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Jeder Zehnte leidet an einem Handekzem
Neue Guidelines und CARPE-Register zum Therapieverlauf
BERICHT
EADV-Kongress 2013 Satellitensymposium der Firma Stiefel (ein GSK-Unternehmen): Chronic hand eczema – understanding the burden, guidelines and practical tips. EADV-Kongress, Istanbul, 3.Oktober 2013
Obwohl Handekzeme in der Bevölkerung sehr weit verbreitet sind, fehlt eine international anerkannte Klassifikation zu dieser Erkrankung. Auch einheitliche Guidelines und Langzeitdaten zum Therapieverlauf sowie zum langfristigen Therapieerfolg sind bislang Mangelware. An einem Satellitensymposium wurden in Istanbul im Rahmen des Kongresses 2013 der European Academy of Dermatology and Venereology (EADV) neue Projekte vorgestellt, die diese Wissenslücken schliessen sollen.
KLAUS DUFFNER
Handekzeme haben in der Bevölkerung eine Einjahresprävalenz von rund 10 Prozent und sind damit wahrlich eine häufige Erkrankung. Daten aus Deutschland weisen darauf hin, dass nur 50 bis 70 Prozent der von einem Handekzem Betroffenen einen Dermatologen aufsuchen (1). Krankheitsbedingt können 20 Prozent länger als sieben Tage ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen. Jeder Zehnte ist längerfristig sogar gezwungen, den Job zu wechseln. Das ist kein Wunder, denn in der Hälfte aller Fälle war das Erscheinen eines Handekzems direkt mit der beruflichen Tätigkeit verbunden. Zu den «Top Fünf» unter den Berufen mit Handekzemen zählen: Gesundheits-
berufe (mehr als 20 Prozent der registrierten Fälle), Küchenangestellte, Reinigungshilfen, Handwerker und Frisöre. In Dänemark seien 43 Prozent dieser berufsbedingten Erkrankungen auf Arbeit mit Nässe beziehungsweise Feuchtigkeit zurückzuführen, erklärte Prof. Dr. med. Tovne Agner von der Universität Kopenhagen. «Feuchtarbeit» ist dabei definiert als nasse Hände beziehungsweise Tragen von Handschuhen während mehr als 2 Stunden pro Tag oder 10- bis 20-maliges Händewaschen pro Arbeitstag (2).
Stigmatisierung weitverbreitet Zwar seien alle sichtbaren Hauterkrankungen mit einem Stigma verbunden, bei chronischen Handekzemen sei das trotzdem noch etwas Besonderes, sagte Prof. Dr. med. Thomas Diepgen von der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg. Denn die gut sichtbaren Hände stellen sehr wichtige Organe für den sozialen Umgang und die Kommunikation dar. So sind Beeinträchtigungen in Funktion oder Form häufig mit psychosozialen Schwierigkeiten verbunden. Typische Probleme sind vermindertes Selbstbewusstsein oder soziale Phobien. Gemäss einer älteren schwedischen Studie leiden 81 Prozent der Patienten mit Handekzemen unter emotionalen oder sozialen Störungen und ein Drittel unter Schlafproblemen (3). Solche physischen und psychischen Schwierigkeiten gehen mit hohen ökonomischen Belastungen einher, sowohl für die Individuen als auch für die Gesellschaft, so Prof. Diepgen (4).
