbedürftige Diabetiker, Hyper-
toniker und solche mit Stoffwechselstörungen und manifes-
ten kardiovaskulären Erkrankungen (184).
O
Otto Knes1,3 und Sigrun Chrubasik-Hausmann2,4 1Human Nutrition and Metabolism Research and Training Center, A-8010 Graz 2Institut für Rechtsmedizin, Universität Freiburg, Albertstrasse 9, D-79104 Freiburg 3SwissAnalysis AG,8274 Tägerwilen 4Medizinisches Zentrum, 7310 Bad Ragaz
Das Literaturverzeichnis ist beim Verlag erhältlich.
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