Mehr Informationen über CARPE-Register Eine allgemein anerkannte Klassifikation von Handekzemen und Langzeitdaten zum Therapieverlauf sowie zum langfristigen Therapieerfolg fehlen bis-
lang. Deshalb wurde von der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) mit CARPE (Chronisches Handekzem Register zum Patientenlangzeitmanagement) ein Register zur Erfassung schwerer chronischer Handekzeme gegründet (5). Die Initiatoren wollen damit mehr Basisinformationen zu demografischen Charakteristika, zum Schweregrad, zur Prognose und zum Verlauf der Erkrankung, zur Lebensqualität der Betroffenen, zu den Risikofaktoren, zum Therapieerfolg und auch zur Patientenzufriedenheit erhalten. Bislang sind mehr als 1100 Patienten in CARPE erfasst, 55 Prozent davon Frauen. Die durchschnittlich 47 Jahre alten Betroffenen leiden im Mittel seit 7,6 Jahren an Handekzemen. Rund 80 Prozent davon stehen in einem Arbeitsverhältnis. Allerdings sei ein Viertel zum Zeitpunkt der Datenerfassung arbeitsunfähig. Rund 30 Prozent der Handekzempatienten sehen die Lebensqualität moderat und 40 Prozent schwer oder gar extrem beeinträchtigt. Da sich Patienten mit Handekzemen in einer besonderen Situation befinden und sich die bisherigen Lebensqualitätsscores als unzureichend erwiesen haben, ist ein spezielleres Tool für die Einschätzung dieser Erkrankung notwendig, so Prof. Diepgen. Deshalb wurde unlängst in Zusammenarbeit mit Patienten und Experten ein neuer Score, der QULHEQ (The Quality of Life in Hand Eczema Questionnaire), erarbeitet. Er zeige sehr gute Eigenschaften in Bezug auf die Validität, die Zuverlässigkeit und die Sensitivität (6). Zentrale Punkte der Erfassung sind dabei Symptome, Funktionseinschränkungen, Emotionen sowie Prävention und Behandlung.
Hohe jährliche Kosten Wenn Handekzeme einen solchen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit und die
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Lebensqualität der Betroffenen ausüben, wie hoch sind dann die Kosten, die tatsächlich durch diese Erkrankung entstehen? In einer neuen Studie der Universität Heidelberg wurden 151 Patienten analysiert, die aufgrund ihrer berufsbedingten Handekzeme eine Rehabilitationsmassnahme in Heidelberg durchgeführt hatten (7). Erwartungsgemäss war der Einfluss der Erkrankung auf die Lebensqualität (DLQIScore) bei vielen hoch. So gaben 36 Prozent eine sehr starke und 11 Prozent eine extreme Beeinträchtigung an. Die indirekten Kosten durch Produktivitätsverlust betrugen im Jahr im Durchschnitt 6152 Euro, die direkten Kosten 2626 Euro, insgesamt also 8799 Euro. Im Vergleich dazu liegen die durchschnittlichen Jahreskosten einer Psoriasiserkrankung in Deutschland bei 6709 Euro (8). Bemerkenswerterweise war zwischen leichten und schweren Formen der Handekzemerkrankung kein sehr grosser monetärer Unterschied festzustellen (7825 Euro versus 9406 Euro). Wegen der hohen Krankheitsprävalenz kommen jedoch erhebliche Beträge zusammen: «Allein die jährlichen Kosten neu auftretender Handekzemfälle betragen 60 bis 104 Millionen Euro», sagte Prof. Diepgen. «Wenn man die chronischen Fälle noch mit dazunimmt, sind die Kosten noch deutlich höher.» Eine frühe und konsequente Behandlung der weitverbreiteten Handekzeme könne die Lebensqualität und die Arbeitsfähigkeit der Betroffenen signifikant verbessern und habe daher einen gesellschaftlich hohen Stellenwert, so der Dermatologe.
Neue Guidelines der ESCD Zwar existierten derzeit eine ganze Reihe nationaler Guidelines für das Management von Handekzemen, eine europäische Perspektive fehle bislang jedoch, sagte Prof. Dr. med. Peter Elsner vom Universitätsspital Jena. Zudem gebe es bei den Handekzemen bisher weder ein systematisches Review noch eine einheitliche Klassifikation – alles Gründe für die European Society of Contact Dermatitis (ESCD), eigene Richtlinien zur Diagnose, Behandlung und Prävention zu entwickeln. Dazu wurde ein systematischer CochraneReview der relevanten Literatur durchgeführt, und zusätzlich wurden mehrere Expertenmeetings einberufen. Ge-
mäss den in Istanbul nun vorgestellten Empfehlungen sollte als Basistherapie die Haut stets adäquat geschützt und mit ausreichend Feuchtigkeit versorgt werden. Zudem sollten mögliche Auslöser beziehungsweise Ekzemtrigger vermieden werden. Die eigentliche Therapie akuter Handekzeme muss dann möglichst rasch und effektiv erfolgen, da sonst eine Chronifizierung droht. Dabei spielen topische Kortikosteroide eine wesentliche Rolle. Sie werden als First-Line-Therapie empfohlen. Allerdings ist bei längerfristiger Anwendung bekanntlich mit Hautatrophien zu rechnen, weshalb nicht länger als 6 Wochen behandelt werden sollte. Falls eine längerfristige Therapie dann doch notwendig ist, sollte diese nur unter regelmässiger ärztlicher Beobachtung stattfinden. Die Evidenz für die Wirksamkeit von topischen Calcineurininhibitoren (Pimecrolimus, Tacrolimus) sei hingegen begrenzt, so Prof. Elsner. Bei erwachsenen Patienten, die nicht auf eine First-Line-Therapie ansprechen, kann eine Fototherapie erwogen werden. Allerdings besteht dabei langfristig ein erhöhtes Hautkrebsrisiko.
Systemische Therapie bei schweren Fällen Wenn schwere chronische Handekzeme nicht ausreichend auf topische Behandlungen ansprechen, ist eine systemische Therapie indiziert. Sehr gute Evidenz besteht dabei für Alitretinoin, weshalb eine Second-Line-Empfehlung für die Behandlung von Patienten mit schweren chronischen Handekzemen ausgesprochen wurde (Empfehlungsgrad A). Da die darin enthaltenen Retinoide bekanntermassen stark teratogen wirken, darf Alitretinoin bei Patientinnen im gebärfähigen Alter nur im Rahmen eines sehr strengen Schwangerschaftsverhütungsprogramms angewendet werden. Auch systemische Kortikosteroide können bei schweren Handekzemen in Betracht gezogen werden. Allerdings wird deren längerfristiger Gebrauch nicht empfohlen, da mit ernsthaften Nebenwirkungen zu rechnen ist. Für die Wirksamkeit von Cyclosporinen besteht eine moderate Evidenz (Level 2). Deshalb seien sie nur für Patienten vorgesehen, deren First- und Second-Line-Behandlungen gescheitert beziehungsweise kontra-
indiziert waren, so Prof. Elsner. Zu beachten sei ausserdem, dass es sich zumeist um Off-Label-Anwendungen handle. Für die Wirksamkeit von Azathioprin oder Methotrexat konnte bei Handekzemen von den Experten hingegen keine Evidenz gefunden werden, obwohl auch solche Medikamente traditionell in der Handekzemtherapie Verwendung finden. Auch der Effektivität von Acitretin wurde nur ein niedriger Evidenzgrad zuerkannt. Für die Behandlung von hyperkeratotischen Ekzemen der Handfläche kann das Medikament jedoch in Betracht gezogen werden, als First- oder Second-LineSubstanz ist es allerdings ungeeignet. O
Klaus Duffner
Referenzen: 1. Thyssen JP et al., Contact Dermatitis 2010; 62: 75–87. 2. Caroe T et al., Contact Dermatitis 2013 (in press). 3. Meding B et al., Contact Dermatitis 1990; 23: 6–14. 4. Diepgen TE et al. Contact Dermatitis 2007; 57:
203–210. 5. Apfelbacher CJ et al., J Dtsch Dermatol Ges 2011; 9:
682–688. 6. Ofenloch et al., Acta Dermato Venerol (submitted). 7. Diepgen TE et al., Contact Dermatitis 2013; 69: 99–106. 8. Schöffski O et al., J Dtsch Dermatol Ges 2007; 5:
209–218.
Erstpublikation in SZD 5/13.
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